Neue Kraft durch Christus

Predigt über 1. Könige 19,1‑8 zum Sonntag Okuli

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Manchmal sieht man diesen Spruch in einem Zimmer hängen, und manchmal begegnet er uns auf Grußkarten oder in erbaulichen Schriften: „Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo noch ein Lichtlein her.“ Dieser Spruch hat schon unzählige Menschen getröstet und tut es noch heute. Denn immer wieder kommen Menschen an den Punkt, wo sie denken, es geht nicht mehr. Das können alte Menschen sein, deren Kräfte rapide abnehmen. Aber auch jüngere Menschen können an fast un­überwind­liche Grenzen stoßen, sodass sie meinen, es geht nicht mehr.

Ich denke zum Beispiel an Menschen, die zu Hause einen alten oder behinderten Menschen pflegen. Das ist Schwerst­arbeit, und da gibt es kaum einen Feierabend oder einen freien Tag. Es kann hinzukommen, dass die Pflege nicht anerkannt wird, dass der Gepflegte vielleicht sogar ungeduldig und unzufrieden ist. Es ist auch belastend zu erleben, wenn es immer mehr bergab mit ihm geht. Der Pflegende kann dann schließlich trotz bestem Willen, trotz aller Liebe und Geduld an den Punkt kommen, wo er meint, es geht nicht mehr.

Oder ich denke an Menschen, die mit Depressionen zu tun haben – mit richtig krankhaften Depres­sionen, nicht bloß mit vorüber­gehender Nieder­geschlagen­heit. Für den Depressiven können selbst ganz alltägliche Ver­richtungen zur un­erträglichen Last werden. Es bedeutet schon eine ungeheure Anstrengung für ihn, morgens aufzustehen und sich anzuziehen. Am liebsten möchte er kapitu­lieren, weil er meint, es geht nicht mehr – nichts geht mehr in seinem Leben.

Oder ich denke an Menschen, die sich beruflichen Erfolg gewünscht haben, aber der stellt sich nicht ein. Sie haben viel Arbeit und vielleicht auch Geld in eine Sache hinein­gesteckt und sich abgemüht, aber am Ende kommt nichts dabei heraus, es war vergebliche Mühe. Derart enttäuscht, können sie dann ebenfalls an den Punkt kommen, wo sie sagen: Es hat ja doch keinen Zweck mehr, es geht nicht mehr.

Auch Pfarrer und andere kirchliche Mitarbeiter kennen solche Ent­mutigungen. Zwar ist es die schönste und wichtigste Sache der Welt, die frohe Botschaft von Jesus Christus weiter­zusagen; es gibt ja keine bessere Nachricht als die, dass Sünde und Tod ihre Gewalt verloren haben; es gibt keine bessere Nachricht als die, dass ein Leben mit Jesus ewiges Leben bedeutet in Frieden, Freude und Liebe. Aber wenn man dann erlebt, dass die meisten Menschen ihre Ohren vor dieser Botschaft verstopfen und nicht zur Freuden­quelle Jesus Christus kommen wollen, dann fragt man sich schon, ob sich der Einsatz lohnt. Lassen sich überhaupt noch Herzen bewegen, oder geht gar nichts mehr?

Elia, der große Prophet im alten Israel, fühlte sich aus einem ähnlichen Grund am Ende. Der größte Teil seiner Landsleute wollte von Gott dem Herrn nichts mehr wissen, sie dienten lieber dem Götzen Baal. Die Königin Isebel, die Israels König Ahab sich aus dem benachbarten Phönizien zur Frau genommen hatte, hatte den Baalsdienst in Israel eingeführt. Sie hatte gewisser­maßen die Hosen an in Israel; ihr schwacher Gemahl ließ sie gewähren. Unermüdlich hatte Elia gegen den schlimmen Abfall angepredigt, hatte sein Volk im Namen Gottes zur Umkehr gerufen. Gott hatte Elias Predigten mit manchen Wunder­zeichen begleitet. Das letzte und größte Wunder­zeichen war das sogenannte Gottesurteil am Karmel gewesen. Elia hatte zwei Altäre errichten lassen, einen für Gott den Herrn und einen für Baal. Auf jeden Altar wurde Holz gelegt und ein Opfertier. In aller Öffentlich­keit forderte Elia dann die Baals-Priester heraus, sie sollten ihren Götzen dazu bewegen, das Opfer selbst zu entzünden. Aber ihre Versuche blieben vergeblich. Da ließ Elia das Opfer für Gott den Herrn mit Wasser übergießen, betete kurz – und siehe da, eine Flamme vom Himmel verzehrte es vollständig.

Das Volk Israel war zwar eine kurze Zeit sichtlich beeindruckt von diesem Wunder, aber zu durch­greifender und anhaltender Umkehr fand es nicht. Besonders das Königshaus blieb verstockt. Isebel schwor dem Gottesmann Rache: Sie schwor, ihn innerhalb von 24 Stunden umzubringen. Elia floh daraufhin in die Wüste an einen einsamen Ort, setzte sich unter einen Wacholder­strauch und war völlig deprimiert. Er meinte, sein Lebenswerk habe keine Früchte getragen, all sein Predigen und Mahnen sei vergeblich gewesen. Er hatte hier in der Wüste diese Es-geht-nicht-mehr-Erfahrung. Er suchte die Schuld bei sich selbst, er wusste um seine Sünden und Ver­fehlungen; er wusste, dass er nicht besser war als seine Väter. So wünschte er sich, er wäre tot. „Es ist genug“, sagte er, „so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.“ Das gab es damals, das gibt es heute: dass Menschen meinen, es ginge überhaupt nicht mehr weiter, und der Tod wäre wohl das Beste.

Elia ist hier in seinem Gebet ganz ehrlich mit Gott. Es ist gut und wichtig, mit Gott offen und ehrlich zu reden, selbst wenn es sich um so eine Kapitulation handelt. Elia ist am Ende. Er hat keine Kraft mehr, und das sagt er seinem Herrn. Er bekennt dabei seine Schuld. Das kennen wir auch aus dem 90. Psalm: dass um unserer Sünde willen vieles im Leben vergebliche Mühe ist. Da heißt es: „Unser Leben währt 70 Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's 80 Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe.“ Elia will sterben. Aber er setzt seinem Leben nicht selbst ein Ende, denn er weiß: Das wäre eine schlimme Schuld, denn das hieße, in Gottes Plan für sein Leben eigenmächtig eingreifen zu wollen. Darum bittet er Gott, dass der seinem Leben nun ein Ende setze.

Gott erhört dieses Gebet. Er erhört es in jener wunderbaren Weise, die wir selbst erleben können, wenn wir denn nicht die Augen davor ver­schließen. Gott erhört die Bitte Elias und hilft ihm – aber ganz anders, als Elia sich das gedacht hat. Auch heute erhört Gott viele Gebete nicht so, dass er schickt, was wir erwarten, sondern vielmehr so, dass er auf ganz andere Art und Weise hilft. Elia wollte sterben, weil er meinte, es ginge nicht mehr und er sei nun am Ende seiner Kräfte. Das war er ja auch tatsächlich. Gott half ihm – aber nicht, indem er ihn sterben ließ, sondern indem er ihm neue Kraft schenkte. Zweimal schickte Gott einen Engel mit Brot und Wasser zu dem Propheten, und er ließ auch einen wohltuenden Schlaf über ihn kommen. So stärkte er ihn mit wunderbarer Kraft. Gottes Lebensplan für Elia war noch nicht zu Ende, Gott hatte noch etwas vor mit diesem Mann. Durch den Engel ließ er ihm sagen: „Du hast einen weiten Weg vor dir.“ Elia bekam durch diese göttliche Stärkung neue Kraft, wunderbare Kraft, über­menschliche Kraft: Er marschierte vierzig Tag durch die Wüste bis zum Gottesberg Horeb (das ist der Sinai), wo Gott ihm weitere Weisungen gab.

Genauso möchte Gott auch dir und mir helfen, wenn wir an einen Punkt kommen, wo wir meinen, es geht nicht mehr. Es kann durchaus der Zeitpunkt kommen, wo wir keine Kraft mehr haben zum Weiterleben – nicht nur, wo wir uns das einbilden, sondern wo wirklich keine Reserven mehr da sind. Dann dürfen und sollen wir Gott unser Leid klagen, wie es Elia damals tat. Und dann schickt Gott auch uns Brot zur Stärkung – und hat es schon geschickt, hat es schon bereit­gestellt: seinen Sohn Jesus Christus, der sagte: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Denn dazu ist doch Jesus in die Welt gekommen, dass wir weiterleben können, weiterleben in Ewigkeit. Wenn unsere Seele dieses Brot hat und wenn sie im Glauben davon zehrt, wird sie nie hungern. Dazu ist Jesus in die Welt gekommen, dazu hat er bitteres Leiden und den Kreuzestod auf sich genommen. Weil er uns mit dem himmlischen Vater versöhnt hat, führt uns unsere Sünde nicht mehr in den endgültigen Tod, sondern durch den Glauben bekommen wir neue Kraft, um mit Christus ewig zu leben. Ja, das hat uns Gott durch seinen Sohn versprochen: dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, und dass er sie nicht über ihre Kräfte hinaus versuchen wird. Es müssen wohl Zeiten kommen, wo wir an das Ende unserer Kräfte gelangen wie Elia – aber nur um zu lernen: Gott schenkt neue Kraft, und es geht weiter. Er schenkt sie durch seinen Sohn Jesus Christus, das Brot des Lebens.

So haben wir also mit dieser Elia-Geschichte einen guten Rat und Trost für den Fall, wenn wir meinen, es geht nicht mehr: Nimm das Brot und die Stärkung an, die Gott dir vorsetzt. Bitte Gott um Hilfe, und empfange Kraft durch Jesus Christus. Sein Wort ist die rechte Speise. Seinen Leib kannst du wirklich essen im Brot des Heiligen Abendmahls, und sein kostbares Blut kannst du da trinken. Gott wird dir dadurch weiter­helfen, das hat er versprochen.

Eine Seelsorgerin an einem christlichen Krankenhaus hat einmal erzählt: Wenn ein Patient kurz vor der Operation das Heilige Abendmahl begehrt, dann wird mit der Operation solange gewartet. Vielleicht wird das mal der Moment sein, wo du denkst, es geht nicht mehr, das halte ich nicht mehr aus, diese Angst: vor einer schweren Operation. Sei es dies oder etwas anderes, du sollst wissen, dass du dann deinen Pastor rufen und das Heilige Abendmahl empfangen kannst, wenn du es brauchst. Und wenn es dir möglich ist, dann suche es gerade in solchen schweren Zeiten besonders oft. Du selbst hast dann keine Kraft und keinen Lebenswillen mehr, aber Gott kann dich stärken, und er will es auch tun durch das Brot des Lebens, durch seinen Sohn. Du brauchst nur zu nehmen, zu essen und zu trinken.

„Wenn du denkst, es geht nicht mehr …“, so fängt der bekannte Trostvers an. Ich möchte ihn jetzt anders weiter­sprechen. Ja, es kommt gewiss ein Lichtlein her – aber nicht nur ein Lichtlein, sondern ein großes Licht! Es kommt auch nicht von irgendwo her, sondern es kommt von oben herab, von Gott dem Herrn. Das Licht der Welt kam herab und wohnte unter uns und trug all unsere Ängste, Krankheiten, Sorgen und Schmerzen. Ich möchte daher jetzt so sagen: „Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von Gott das große Licht dir her – das Lebensbrot Jesus Christus.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum