Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Am heutigen Johannestag steht Johannes der Täufer im Mittelpunkt. Am liebsten würde ich ihm einen anderen Beinamen geben: Johannes, der Zeigefinger Gottes. Ich denke da an das berühmte Kreuzigungsbild von Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar. Dort ist auch Johannes abgebildet; mit einem überlangen Zeigefinger weist er auf den Gekreuzigten. „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“, so hat er vom Gottessohn Zeugnis gegeben und dabei auf ihn gezeigt (Joh. 1,29). Ja, das war sein Lebenszweck: Als letzter in der langen Reihe der Propheten auf den Erlöser zu weisen, den Gott seinem Volk Israel und der ganzen Welt geschickt hat. Johannes, der Zeigefinger Gottes!
Zu diesem Amt hatte Gott ihn schon auserwählt, als er noch gar nicht geboren war. Wir wissen das auch von anderen Propheten, von Jesaja und Jeremia. Aber von keinem Propheten sonst haben wir eine solche Vorgeschichte der Geburt sowie einen Bericht über die Geburt und die Namensgebung. Das unterscheidet Johannes von den Propheten vor ihm, und das unterstreicht seine besondere Bedeutung. Jesus selbst hat Johannes den höchsten Rang unter allen Menschen eingeräumt.
Wenn wir uns nun den Bericht von seiner Geburt und Beschneidung genauer ansehen, dann fällt uns da noch manches andere Ungewöhnliche auf. Seine Mutter Elisabeth war bereits eine alte Frau und galt als unfruchtbar. Ein Engel hatte seinem Vater Zacharias das Wunder seiner Geburt angekündigt. Zacharias konnte bis zur Stunde der Namensgebung nicht mehr sprechen, weil er an den Worten des Engels gezweifelt hatte. Das Kind erhielt nach der Weisung des Engels einen Namen gegen alle Tradition, einen Namen, den keiner seiner Vorfahren trug, eben Johannes. Auch diese ungewöhnlichen und zum Teil unerklärlichen Umstände der Geburt des Johannes unterstreichen seine besondere Bedeutung als Zeigefinger Gottes. Sie sind für uns noch heute, zweitausend Jahre später, Gottes Zeichen und Gottes Bestätigung: Dieser Johannes ist Gottes Prophet, Gottes Zeigefinger. Achtet darauf, auf wen er zeigt, denn er zeigt euch den Erlöser und den Weg zu Gott!
„Johannes“ sollte der Knabe heißen, so wollte es Gott. Johannes, das heißt: „Gott ist gnädig.“ Gott war den Eltern Zacharias und Elisabeth in der Tat gnädig, dass er ihnen im hohen Alter noch einen Sohn schenkte. Aber dieser Name ist zugleich Gottes Programm: Gott ist gnädig. Denn Gott erweist seine Gnade über die ganze Menschheit durch den, auf den Johannes zeigte und von dem er Zeugnis gab.
Es ist noch heute für uns hilfreich, dass wir diesen programmatischen Namen kennen: Johannes – „Gott ist gnädig“. Denn wenn man in der Bibel weiter liest und erfährt, wie dieser Mann gepredigt hat, dann könnte man ihn einfach für einen strengen Gesetzeslehrer halten. Gottes Gesetz hat er in der Tat verkündigt, und hat dabei kein Blatt vor den Mund genommen. Schonungslos hat er den Leuten ihre Sünden vorgehalten; selbst vor Königen war er respektlos genug, sie des Ehebruchs zu bezichtigen. Das musste er schließlich mit seiner Freiheit und mit dem Leben bezahlen. Ja, die Gesetzespredigt des Johannes war so scharf, dass sie manchmal bis an die Grenze der Beleidung ging: „Ihr Schlangenbrut!“, predigte er seine Zuhörer an. Aber so hart seine Gesetzesworte waren, so süß war sein Evangelium. Er sagte: „Es kommt einer nach mir, der ist stärker als ich. Das ist Gottes Lamm, das die Sünden der Welt trägt.“ Die erschrockenen Gewissen, die er mit seiner Gesetzespredigt aufgerüttelt hatte, wies er auf den Heiland, der gekommen ist, um Sünder selig zu machen. Das ist das Entscheidende bei Johannes, dem Zeigefinger.
Aber kehren wie zu seiner Geburtsgeschichte und zum Tag seiner Beschneidung zurück, die wir ja hier betrachten wollen. Da begegnen uns außer Johannes noch andere Leute: seine Mutter Elisabeth, sein Vater Zacharias sowie die Nachbarn und Freunde. An denen können wir auch allerhand erkennen, an denen offenbart sich auch Gottes Gnade. Ich bin darum geneigt, auch diesen Menschen jeweils einen Beinamen zu geben, der uns das deutlich macht.
Johannes‘ Mutter möchte ich nennen: Elisabeth die Mutige. Als ihr Sohn am achten Tag nach dem Gesetz des alten Bundes beschnitten wurde und entsprechend der Tradition auch seinen Namen erhalten sollte, bewies Elisabeth gehörigen Mut. Der noch stumme Zacharias konnte gar nichts sagen, und die wohlmeinenden Verwandten waren sich schnell einig: Ist doch klar, das Kind soll Zacharias heißen, genau wie sein Vater! Da sagte die mutige Elisabeth ganz einfach nein. Sie als Frau, die damals nicht viel zu sagen hatte, widersprach den ehrwürdigen Verwandten, allein gegen alle. Eine Ungeheuerlichkeit, dass sie sich dem Beschluss des Familienrates widersetzte! Die mutige Elisabeth tat das aber nicht, weil sie so aufmüpfig war. Im Gegenteil, sie tat es aus Gehorsam, aus Gehorsam gegen Gott nämlich. Sie wusste, dass Gott dies ihrem Mann durch den Engel aufgetragen hatte: Das Kind soll Johannes heißen. Sie wusste: Der Name ist Gottes Programm, denn Johannes heißt: „Gott ist gnädig.“ Um dieses Auftrags Gottes willen sagte sie nein – gegen die allgemeine Gepflogenheit. So half die mutige Elisabeth mit, dass Gottes Plan mit diesem Kind nicht durch menschliche Traditionen behindert wurde. Bleibt uns zu wünschen, dass wir im entscheidenden Augenblick auch so mutig sind wie Elisabeth, dass wir mutig nein sagen, wenn es darum geht, Gott zu gehorchen – notfalls auch allein gegen alle, notfalls auch gegen alle Gewohnheit und Tradition.
Dem Zacharias möchte ich gern den Beinamen geben: der Lernende. Zacharias hatte am Tag der Beschneidung seines Sohnes etwas gelernt. Er hatte gelernt, Gott alles zuzutrauen, auch das, was bei den Menschen unmöglich scheint. Er war zwar schon immer ein rechtschaffener, frommer Mann gewesen, sogar ein Priester vor dem Herrn. Als aber der Engel ihm im hohen Alter einen Sohn verheißen hatte, war er doch etwas skeptisch. Als strafendes Zeichen ließ Gott ihn daraufhin verstummen – „bis zu dem Tag, an dem dies geschehen wird“, sagte der Engel, nämlich bis zu dem Tag, an dem der Sohn den Namen Johannes erhält. So ist es dann ja auch geschehen, pünktlich auf die Minute! Sobald Zacharias die Namensgebung seiner Frau schriftlich bestätigt hatte, konnte er wieder sprechen. Und als Allererstes lobte und pries er Gott mit seiner wiedergewonnenen Stimme. Er hatte gelernt, dass er lieber dazu den Mund öffnen soll als zu skeptischen Einwänden gegen Gottes Verheißungen. Bleibt uns zu wünschen, dass auch wir in Glaubensdingen offen sind, immer neu zu lernen. Wir ertappen uns ja schnell dabei, dass wir Gott etwas nicht zutrauen, was er uns verheißen hat und geben möchte. Lernen wir, Gott kindlich zu vertrauen, und öffnen wir den Mund nicht zu Zweifeln und Einwänden, sondern lieber zum Lobpreis für das, was schon offenbar geworden ist, und zum Bekenntnis der Hoffnung für das, was noch im Verborgenen liegt!
Die Gäste der Beschneidungsfeier möchte ich gern nennen: die freudig überraschten Freunde und Nachbarn. Von denen ist erstaunlich viel die Rede. Erst hörten sie, dass der Herr sich an der unfruchtbaren Elisabeth barmherzig erwiesen und ihr ein Kind geschenkt hatte, und sie freuten sich mit ihr. Als sie dann bei der Beschneidungsfeier den ungewöhnlichen Namen Johannes erfuhren, da wunderten sie sich sehr. Als dann gar Zacharias plötzlich wieder sprechen konnte, fürchteten sie sich, weil sie Zeugen eines göttlichen Wunders geworden waren. Wie ein Lauffeuer sprach sich die Sache in ihrem Dorf herum und im ganzen judäischen Bergland, und alle, die es hörten, wunderten sich mit, bewegten die Sache in ihrem Herzen und sagten: „Was will aus diesem Kind werden?“ Dies wissen wir also von den freudig überraschten Gästen: Sie freuten sich, sie wunderten sich, sie sagten es weiter, sie behielten es in ihrem Herzen. Und in diese Gästeschar zur Beschneidungsfeier des Johannes sollten auch wir uns einreihen. Wir sind ja doch auch Gäste, weil das Wort von dieser großen Tat Gottes heute unter uns ist, und wir feiern heute auch den Johannes. Ja, wir wollen uns in die Schar der freudig überraschten Freunde und Nachbarn einreihen. Wir wollen uns darüber freuen, dass Gott nicht nur der Elisabeth gnädig gewesen ist mit der Geburt des Johannes, sondern der ganzen Welt, denn der ganzen Welt zum Zeugnis ist dieser Zeigefinger Gottes zur Welt gekommen. Wir wollen staunen über die wunderbaren Umstände, unter denen das geschehen ist, wollen Gott dafür loben und preisen. Wir können ruhig auch ein wenig erschrecken, uns in der Gottesfurcht üben: Wie Gott damals durch Zeichen und Wunder unter sündhaften Menschen weilte, so ist er jetzt mit seinem Geist auch unter uns, mit seinem Wort und Sakrament. Wir wollen weitersagen, was wir erlebt haben, wollen in unserer Umgebung den bekennen, auf den Johannes gezeigt hat. Und wir wollen an diesem Glauben festhalten, wollen ihn im Herzen bewahren.
Die freudig überraschten Freunde und Nachbarn, den lernenden Zacharias, die mutige Elisabeth und die Hauptperson, Johannes, den Zeigefinger Gottes – sie alle finden wir in diesem Abschnitt des Lukas-Evangeliums. Genau genommen ist aber jemand anderes die Hauptperson: der, auf den Gottes Zeigefinger weist, Jesus Christus nämlich. Vielleicht war er bei dieser Tauffeier sogar leiblich anwesend. Wir wissen, dass Maria durch den Heiligen Geist schwanger wurde, als Elisabeth im sechsten Monat war. Maria besuchte ihre Verwandte Elisabeth und blieb drei Monate bei ihr – vielleicht war sie also noch da, als Johannes geboren und beschnitten wurde. Und dann muss Jesus auch da gewesen sein, die Frucht ihres Leibes. Ein halbes Jahr später kam Jesus zur Welt. Und weil man für Jesu Geburtstag die Nacht des 24. Dezember angesetzt hat, feiern wir den Geburtstag Johannes des Täufers genau sechs Monate früher, heute, am 24. Juni. Auch daran zeigt sich: Johannes wäre nichts ohne die wahre Hauptperson, unsern Heiland Jesus Christus. Und so hat es auch Martin Luther verkündigt, der in einer Predigt zum Johannestag einmal sagte: „Das ist nun der eigentliche Grund für dieses Fest, dass man den Sankt-Johannestag feiert: Nicht wegen seines strengen Lebens, nicht wegen seiner Wunder-Geburt, sondern um seines lieben Fingers und um seines Wortes und Amtes willen… Solche Finger hat kein Mensch gehabt noch gesehen, wie Johannis Finger sind, mit denen er auf das Lamm Gottes zeigt. Darum, wen die Sünde drückt, wen der Teufel und der Tod schrecken, der sehe nur diesem Prediger auf seinen Mund und seine Finger. Das wird ihn recht lehren und unterweisen, dass er zur Vergebung der Sünden kommt und Frieden mit Gott findet.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |