Die andere Weihnachts­geschichte

Predigt über Matthäus 1,18‑25 zum 1. Weihnachtsfeiertag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Beim Evan­gelisten Matthäus finden wir die andere Weihnachts­geschichte, die weniger bekannte. Wir haben sie eben gehört. Da steht nichts von der Schätzung des römischen Kaisers, nichts von der Reise nach Bethlehem, nichts von Krippe und Windeln, nichts von den Hirten auf dem Felde; auch die Weisen aus dem Morgenland treten erst im folgenden Kapitel auf. Eine einzige Sache steht im Mittelpunkt dieser anderen Weihnachts­geschichte, und das ist die Jungfrauen­geburt. „Geboren von der Jungfrau Maria“, bekennen wir Sonntag für Sonntag, und wir denken dabei an das große Wunder: Das Jesuskind wuchs im Leib seiner Mutter Maria ohne Zutun eines Mannes heran, also ohne natürliche Zeugung.

Dieses Wunder ist freilich immer wieder an­gezweifelt worden. Es gibt sogar viele Pfarrer und Theologie­professoren, die nicht an die Jungfrauen­geburt glauben. Dabei betont das doch diese andere Weihnachts­geschichte ganz un­missver­ständlich. Sollte man etwa Gott so ein Wunder nicht zutrauen? Der den ersten Menschen aus Erde geschaffen hat, sollte der nicht dazu fähig sein? Der die Zeugung und Geburt eines Menschen wunderbar geordnet hat durch Natur­gesetze, sollte er das nicht auch einmal ohne Natur­gesetze fertig bringen? Wenn wir das, was der Apostel Matthäus hier im Namen Gottes auf­geschrieben hat, nur ein bisschen ernst nehmen, können wir an der Jungfrauen­geburt nicht zweifeln.

Der erste Teil dieser anderen Weihnachts­geschichte beginnt mit Josef in Schwierig­keiten. Er war mit Maria verlobt, wohnte aber noch nicht mit ihr zusammen. Nun erfuhr er von Marias Schwanger­schaft, ohne die besonderen Umstände zu kennen. Er musste annehmen, dass das Kind von einem anderen Mann war. Das bedeutete damals nicht nur ein persön­liches Problem, sondern eine große öffentliche Schuld. Das Verlöbnis galt bereits als festes Ehe­versprechen, und jeder Verkehr mit einem anderen Partner war demzufolge Ehebruch. Auf Ehebruch aber stand die Todesstrafe – so war es im Gesetz des Mose geordnet. Josef hätte also seine Braut wegen Ehebruch anzeigen können. Es wäre dann zu einem öffent­lichen Prozess gekommen, und selbst wenn am Ende die Beweise für ein Todesurteil nicht ausgereicht hätten, wäre doch auf jeden Fall Marias Ruf dahin gewesen. Das wollte Josef nicht. „Er wollte sie nicht in Schanden bringen“, heißt es. Er war „fromm“, wie Luther übersetzte; man würde heute sagen: Er war ein anständiger Mensch; er hatte kein Interesse daran, seine Braut in die Pfanne zu hauen. Darum dachte er sich eine andere Lösung aus: Er wollte sich von Maria trennen. Er würde ihr einen Scheide­brief schreiben, wie es das Gesetz des Mose vorsah, und damit wäre das Ehe­versprechen aufgehoben. Maria konnte dann den ver­meintlichen Vater des Kindes heiraten, und alles wäre in Ordnung. Freilich würde dann Josef die Schuld am Zerbrechen der Ehe auf sich nehmen und seinem eigenen Ruf schaden, aber das wollte er gern tun, um die Ehre seiner Verlobten zu retten.

Wir wollen an dieser Stelle innehalten und bedenken, wie heilig die Ehe ist. Wie hoch in Ehren wird sie in der Bibel gehalten! Ehebruch ist nach Gottes Wort eine schlimme Sünde, todes­würdig, vergleich­bar dem Mord. Der fromme und anständige Josef suchte einen Weg, auf dem nicht nur die Ehre seiner Braut gerettet wird, sondern auch die Heiligkeit der Ehe: Der erste Mann, der sie scheinbar berührt hat, soll auch ihr einziger sein – wo zwei Menschen ein Fleisch geworden sind, sollen sie zusammen­bleiben. Wenn wir doch in unserer Zeit wieder ein wenig mehr Respekt hätten vor der Heiligkeit der Ehe! Wie sehr muss es Gott ein Gräuel sein, dass heutzutage voreheliche Erfahrungen und Seiten­sprünge nicht nur ver­harmlost, sondern sogar als normal angesehen werden.

Und noch ein Zweites wollen wir an dieser Stelle bedenken. Die Frage nämlich: Haben Maria und Josef denn gar nicht miteinander geredet? Wie konnte es überhaupt zu der falschen Ein­schätzung des Josef kommen? Maria wusste doch von Anfang an Bescheid: Ein Engel hatte ihr ja das Wunder angekündigt und erklärt, was mit ihr geschah. Die Bibel schweigt zu dieser Frage. Aber auch dieses Schweigen gibt ein beredtes Zeugnis, das Zeugnis nämlich: Hier handelt Gott allein. Mensch­liches Tun ist un­erheblich. Hier leitet Gott selbst seine größte Tat in der Welt­geschichte ein. Menschen können da nichts anderes als seine Werkzeuge sein. Menschen können durch ihre Miss­verständ­nisse und ihre Fehl­einschätzun­gen seine Pläne auch nicht durchkreuzen. Gott selbst rückt grade, was hier durch Josefs Anständig­keit schief zu laufen droht: Er sendet einen Engel zu ihm, der ihn über den wahren Grund von Marias Schwanger­schaft aufklärt.

Das ist der zweite Teil der anderen Weihnachts­geschichte: Josef hatte noch nichts unter­nommen, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, da hat er einen be­eindrucken­den Traum. Gottes Engel erschien ihm und sagte: „Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist.“ Josef soll sich also nicht von Maria trennen, sondern im Gegenteil: Sie sollen nun heiraten, und Maria soll zu Josef ziehen. Denn, so die erstaun­liche Begründung des Engels, zugleich der Dreh- und Angelpunkt in diesem Bericht: Das Kind in Marias Leib ist nicht von einem Mann, sondern der Heilige Geist hat da ein Wunder gewirkt. Maria ist als Jungfrau schwanger geworden.

Ja, und dann verkündigte der Engel dem Josef noch, was das für ein besonderes Kind ist: „Sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“ Josef würde als Ehemann der Maria den Namen mit­bestimmen dürfen, darum trug Gott auch ihm auf (ebenso wie der Maria), das Kind „Jesus“ zu nennen, auf Deutsch „Retter“. Jesus nämlich würde der Retter sein, den Gott schon jahr­hunderte­lang angekündigt hat durch die Propheten – freilich kein politischer Retter, kein Kriegsheld, der Israel von der Besatzungs­macht befreit; nein, vielmehr ein Retter von Sünden wird er sein, von der ärgsten Plage, die die Menschheit befallen hat.

Lasst uns auch hier wieder innehalten; der Evangelist Matthäus tut es auch an dieser Stelle. Der Evangelist streut hier eine Erklärung ein, wie er es viele Male in seinem Bericht vom Leben Jesu tut: Er erinnert an eine Weissagung des Alten Testaments, die nun erfüllt ist. So zitiert er hier den Propheten Jesaja: „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns.“ Dieser Name aber ist gleich­bedeutend mit Jesus: Jesus heißt Immanuel, denn Retter von Sünden kann nur einer sein, wenn Gott selbst durch ihn bei den Menschen ist. So bezeugt uns die Jungfrauen­geburt Gottes Treue: Gott hält, was er verspricht. Das ist ja das ver­sprochene Zeichen gewesen: „Eine Jungfrau wird schwan­ger…“ Und dieses Zeichen hat sich nun an Maria erfüllt. Es schenkte einst Josef und schenkt uns heute die Gewissheit: Das ist er! Dieses Kind ist wirklich der von Gott gesandte Retter.

Er ist ein Retter von Sünden, sagte der Engel. Auch dies hat mit der Jungfrauen­geburt zu tun. Denn die Jungfrauen­geburt macht deutlich: Jesus ist wahrer Gott und zugleich wahrer Mensch. Jesus hat eine leibliche Mutter, aber keinen leiblichen Vater; der Vater im Himmel ist sein richtiger Vater, und deshalb ist er wahrer Gott wie er. „Wahr­haftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahr­haftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren“, so deutete Martin Luther die Jungfrauen­geburt. Weil Jesus als wahrer Gott zur Welt kam, war er frei von Sünde. Er hatte keine Erbsünde, und er sündigte auch niemals. Einem bloßen Menschen wäre das nicht möglich gewesen. Weil Jesus als wahrer Gott keine Sünde hatte, war er frei, die Sünden anderer zu tragen – unsere Sünden. Und weil Jesus wahrer Mensch war, konnte er an seinem Leib die Strafe tragen, die Gott Menschen um ihrer Sünde willen zugedacht hatte: den Tod. So zeigt sich schon an der Jungfrauen­geburt, wie Jesus dieses große Erlösungs­werk wirken würde, die Erlösung von Sünden. Die Jungfrauen­geburt rückt damit in das Zentrum unseres Glaubens. Sie gehört zu den ganz wichtigen Glaubens­sätzen, die un­zertrenn­lich mit unserer Erlösung zusammen­hängen.

Sehen wir uns aber nun den Schluss dieser anderen Weihnachts­geschichte an, den dritten Teil. Josef wachte auf und nahm den Traum ernst. Er wusste, da hat Gott selbst zu ihm geredet. Es heißt ganz schlicht von ihm: „Er tat, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte.“ Josef und Maria heirateten, und Maria zog zu ihm. Allerdings schliefen sie noch nicht zusammen aus Ehrfurcht vor dem Heiligen, das da in Marias Leib heranwuchs. Und als das Kind dann geboren war, gab Josef ihm den Namen „Jesus“, „Retter“, genau, wie der Engel ihm aufgetragen hatte.

Dieser schlichte Gehorsam ist es, was den Josef besonders aus­zeichnet, und Maria ebenso: dieses fast kindlich-naive Hören auf Gottes Stimme. Sie hören sich das an, was Gott ihnen zu sagen hat, und sie glauben es, obwohl es ganz unglaublich ist. Dann tun sie, was ihnen aufgetragen wurde. Sie werden ganz einfach Werkzeuge bei dem großen Tun Gottes, bei seinem größten Werk auf Erden, bei seinem Erlösungs­werk. Was kann man von einem Werkzeug mehr verlangen, als dass es gut funktio­niert? Was kann Gott von einem Menschen mehr verlangen, als dass er gehorcht? Dieses schlichte Hören, Glauben und Tun ist es, was Maria und Josef aus­zeichnet.

Liebe Gemeinde, auch wir brauchen nicht mehr zu wollen, wenn wir Weihnachten feiern. Wir wollen einfach hören und staunen, was Gott uns zu sagen hat, heute durch diese andere Weihnachts­geschichte: von der Jungfrauen­geburt und von Gottes Sohn, dem wahren Gott und wahren Menschen Jesus Christus, der uns von Sünden rettet und dadurch erlöst. Wir wollen das Gehörte annehmen und glauben, wollen alle mensch­lichen Zweifel und Einwände dabei über Bord werfen. Wir wollen dem Erlöser vertrauen, der da für uns geboren wurde, der für uns starb und der danach wieder auferstand, der heute für uns lebt und jetzt mitten unter uns ist. Und wir wollen tun, was er uns gebietet – zu unserm eigenen Heil gebietet: Wir wollen ihn dafür loben und als seine Jünger leben. Und wir wollen sein Sakrament feiern: „Komm, nimm, iss, trink“, hat er uns auf­getragen. Wir wollen es gehorsam tun, so wie Josef dem Engel gehorchte. Wir werden dann erleben, dass Gott uns reich segnet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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