Was heißt glauben?

Predigt über Hebräer 11,8‑10 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was heißt eigentlich „glauben“? Vielleicht wundert ihr euch über diese Frage. Der Glaube ist doch etwas ganz Grundlegendes für uns Christen, der müsste uns doch eigentlich ganz klar sein! Aber überlegt einmal: Was würdet ihr sagen, wenn ihr einem völlig Unwissenden den Glauben erklären solltet? Das ist gar nicht so einfach, nicht wahr? Einfacher ist es zu sagen, was der Glaube nicht ist. Glaube ist nicht das bloße Wissen, dass es da irgendwo einen Gott gibt. Natürlich weiß der Glaubende, dass es einen Gott gibt, aber das ist nur die allererste Voraus­setzung für den Glauben. Glaube ist auch nicht ein un­bestimmtes Gefühl, dass man nicht allein gelassen ist mit seinen Lebens­problemen. Natürlich gibt der Glaube Trost und Halt, aber er ist nicht einfach ein Trost­pflaster für schwere Tage, sondern er hat mit dem ganzen Menschen­leben zu tun, mit allen Zeiten und Stimmungen.

Was also ist der Glaube? Wer unter uns jetzt bibelkundig ist, könnte dazwischen­rufen: Hebräer 11, Vers 1, da steht es! Was steht da? Eine klare Be­schreibung, was Glaube ist, eine richtige Definition: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nicht­zweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Also alles klar? Nein? Das ist zu kompli­ziert? Das kann man gar nicht so schnell aufnehmen? Den meisten geht es wohl so. Und der Heilige Geist muss diese Schwierig­keiten voraus­gesehen haben. Denn er hat den Schreiber des Hebräer­briefes dazu getrieben, in den restlichen 39 Versen dieses Kapitels mit Beispielen zu erläutern und zu vertiefen, was denn nun der Glaube wirklich ist. Nur so kann man glauben lernen und den Glauben verstehen lernen: durch Beispiele und Vorbilder im Glauben. Die Bibel ist voll davon. Und das elfte Kapitel des Hebräer­briefes lässt eine Reihe solch biblischer Glaubens­vorbilder Revue passieren. Eines dieser Glaubens­vorbilder ist Abraham, und der eben gehörte Predigttext bringt ein Beispiel seines Glaubens. Es ist ein kleiner Ausschnitt aus dem großen Glaubens­kapitel des Hebräer­briefes.

Als Abraham in den besten Jahren war, lebte er mit seiner Familie in Haran. Da rief ihn Gott. Gott gab ihm einen Befehl und ein Versprechen – ein Gebot und eine Verheißung. Der Befehl lautete: „Zieh weg aus deinem Vaterland in ein Land, das ich dir zeigen will!“ Und das Versprechen lautete: „Ich will dich segnen und mehren und zu einem großen Volk machen und will dir das Land zum Erbe geben, wo du hinziehst.“ Abraham gehorchte, weil er vertraute, weil er glaubte. Er zog los, ohne zu wissen, was aus ihm werden sollte; „er wusste nicht, wo er hinkäme“, heißt es im Hebräerbrief. Schließlich lebte er im Land Kanaan als Nomade, wohnte in Zelten und ließ sich vorüber­gehend immer dort nieder, wo es Weideland für seine Viehherden gab. Seine Ehe blieb lange Zeit kinderlos; schließlich bekam er mit seiner Frau Sara einen einzigen Sohn. Bis an sein Lebensende hat er nicht erlebt, wie Gott sein Versprechen wahr macht; er sah keine besonders große Nachkommen­schaft, und sesshaft wurde er im Land der Verheißung auch nicht. Trotzdem behielt er bis ans Lebensende seinen Glauben – weil er wusste, dass die völlige Erfüllung aller Gottes­verheißun­gen im Himmel auf ihn wartet. „Er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist“, so der Hebräer­brief. Abraham, ein Vorbild des Glaubens: Er hatte „feste Zuversicht auf das, was man hofft“ und auch das „Nicht­zweifeln an dem, was man nicht sieht.“

Drei Dinge sind typisch an Abrahams Glauben: erstens Gottes Berufung, zweitens Abrahams Gehorsam, drittens Abrahams geduldige Hoffnung. Es war Gottes Berufung, die ihn aus seinem Vaterland holte und ihm dabei eine Verheißung gab. Es war Abrahams Gehorsam, der diesem Ruf ins Ungewisse nachkam. Und es war Abrahams Hoffnung, dass er bis ans Lebensende daran festhielt, Gott werde seine Ver­heißungen schon erfüllen.

Nun denkt ihr vielleicht: Abraham – das liegt weit zurück. Was hilft mir das heute? Nun, der Glaube ist derselbe, damals wie heute, im Computer­zeitalter ebenso wie im Nomaden­zeitalter, zweitausend Jahre nach Christus genauso wie zweitausend Jahre vor Christus. Auch für unseren christ­lichen Glauben sind nach wie vor diese drei Dinge typisch: Gottes Berufung, der Gehorsam, und die Hoffnung.

Wenn ich Gottes Berufung als erstes nenne, dann nicht nur deshalb, weil damit bei Abraham alles angefangen hat und weil auch unser Abschnitt im Hebräer­brief sie als erstes nennt. Gottes Berufung ist vielmehr das Wichtigste und Ausschlag­gebende am Glauben. Alles, was danach kommt, ist nur noch Echo dieses Gottesrufes in einer Menschen­seele. Diese Berufung ist nun an jeden von uns ebenso klar ergangen, wie sie einst an Abraham erging: Diese Berufung ist mit unserer Taufe geschehen. Da gab Gott uns durch Jesus und durch den Heiligen Geist ein Versprechen und einen Befehl, eine Verheißung und ein Gebot. Das Versprechen lautete damals, und lautet heute immer noch: Ich vergebe dir deine Sünden; du bist mein; du darfst ewig leben und einst in meine himmlische Herrlich­keit eingehen. Der Befehl lautete damals, und lautet heute immer noch: Werde mein Jünger; folge mir nach; geh hinter mir her in ein Land, das ich dir zeigen will! Dieses Land aber heißt Himmel­reich. Ja, so hat Gott uns durch Jesus und durch den Heiligen Geist berufen, wie er einst Abraham berief. Und da, in der Taufe, hat unser Glaubens­leben angefangen; Gottes Ruf hat unseren Glauben entfacht. Wie bekennen wir mit Luther? „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen…“ (Erklärung des 3. Glaubens­artikels im Kleinen Katechis­mus). Ja, Glaube fängt mit Gottes Berufung an.

Und dann ist da zweitens der Gehorsam. Der Gehorsam folgt aus der Berufung. Nicht zufällig steckt im Wort „Gehorsam“ das Wort „hören“ drin. Wer Gottes Berufung hört und sich ihr nicht widersetzt, der gehorcht. Gehorsam Gott gegenüber ist naturgemäß immer ein blinder Gehorsam, ein „Nicht­zweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Abraham war gehorsam und zog aus, aber er wusste nicht, wohin er käme; er gehorchte blind. Auch heute kann man nur so glauben: Wenn man Gott blind gehorcht. Ich weiß, liebe Gemeinde, solch blinder Gehorsam ist heute nicht sehr beliebt. Moderne Eltern wollen am liebsten schon dem drei­jährigen Kind erklären, warum es nicht an der Steckdose spielen darf, anstatt es ihm einfach zu verbieten. Erklären, disku­tieren, zu selbstän­digen Ent­scheidungen anleiten – das ist heute angesagt; da kommt einem der blinde Gehorsam wie eine Antiquität vor. Und doch: Beim Glauben geht es nicht anders. Denn ebenso­wenig, wie ein drei­jähriges Kind den elektri­schen Strom begreift, können wir Gottes Wege begreifen. Wir können sie nur im blinden Gehorsam gehen – auf seinen Ruf hin und im Vertrauen darauf, dass es gute Wege sind. Wir tun gut daran, diesen Glaubens­gehorsam zu leben und immer wieder neu damit anzufangen, denn „ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen“, steht im selben Kapitel des Hebräer­briefs. Glaubens­gehorsam heißt also für uns: Jesus nachfolgen, seine Jünger sei und all das halten lernen, was er uns durch sein Wort aufträgt. Glaubens­gehorsam heißt nachfolgen, ohne zu sehen, wo es hingeht; unter Umständen auch: ohne zu erleben, dass mir der Glaube Vorteile bringt im Leben oder dass ich mich dadurch glücklicher fühle als andere. Glaubens­gehorsam heißt glauben, weil Gott mich gerufen hat, aus keinem anderen Grund. Wenn ich mich mit zweifelnden und ungläubigen Menschen unterhalte, dann wünschen sie oft irgend­welche Beweise oder Argumente dafür, dass man sich auf die Bibel verlassen kann. Wenn sie die hätten, sagen sie, dann würden sie wohl auch glauben. Dann kann ich immer nur antworten, dass ich solche Beweise und Argumente nicht geben kann. Ich kann lediglich einladen. Ich tue nichts anderes als ein Brief­träger: Ich stelle Gottes Einladung den Menschen zu. Ich verwende dann manchmal ein Bild: Wenn vor einer Kneipe ein großes Schild steht „Hier gibt es Freibier“, dann muss ich schon hinein­gehen, um zu erfahren, ob das stimmt. Wenn ich draußen stehen bleibe und auf Beweise dafür warte, dass man hier wirklich nichts bezahlen muss, dann kann ich lange warten. Ebenso ist es mit dem Glauben: Wenn Gott mich auf den Weg in sein Himmelreich ruft, dann muss ich mich vertrauens­voll auf den Weg machen – im blinden Vertrauen und Gehorsam. Nach und nach schenkt er mir dann die Gewissheit, dass es ein guter Weg ist, aber den Beweis dafür werde ich erst am Ziel haben. Wenn ich aber den Weg der Nachfolge gar nicht erst antrete, sondern zweifelnd davor stehen­bleibe, dann finde ich weder das Ziel noch die Gewissheit. Glaubens­gehorsam heißt ganz praktisch: dorthin gehen, wo ich Gottes Reich und Verheißung finden kann. Das ist da, wo sein Wort gepredigt wird, wo getauft und Abendmahl gefeiert wird, wo zwei oder drei im Namen Jesu zusammen sind: in der christ­lichen Kirche und Gemeinde also. Da führt mich mein Glaubens­gehorsam immer wieder hin, auch wenn ich noch so viele menschliche Vorbehalte habe.

Von Gottes Berufung habe ich geredet und vom blinden Gehorsam, mit dem der Glaube sich auf den Weg der Nachfolge rufen lässt. Bleibt noch die Hoffnung, die ebenso selbst­verständlich zum Glauben dazugehört. Der Hebräer­brief macht uns deutlich, dass diese Hoffnung auf den Himmel gerichtet ist. Abraham war zeit seines Lebens ein Fremdling in Kanaan; er lebte dort nur provi­sorisch in Zelten. Auch wir Christen sind Gäste und Fremdlinge auf Erden, daran ändern unsere Steinhäuser und festen Wohnsitze nichts. Unsere Aufenthalts­genehmigung auf dem Planeten Erde ist meistens nach sieben oder acht Jahrzehnten erloschen. Die Hoffnung, die wir im Glauben an Jesus haben, ist also dieselbe wie Abrahams Hoffnung: Im Himmel wartet eine ewige Stadt auf uns, die nicht von Menschen­hand gebaut wurde, sondern wo Gott der Baumeister und Schöpfer ist. Da ist das Ziel unseres Weges in der Nachfolge, des Weges hinter Jesus her. Da ist das Ziel des Glaubens­weges.

Liebe Gemeinde, lasst euch kein Wasser in den Wein gießen! Lasst euch diese Hoffnung nicht verwässern, verfälschen oder rauben! Es gib heutzutage viele falsche Propheten, die eine andere Hoffnung verkünden. Sie sagen: Wir werden bald Frieden auf der ganzen Erde haben; oder: Wir werden Gerechtig­keit für alle durch­setzen. Die das sagen, haben dafür keine Berufung von Gott, und sie reden auch nicht von Gottes Kraft und Gottes Macht. Sie reden davon, dass wir Menschen selbst aktiv werden müssen, dass wir uns selbst unsere Hoffnung und unsern Traum hier auf Erden erfüllen müssen. Das Ganze garnieren sie dann mit ein bisschen Frömmigkeit und haben sogar ein paar passende Bibel­sprüche parat. Hört nicht auf sie. Hört auf das, was Gott wirklich sagt, zum Beispiel hier im Hebräer­brief: Abraham blieb Zeit seines Lebens ein Fremdling und wartete geduldig auf Gottes Stadt. Wir sind auch Fremdlinge und Gäste auf Erden. Natürlich dürfen wir es uns hier in unseren provi­sorischen „Zelten“ schön und gemütlich machen. Wir dürfen dabei aber nie vergessen, dass wir weiter­ziehen – in der Nachfolge hinter Jesus her, auf das Ziel zu, auf das jetzt schon unsere ganze Hoffnung gerichtet ist – unsere Glaubens­hoffnung. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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