Johannes, der Zeigefinger Gottes

Predigt über Lukas l,57‑66 zum Johannestag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Am heutigen Johannestag steht Johannes der Täufer im Mittel­punkt. Am liebsten würde ich ihm einen anderen Beinamen geben: Johannes, der Zeigefinger Gottes. Ich denke da an das berühmte Kreuzigungs­bild von Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar. Dort ist auch Johannes abgebildet; mit einem überlangen Zeigefinger weist er auf den Ge­kreuzigten. „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“, so hat er vom Gottessohn Zeugnis gegeben und dabei auf ihn gezeigt (Joh. 1,29). Ja, das war sein Lebens­zweck: Als letzter in der langen Reihe der Propheten auf den Erlöser zu weisen, den Gott seinem Volk Israel und der ganzen Welt geschickt hat. Johannes, der Zeigefinger Gottes!

Zu diesem Amt hatte Gott ihn schon auserwählt, als er noch gar nicht geboren war. Wir wissen das auch von anderen Propheten, von Jesaja und Jeremia. Aber von keinem Propheten sonst haben wir eine solche Vor­geschichte der Geburt sowie einen Bericht über die Geburt und die Namens­gebung. Das unter­scheidet Johannes von den Propheten vor ihm, und das unter­streicht seine besondere Bedeutung. Jesus selbst hat Johannes den höchsten Rang unter allen Menschen eingeräumt.

Wenn wir uns nun den Bericht von seiner Geburt und Be­schneidung genauer ansehen, dann fällt uns da noch manches andere Un­gewöhnliche auf. Seine Mutter Elisabeth war bereits eine alte Frau und galt als un­fruchtbar. Ein Engel hatte seinem Vater Zacharias das Wunder seiner Geburt an­gekündigt. Zacharias konnte bis zur Stunde der Namens­gebung nicht mehr sprechen, weil er an den Worten des Engels gezweifelt hatte. Das Kind erhielt nach der Weisung des Engels einen Namen gegen alle Tradition, einen Namen, den keiner seiner Vorfahren trug, eben Johannes. Auch diese un­gewöhnlichen und zum Teil un­erklärli­chen Umstände der Geburt des Johannes unter­streichen seine besondere Bedeutung als Zeigefinger Gottes. Sie sind für uns noch heute, zweitausend Jahre später, Gottes Zeichen und Gottes Be­stätigung: Dieser Johannes ist Gottes Prophet, Gottes Zeige­finger. Achtet darauf, auf wen er zeigt, denn er zeigt euch den Erlöser und den Weg zu Gott!

„Johannes“ sollte der Knabe heißen, so wollte es Gott. Johannes, das heißt: „Gott ist gnädig.“ Gott war den Eltern Zacharias und Elisabeth in der Tat gnädig, dass er ihnen im hohen Alter noch einen Sohn schenkte. Aber dieser Name ist zugleich Gottes Programm: Gott ist gnädig. Denn Gott erweist seine Gnade über die ganze Menschheit durch den, auf den Johannes zeigte und von dem er Zeugnis gab.

Es ist noch heute für uns hilfreich, dass wir diesen pro­gramma­tischen Namen kennen: Johannes – „Gott ist gnädig“. Denn wenn man in der Bibel weiter liest und erfährt, wie dieser Mann gepredigt hat, dann könnte man ihn einfach für einen strengen Gesetzes­lehrer halten. Gottes Gesetz hat er in der Tat verkündigt, und hat dabei kein Blatt vor den Mund genommen. Schonungs­los hat er den Leuten ihre Sünden vor­gehalten; selbst vor Königen war er respektlos genug, sie des Ehebruchs zu be­zichtigen. Das musste er schließlich mit seiner Freiheit und mit dem Leben bezahlen. Ja, die Gesetzes­predigt des Johannes war so scharf, dass sie manchmal bis an die Grenze der Beleidung ging: „Ihr Schlangen­brut!“, predigte er seine Zuhörer an. Aber so hart seine Gesetzes­worte waren, so süß war sein Evangelium. Er sagte: „Es kommt einer nach mir, der ist stärker als ich. Das ist Gottes Lamm, das die Sünden der Welt trägt.“ Die er­schrockenen Gewissen, die er mit seiner Gesetzes­predigt auf­gerüttelt hatte, wies er auf den Heiland, der gekommen ist, um Sünder selig zu machen. Das ist das Ent­scheidende bei Johannes, dem Zeige­finger.

Aber kehren wie zu seiner Geburts­geschichte und zum Tag seiner Be­schneidung zurück, die wir ja hier betrachten wollen. Da begegnen uns außer Johannes noch andere Leute: seine Mutter Elisabeth, sein Vater Zacharias sowie die Nachbarn und Freunde. An denen können wir auch allerhand erkennen, an denen offenbart sich auch Gottes Gnade. Ich bin darum geneigt, auch diesen Menschen jeweils einen Beinamen zu geben, der uns das deutlich macht.

Johannes‘ Mutter möchte ich nennen: Elisabeth die Mutige. Als ihr Sohn am achten Tag nach dem Gesetz des alten Bundes beschnitten wurde und ent­sprechend der Tradition auch seinen Namen erhalten sollte, bewies Elisabeth gehörigen Mut. Der noch stumme Zacharias konnte gar nichts sagen, und die wohl­meinenden Verwandten waren sich schnell einig: Ist doch klar, das Kind soll Zacharias heißen, genau wie sein Vater! Da sagte die mutige Elisabeth ganz einfach nein. Sie als Frau, die damals nicht viel zu sagen hatte, widersprach den ehrwürdigen Verwandten, allein gegen alle. Eine Un­geheuerlich­keit, dass sie sich dem Beschluss des Familien­rates wider­setzte! Die mutige Elisabeth tat das aber nicht, weil sie so aufmüpfig war. Im Gegenteil, sie tat es aus Gehorsam, aus Gehorsam gegen Gott nämlich. Sie wusste, dass Gott dies ihrem Mann durch den Engel aufgetragen hatte: Das Kind soll Johannes heißen. Sie wusste: Der Name ist Gottes Programm, denn Johannes heißt: „Gott ist gnädig.“ Um dieses Auftrags Gottes willen sagte sie nein – gegen die allgemeine Gepflogen­heit. So half die mutige Elisabeth mit, dass Gottes Plan mit diesem Kind nicht durch menschliche Traditionen behindert wurde. Bleibt uns zu wünschen, dass wir im ent­scheidenden Augenblick auch so mutig sind wie Elisabeth, dass wir mutig nein sagen, wenn es darum geht, Gott zu gehorchen – notfalls auch allein gegen alle, notfalls auch gegen alle Gewohnheit und Tradition.

Dem Zacharias möchte ich gern den Beinamen geben: der Lernende. Zacharias hatte am Tag der Be­schneidung seines Sohnes etwas gelernt. Er hatte gelernt, Gott alles zuzutrauen, auch das, was bei den Menschen unmöglich scheint. Er war zwar schon immer ein recht­schaffener, frommer Mann gewesen, sogar ein Priester vor dem Herrn. Als aber der Engel ihm im hohen Alter einen Sohn verheißen hatte, war er doch etwas skeptisch. Als strafendes Zeichen ließ Gott ihn daraufhin verstummen – „bis zu dem Tag, an dem dies geschehen wird“, sagte der Engel, nämlich bis zu dem Tag, an dem der Sohn den Namen Johannes erhält. So ist es dann ja auch geschehen, pünktlich auf die Minute! Sobald Zacharias die Namens­gebung seiner Frau schriftlich bestätigt hatte, konnte er wieder sprechen. Und als Allererstes lobte und pries er Gott mit seiner wieder­gewonnenen Stimme. Er hatte gelernt, dass er lieber dazu den Mund öffnen soll als zu skeptischen Einwänden gegen Gottes Ver­heißungen. Bleibt uns zu wünschen, dass auch wir in Glaubens­dingen offen sind, immer neu zu lernen. Wir ertappen uns ja schnell dabei, dass wir Gott etwas nicht zutrauen, was er uns verheißen hat und geben möchte. Lernen wir, Gott kindlich zu vertrauen, und öffnen wir den Mund nicht zu Zweifeln und Einwänden, sondern lieber zum Lobpreis für das, was schon offenbar geworden ist, und zum Bekenntnis der Hoffnung für das, was noch im Verborgenen liegt!

Die Gäste der Be­schneidungs­feier möchte ich gern nennen: die freudig über­raschten Freunde und Nachbarn. Von denen ist erstaunlich viel die Rede. Erst hörten sie, dass der Herr sich an der un­fruchtbaren Elisabeth barmherzig erwiesen und ihr ein Kind geschenkt hatte, und sie freuten sich mit ihr. Als sie dann bei der Be­schneidungs­feier den un­gewöhnlichen Namen Johannes erfuhren, da wunderten sie sich sehr. Als dann gar Zacharias plötzlich wieder sprechen konnte, fürchteten sie sich, weil sie Zeugen eines göttlichen Wunders geworden waren. Wie ein Lauffeuer sprach sich die Sache in ihrem Dorf herum und im ganzen judäischen Bergland, und alle, die es hörten, wunderten sich mit, bewegten die Sache in ihrem Herzen und sagten: „Was will aus diesem Kind werden?“ Dies wissen wir also von den freudig über­raschten Gästen: Sie freuten sich, sie wunderten sich, sie sagten es weiter, sie behielten es in ihrem Herzen. Und in diese Gästeschar zur Be­schneidungs­feier des Johannes sollten auch wir uns einreihen. Wir sind ja doch auch Gäste, weil das Wort von dieser großen Tat Gottes heute unter uns ist, und wir feiern heute auch den Johannes. Ja, wir wollen uns in die Schar der freudig über­raschten Freunde und Nachbarn einreihen. Wir wollen uns darüber freuen, dass Gott nicht nur der Elisabeth gnädig gewesen ist mit der Geburt des Johannes, sondern der ganzen Welt, denn der ganzen Welt zum Zeugnis ist dieser Zeigefinger Gottes zur Welt gekommen. Wir wollen staunen über die wunderbaren Umstände, unter denen das geschehen ist, wollen Gott dafür loben und preisen. Wir können ruhig auch ein wenig er­schrecken, uns in der Gottes­furcht üben: Wie Gott damals durch Zeichen und Wunder unter sündhaften Menschen weilte, so ist er jetzt mit seinem Geist auch unter uns, mit seinem Wort und Sakrament. Wir wollen weiter­sagen, was wir erlebt haben, wollen in unserer Umgebung den bekennen, auf den Johannes gezeigt hat. Und wir wollen an diesem Glauben festhalten, wollen ihn im Herzen bewahren.

Die freudig über­raschten Freunde und Nachbarn, den lernenden Zacharias, die mutige Elisabeth und die Haupt­person, Johannes, den Zeigefinger Gottes – sie alle finden wir in diesem Abschnitt des Lukas-Evan­geliums. Genau genommen ist aber jemand anderes die Haupt­person: der, auf den Gottes Zeigefinger weist, Jesus Christus nämlich. Vielleicht war er bei dieser Tauffeier sogar leiblich anwesend. Wir wissen, dass Maria durch den Heiligen Geist schwanger wurde, als Elisabeth im sechsten Monat war. Maria besuchte ihre Verwandte Elisabeth und blieb drei Monate bei ihr – vielleicht war sie also noch da, als Johannes geboren und beschnitten wurde. Und dann muss Jesus auch da gewesen sein, die Frucht ihres Leibes. Ein halbes Jahr später kam Jesus zur Welt. Und weil man für Jesu Geburtstag die Nacht des 24. Dezember angesetzt hat, feiern wir den Geburtstag Johannes des Täufers genau sechs Monate früher, heute, am 24. Juni. Auch daran zeigt sich: Johannes wäre nichts ohne die wahre Haupt­person, unsern Heiland Jesus Christus. Und so hat es auch Martin Luther verkündigt, der in einer Predigt zum Johannestag einmal sagte: „Das ist nun der eigentliche Grund für dieses Fest, dass man den Sankt-Johannestag feiert: Nicht wegen seines strengen Lebens, nicht wegen seiner Wunder-Geburt, sondern um seines lieben Fingers und um seines Wortes und Amtes willen… Solche Finger hat kein Mensch gehabt noch gesehen, wie Johannis Finger sind, mit denen er auf das Lamm Gottes zeigt. Darum, wen die Sünde drückt, wen der Teufel und der Tod schrecken, der sehe nur diesem Prediger auf seinen Mund und seine Finger. Das wird ihn recht lehren und unter­weisen, dass er zur Vergebung der Sünden kommt und Frieden mit Gott findet.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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