Hunger nach Gottes Wort

Predigt über Amos 8,11‑12 zum Sonntag Lätare

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Gottes Liebe kann grausam sein. So kommt es uns Menschen jedenfalls manchmal vor. Die Passions­zeit stellt uns das in aller Härte vor Augen: Da lässt Gott es zu, dass sein einziger geliebter Sohn schuldlos gefoltert und auf grausamste Weise hin­gerichtet wird. Und das aus Liebe – aus Liebe zu uns erbärm­lichen Menschen! Gottes Liebe kann grausam sein, so kommt es uns Menschen jedenfalls manchmal vor – auch wenn wir dieses Wort Gottes hören, das er seinem Propheten Amos in den Mund gelegt hat. Amos musste im Namen Gottes eine furchtbare Drohung ausstoßen, ein Gericht ankündigen: Gott wird eine Hungersnot schicken. Noch dazu eine Hungersnot, die schlimmer ist als ein Mangel an Brot. Amos musste einen Mangel an Gottes Wort ankündigen; die Menschen werden verzweifelt danach verlangen und es doch nicht finden.

Ja, Wortmangel ist schlimmer als Brotmangel. Wenn ein Mensch nichts zu essen hat, ist das schlimm; im schlimmsten Fall wird er davon sterben. Hat er aber dabei Gottes Wort und glaubt er daran, so wird ihn dieses Wort bei seinen Hungerqualen trösten, und sein Glaube wird ihn zum ewigen Leben retten. Wenn ein Mensch Gottes Wort nicht hat, ist es schlimmer. Dann mag er riesige Scheunen voll Getreide haben wie der reiche Kornbauer in Jesu Gleichnis und kann doch nicht verhindern, dass er schon am nächsten Tag sterben muss und sein Seelenheil verliert, für immer. Er kennt ja nicht die frohe Botschaft vom Retter und von der Vergebung; er kann nicht glauben, weil nicht gepredigt wird. Ja, Wortmangel ist schlimmer als Brotmangel.

So ist es in der Tat ein ernstes und scharfes Gerichts­wort Gottes, wenn er eine Hungersnot des Wortes ankündigen lässt – ein Gerichts­wort, das wohl nicht mehr zu überbieten ist. Gottes Liebe kann grausam sein; so kommt es uns Menschen jedenfalls manchmal vor. Und doch wissen wir, dass es Gottes Liebe ist, die durch Amos spricht. Denn wenn Gott ein Gericht ankündigt, dann doch stets mit dem Ziel, dass die Menschen zur Besinnung kommen, dass sie ablassen von ihren bösen Wegen, umkehren und Buße tun. Wir wissen doch: Es ist Gottes Güte, die uns zur Buße leitet. Wenn Gott uns nicht lieb hätte, dann würde er uns ohne Kommentar ins Verderben rennen lassen. Weil er uns aber lieb hat, sucht er das mit allen Mitteln zu verhindern, sowohl mit Locken als auch mit Drohen – notfalls mit scharfem, grausamen Drohen. Seien wir also verständig, nehmen wir dieses Wort ernst, nehmen wir dieses Wort an. Mühen wir uns darum, es recht zu erfassen.

Was für einen Anlass hatte Gott denn damals, zur Zeit des Amos, so hart zu reden? Äußerlich gesehen waren die Israeliten in dieser Zeit fromme Leute. Sie kamen zum Heiligtum, beteten zu Gott, opferten ihm und sangen Loblieder. Sie taten das sogar reichlich. Nur: Ihr Gottes­dienst prägte keineswegs den Alltag. Alltags lebten sie so, als seien sie mit ihrem Tun niemandem ver­antwort­lich. Sie beuteten die Armen aus, taten Unrecht und schwelgten in Luxus. Jeder tat nur das, was ihn gut dünkte und was ihm nützte. Und das Schlimmste: Man ging fremd. Man hatte neben dem Herrn Zebaoth noch andere Götter, heidnische Götzen, denen man diente. Man sah das erste Gebot nicht so eng: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, und man überhörte die Mahnung des göttlichen Gesetzes: „Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger (das heißt: eifer­süchtiger) Gott.“

So sah sich Gott in seiner Liebe genötig, dieses ernste Gerichts­wort von der geistlichen Hungersnot ausrufen zu lassen. Leider hörten die Israeliten nicht darauf. Und so kam es zur Kata­strophe: Das Assyrerheer zerstörte das Heiligtum und zerstreute die Bevölkerung in alle Winde. Nur ein Rest blieb noch im Land. Die Assyrer zwangen ihnen ihre heidnische Religion auf. Dadurch erfüllte sich, was Amos voraus­gesagt hatte: In ihrem Elend suchten die Menschen Trost – und hatten doch nicht mehr das Wort ihres Gottes im Munde von Priestern und Propheten, das ihnen hätte weiter­helfen können.

Und wie sieht es heute aus? Die Situation ist er­schreckend ähnlich wie zu den Zeiten des Amos. Äußerlich gesehen sind wir noch ein frommes Volk, eine fromme Kirche, eine fromme Gemeinde. Gottes­häuser bestimmen das Bild unserer Städte und Dörfer, Gottes­dienste finden in allen größeren Orten regelmäßig statt, und auch wenn die Kirchen leer aussehen, gehen wöchentlich immer noch mehr Deutsche zur Kirche als ins Fußball­stadion. Aber: Prägt Gottes Wort unseren Alltag, unser ganzes Leben? Kommt Gott an erster Stelle, und dann erst Familie, Beruf und Hobby? Bei der ganz großen Mehrheit ist es leider anders. Und wenn jeder von uns ganz ehrlich sein eigenes Herz prüft, dann stellen wir fest: Wir sind in derselben Gefahr. Wie lustlos sind wir oft zum Gottes­dienst und zum Gebet, wie wenig machen wir uns das wirklich zu eigen, was wir da hören. Wie sehr ist unser Urteil in Alltags­fragen vom Zeitgeist bestimmt und vom gesunden Menschen­verstand, wie wenig von Gottes Wort. So breitet sich auch in unserem Land das Unrecht immer mehr aus: Egoismus, Hurerei, Ehebruch, Habgier und Lieb­losigkeit. Auch wenn es bei uns keine direkten heidnischen Götter gibt, so treten doch manche getarnten Götzen in Konkurrenz zum lebendigen Gott: die Stars aus Sport und Unter­haltung, das Geld, die Familie, das Horoskop und manches andere.

Seien wir verständig! Gottes Wort ist heute ebenso aktuell wie zu Amos' Zeiten. Er kann ohne weiteres wieder so eine Katastrophe schicken wie damals. Und erinnern wir uns, wie er unser Volk vor gar nicht so langer Zeit schon einmal zur Buße gerufen hat durch einen Hunger nach Gottes Wort; das war in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und danach. Im Angesicht des Todes sehnten sich damals viele Soldaten nach dem Wort vom ewigen Leben. Da hatte man keine Kirche und oft auch keinen Pastor. Ja, man hatte kaum Brot und Wein für das Abendmahl im Schützen­graben – und doch versuchte man mit allen Mitteln es zu feiern, so groß war der Hunger danach. In zerbombten Kirchen­ruinen drängten sich dann nach dem Krieg die Menschen um die wenige Pastoren, die nicht gefallen, verwundet oder gefangen genommen worden waren. Sie standen da und froren, weil sie großen Hunger hatten – nicht nur im Bauch, sondern auch im Herzen: den Hunger nach Gottes Wort.

Gott kann solche Zeiten wieder schicken, und er wird uns solche Gerichte schicken, wenn wir nicht Buße tun. Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo das Christentum wieder verboten wird. Oder wo alle, die ernsthaft als Christen leben wollen, in psychiatri­sche Behandlung geschickt werden, weil man meint, es sei nicht normal, sich dauernd als Sünder zu sehen und um Gnade zu betteln. Ja, vielleicht hat Gott heute schon solches Gericht geschickt, solchen Hunger nach Gottes Wort, der nicht gestillt wird, ohne dass wir es recht merken: in der Weise nämlich, dass viele Gottes Wort zwar mit den Ohren hören, aber nicht mit dem Herzen. Ja, liebe Gemeinde, diese Erfahrung mache ich immer wieder: dass Christen ihr Leben lang unter Gottes Wort und Sakrament gestanden und doch das Wesentliche nicht begriffen haben. Dass sie völlig bibelfremde Vor­stellungen vom Evangelium und vom Glauben besitzen, oder dass sie damit nur irgend­welche senti­mentalen Gefühle verbinden. Vielleicht sehen wir da schon Gottes Gericht – einen Hunger nach seinem Wort, der nicht gestillt wird. Und einmal wird es gewiss ein Zu-Spät geben, wenn diese Welt in der letzten großen Katastrophe untergeht. Gott hat diese Katastrophe wiederholt an­gekündigt, auch durch Amos; sie kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Wer dann nicht zu Gottes Volk gehört, der ist verloren, der wird dann nach Gottes Wort hungern und diesen Hunger nicht mehr stillen können.

Liebe Gemeinde, seien wir verständig! Gottes Liebe kann grausam sein; so kommt es uns Menschen jedenfalls manchmal vor. Aber lasst uns Gottes Liebe auch hinter so schweren, belastenden Worten und Gerichten erkennen. Er hat Geduld mit uns, viel Geduld. Er ruft und mahnt uns immer wieder. Auch mit diesem Bibelwort und dieser Predigt heute will er dich mahnen: Kehre um! Tu Buße! Nimm das Wort ernst! Richte dein Leben danach aus! Und nimm um Gottes willen die Vergebung an, die er dir in Jesus Christus anbietet! Reichlich. Immer wieder. Du hast sie nötig. Wir alle haben sie bitter nötig. Seien wir doch froh, dass wir dieses Wort noch haben und leicht bekommen können. In einer geheizten Kirche mit ge­polsterten Bänken. In einer Kirchen­gemein­schaft, wo Gottes Wort recht gepredigt wird und wo die Sakramente gemäß der Einsetzung Christi verwaltet werden. In einer Gemeinde, wo das Heilige Abendmahl oft gefeiert wird und wo auch häufig Gelegenheit zur Beichte besteht. In einem Land, wo sich jeder Bibeln und Andachts­bücher leisten kann. Noch können wir an Gottes Wort satt werden – aber wehe uns, wenn wir es schon satt haben!

Ja, Gott möge einen Hunger schicken nach seinem Wort, wie er durch Amos ankündigen ließ. Aber er möge uns dann in seiner großen Gnade das Wort lassen, sodass wir nicht vergeblich danach suchen müssen. Gott möge einen Hunger nach seinem Wort schicken in unser Land, und bei uns selbst möge er anfangen! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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