Eine Skizze vom Himmel

Predigt über Offenbarung 4,1‑11 zum Himmelfahrtstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich sehe gern einem Handwerker zu, der etwas von seinem Fach versteht. Ich wundere mich dann manchmal über seine Arbeits­vorbereitun­gen und über einzelne Handgriffe, die ihm mühelos von der Hand gehen. Ich frage mich dann zum Beispiel: Warum bohrt er hier ein Loch, warum sägt er da was ab, was macht er wohl mit diesem Werkzeug? Ich kann mir am Anfang gar nicht richtig vorstellen, wie das Ganze aussehen wird, wenn es fertig ist. Manches aber leuchtet mir ein: Ach so, dazu ist dieses Werkzeug gut! Ach so, dazu verwendet er jenes Stück Material! Am Ende staune ich, wie all die Handgriffe, all die Werkzeuge und Materialien zu einem gelungenen Endprodukt beigetragen haben.

So, wie ich einem Handwerker zusehe, so betrachte ich auch Gottes Tun auf Erden. Er ist ja der Schöpfer und Meister, der alles nach seinem Wohl­gefallen formt. Da staune ich oft, und manches ist mir sogar völlig un­verständ­lich. Warum tut Gott dieses und lässt jenes zu? Warum lässt er es regnen zum Gartenfest, auf das sich die ganze Familie gefreut hat? Warum lässt er schlechte Menschen oft scheinbar so gut fahren mit ihrer Schlechtig­keit? Wozu lässt er Erdbeben und Dürre­katastrophen kommen? Und warum meint er es dann anderer­seits wieder so sichtlich gut mit uns armen Sündern? Manches verstehe ich aber auch von Anfang an, und manches wird mir klar, während er es tut. Ich staune immer wieder, wenn Gott Gebete erhört. Ich weiß auch genau, wenn er mir durch Misserfolge meine Grenzen zeigen will. Aber ebenso wie beim Handwerker lässt sich Gottes Tun erst dann völlig verstehen, wenn das Werkstück fertig ist. Das wird dann die Vollendung von seinem Reich im Himmel sein. Da dürfen wir dann das gelungene Endprodukt bestaunen: sein heiliges Volk, das in ewiger Seligkeit vor ihm leben wird.

Ja, Gottes Tun in dieser Zeit kann man nur von der Ewigkeit her verstehen, Gottes Werk auf Erden nur vom Himmel her. Das ist auch die Botschaft der Himmelfahrt des Herrn. Vom Himmel herab ist Christus gekommen, um Gottes Werk auf Erden aus­zurichten. In den Himmel ist er wieder auf­gefahren, um neben seinem Vater zu regieren. Er ist seinen Jüngern voraus­gefahren, um zu zeigen: Nicht auf dieser Erde wird Gottes Werk vollendet, sondern im Himmel. Einst bezeugte Jesus vor Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 19,36). Was er da mit dem Mund bezeugt hat, das bezeugt er nun seinen Jüngern mit der Tat: Sichtbar fährt er auf in den Himmel, bis Wolken ihn ihren Blicken entziehen. Die Jünger brauchen deswegen aber nicht traurig zu sein. Sie wissen ja, was er ihnen gesagt hat: „Ich gehe voran, euch die Stätte zu bereiten“ (Joh. 14,2). „Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen“ (Joh. 12,32). Und: „Ich will euch nicht als Waisen zurück­lassen“ (Joh. 14,18). Ja, er hat ja dann den Heiligen Geist gesandt. Der hilft uns Betrachtern von Gottes Tun auf Erden, es besser zu begreifen – vom Endprodukt her zu begreifen.

Der Heilige Geist hat zum Beispiel den Apostel Johannes eines Tages bei der Hand genommen und ihm etwas vom Himmel gezeigt. Johannes beschreibt das im Buch der Offenbarung so: „Siehe, eine Tür war aufgetan im Himmel, und die erste Stimme, die ich mit mir hatte reden hören wie eine Posaune, die sprach: Steig herauf, ich will dir zeigen, was nach diesem geschehen soll.“ Was ist da geschehen? Ich möchte es mal so ausdrücken: Der Handwerker zeichnet für den Zu­schauenden eine Skizze, wie das fertige Werkstück einmal aussehen soll. Jetzt kann sich der Zuschauende gleich alles viel besser vorstellen. Die Skizze ist nicht das Endprodukt, sondern sie gibt nur mit groben Strichen sein ungefähres Aussehen wieder. Aber sie hilft doch, das Tun des Handwerkers vom Ende her zu verstehen. Genauso handelte der Tröster, der Heilige Geist, an Johannes. Er zeigte ihm sozusagen eine Skizze vom Himmel, vom vollendeten Gottes­reich. Und uns, die wir die Offenbarung des Johannes hören oder lesen, zeigt er diese Skizze ebenfalls. Lasst uns also gen Himmel schauen wie die Männer aus Galiläa am Himmel­fahrts­tag, ja mehr noch, lasst uns hinein­schauen in den Himmel mit der Skizze, die Johannes vom Heiligen Geist gezeigt bekam und in der Offenbarung nach­gezeichnet hat.

Jede der Einzel­heiten, die Johannes beschreibt, ist eigentlich eine Predigt für sich. Er sieht einen Thron mit einem, der darauf sitzt. Der Thron sieht aus wie ein unglaublich reiner Edelstein und funkelt un­beschreib­lich. Der Thron predigt: Gott ist König, Gott herrscht über Himmel und Erde. Der Edelstein-Glanz predigt: Gott ist vollkommen rein und heilig; Gott ist Licht; Gottes Gerichte sind klar und lauter. Johannes sieht einen Regenbogen über dem Thron, anzusehen wie ein Smaragd. Der Regenbogen predigt: Wenn Gott einen Bund schließt mit den Menschen wie einst vor langer Zeit mit Noah, dann bleibt dieser Bund in Ewigkeit fest. Er funkelt wie ein Edelstein und verkündigt mit seinem Glanz Gottes un­erschütter­liche Treue.

Um den Thron herum sieht Johannes 24 Throne mit 24 weiß­gekleideten Ältesten, die haben Kronen auf ihren Köpfen. Die Zahl 24 predigt: l2 Stammväter hat das alte Bundesvolk Israel, und l2 Apostel sind die Säulen des neuen Bundes­volks, der Christen­heit. Die weißen Gewänder predigen: Die Heiligen aus dem alten und dem neuen Israel sind dadurch geheiligt, dass Gott den Schmutz ihrer Sünden abgewaschen hat; er hat ihnen die Schuld vergeben. Die Kronen predigen: Die Heiligen aus dem alten und dem neuen Israel sind gewürdigt, mit­zuregieren in Gottes ewiger Herrschaft. Dies predigen auch die Throne.

Johannes erlebt, dass von Gottes Thron Blitze, Stimmen und Donner­schläge ausgehen. Diese Er­scheinungen predigen: Gott ist ein gewaltiger, ein zu fürchtender Gott. Die Natur­gewalten beim Gewitter sind nur eine kleine Kostprobe seiner Macht. Und wie es einst am Berg Sinai war vor der Übergabe der Zehn Gebote, so künden auch hier Blitze, Donner und Stimmen von Gottes heiliger Gegenwart.

Johannes sieht vor Gottes Thron sieben Fackeln brennen. Die Fackeln predigen: Wo Gott der Vater ist, da ist auch Gott der Heilige Geist in der Fülle seiner Gaben. Denn sieben ist die Zahl der Vollkommen­heit, und das Brennen erinnert an die Feuerzungen zum Pfingst­fest, mit denen der Heilige Geist bei den Jüngern sichtbar wurde.

Vor dem Thron sieht Johannes ein kristall­klares gläsernes Meer. Das Meer predigt: Gottes Urteile sind klar und rein. Wenn er die abtrünnigen Engel und die Menschen, die keine Gemein­schaft mit ihm wollen, in den feurigen Pfuhl der Hölle wirft, dann handelt gerecht. Ebenso hat er ja einst das ägyptische Heer im Schilfmeer vernichtet.

Um den Thron herum sieht Johannes vier merkwürdige Gestalten, jeweils mit sechs Flügeln und vielen Augen: eine wie ein Löwe, eine wie ein Stier, eine wie ein Mensch, eine wie ein Adler. Diese Gestalten sind Serafim – Engelwesen. Sie predigen durch ihre Gegenwart und mit ihrem Aussehen: Der Herr ist ein Gott der Heerscharen (auf hebräisch: ein „Herr Zebaoth“), umgeben von dienstbaren Geistern, die selber auch große Herrlich­keit haben. Sie haben große Einsicht in himmlische und irdische Dinge; sie können sich un­beschränkt bewegen; sie sind mutiger als ein Löwe, stärker als ein Stier, klüger als ein Mensch, scharf­sichtiger als ein Adler. Diese Gestalten sind übrigens auf vielen christ­lichen Kunstwerken und kirchlichen Einrichtungs­gegenständen zu sehen. Sie gelten auch als Symbol­gestalten der vier Evan­gelisten.

Und dann erlebt Johannes, wie alles im Himmel Gott lobt und anbetet: Die vier Serafim singen „heilig, heilig, heilig“, wie es schon der Prophet Jesaja in einer Vision vernommen hat (Jesaja 6,3). Die 24 Ältesten fallen zu Boden, werfen ihre Kronen vor Gott nieder und preisen ihn als Schöpfer aller Dinge.

So weit die Skizze vom Himmel, die Johannes empfangen und für uns auf­geschrieben hat.

Liebe Brüder und Schwestern, vielleicht denkt ihr jetzt im Stillen: „Das liegt uns aber sehr fern, das ist uns doch recht fremd. Wo bleiben wir da mit unseren Alltags­sorgen in diesem Bild? Wir, die wir in Familie und Beruf stehen, die wir hier auf Erden zu tun haben mit Freud und Leid, Geburt und Tod, Leistung und Krankheit? Wo bleiben da die Sorgen unserer Welt, die Frage nach dem täglichen Brot, nach der Umwelt, nach Reichtum, nach Armut, nach dem Miteinander der Menschen?

Ihr habt recht. Es fehlt noch etwas in dieser Skizze. Etwas, das der Apostel Johannes im folgenden Kapitel aufgeschrieben hat. Er hat nämlich auch gesehen, wie in Gottes Hand eine siebenfach versiegelte Schrift­rolle ist. Diese Schrift­rolle enthält Gottes Weg mit unserer Welt, ein­schließ­lich aller wunder­lichen Umwege, ein­schließ­lich aller Alltags­sorgen, ein­schließ­lich all der Dinge, die wir nicht verstehen, wenn wir Gott bei seinem Tun zuschauen. Johannes hat auch gesehen, wer diese Schrift­rolle entsiegeln darf: das Lamm Gottes, Jesus Christus. Der eröffnet uns den Zugang zu Gottes Weg mit unserer Welt. Nur durch ihn können wir es recht fassen, durch sein Kreuz und durch seine Auf­erstehung. Das Lamm Gottes, das unsere Sünde getragen hat, ist in den Himmel auf­gefahren. Es ist nun beim Vater, der auf dem Thron sitzt, und beim Geist, dessen sieben Fackeln vor dem Thron brennen.

Ja liebe Gemeinde, auch das sagt uns die Himmel­fahrt: Unsere arme Erde und Gottes himmlisches Reich sind nicht zwei völlig separate Bereiche mit einer un­überbrück­baren Kluft dazwischen. Vielmehr liegt das Schicksal unserer Welt und auch jedes einzelne Menschen­schicksal fest in Gottes Hand. Ja, Gott im Himmel denkt an uns – auch wenn er manchmal so fern scheint. Und mit Christus, mit dem Gotteslamm, ist ein Stück Himmel in unsere Welt gekommen. Er hat die Anliegen dieser Welt dann auch wieder mitgenommen zum Vater. Er ist der Mittler, er ist die Brücke zwischen Himmel und Erde. Er ist der Schlüssel zu Gottes Tun in der Welt. Durch ihn ist auch diese Skizze vom Himmel nicht etwas ganz Fremdes und un­erreichbar Fernes, sondern es ist eine Skizze von unserem künftigen Zuhause. Denn auch wir werden einst vor Gottes Thron anbeten, vollkommen geheiligt durch Christi Blut. Im Licht dieser Zukunft können wir jetzt schon fröhlich sein, auch wenn uns noch so manches von Gottes Tun unklar bleibt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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