Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Beim Evangelisten Matthäus finden wir die andere Weihnachtsgeschichte, die weniger bekannte. Wir haben sie eben gehört. Da steht nichts von der Schätzung des römischen Kaisers, nichts von der Reise nach Bethlehem, nichts von Krippe und Windeln, nichts von den Hirten auf dem Felde; auch die Weisen aus dem Morgenland treten erst im folgenden Kapitel auf. Eine einzige Sache steht im Mittelpunkt dieser anderen Weihnachtsgeschichte, und das ist die Jungfrauengeburt. „Geboren von der Jungfrau Maria“, bekennen wir Sonntag für Sonntag, und wir denken dabei an das große Wunder: Das Jesuskind wuchs im Leib seiner Mutter Maria ohne Zutun eines Mannes heran, also ohne natürliche Zeugung.
Dieses Wunder ist freilich immer wieder angezweifelt worden. Es gibt sogar viele Pfarrer und Theologieprofessoren, die nicht an die Jungfrauengeburt glauben. Dabei betont das doch diese andere Weihnachtsgeschichte ganz unmissverständlich. Sollte man etwa Gott so ein Wunder nicht zutrauen? Der den ersten Menschen aus Erde geschaffen hat, sollte der nicht dazu fähig sein? Der die Zeugung und Geburt eines Menschen wunderbar geordnet hat durch Naturgesetze, sollte er das nicht auch einmal ohne Naturgesetze fertig bringen? Wenn wir das, was der Apostel Matthäus hier im Namen Gottes aufgeschrieben hat, nur ein bisschen ernst nehmen, können wir an der Jungfrauengeburt nicht zweifeln.
Der erste Teil dieser anderen Weihnachtsgeschichte beginnt mit Josef in Schwierigkeiten. Er war mit Maria verlobt, wohnte aber noch nicht mit ihr zusammen. Nun erfuhr er von Marias Schwangerschaft, ohne die besonderen Umstände zu kennen. Er musste annehmen, dass das Kind von einem anderen Mann war. Das bedeutete damals nicht nur ein persönliches Problem, sondern eine große öffentliche Schuld. Das Verlöbnis galt bereits als festes Eheversprechen, und jeder Verkehr mit einem anderen Partner war demzufolge Ehebruch. Auf Ehebruch aber stand die Todesstrafe – so war es im Gesetz des Mose geordnet. Josef hätte also seine Braut wegen Ehebruch anzeigen können. Es wäre dann zu einem öffentlichen Prozess gekommen, und selbst wenn am Ende die Beweise für ein Todesurteil nicht ausgereicht hätten, wäre doch auf jeden Fall Marias Ruf dahin gewesen. Das wollte Josef nicht. „Er wollte sie nicht in Schanden bringen“, heißt es. Er war „fromm“, wie Luther übersetzte; man würde heute sagen: Er war ein anständiger Mensch; er hatte kein Interesse daran, seine Braut in die Pfanne zu hauen. Darum dachte er sich eine andere Lösung aus: Er wollte sich von Maria trennen. Er würde ihr einen Scheidebrief schreiben, wie es das Gesetz des Mose vorsah, und damit wäre das Eheversprechen aufgehoben. Maria konnte dann den vermeintlichen Vater des Kindes heiraten, und alles wäre in Ordnung. Freilich würde dann Josef die Schuld am Zerbrechen der Ehe auf sich nehmen und seinem eigenen Ruf schaden, aber das wollte er gern tun, um die Ehre seiner Verlobten zu retten.
Wir wollen an dieser Stelle innehalten und bedenken, wie heilig die Ehe ist. Wie hoch in Ehren wird sie in der Bibel gehalten! Ehebruch ist nach Gottes Wort eine schlimme Sünde, todeswürdig, vergleichbar dem Mord. Der fromme und anständige Josef suchte einen Weg, auf dem nicht nur die Ehre seiner Braut gerettet wird, sondern auch die Heiligkeit der Ehe: Der erste Mann, der sie scheinbar berührt hat, soll auch ihr einziger sein – wo zwei Menschen ein Fleisch geworden sind, sollen sie zusammenbleiben. Wenn wir doch in unserer Zeit wieder ein wenig mehr Respekt hätten vor der Heiligkeit der Ehe! Wie sehr muss es Gott ein Gräuel sein, dass heutzutage voreheliche Erfahrungen und Seitensprünge nicht nur verharmlost, sondern sogar als normal angesehen werden.
Und noch ein Zweites wollen wir an dieser Stelle bedenken. Die Frage nämlich: Haben Maria und Josef denn gar nicht miteinander geredet? Wie konnte es überhaupt zu der falschen Einschätzung des Josef kommen? Maria wusste doch von Anfang an Bescheid: Ein Engel hatte ihr ja das Wunder angekündigt und erklärt, was mit ihr geschah. Die Bibel schweigt zu dieser Frage. Aber auch dieses Schweigen gibt ein beredtes Zeugnis, das Zeugnis nämlich: Hier handelt Gott allein. Menschliches Tun ist unerheblich. Hier leitet Gott selbst seine größte Tat in der Weltgeschichte ein. Menschen können da nichts anderes als seine Werkzeuge sein. Menschen können durch ihre Missverständnisse und ihre Fehleinschätzungen seine Pläne auch nicht durchkreuzen. Gott selbst rückt grade, was hier durch Josefs Anständigkeit schief zu laufen droht: Er sendet einen Engel zu ihm, der ihn über den wahren Grund von Marias Schwangerschaft aufklärt.
Das ist der zweite Teil der anderen Weihnachtsgeschichte: Josef hatte noch nichts unternommen, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, da hat er einen beeindruckenden Traum. Gottes Engel erschien ihm und sagte: „Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist.“ Josef soll sich also nicht von Maria trennen, sondern im Gegenteil: Sie sollen nun heiraten, und Maria soll zu Josef ziehen. Denn, so die erstaunliche Begründung des Engels, zugleich der Dreh- und Angelpunkt in diesem Bericht: Das Kind in Marias Leib ist nicht von einem Mann, sondern der Heilige Geist hat da ein Wunder gewirkt. Maria ist als Jungfrau schwanger geworden.
Ja, und dann verkündigte der Engel dem Josef noch, was das für ein besonderes Kind ist: „Sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“ Josef würde als Ehemann der Maria den Namen mitbestimmen dürfen, darum trug Gott auch ihm auf (ebenso wie der Maria), das Kind „Jesus“ zu nennen, auf Deutsch „Retter“. Jesus nämlich würde der Retter sein, den Gott schon jahrhundertelang angekündigt hat durch die Propheten – freilich kein politischer Retter, kein Kriegsheld, der Israel von der Besatzungsmacht befreit; nein, vielmehr ein Retter von Sünden wird er sein, von der ärgsten Plage, die die Menschheit befallen hat.
Lasst uns auch hier wieder innehalten; der Evangelist Matthäus tut es auch an dieser Stelle. Der Evangelist streut hier eine Erklärung ein, wie er es viele Male in seinem Bericht vom Leben Jesu tut: Er erinnert an eine Weissagung des Alten Testaments, die nun erfüllt ist. So zitiert er hier den Propheten Jesaja: „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns.“ Dieser Name aber ist gleichbedeutend mit Jesus: Jesus heißt Immanuel, denn Retter von Sünden kann nur einer sein, wenn Gott selbst durch ihn bei den Menschen ist. So bezeugt uns die Jungfrauengeburt Gottes Treue: Gott hält, was er verspricht. Das ist ja das versprochene Zeichen gewesen: „Eine Jungfrau wird schwanger…“ Und dieses Zeichen hat sich nun an Maria erfüllt. Es schenkte einst Josef und schenkt uns heute die Gewissheit: Das ist er! Dieses Kind ist wirklich der von Gott gesandte Retter.
Er ist ein Retter von Sünden, sagte der Engel. Auch dies hat mit der Jungfrauengeburt zu tun. Denn die Jungfrauengeburt macht deutlich: Jesus ist wahrer Gott und zugleich wahrer Mensch. Jesus hat eine leibliche Mutter, aber keinen leiblichen Vater; der Vater im Himmel ist sein richtiger Vater, und deshalb ist er wahrer Gott wie er. „Wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren“, so deutete Martin Luther die Jungfrauengeburt. Weil Jesus als wahrer Gott zur Welt kam, war er frei von Sünde. Er hatte keine Erbsünde, und er sündigte auch niemals. Einem bloßen Menschen wäre das nicht möglich gewesen. Weil Jesus als wahrer Gott keine Sünde hatte, war er frei, die Sünden anderer zu tragen – unsere Sünden. Und weil Jesus wahrer Mensch war, konnte er an seinem Leib die Strafe tragen, die Gott Menschen um ihrer Sünde willen zugedacht hatte: den Tod. So zeigt sich schon an der Jungfrauengeburt, wie Jesus dieses große Erlösungswerk wirken würde, die Erlösung von Sünden. Die Jungfrauengeburt rückt damit in das Zentrum unseres Glaubens. Sie gehört zu den ganz wichtigen Glaubenssätzen, die unzertrennlich mit unserer Erlösung zusammenhängen.
Sehen wir uns aber nun den Schluss dieser anderen Weihnachtsgeschichte an, den dritten Teil. Josef wachte auf und nahm den Traum ernst. Er wusste, da hat Gott selbst zu ihm geredet. Es heißt ganz schlicht von ihm: „Er tat, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte.“ Josef und Maria heirateten, und Maria zog zu ihm. Allerdings schliefen sie noch nicht zusammen aus Ehrfurcht vor dem Heiligen, das da in Marias Leib heranwuchs. Und als das Kind dann geboren war, gab Josef ihm den Namen „Jesus“, „Retter“, genau, wie der Engel ihm aufgetragen hatte.
Dieser schlichte Gehorsam ist es, was den Josef besonders auszeichnet, und Maria ebenso: dieses fast kindlich-naive Hören auf Gottes Stimme. Sie hören sich das an, was Gott ihnen zu sagen hat, und sie glauben es, obwohl es ganz unglaublich ist. Dann tun sie, was ihnen aufgetragen wurde. Sie werden ganz einfach Werkzeuge bei dem großen Tun Gottes, bei seinem größten Werk auf Erden, bei seinem Erlösungswerk. Was kann man von einem Werkzeug mehr verlangen, als dass es gut funktioniert? Was kann Gott von einem Menschen mehr verlangen, als dass er gehorcht? Dieses schlichte Hören, Glauben und Tun ist es, was Maria und Josef auszeichnet.
Liebe Gemeinde, auch wir brauchen nicht mehr zu wollen, wenn wir Weihnachten feiern. Wir wollen einfach hören und staunen, was Gott uns zu sagen hat, heute durch diese andere Weihnachtsgeschichte: von der Jungfrauengeburt und von Gottes Sohn, dem wahren Gott und wahren Menschen Jesus Christus, der uns von Sünden rettet und dadurch erlöst. Wir wollen das Gehörte annehmen und glauben, wollen alle menschlichen Zweifel und Einwände dabei über Bord werfen. Wir wollen dem Erlöser vertrauen, der da für uns geboren wurde, der für uns starb und der danach wieder auferstand, der heute für uns lebt und jetzt mitten unter uns ist. Und wir wollen tun, was er uns gebietet – zu unserm eigenen Heil gebietet: Wir wollen ihn dafür loben und als seine Jünger leben. Und wir wollen sein Sakrament feiern: „Komm, nimm, iss, trink“, hat er uns aufgetragen. Wir wollen es gehorsam tun, so wie Josef dem Engel gehorchte. Wir werden dann erleben, dass Gott uns reich segnet. Amen.
PREDIGTKASTEN |