Die Macht der Liebe

Predigt über Hoheslied 8,6b-7a zum 20. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wusstet ihr schon, dass in der Bibel Liebes­gedichte stehen? Das Hohelied Salomos ist ganz und gar diesem Thema gewidmet, der Liebe zwischen Freund und Freundin. Der Abschnitt, den wir eben gehört haben, ist ein Wort der Freundin. Sie sehnt sich danach, nur immer mit ihrem Freund zusammen zu sein, mit ihm ungestört zu sein. Sie spürt die Macht der Liebe: „Liebe ist stark wie der Tod und Leiden­schaft un­widersteh­lich wie das Toten­reich.“ Stark wie der Tod: Wer der Macht des Todes verfällt, der muss sterben. Wer der Macht der Liebe verfällt, der muss lieben. Seine Gedanken, seine Sinne, seine ganze Person fühlen sich hingezogen zum Geliebten. Eine gewaltige Macht! Wer hat es noch nicht selbst erlebt? Der hat wohl etwas versäumt.

Wenn irgendwo eine junge Liebe aufkeimt, kann man erleben, wie diese Macht sich mächtig erweist, wie sie Menschen in ihren Bann zieht, wie sie sie verändert. Man verfolgt das mit großer Freude und großer Neugier mit, angefangen von den Eltern bis hin zu den Alters­genossen. Da kann sich auf einmal das Äußere eines jungen Mannes oder einer jungen Dame verändern, um dem Geliebten zu gefallen. Da inter­essiert man sich plötzlich für Dinge, die einen vorher völlig kalt gelassen haben – weil der Freund oder die Freundin sich dafür inter­essiert. Da erdenkt man sich immer neue Anlässe, um nur ja recht viel beieinander zu sein. Die Liebe kann machen, dass jemand plötzlich viel auf­geschlosse­ner, fröhlicher und freund­licher ist als früher. Die Liebe kann den mittel­mäßigen Schüler plötzlich zu ungeahnten Leistungen beflügeln, aber auch dem Muster­schüler einen Zensuren­absturz einbringen. Die Älteren belächeln das mit einem Augen­zwinkern, wenn sich Jugendliche zum erstenmal verlieben. Manche wollen ihnen dann weismachen, sie sollen das mal noch nicht so ernst nehmen. Aber den Verliebten selbst ist es oft ernst, todernst mit der Liebe. Lächeln wir also nicht, wenn jemand neu die Liebe entdeckt, die stark ist wie der Tod! Und auch die Eifersucht, die stark ist wie das Totenreich. Ja, „Eifer­sucht“ ist das eigentlich, was hier mit „Leiden­schaft“ wieder­gegeben ist. Denn wer liebt, der hütet seine Liebe wie einen kostbaren Schatz und bedenkt all das mit glühendem Zorn, was sie gefährdet.

Ja, die Liebe zwischen Mann und Frau ist eine ernste Sache, und sie ist eine heilige Sache. Sie ist „eine Flamme des Herrn“, heißt es in Gottes Wort. Gott hat sie angezündet, als er den Menschen als Mann und Frau schuf. Und Gott zündet sie immer wieder aufs Neue an, wenn ein Mann und eine Frau zueinander in Liebe entbrennen. Die Liebe ist ein großes Geschenk unseres Herrn, sie ist wohl die höchste Schöpfungs­gabe, die wir für das Leben auf dieser Erde bekommen haben. Zu Unrecht ist die geschlecht­liche Liebe lange Zeit gerade von Christen verachtet worden, so als sei sie die Sünde schlecht­hin. Nein, noch einmal: Sie ist eine Flamme des Herrn, sie ist die größte und edelste Schöpfungs­gabe.

Und sie ist nach Gottes Willen auch un­auslösch­lich, „sodass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können.“ Wer die Liebe als Gabe aus Gottes Hand nimmt, der weiß, dass sie auf Dauer angelegt ist. Darum hat Gott auch den Bund der Ehe für sie gestiftet. Das Feuer der Liebe soll so lange brennen, bis der Tod die Partner trennt. In guten und bösen Tagen soll sie brennen, kein Wasser soll sie auslöschen; auch kein Leid, das über die Ehe herein­bricht; auch kein Mensch, der von außen in die Ehe einbrechen will. Wer die Liebe als Gottesgabe nimmt, als Flamme des Herrn, der weiß, dass die Treue untrennbar damit zusammen­gehört. Darum ist die Liebe auch kein Spiel, kein Flirt. Wer mit dem Feuer spielt, wird sich daran verbrennen. Sie ist eine ernste, eine todernste Sache, stark wie der Tod. Und so gilt auch, wenn ein junger Mensch zum erstenmal die Macht der Liebe erfährt: Das Ziel soll die Ehe sein; dort soll die Liebe un­auslöschlich weiter­brennen. Wer sich in jemanden verliebt, den er auf keinen Fall heiraten würde, der soll lieber die Finger davon lassen.

Ja, dies alles finden wir in den wenigen Worten aus diesem Liebes­gedicht. Es steht allerdings nicht nur deshalb in der Bibel, um uns den Segen dieser Schöpfungs­gabe vor Augen zu führen. Nein, wer sich in der Bibel auskennt der weiß: Die Liebe zwischen Mann und Frau ist dort immer auch Sinnbild und Gleichnis für die Liebe zwischen Gott und den Menschen. Die Liebe ist nicht nur die Flamme, die Gott zwischen Menschen stiftet, sondern diese Flamme lodert auch von ihm selbst her auf die Menschen zu. Sie drängt auf Gemein­schaft. Sie tut es bis zum heutigen Tag. Gott hat sich durch unzählige Gemein­heiten und Be­leidigungen von seiten der Menschen nicht beirren lassen, er ist durch die unzähligen Rückfälle in die Sünde nicht mürbe geworden, er hat uns noch immer lieb. Er möchte in Gemein­schaft mit uns leben, für immer. Er als unser König, wir als sein Volk; er als unser Bräutigam, wir als seine Braut.

Und wenn es schon bei Menschen so ist, dann ist erst recht bei Gott die Liebe eine ernste, eine heilige Sache. Und ist die Liebe unter Menschen bereits stark wie Tod und Totenreich, so ist Gottes Liebe noch viel stärker. Das dürfen wir wörtlich nehmen. Denn Gottes Liebe überwindet für uns den Tod und die Hölle mit ihrer Macht. Wie geschieht das?

Gott ist heilig und gerecht. In seiner Gemein­schaft kann nur der bestehen, der ebenfalls heilig ist, der sich ihm ganz unterwirft, der ganz nach seinem Willen lebt. Kein Mensch ist so, keiner lebt heilig. Keiner kann darum vor Gott bestehen, alle Menschen haben das Recht auf Leben verwirkt. Wir alle sind sterblich, und wenn alles seinen natürlichen Gang ginge, dann endeten wir nach dem Tod im Totenreich, in der Hölle. Aber nun erweist sich Gottes Liebe als stärker. Gott lässt seinen Sohn Mensch werden. Jesus Christus leidet und stirbt für uns, an unserer Statt. Freiwillig erniedrigt er sich so tief – er, der doch Herr über alles ist. Freiwillig wird Gott ein Mensch, aus lauter Liebe. „O Liebe, Liebe, du bist stark, du streckest den in Grab und Sarg, vor dem die Felsen springen.“ Aus Liebe unterwirft er sich der Macht des Todes, um sie für uns zu überwinden. Er trägt die Strafe für unsere Schuld, damit sie gesühnt und abgebüßt ist. So gesühnt, dürfen wir rein und heilig wieder dem himmlischen Vater unter die Augen treten, dürfen die Gemein­schaft mit ihm haben, die er sich ersehnte. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ein­geborenen Sohn gab …“ (Joh. 3,16). Ja, Gottes Liebe ist stärker als Tod und Totenreich, sprengt Tod und Totenreich auf für uns Menschen.

Ist die Liebe zwischen Mann und Frau Gottes beste Schöpfer­gabe, so ist die Liebe seines Sohnes Jesus Christus seine beste Gabe überhaupt. Wer Jesus findet und durch ihn Gemein­schaft mit Gott, der hat alles Gute, das er braucht, und zwar für immer. Denn Gottes Liebe ist ganz und gar un­auslösch­lich. Nichts kann Gottes Ratschluss der Liebe ändern. Mit heiligem Eid hat er uns zu­geschworen: Wer zu Jesus gehört, der geht nicht verloren. Gott ist treu, er steht zu seinen Ver­heißungen, er steht zu seinem Bund. Der neue Bund, das neue Testament, ist Gottes feierliche Verlobung zwischen sich und der Kirche, seiner Braut. An dem Tag aber, an dem Jesus wiederkommt auf die Erde, wird Hochzeit gefeiert, da beginnt dann das ewige himmlische Hochzeits­fest.

Freilich: Auch Gott eifert in seiner Liebe; er wacht eifer­süchtig darüber, dass wir niemanden mehr lieben als ihn. „Ich bin ein eifriger, ein eifer­süchtiger Gott“, hatte er bereits dem Volk Israel gesagt. Darum duldet er keine anderen Götter neben sich. Er duldet nichts, was uns wichtiger werden könnte als er. Aber selbst wenn dies geschieht in einem Christen­leben, wenn da einer gewisser­maßen fremd­gegangen ist und die göttliche Liebe betrogen hat, so bleibt Gott doch treu und vergibt jedem, der in Reue zu ihm zurück­kehrt.

Darum lasst uns ferner so leben, wie es sich für die Braut Jesu Christi gehört. Er soll Nummer eins in unserem Leben sein. Auf die Gemein­schaft mit ihm soll alles hinzielen. Ja, wir wollen ihn auch von Herzen lieb haben, ja mehr noch als uns selbst und unseren mensch­lichen Ehepartner. Und weil uns die liebevolle Gemein­schaft mit Gott das höchste Gut und die höchste Erfüllung unseres Lebens ist, können Christen auch ohne Bitterkeit auf die Ehe verzichten, wenn es so Gottes Wille ist. Paulus, der selbst nicht verheiratet war, hat den Stand der Ehe­losigkeit darum sehr aufgewertet in der christ­lichen Gemeinde. Auch den Witwen hat er eine hohe Stellung eingeräumt. Diejenigen aber unter uns, denen Gott eheliches Glück geschenkt hat, die dürfen und sollen ihre Liebe leben als Gleichnis für die unendlich viel größere Liebe Gottes zu uns Menschen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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