Gott loben für das gute Land

Predigt über 5. Mose 8,6‑10 zum Erntedankfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Mancher ist am Erntedank­tag versucht, Klagelieder anzu­stimmen. Umwelt und Ernte sind mit Schad­stoffen belastet. Das Frühjahr war zu trocken. Die europäische Agrar­politik macht den Landwirten das Leben schwer. Dazu hat jeder einzelne noch seine persön­lichen Klage­lieder. Aber wir wären undankbar, wollten wir auch heute wieder Klagelieder singen, wie wir es sonst so oft tun. Nein, wir wollen vielmehr Gott danken und ihn loben. Ja, wir sollen, wir müssen es sogar tun, Gott gebietet es uns! Gibt es einen Tag im vergangenen Jahr, an dem du nicht gegessen hast? Gibt es einen Tag, an dem du nicht satt geworden bist – es sei denn, du hast freiwillig gefastet? Dann lasst uns beherzigen, was Gott uns hier aufträgt: „Wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den Herrn, deinen Gott loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.“

Ja, unser Land ist gut; wir haben ungeheuer viel Grund zum Loben und Danken. Unser Land ist mindestens ebenso gut wie das Land Kanaan, von dem in diesem Bibelwort die Rede ist. Gott hatte das Land Kanaan bereits den Vorvätern der Israeliten zu­gesprochen, und hier, am Ende der vierzig­jährigen Wüsten­wanderung, waren sie nun drauf und dran, einzuziehen in das Milch-und-Honig-Land. Es war gar nicht schlecht, dass sie aus der Wüste kamen, denn aus dieser Perspektive konnten sie erst recht ermessen, was ihnen Gott mit diesem Land schenkte. Um so echter und be­geisterter werden Lob und Dank ausgefallen sein. Vielleicht täte auch uns mal so ein bisschen Wüsten-Perspektive gut, um zu ermessen, wieviel Gott uns doch in unserem Land schenkt. Vielleicht werden wir viel zu selbst­verständlich satt und nehmen auch die anderen Vorzüge unseres Landes viel zu selbst­verständlich hin. Wie verwöhnte Kinder kommen wir schnell dahin, dass wir an den kleinen Unvollkommen­heiten herum­nörgeln und darüber das Danken vergessen. Aber gelobt und gedankt muss werden, und darum wollen wir uns jetzt einmal das gute Land vor Augen führen, in das Gott uns gestellt hat. Und ein paar Zeit­genossen sollen uns helfen, ein wenig Wüsten-Perspektive hinein­zubringen, damit wir nur ja erkennen, was Gott uns Gutes geschenkt hat.

Ich denke da zum Beispiel an den Dekan Ratshefola aus dem südlichen Afrika. Er wohnt zwar nicht direkt in der Wüste, aber doch in trockeneren Gegenden als wir. Als er kürzlich hier in Deutschland zu Besuch war, be­eindruckte ihn unser grünes, blühendes, fruchtbares Land sichtlich. Als ich mit ihm in Rotenburg über die Wümme-Brücke fuhr und das Flüsschen sah, fragte er mich, ob das der Rhein sei. Er dachte: Ein so wasser­reicher Fluss kann nur einer der berühmten deutschen Ströme sein. Ich selbst habe ja inzwischen auch Afrika kennen­gelernt und danach begonnen, unser Land mit den Augen eines Afrikaners zu sehen. Die süd­afrikanische Landschaft hatte mich zwar be­eindruckt, die unendliche rotbraune und gelbe Weite, auch die Berg­massive. Aber als ich nach Deutschland zurück­kehrte, war ich überrascht, welche satten Farben wir hier in der Natur haben: saftige Wiesen, leuchtende Felder, grüne Wälder, bunte Blumen! Ich kam mir vor wie in einer Oase, ja, wie im Paradies. Wirklich, Gott hat uns in ein gutes Land gesetzt, so gut, wie wir es im Bibeltext ausgedrückt finden: „Ein Land, darin Bäche und Brunnen und Seen sind, die an den Bergen und Auen fließen“. Gott sei Lob und Dank für so viel Güte!

Andere Zeit­genossen mit Wüsten-Perspektive sind die Aussiedler, die aus den Weiten der ehemaligen Sowjetunion in unser Land gekommen sind. An ihren bisherigen Wohnorten konnten sie froh sein, wenn sie irgendwie satt wurden. Es gab nur ganz wenige Grund­nahrungs­mittel einiger­maßen regelmäßig. Obst, Gemüse und Fleisch waren beinahe Luxus-Artikel, nach denen man lange anstehen musste, wenn sie denn mal angeboten wurden. Viele Aussiedler waren total über­wältigt, als sie nach Deutschland kamen und zum ersten Mal durch einen Supermarkt gingen. Bisher war ein Becher Joghurt eine seltene Delikatesse gewesen, hier haben sie ein ganzes Kühlregal mit unzähligen Sorten vor sich. Bisher freuten sie sich, wenn sie mal etwas Wurst oder Käse bekamen, hier finden sie sich kaum zurecht bei der Vielfalt des Angebots. Bisher mussten sie für ein bisschen schlechten Kaffee lange arbeiten, hier können sie jeden Tag besten Kaffee trinken. Ja, unser Angebot an Nahrungs­mitteln ist ungeheuer vielfältig, preis­günstig und von äußerst hoher Qualität, verglichen mit anderen Ländern der Erde. Und viele können sich abwechslungs­reiches und gutes Essen leisten, können sogar ab und zu mal essen gehen. Das Geld reicht darüber hinaus auch noch dafür, die Freizeit interessant zu gestalten und im Urlaub zu verreisen. Ja, wir sind ein reiches Land, so wie es von dem guten Land damals hieß: „Ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäptel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt.“ Gott sei Lob und Dank für soviel Güte!

Andere Zeit­genossen mit Wüsten-Perspektive sind die Menschen, die aus Entwicklungs­ländern zu uns kommen – sei es als Studenten, als Asyl­bewerber oder aus anderen Gründen. Nebenbei bemerkt: Wir sollten in dem großen Zustrom von Ausländern ruhig auch etwas Positives sehen, nämlich ein Anzeichen dafür, wie beliebt unser Land ist, weil es so gut ist. In den Entwicklungs­ländern gibt es kaum Industrie. Boden­schätze und technische Güter müssen meistens für extrem viel Geld importiert werden und sind darum Mangelware. Die Arbeits­losigkeit ist ein viel größeres Problem als bei uns. Die Versorgung der Kranken lässt zu wünschen übrig. Ein halbwegs qualifi­zierter Schul­abschluss ist etwas, wovon die jungen Leute oft nur träumen können. Dem­gegenüber müssen sich die Leute aus Entwicklungs­ländern bei uns wie im Paradies vorkommen. Durch unsere leistungs­fähige Industrie sind Autos, Elektronik und andere technische Güter für die meisten er­schwinglich. Wir haben keine Not mit Energie­versorgung und Boden­schätzen. Das Gesundheitssystem liegt trotz aller Klagelieder immer noch mit an der Weltspitze; wer bei uns krank wird, darf mit qualifi­zierter Hilfe rechnen – und dass, ohne dabei arm zu werden. Alle Schul­zweige, Universi­täten und Berufs­ausbildungen stehen den dafür Begabten offen, und das sehr oft zum Nulltarif. Ja, wie es Gottes Wort sagt, sind auch wir ein Land, „wo dir nichts mangelt, ein Land, in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust“. Gott sei Lob und Dank für soviel Güte!

Schließlich möchte ich noch an einen jungen Pastor aus der Slowakei erinnern, der kürzlich zu Besuch war. Auch er hat uns ein wenig Wüsten-Perspektive gezeigt, damit wir für unser Land desto dankbarer werden können. Er hat davon erzählt, was es bedeutete, in einem unfreien Land zu leben, wo alle Bürger und vor allem die Christen unterdrückt wurden. Er hat uns ans Herz gelegt, dass wir nur ja dankbar bleiben für den Frieden und die Freiheit, die nicht zuletzt unserm geistlichen Leben und unserem Gemeinde­leben zugute kommen. Wie froh können wir sein, dass uns die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Religions­ausübung garantiert sind. Wie froh können wir sein, dass wir in einem Rechtsstaat leben und weitgehend damit rechnen können, dass unser Recht und unsere Ehre durch die Staatsgewalt geschützt sind. Wie froh können wir sein, dass auch der früher unter­drückte Teil unseres Volkes an Frieden, Freiheit und Wohlstand teilhaben kann. Wir haben es da sogar noch besser als die Israeliten in Kanaan, denn sie wurden immer wieder von Feinden angegriffen und teilweise auch unter­drückt. Gott sei Lob und Dank für soviel Güte!

Ja, ihm sei Lob und Dank für soviel unverdiente Güte. Denn mit Luthers Erklärung zum ersten Glaubens­artikel bekennen wir ja: „… und das alles aus lauter väter­licher, göttlicher Güte und Barmherzig­keit, ohn all mein Verdienst und Würdig­keit“. Keiner von uns hat es verdient, in einem so guten Land zu leben. Natürlich – vollkommen ist es nicht, wir spüren auch immer wieder etwas von den Disteln und Dornen, die der Acker unserer Arbeit um unserer Sünde willen trägt. Aber wie das Land Kanaan damals ist doch auch unser Land ein Bild, wenn auch un­vollkommen, für das Paradies, für das Reich der ewigen Seligkeit: „Ach, denk ich, bist du hier so schön / und lässt du mirs so lieblich gehn / auf dieser armen Erden, / was wird doch wohl nach dieser Welt / dort in dem schönen Himmelszelt / und güldnen Schlosse werden?“ Auch dieses noch schönere Land schenkt Gott uns aus un­verdienter Güte. Christus hat es für uns verdient, hat dafür teuer bezahlt mit seinem heiligen Blut.

Ja, voll Lob und Dank können wir sein sowohl für die un­verdienten zeitlichen Güter als auch für die un­verdienten ewigen Güter, die Gott uns schenkt. Und wie wir jetzt in diesem Gottes­dienst mit Herz und Mund fröhlich loben, so wollen wir auch unseren ganzen Lebens­wandel zu einem einzigen Gotteslob machen, denn das ist die einzig rechte und angemessene Reaktion auf soviel Güte; Gott erwartet es auch zu Recht. Er sagte damals: „So halte nun die Gebote des Herrn, deines Gottes, dass du in seinen Wegen wandelst und ihn fürchtest. Denn der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land“, und es folgt dann die Aufzählung all der Güter, die wir eben betrachtet haben. Das „Denn“ ist in diesem Satz wichtig! Wir erkennen, wie gut Gott es mit uns meint, wie er uns an Leib und Seele reich macht. Und wenn wir auf diese Weise seine Liebe erfahren, dann können wir gar nicht mehr daran zweifeln, dass seine Gebote und Wege gut sind. Er will uns damit nicht ärgern, sondern helfen. Und darum ist es gut für uns, ihn zu fürchten, seine Gebote einzuhalten und unser Leben so zu führen, wie er es uns in seinem Wort befiehlt. Ja, lasst uns auch auf diese Weise loben und danken: dass wir die Sünde hinter uns lassen, ihm mit allem Ernst gehorchen und mit allem Eifer ihm dienen. Wir haben ja einen Gott, der es so ungeheuer gut mit uns meint! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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