Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Was ist der Unterschied zwischen einem Christen und einem Nichtchristen? Es ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Boot und einem Baumstamm. Der gefällte Baumstamm treibt in einem Gewässer ziellos dahin, wohin ihn Wind und Strömung gerade treiben. Das Boot dagegen hat einen Heimathafen und ein Ziel. Es fährt auf geradem Kurs, auch gegen Wind und die Strömung. So auch der Christ: Er weiß, wo er herkommt, und er weiß, wo er hinfährt. Er hat einen Steuermann, der heißt Jesus Christus. Der hält den richtigen Kurs.
Wo kommt das Boot her, wo ist sein Heimathafen? Es ist Gottes Liebe, Gottes Wort, Gottes Kraft. Die Taufe ist es, bei der diese drei Dinge Ausgangspunkt des Christenlebens werden: Gottes Liebe ist in Jesus Fleisch geworden – die Liebe, die „der Sünden Menge deckt“, wie Petrus hier aus dem Alten Testament zitiert. Diese sündenvergebende Liebe Gottes wäscht in der Taufe einen Sünder rein. Sie macht einen Heiligen aus ihm, der fortan dem Herrn gehört und unter seinem Kommando einen klaren, gottgefälligen Kurs fahren soll. Das Wort Gottes tut diese vergebende Liebe nicht nur kund, sondern schafft auch den Glauben an sie. Das geschieht, weil in Gottes Wort (aus dem ja auch das Sakrament der Taufe lebt) das Dritte enthalten ist: Gottes Kraft, die tote Menschenherzen geistlich auferweckt und schafft, was sie will, und zwar wann sie will und wo sie will.
Wo fährt das Boot hin, wo ist sein Zielhafen? Es ist die ewige Seligkeit, die für uns Christus sichtbar anbrechen wird, wenn diese Welt nicht mehr ist. Dieses Ziel haben wir klar vor Augen; wir sind ganz dahin ausgerichtet. Wir wissen wie Petrus: „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Ja, diesem Tag steuern wir zu, nähern uns ihm unaufhaltsam.
Unterwegs zwischen Taufe und Seligkeit, auf richtigem Kurs unter der Führung des Steuermanns Jesus Christus, das ist unser Christenleben. So soll es zumindest sein. Und da hinein spricht nun der Apostel Petrus die Mahnungen und Ermunterungen seines Briefes. Drei Dinge betont er in unserem Abschnitt für die große Fahrt – drei Dinge, mit denen eigentlich alles gesagt ist, was ein Christenleben ausmacht: „Seid besonnen und nüchtern zum Gebet“, „habt untereinander beständige Liebe“, „dient einander“. Beten, lieben, dienen – diese drei Dinge wollen wir für unsere Lebensreise beherzigen.
„So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet“, ist die erste Aufforderung. Wie wichtig das Gebet ist, das brauche ich sicher nicht zu betonen; wie gut es uns tut, auch nicht. Wenn einer es gelernt hat, viel zu beten statt viel zu klagen, dann wird er fröhlicher und zufriedener sein als andere, und seine Mitmenschen werden davon auch etwas merken. Ja, es ist wichtig, mit dem im Gespräch zu bleiben, von dem wir herkommen und zu dem wir hinfahren. Nun ist hier aber auch gesagt, wie wir beten sollen: „nüchtern“ und „besonnen“. Das bedeutet doch: Wir sollen nicht in einem Überschwang der Gefühle irgendetwas daherfaseln, sondern wir sollen uns darauf besinnen, was wir beten. Wir sollen uns konzentrieren. Beten will gelernt sein. Wer könnte aber ein besserer Lehrmeister sein als unser Herr Jesus Christus? Welches Lehrbuch könnte uns besser zum Gebet anleiten als die Bibel? Da können wir lernen, was es heißt, „nüchtern“ und „besonnen“ zu beten. Wir lernen da, womit rechtes Beten anfängt. Es beginnt mit der Bankrotterklärung eines Sünders: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Lukas 18,13). Es geht dann weiter mit der demütigen Haltung eines Jüngers: „Herr, lehre uns beten!“ (Lukas 11,1) Unser Beten hat sodann seinen Dreh‑ und Angelpunkt in der 3. Vaterunserbitte, die wir nie genug durchbuchstabieren können: „Dein Wille geschehe!“ Und schließlich mündet ein rechtes Gebet immer in Dank und Lobpreis, in die Anbetung des dreieinigen Gottes. Seht, das heißt „nüchtern“ und „besonnen“ beten. Unsere langen Gebets-Wunschzettel dürfen wir dann freilich auch Gott vorlegen, aber sie sollen sich nie in den Vordergrund drängen, sondern immer der dritten Bitte untergeordnet sein: „Dein Wille geschehe!“
Die zweite Aufforderung hat der Apostel Petrus besonders hervorgehoben; es geht hier also um etwas ganz Wichtiges: „Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn ‚die Liebe deckt auch der Sünden Menge‘“. Habt ihr genau hingehört? Nicht irgendwelche Liebe sollen wir haben, sondern beständige Liebe. Haltbare Liebe. Man kann auch sagen: krisenfeste Liebe. Es ist keine Kunst, Menschen zu lieben, mit denen man nur oberflächlich zu tun hat. Da kann man sich zusammennehmen, ein Lächeln aufsetzen und liebenswürdig tun. Die „beständige Liebe“, von der Petrus hier spricht, geht aber tiefer. Sie sucht die Nähe des andern; sie sucht das Herz des andern. Sie will helfen und dienen, auch wenn es Opfer kostet. Sie ist nicht empfindlich oder nachtragend. Sie hält es aus, wenn der andere lieblos, abweisend oder verletztend ist. Sie vergibt gern, sie deckt „der Sünden Menge“. Sie tut es der unfassbar großen vergebenden Liebe des Heilands Jesus Christus nach. Sie sucht immer wieder neue Wege. Sie wird nie zur Routine. Ja, sie ist beständig. In dieser beständigen Liebe, die wir als Christen leben, schimmert schon etwas vom Ziel der Ewigkeit durch. Petrus bringt ein praktisches Beispiel für beständige Liebe. Er schreibt: „Seid gastfrei untereinander ohne Murren.“ Damals waren Reisende auf die Gastfreundschaft von Privatpersonen angewiesen; es gab noch nicht genügend Hotels und Pensionen. Weil viele Christen in dieser Zeit wirtschaftlich nicht gerade auf Rosen gebettet waren, mag ihnen die Bewirtung eines oder mehrerer hungriger Mäuler manchmal schwergefallen sein. Dennoch sollten sie gern Fremde aufnehmen, ohne Murren und Stöhnen. Luther übersetzte ursprünglich: „ohn‘ Murmeln“. Das ist gut gesagt – nämlich ohne vor sich hin zu murmeln: Na, die haben mir jetzt gerade noch gefehlt! Ich denke, die wirtschaftliche Seite der Gastfreiheit braucht unter uns kein Thema zu sein. Es muss ja nicht immer Braten oder Sahnetorte geben. Trotzdem ist die Gastfreundschaft noch heute ein feiner Gradmesser dafür, wie ernst wir es mit der Liebe nehmen. Denn irgendwie empfinden wir doch alle: „My home is my castle“, wie der Engländer sagt, „Mein Heim ist meine Burg.“ In die eigenen vier Wände kann man sich so schön zurückziehen (vielleicht sogar verkriechen), und die böse Welt mag dann draußen ihren Gang gehen, wie sie will. Wenn aber Gäste kommen, müssen wir diesen intimen Lebensraum aufmachen und damit ein Stück von uns selbst preisgeben. Sind wir dazu bereit? Wenn ja, und wenn ohne Murmeln, dann ist das ein Zeichen von Liebe!
Und nun noch die dritte Aufforderung: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“ Was die Liebe für das Herz bedeutet, das bedeutet das Dienen für Mund und Hände. Denn mit Mund und Händen können wir dienen – der eine mehr mit dem Mund, der andere mehr mit den Händen. Der wichtigste Dienst mit dem Mund ist der Predigtdienst, denn nur durch das Zeugnis von Gottes Wort kommt seine Liebe und seine Kraft zu den Menschen. Deshalb führt Petrus besonders die folgenden beiden Beispiele an: „… wenn jemand predigt, dass er's rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er's tue aus der Kraft, die Gott gewährt.“ Wir können hier heraushören, worauf es beim Dienen vor allen Dingen ankommt: Es soll nicht ein Akt der Selbstverwirklichung sein, sondern aus Gott heraus geschehen – aus seinem Wort, aus seiner Kraft. Dienen heißt: sich nicht hervortun (aber auch: sich nicht zurückziehen!), sondern sich ganz einfach in die Pflicht nehmen lassen von dem Herrn, der das Boot unseres Lebens steuert. Deshalb nennt Petrus uns Christen hier „Haushalter“. Ein Haushalter ist der Angestellte eines Hausherrn, der den ganzen Hausstand verantwortlich leiten und verwalten soll. So sollen wir „Haushalter“ sein über alles, was Gott uns in unserem Leben anvertraut hat: unsere körperlichen, geistigen und geistlichen Fähigkeiten, unser Geld und Gut, unsere Zeit und Gelegenheiten, unsere Pflichten und Aufgaben. Das alles sollen wir getreu im Sinne Gottes einsetzen und verwalten – und das bedeutet: im Sinne seiner Gebote. Tun wir es in rechter Demut! Setzen wir über all unser Reden und Tun die drei Buchstaben, die Johann Sebastian Bach unter seine Musik setzte: S. D. G., Soli Deo Gloria, zu deutsch: Allein Gott die Ehre! Wenn wir das nicht nur so dahinsagen, sondern es auch beherzigen, dann wird unser Tun und Reden ein rechtes Dienen nach Gottes Herzen werden.
Der Apostel Petrus ist uns da mit gutem Beispiel vorangegangen, denn er ließ seine apostolische Predigt hier im Lobpreis der göttlichen Ehre münden: „… damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewig keit! Amen.“ Ja, amen.
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