Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Eine Frau hatte einen schweren Unfall. Schwerverletzt wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert. Viele Tage lang hing ihr Leben am seidenen Faden. Gott war ihr gnädig und ließ sie überleben, ja, er ließ sie sogar wieder völlig gesund werden. Seitdem feiert die Frau den Tag ihres Unfalls als zweiten Geburtstag. Er ist für sie zum Tag der Rettung geworden – zu dem Tag, an dem Gott sie aus Todesgefahr erettete. Es ist ihr wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern.
Solch denkwürdige Rettungstage gibt es wohl im Leben vieler Menschen. Ja, selbst ganze Völker feiern solche Rettungstage. Der 9. November zum Beispiel ist zu so einem Tag für das deutsche Volk geworden: Die Öffnung der Mauer wurde der Anfang vom Ende der sozialistischen Diktatur, wurde zum Rettungtag aus Unfreiheit und politischer Willkür. An diesen Rettungstag wird man noch lange zurückdenken.
Auch das Volk Israel denkt an so einen Rettungstag ganz am Anfang seiner Geschichte zurück. Es ist der Tag, an dem Gott die Israeliten vor der mörderischen ägyptischen Armee rettete, die sie verfolgte. Es ist der Tag, an dem sie trockenen Fußes durch das Schilfmeer zogen und die Äpypter hinter ihnen ertranken. Dieser Rettungstag hat sich unauslöschlich in die Erinnerung des Gottesvolkes eingegraben. In vielen Psalmen und Erzählstücken wird daran erinnert. So wichtig ist dieser Rettungstag in der Gotteserfahrung des Volkes, dass Gott selbst sich immer wieder vorstellt in seinem Wort als „der Gott, der dich aus Ägypten geführt hat“.
Was an diesem Tag geschehen ist, lässt sich in vier Abschnitte einteilen: Erstens wird das Volk vom Feind verfolgt und ist ganz verzagt, weil eine Rettung unmöglich erscheint. Sie waren wirklich an ihrem Leben verzweifelt. Zweitens schreien sie zu Gott, flehen ihn an um Rettung und Hilfe. Wieder bewahrheitet sich das Sprichwort: „Not lehrt beten.“ Drittens erweist Gott seine Macht und Herrlichkeit: Er rettet die Israeliten aus Todesgefahr, schafft ihnen einen wunderbaren Ausweg durch das Schilfmeer hindurch und schlägt ihre Feinde vernichtend. Viertens singen Mose und die Israeliten ein Lob- und Danklied aus Freude über die Rettung.
Nicht nur das Alte Testament, auch das Neue Testament nimmt Bezug auf diese wunderbare Rettungstat Gottes. Paulus tut das im 1. Korintherbrief mit einer merkwürdigen Formulierung: „Ich will euch aber, liebe Brüder, nicht in Ungewissheit lassen darüber, dass unsre Väter alle unter der Wolke gewesen und alle durchs Meer gegangen sind; und alle sind auf Mose getauft worden durch die Wolke und durch das Meer“ (1. Kor. 10,1-2). Wie kommt Paulus hier plötzlich auf die Taufe? Am auffälligsten ist als Gemeinsamkeit das Wasser. Die Rettung am Schilfmeer geschah durch Wasser hindurch, durch die Fluten, die wie Mauern zur Rechten und zur Linken der Israeliten standen. Die Rettung in unserer Taufe geschah ebenfalls mit Wasser, das über uns gesprengt wurde. Nun wissen wir aber von der Taufe: Schlicht Wasser tut es nicht aus sich heraus, sondern Gottes barmherzige Macht ist da am Werk, wird wirksam durch sein Wort und durch den Heiligen Geist. So rühmen wir mit der Taufe letztlich Gottes Wundertat, dass er sich herrlich erwiesen und uns gerettet hat. Dies ist die eigentliche tiefe Gemeinsamkeit: Sowohl der Durchzug durchs Schilfmeer als auch die Taufe sind lebensrettende Maßnahmen Gottes für die Seinen.
So lasst uns auf unsere Taufe zurückblicken als auf unseren persönlichen göttlichen Rettungstag. Als du getauft wurdest, geschah ja eine Rettungstat Gottes mit ebendenselben vier Abschnitten, die wir bei der Rettung am Schilfmeer erkennen konnten. Zuerst war der mordgierige Feind hinter dir her – das war der Teufel, der durch die Erbsünde seinen Einfluss auf dich ausübte und dich in seiner Gewalt hatte. Ja, lasst uns das ganz nüchtern so sehen, wie es ist: Das kleine süße hilflose Baby, das erst vor Kurzem zur Welt gekommen ist, ist ein Kind des Teufels, dem Tod geweiht – wenn es nicht von Gott da herausgerettet wird. Zweitens wird Gott um Hilfe angerufen. Das tut das Kind noch nicht selbst, aber das tun die Eltern an seiner Statt, wenn es denn christliche Eltern sind. Sie bitten bei der Taufe zusammen mit der ganzen Gemeinde Gott darum, dass er dieses Kind vom Teufel und von der Gewalt des Todes befreie und zu seinem Kind mache. Darauf wollen wir uns besinnen: Es geht bei der Taufe um Leben und Tod, und darum sollten die Kinder so früh wie möglich getauft werden. Christliche Eltern dürften eigentlich keine ruhige Minute haben, solange ihr Kind noch unter der Gewalt des Feindes steht. Ist das nicht eigentlich selbstverständlich? Wenn der Feind mordlüstern anstürmt, dann nichts wie hin in die Arme dessen, der retten kann! Drittens erweist Gott sich herrlich: Aus Gnade vergibt er dem Menschen seine Schuld durch die Kraft des Blutes Jesu Christi, macht ihn heilig und gerecht, macht ihn zu einem Kind Gottes und Bürger des Himmelreichs, der ewig leben soll, weil er im Jüngsten Gericht vor Gottes Urteil bestehen kann. Der Teufel kann ihn dann nicht mehr verklagen und in die Verdammnis bringen. Ja, das ist eigentlich die Taufe: Nicht so sehr ein traditionsreiches Familienfest, nicht so sehr ein Bekenntnisakt des christlichen Glaubens, sondern Gottes Rettungstat, Gottes Wundertat. Bei jeder Taufe erweist Gott sich so herrlich, wie er es beim Durchzug durchs Schilmeer an den Israeliten getan hat. Und viertens wird Gott dafür natürlich reichlich gelobt und gedankt – zunächst von Eltern, Paten und Gemeinde, später auch vom Getauften selbst.
Christsein heißt nun eigentlich nichts anderes, als sich immer wieder an diese Rettungstat Gottes zu erinnern und aus der Erinnerung daran zu leben. Diese Erinnerung ist nötig, ja, lebenswichtig, weil wir immer wieder zur Taufgnade zurückfinden müssen. Anders als bei der Rettung am Schilfmeer, wo die Äypter am Ende mausetot waren, gibt sich unser Feind nämlich nicht so schnell geschlagen. Der Teufel versucht immer wieder, uns zu verführen und von Gott wegzulocken. Wer sich da nicht immer wieder an den Tag seiner Rettung erinnert, also an seine Taufe, der ist verloren. Auch dieses tägliche Zurückkehren in die Taufgnade lässt sich in die vier Abschnitte gliedern.
Erstens ist der Feind hinter uns her und trachtet uns nach dem Leben, sodass wir ganz verzagt werden. Er ist wütend darüber, dass wir ihm in der Taufe entwischt sind – ebenso wie die Ägypter wütend waren, dass ihre billigen Hebräer-Sklaven weg waren. Und darum kommt uns der Feind oftmals auch bedrohlich nahe. Das kann durch ein Unglück oder einen Schicksalsschlag sein, wie etwa bei Hiob. Da will der Teufel dann bewirken, dass wir an Gottes Liebe zweifeln und schließlich verzweifeln. Oder das kann auch durch Verführung und Verlockung sein, sodass wir in Sünde fallen und uns, ohne es recht zu merken, von Gott entfernen. Es können auch einfach ganz tiefe Glaubenszweifel sein, die ohne äußeren Anlass über uns kommen. Wir mögen uns dann zuweilen ähnlich verzweifelt und ausweglos fühlen wie die Israeliten beim Herannahen der Ägypter.
Zweitens ist da das Schreien zu Gott. Ja, das dürfen wir auch tun, das sollen wir sogar. Christen müssen nicht immer fröhlich und gut gelaunt sein, wenn sie auch stets allen Grund dazu haben. Wir brauchen Gott und unseren Mitchristen nichts vorzumachen. Wenn wir vom Feind hart bedroht sind, wenn uns Angst und Bange wird, dann können wir unsere Not zu Gott hinschreien. Wenn wirs doch immer täten! Natürlich, Not lehrt beten, das wissen wir auch und habens auch sicher schon selbst so erfahren. Aber manchmal ist es keine tragische, große Not, mit der der Feind uns nach dem Leben trachtet, sondern nur so eine allgemeine Lustlosigkeit und Niedergeschlagenheit, eine unbestimmte Unzufriedenheit mit dem Leben; die lähmt dann auch das Beten. Überwinden wir uns dann, schreien wir zu Gott und bitten wir um Hilfe! Rechnen wir dann auch mit dieser Hilfe, weil wir ja Gottes Verheißung haben – so wie die Israeliten damals: „Der Herr selbst wird für euch kämpfen, ihr könnt ganz ruhig sein.“
Drittens dürfen wir dann immer wieder erfahren, wie Gott sich herrlich erweist, wie er uns weiterhilft, wie er uns rettet aus der tödlichen Bedrohung des Teufels. Er stärkt den Glauben, macht wieder fröhlich und hilft dabei, die Sünde zu meiden. Wo vorher große Not und Anfechtung herrschten, da wird hernach Gottes Trost besonders groß. Wir können uns das freilich nicht selber machen, sondern da muss Gott für uns streiten durch Jesus Christus. So ist es ja seit dem Tag unserer Taufe.
Viertens wollen wir ihn loben und ihm danken, dass er uns durch die Taufe aus Lebensgefahr erettet hat und dies seitdem immer wieder tut, wenn wir seine Hilfe und Vergebung erfahren. Wir können es mit denselben Worten wie Mose und die Israeliten tun: „Mit meinem Lied will ich den Herrn besingen, der seine große Macht erwiesen und Ross und Mann ins Meer geworfen hat. Mit meinem Lied will ich ihn preisen, ihn, meinen Herrn, der mir zu Hilfe kam!“ Amen.
PREDIGTKASTEN |