Wie Jesus uns dient

Predigt über Markus 10,45 zum Sonntag Judika

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Habt ihr schon mal davon geträumt, in einem Fünf-Sterne-Luxushotel ab­zusteigen? Oder habt ihr es sogar schon mal gemacht? Da wirst du von hinten und vorne bedient. Kaum bist du vor­gefahren, öffnet der Portier deinen Wagen­schlag, während zwei Bedienstete dein Gepäck ausladen. Ein dritter bringt dein Auto in die Tiefgarage. Später wird er dafür sorgen, dass dein Wagen auf Hochglanz gebracht wird. An der Rezeption wirst du äußerst höflich und zuvor­kommend bedient. Dort erfährst du auch, was du alles in Anspruch nehmen kannst: Tennis­platz, beheiztes Schwimmbad, Sauna und so weiter. Man führt dich weiter zum Lift und bringt dich in dein geräumiges Apparte­ment. Auf dem Tisch stehen Blumen, im Eisschrank sind Getränke, und im Bad liegen frische Handtücher, Seife und Shampoo bereit. Über das Haustelefon kannst du dir alles aufs Zimmer bringen lassen, was du willst, angefangen von einer kleinen Erfrischung bis hin zum fünf­gängigen Menü. Du kannst deine Schuhe zum Putzen vor die Tür stellen; deine Hemden werden auf Wunsch gewaschen und gebügelt. Falls du Interesse hat, stellt man dir ein hervor­ragendes touristi­sches Programm zusammen oder besorgt dir Eintritts­karten für alle erdenk­lichen Kultur­veranstal­tungen. Wenn du beschließt, dein Abendessen in dem vornehmen Restaurant des Hauses ein­zunehmen, so findest du dort Kellner, die auf einen Wink hin sofort zur Stelle sind. Wird dein Essen auf­getragen, so kommen gleich drei Schwarz­befrackte auf einmal, die alles schnell und geräuschlos vor­bereiten. Kurz: In diesem Hotel wirst du bedient wie sonst nirgends. Nur würdest du vielleicht die ganze Zeit über ein beklommenes Gefühl haben, die bange Frage nämlich: Was wird nachher auf der Rechnung stehen? Denn das weißt du genau: All diese Leute dienen dir nur dann, wenn du ihnen wieder-dienst mit dem Geld, das du selbst erst einmal verdienen musstest. So ist das normaler­weise in der Welt: Kein Dienst ohne Gegen­dienst.

Nun gibt es aber einen, der hat dir weit mehr gedient als alle Luxushotels der Welt zusammen­genommen, und er tut es immer noch. Es ist der Herr Jesus Christus, der Menschen­sohn. Er hat von sich selbst gesagt, dass er in die Welt gekommen ist, um zu dienen. Über diesen seinen Dienst können wir nur staunen. Das fängt damit an, dass er es gar nicht nötig hatte, zu dienen. Im Gegenteil: Er, der wahre Gott, der eingeborene Sohn des himmlischen Vaters, hätte Anspruch darauf, dass alle Menschen ihm dienen. Stattdessen ist er in die Welt gekommen, um seinerseits uns Menschen zu dienen. Und was hat er alles getan für uns! Er hat gepredigt und den verirrten Menschen dadurch den Weg zum himmlischen Vater zurück gezeigt. Er hat Wunder getan, Kranke geheilt, Tote auferweckt und uns damit deutlich gemacht, wozu er gekommen ist: um uns zu heilen und vom Tod zu eretten. Um unsert­willen hat er es sich gefallen lassen, dass man ihn verachtete, verlachte und verfolgte. Er hat Folterungen über sich ergehen lassen und ein ungerechtes Todesurteil schweigend hin­genommen. Er hat die bitteren Todesqualen und den Spott seiner Feinde am Kreuz ertragen. Er hat an Leib und Seele die Schmerzen gespürt, die wir mit unserer Sünde verdient haben. Er hat sich ganz und gar für uns dahin­gegeben, mit Leib und Seele; sein Leib wurde für uns zerbrochen und sein Blut für uns vergossen. So wie er hat sonst keiner uns gedient, und es würde auch kein anderer tun.

Und weiter: Er lebt heute für dich und dient dir. Er hat dich gewaschen, als du klein warst: Er hat dich abgewaschen von der Sünden­schuld mit deinem Taufwasser. Er ist dir unzählige Male begegnet durch sein Wort, hat dich unzählige Male gerufen: Folge mir nach!, und unzählige Male getröstet: Siehe, ich bin bei dir, ich werde dich nie verlassen. Er hat dich in göttlicher Weisheit unterwiesen durch unzählige Predigten und Andachten, durch Zeugnisse anderer Christen und nicht zuletzt auch durch den Konfirmanden­unterricht. Er diente dir mit seinem Segen am Tage deiner Kon­firmation und als du getraut wurdest. Er tröstete dich unzählige Male durch den Zuspruch: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Er hat sich deinetwegen klein gemacht, ist mit seinem Leib und Blut in Brot und Wein gekrochen, um in dich einzugehen, um in dir zu leben und dir auch auf diese Weise zu dienen. Er bittet den himmlischen Vater für dich, dass der Vater sich über dich erbarme und dich trotz deiner Ver­fehlungen selig mache. Er bereitet himmlische Wohnungen für dich beim Vater, damit du dort einst in ewiger Herrlich­keit leben kannst. Wie wunderbar wird das werden, unendlich viel schöner als im Fünf-Sterne-Luxushotel! Ja, es ist wirklich ganz erstaun­lich: So wie der Menschen­sohn Jesus Christus dient dir sonst keiner.

Wenn Jesus uns so auf­opferungsvoll dient, kann uns ein beklommenes Gefühl be­schleichen. Wir kennen es ja von den Dienst­leistungen der anderen her: Alles hat seinen Preis, und Dienst kostet Gegen­dienst, kostet Verdienst. Ob nun Gott nicht auch seine Rechnung beglichen haben will? Hat nicht auch der Dienst des Gottes­sohnes seinen Preis? Und wenn sein Dienst so schwer, so aufopfernd und so wertvoll war – wird das dann nicht sehr teuer werden? Manche sehen ja die Pflicht zu einem christ­lichem Lebens­wandel als solch einen Preis für Gottes Liebe, die in seinem Sohn erschienen ist. Mancher meint, er müsse sein Leben lang dafür bezahlen, müsse durch eigenen Dienst abzahlen und vergelten, was er Gott schuldig ist: durch genaues Einhalten der Gebote, durch Gottes­dienst­besuche, durch Kirchen­beiträge und andere Opfer, durch Mitarbeit in der Gemeinde. Wo gibt es schon etwas umsonst? Sollte das bei Gott anders sein?

Ja, es ist anders bei Gott, ganz anders. Christus ist nicht in die Welt gekommen mit der Erwartung, sich bedienen zu lassen. Er sagte: „Der Menschen­sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ Nicht darum geht es im Christen­tum, dass wir Christus dienen, sondern dass Christus uns dient und dass sein größter Verdienst, sein Lösegeld-Opfer am Kreuz, zu uns kommt. Jeder, der an ihn glaubt, wird dadurch selig. Dies versuche ich meinen Konfir­manden immer wieder ein­zuprägen, und dies ist für uns alle immer wieder wichtig zu wissen: Der Gottes­dienst heißt nicht in erster Linie so, weil wir Gott dienen, sondern weil Gott uns dient, weil nämlich im Gottes­dienst durch Wort und Sakrament die Frucht des Leidens und Sterbens Jesu zu uns kommt. „Der Menschen­sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“

Bedeutet das nun, dass ich leben kann, wie ich will, und nur einfach den Dienst Jesu Christi innerlich bejahen muss? Nein, so ist auch wieder nicht. Denn zum Dienst Jesu Christi gehört es, dass er unser Leben verändert. Dass er das steinerne Herz aus unserem Leib wegnimmt und uns ein fleischer­nes Herz schenkt. Dass er uns Sünden­knechte umkrempelt und zu freien Gottes­kindern macht. Dass er uns die Liebe zeigt, damit wir den Hass verlernen und die Furcht überwinden. Ja, das alles gehört auch zu den gewaltigen Gaben Gottes in Christus: dass wir mit ihm verbunden sein dürfen, dass wir seine Jünger sein dürfen.

Da dürfen wir dann großartige Dinge lernen. Zum Beispiel das, was die Jünger Jakobus und Johannes in unserer heutigen Evangeliums­geschichte lernten. Sie fragten – wie einst auch Petrus – : Was haben wir denn von der Nachfolge? Wir möchten gern einen Ehrenplatz bei dir haben, Jesus! Jesus geht darauf nicht ein, sondern weist die beiden Jünger darauf hin, dass sie seinen Leidens­kelch trinken werden. Er lehrt sie: Wer sich von mir dienen lassen will, muss durch das Kreuz hindurch, um zu merken, dass er zu mir gehört, und um zu merken, auf welche Weise Gott ihm heraushilft und ihn zur Herrlich­keit bringt. Wer sich von Jesus dienen lässt, der fragt darum nicht mehr: Was habe ich davon, dass ich zu ihm gehöre?, sondern der sagt: Damit habe ich alles, dass ich zu ihm gehöre! Wie sollte mir Gott mit ihm nicht alles schenken? Damit habe ich alles im Leben und im Sterben, in Zeit und Ewigkeit. An Gottes Gnade kann ich mich immer festhalten, ja, fest­klammern, besonders dann, wenn das Kreuz kommt, das Leid. Es wird mich nicht von seiner Liebe scheiden, sondern im Gegenteil, es wird Christus und mich nur noch fester zusammen­schmieden, weil er mir durchs Leiden hindurch voran­gegangen ist.

Ja, wer begriffen hat, wie Jesus ihm dient, fragt nicht mehr: Was habe ich davon?, denn er hat ja schon alles. Vielmehr fragt er: Was gebe ich davon? Er weiß ja, dass Christus auch anderen Menschen dienen will und dass er das durch seine Jünger tut. Damit die Liebe Christi zu allen Menschen gelangt, will Christus unsere Hände und Füße gebrauchen, auch unsere Münder und unsere Herzen. So werden denn Christen auch selbst zu Dienern – das zeichnet sie sogar besonders aus. Unter den Jüngern gilt bis heute, was Jesus einst die Zwölf lehrte: „Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein“ (Markus 10,43‑44). Es geht in der Kirche nicht um Macht und Herrschaft; falls es doch manchmal so aussieht, so liegt das an unserer fleisch­lichen Schwachheit und Sünde, nicht aber am Wesen der Kirche oder an der Botschaft des Evan­geliums. Es geht auch nicht darum, dass wir mit unserem Dienst den Dienst Christi an uns abzahlen und vergelten müssten; Christus hat das ja überhaupt nicht nötig. Christus hat nichts davon, wenn wir die Gebote halten und christlich leben, aber wir haben etwas davon und unsere Mit­menschen. Christus hat auch nichts davon, wenn wir den Gottes­dienst besuchen und das Altar­sakrament empfangen, aber wir haben etwas davon: Wir empfangen seinen Dienst, werden im Glauben gestärkt und üben uns ein in die schönste Tätigkeit der Welt, in das Gotteslob nämlich. Christus könnte der Kirche Goldstücke vom Himmel regnen lassen, sodass keine Opfer und Spenden nötig wären, aber er gibt uns Menschen die Möglich­keit, uns mit unseren Beiträgen und Spenden im Vertrauen zu üben und Dank aus­zudrücken. Christus könnte durch seine himmlischen Heerscharen viel besser kirchliche Arbeit und Mission tun als wir un­zuverlässi­gen und un­beholfenen Menschen, aber in seiner großen Liebe lässt er uns mithelfen und übt Nachsicht, wenn es mal nicht so klappt. Christus lässt uns Anteil haben an seinem Werk, weil wir zu ihm gehören und weil er uns liebt.

Liebe Brüder, liebe Schwestern, erkennt ihr das Geheimnis? Alles, alles fügt sich in ein wunderbares Bild, alles zeigt uns Jesu Liebe, alles bestätigt die frohe Botschaft: „Der Menschen­sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum