Christsein heißt hören

Predigt über Lukas 10,16 zum 1. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Gott hat jedem Menschen zwei Ohren geschaffen, aber nur einen Mund. Vielleicht wollte er damit unter­streichen, was er in seinem Wort gesagt hat: „Jeder sei schnell zum Hören, aber langsam zum Reden“ (Jak. 1,19). Wir vergessen das leicht; wir reden oder handeln lieber, als dass wir hören. Aber wir dürfen nicht vergessen: Christsein heißt in erster Linie hören – nämlich hinhören, was Gott uns zu sagen hat. Christen sind Jünger Jesu, und die Haupt­beschäfti­gung eines Jüngers ist es nun einmal, seinem Meister zuzuhören und von ihm zu lernen.

Der Meister selbst hat seinen Dienst auch mit Hören begonnen. Er hörte auf das, was sein himmlischer Vater ihm auftrug. Er tat dann auf Erden nichts anderes, als was er von seinem Vater gehört hatte; er hat ihm ganz und gar gehorcht. Deshalb konnte er fest­stellen: „Wer micht verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.“ „Apostel­lein“ heißt hier das griechische Wort für senden. Es ist dasselbe Wort, von dem der Begriff „Apostel“ herkommt, der Abgesandte Jesu Christi. Jesus war also gewisser­maßen der „Apostel“ des himmlischen Vaters, und die Jünger wurden dann zu Aposteln Jesu. Allerdings gibt es da einem Unter­schied: Jesus brachte nicht nur die Botschaft, die er vom Vater gehört hatte, sondern er war zugleich die Botschaft. Er ist ja das Fleisch gewordene Wort. Was mit Jesus passiert ist und was er auch verkündigt hat, das ist die ent­scheidende Botschaft Gottes: „Der Menschen­sohn ist gekommen, dass er sein Leben gebe zu einer Erlösung für viele.“ Wer diese Botschaft hört und ihr glaubt, der wird gerettet: Der Tod kann ihm nichts anhaben; er findet Freude und ewige Seligkeit. Ja, Jesus hat dieses Wort gesagt, getan und erlitten. Er hat auf den Vater gehört und sich von ihm in die Welt senden lassen, damit dieses Wort zu uns Menschen kommt.

Wie der himmlische Vater dem Sohn sein Wort anvertraut hat, so hat dieser es den ersten Jüngern anvertraut. Sie hörten und erlebten das Wort Gottes in der Person Jesus Christus. Sie lernten von ihm. Und sie wurden dann ihrerseits ausgesandt, um diese Botschaft anderen weiter­zusagen. Sie wurden Abgesandte, Apostel. Und weil sie dabei nichts anderes bezeugten, als was sie gehört und erlebt hatten, darum gilt das, was Jesus ihnen hier versichert: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich.“

Für alle späteren Gene­rationen bedeutet das: Unser Verhältnis zu Jesus entscheidet sich daran, ob wir auf die Verkündi­gung der Apostel hören, wie sie uns in der Bibel über liefert ist. Unser Verhältnis zu Gott dem Vater wiederum entscheidet sich daran, wie wir zu Jesus Christus stehen. Wir merken: Alles hängt vom Hören ab! Christsein bedeutet tatsächlich in erster Linie hören auf die Stimme der Apostel, hören auf das Wort der Bibel. Wer sich lieber seine eigenen Gedanken über Gott macht, der verachtet die, die Jesus gesandt hat – und damit Jesus selbst und damit auch Gott den Vater. „Wer euch verachtet, der verachtet mich, wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat“, sagte Jesus zu den Aposteln.

Diejenigen nun, die auf die Botschaft der Apostel hören, sind zugleich ebenfalls gesandt, dass sie Zeugnis geben von Gottes Wort. Die ganze Christen­heit auf Erden steht in der Nachfolge der Apostel. Diesen Wort-Dienst tun in besonderer Weise diejenigen, die zur öffent­lichen Wort­verkündi­gung aus­gesondert und abgeordnet wurden: die Prediger und Lehrer des Wortes, die Pastoren und Missionare. Sie hören auf das Wort Gottes durch Jesus und durch das Zeugnis der Apostel, und sie sind ihrerseits gesandt, es weiter­zutragen. Darum gilt auch von ihnen das Wort Jesu: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich.“

Willst du also ein guter Jünger Jesu sein, dann schau in den Spiegel und stelle fest, dass Gott dir zwei Ohren, aber nur einen Mund gegeben hat. Und dann höre auf die Stimme Gottes. Du findest sie in Jesus Christus, den aber findest du im Zeugnis der Apostel, das aber findest du in der Bibel und in der Ver­kündigung derer, die das Wort der Bibel recht auslegen. Wenn du traurig bist, höre gut hin, vernimm den Trost des Evangeliums und wisse: Es ist Gott persönlich, der da zu dir redet. Auch wenn du deiner eigenen Meinung sicher bist und dich für klug hältst: Höre gut hin, vernimm die Worte der Apostel und lass dich von ihnen belehren. Ich lächele manchmal über Kinder im Unterricht, wenn ich ihnen eine biblische Geschichte erzählen will und sie nach den ersten drei Worten sagen: Das kennen wir schon längst! Und wenn ich dann nachfrage, haben sie doch vieles von der Geschichte noch nicht verstanden. Hüten wir uns davor, selbst so zu urteilen, wenn wir Gottes Wort hören oder lesen! Wir sagen oft: Ist ja klar, was damit gemeint ist, ich habe es ja schon immer gewusst – und merken nicht, dass wir nur unsere eigene Meinung in Gottes Wort hinein­legen, statt wirklich darauf zu hören. Wir suchen oft Selbst­bestätigung in den Predigten und denken im Geheimen zufrieden an andere, denen es mal wieder gesagt wird. Aber Gott will gerade dich verändern durch dieses Wort, dich will er zur Umkehr bewegen, dir will er den Glauben stärken, dich will er trösten! Ja, Gott will dein Leben immer wieder verändern durch sein Wort – darum höre, wie ein Jünger hört.

Zu solchem Hören gehört auch, dass du das Wort achtest. Du sollst es also nicht kritisieren und keine Abstriche machen. Das Wort der Bibel ist ja ein kostbarer Schatz: Nur dort begegnet uns Jesus, und nur durch ihn begegnet uns Gott der Vater. Jede einzelne und scheinbar noch so neben­sächliche Bemerkung darin ist wichtig – wichtig genug, sie nicht zu überhören und nicht an­zuzweifeln. Genauso ernst sollte man die Ver­kündigung der berufenen Diener Christi nehmen, die heute an seiner Stelle stehen – sofern sie nichts anderes verkündigen als die Lehre der Apostel. Weil ich selbst in diesem Amt stehe, muss ich mir sagen: Wehe mir, wenn ich mich nicht ganz genau an das Zeugnis der Bibel halte! Es ist für mich auch wichtig, dass den paar Minuten Predigt mehrere Stunden Hören auf Gottes Wort voraus­gehen. Aber für euch, die Gemeinde gilt: Wehe euch, wenn ihr nicht auf die Worte der Pastoren hört – solange sie am aposto­lischen Wort bleiben.

Ja, Christsein heißt in erster Linie hören. Und euch wird nicht entgangen sein, dass solches Hören mehr umfasst als das Wahrnehmen von Lauten und Geräuschen, auch mehr als das geistige Verstehen von Infor­mationen. In dem Wort Jesu ist das Gegenteil von hören nicht überhören, sondern verachten. Hören im rechten Sinne heißt also: Das Gehörte annehmen, ihm zustimmen, ihm glauben, seinen Ver­heißungen vertrauen, seinen Weisungen gehorchen, es im Herzen festhalten und tun. „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren“, sagte Jesus (Lukas 11,28); und: „Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht dem klugen Mann, der sein Haus auf Felsen baute“ (Matth. 7,24); und: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir“ (Joh. l0,27). Der Apostel Jakobus nannte es Selbst­betrug, wenn einer nur Hörer und nicht auch Täter des Wortes ist.

An solchem Hören freilich scheiden sich die Geister. Es gibt nur die beiden Dinge: entweder hören oder verachten. Wer auf das Wort der Apostel und auf die Prediger des Evangeliums hört, der hört auf Christus, wer aber auf Christus hört, der hört auf Gott, wer aber auf Gott hört, der wird im letzten Gericht vor ihm bestehen und selig werden. Wer nicht auf das Wort der Apostel hört und auf die Prediger des Evan­geliums, wer lieber seiner eigenen Vernunft traut, wer sich nicht als gehorsamer Jünger dieser Botschaft unterwerfen möchte, der verachtet die Apostel, und mit ihnen Christus, und mit ihm Gott. Solchen Leuten gilt dasselbe „Wehe“, das Jesus in dieser Rede über die gali­läischen Städte aussprach, die zwar seine Predigt hörten, ihr aber nicht glaubten. Auf solche Leute wartet dasselbe Ende wie auf den reichen Mann und dessen Brüder im heutigen Tages­evangelium, die allesamt Mose und die Propheten nicht hörten. Ja, wer sich einem Boten des Evangeliums widersetzt, der widersetzt sich damit Gott selbst. Denn das war den Menschen in früheren Zeiten ganz klar: Wenn jemand offiziell abgesandt war, dann begegnete einem in diesem Abgesandten der Aussendende selbst. So begegnen uns in jeder rechten Predigt die Apostel, Christus aber in den Aposteln, Gott der Vater aber in Christus. „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat“, sagte Jesus.

Ja, Christsein heißt hören, hören aber heißt glauben, bewahren, gehorchen. Wenn wir als rechte Jünger hören, dann wird sich das Tun von selbst ergeben – das Tun im Dienste der Nächsten­liebe, auch das Tun im Dienst der missio­narischen Verkündi­gung. Denn wenn wir recht hinhören, vernehmen wir nicht nur die frohe Kunde des Evangeliums für uns selbst, sondern wir hören auch, dass wir gesandt sind, sie in Wort und Tat weiter­zugeben. Die Kette von Hörern und Gesandten soll nicht abreißen.

Natürlich sind nicht alle Christen gesandt wie Pastoren und Missionare, aber doch können alle deren Arbeit mittragen. Jesus sagte seinen Jüngern im selben Zusammen­hang: „Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter sende in seine Ernte.“ Diese Auf­forderung kann jeder Christ hören und tun. Jeder kann auch mit seinem Geld dabei mithelfen – auch dazu ruft uns ja Gottes Wort auf, die Arbeiter in der Ernte wirt­schaftlich nicht im Stich zu lassen. Natürlich kann der eine mehr geben als der andere, aber wer Gottes Wort hört, der kann in jedem Fall mit fröhlichem Herzen geben – sei es die Münze in der Kollekte, die vom Taschengeld abgezweigt wurde, oder sei es der Scheck mit dem mehr­stelligen Betrag. Wer ein wenig die Ver­hältnisse unserer Mission kennt, wird wissen: Es werden nicht nur einmalige Kollekten und Spenden gebraucht, die in guter Missions­fest­laune gegeben wurden, sondern mehr noch die regel­mäßigen monatlichen Zu­wendungen.

Aus dem Hören kommt das Tun – dafür gibt es jede Menge Beispiele. Eltern und Paten sind gesandt, das Gehörte ihren Kinder beziehungs­weise Paten­kindern weiter­zugeben. In der Schule, am Arbeits­platz, in der Verwandt­schaft oder in der Nachbar­schaft können wir vielen ahnungs­losen Menschen weiter­geben, was wir gehört haben. In der Gemeinde besteht viel Bedarf an Mit­arbeitern. Und vielleicht fühlt sich auch der eine oder andere gerufen, sich für den Dienst als Pastor oder Missionar zurüsten zu lassen. Wie auch immer Christus den Einzelnen führt und sendet – eines gilt für alle: Christsein heißt zuallererst hören – hinhören auf die beste Nachricht der Welt! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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