Vom Segen der Buße

Predigt über Jeremia 8,4‑7 zum Buß- und Bettag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In der Innenstadt von Hannover eilt ein Herr mit Koffer die Straße entlang. Eine Frau sieht ihn kommen und denkt sich: Der will sicher zum Bahnhof und noch einen Zug erwischen. Aber er läuft ja in die falsche Richtung! Der arme Kerl. Ich muss ihm den richtigen Weg zeigen, damit er seinen Zug noch bekommt. Die Frau spricht den Mann an; der bleibt unwirsch stehen. Sie sagt: Ent­schuldigen Sie, möchten Sie zum Bahnhof? Darauf der Mann: Natürlich! Die Frau: Dann sind Sie hier nicht richtig. Sie müssen in die andere Richtung, da hinten lang. Der Mann: Was geht Sie denn das an? Das ist ja eine Un­verschämt­heit! Ich gehe da lang, wo es mir passt. Mischen Sie sich gefälligst nicht in meine Privat­angelegen­heiten! Und mit diesen Worten eilt der Mann weiter in die falsche Richtung.

Liebe Gemeinde, wir sind verwundert über diesen Mann, nicht wahr? Er hätte doch froh sein können, dass die Frau ihm den richtigen Weg zeigt. Und er hätte ihren Rat befolgen sollen; das wäre doch in seinem eigenen Interesse gewesen. Aber er reagiert verärgert. Merkwürdig, nicht wahr?

Gott war ähnlich verwundert über sein Volk Israel, oder besser gesagt über den Rest, der davon übrig geblieben war: über das Volk Juda in Jerusalem und Umgebung. Wir haben eben in dem Bibeltext gehört, wie Gott seine Verwunderung durch den Propheten Jeremia ausgedrückt hat: „Warum will denn das Volk von Jerusalem weiterhin in die falsche Richtung mar­schieren? Merkwürdig. Wenn jemand hingefallen ist, bleibt er doch auch nicht liegen, sondern versucht, wieder auf die Beine zu kommen. Und wenn sich jemand verlaufen hat, dann wird er doch wohl wieder auf den rechten Weg kommen wollen. Aber nein, sie bleiben stur und beharrlich auf ihren Irrwegen. Da gibt es keinen, der mal zugibt, dass er was falsch gemacht hat. Da gibt es keinen, dem seine Bosheit leid tun würde. Wie ein Streitross, das ohne Blick nach rechts oder links blindwütig in den Krieg stürmt, so stürmt mein Volk in die falsche Richtung – stur wie ein Panzer. Sie merken nicht, dass es jetzt an der Zeit wäre, umzukehren und Buße zu tun. Sie sind dümmer als die Tiere. Die Zugvögel wissen genau, wann sie ins Heimatland zurück­fliegen können, und machen sich dann auf den Weg: der Storch, die Taube, der Kranich und die Schwalbe. Aber mein Volk denkt nicht daran, sich vom falschen Weg abzuwenden und zu mir zurück­zukehren. Sehr merkwürdig, sehr un­verständ­lich!“

Über viele, die sich heute Christen nennen, könnte Gott sich ebenso wundern. Denn viele suchen in Gottes Wort und in der Kirche nur Be­stätigung, keine Ver­änderung. Sie möchten, dass in ihrem Leben und in ihrem Herzen alles beim Alten bleibt. Wer bisher gern getratscht hat, wer gern Schlechtes über andere weiter­erzählt hat, der möchte diese Gewohnheit nicht gern aufgeben und nicht hören, dass das böse ist. Stattdessen versucht er krampfhaft, sich dafür zu recht­fertigen. Wer bisher nur zwei‑ bis dreimal im Jahr zum Abendmahl gegangen ist, der möchte auch in Zukunft dabei bleiben und versucht, alles ab­zustreiten, was dagegen spricht. Liebe Gemeinde, wenn wir ehrlich sind, werden wir alle etwas von dieser Haltung in uns finden: Wir möchten gern auf alten ein­getretenen Wegen weiter­laufen. Wir möchten nicht wahrhaben, wieviel wir bisher falsch machten. Wir sind nicht bereit, neue und bessere Wege ein­zuschlagen. Wir hören gern den Satz: Bleib, wie du bist! Wir hören gern Predigten, in denen unsere Meinung bestätigt und unser Lebens­wandel gelobt wird. Ungern hören wir es dagegen und ärgern uns vielleicht sogar, wenn wir kritisiert und zur Besserung auf­gefordert werden. Dass andere sich ändern und umkehren sollen, das sehen wir ein und fordern es auch, aber wir selbst? Das ist doch merkwürdig, dass wir so empfindlich sind!

Gottes Wort aber will uns ändern. Gottes Wort ruft zur Buße, zur Umkehr von falschen Wegen. Gottes Wort macht deutlich, dass es keinen gibt, der schon ganz auf dem richtigen Weg wäre. Auch die ersten Christen in Rom nicht, denen Paulus schrieb: „Ändert euch durch Erneuerung eures Sinns!“ (Römer 12,2) Gott will uns nicht in unserm alten Wesen und Wandel bestätigen, sondern er will uns verändern und erneuern. So ist es auch das Ziel jeder Predigt, dass die Gottes­dienst­besucher als andere aus der Kirche heraus­kommen, als sie hinein­gegangen sind. Gott zeigt uns durch sein Wort den richtigen Weg, damit wir von unseren falschen Wegen umkehren und die richtige Richtung ein­schlagen. Das ist der Sinn des Wortes Buße.

Wie beginnt diese Änderung, diese Buße? Sie beginnt mit einem Blick in den Spiegel; das sind die Gebote Gottes. Im Spiegel von Gottes Gesetz sehen wir, dass wir nicht in Ordnung sind. Wir erkennen unsere Sünde. Wir merken, wo wir auf dem falschen Dampfer sind. Und wenn wir das sehen, dann kommt der Wunsch in uns auf, anders zu werden. Hoffentlich tut er das. Wir sehnen uns nach Besserung. Das ist die Reue. Das hat mit Psychologie nichts zu tun. Es mag zwar Menschen geben, die unter Tränen und mit großem Schrecken ihre Sünden erkennen und bereuen. Aber es geht auch ohne Tränen, die müssen nicht sein. Hauptsache man erkennt aus Gottes Wort, dass man nicht okay ist, und wünscht sich Besserung. Dass man zum Beispiel Gottes heiliges achtes Gebot verletzt, wenn man Schlechtes über einen Mitmenschen weiter­erzählt. Oder dass man absolut nicht dem guten Beispiel der Apostel und der ersten Christen folgt, wenn man nur zwei‑ bis dreimal jährlich zum Abendmahl geht. Gottes Wort deckt die Sünde auf, und dann soll sich die Reue einstellen – der Wunsch, dass es besser wird.

Wie geht diese Änderung, diese Buße weiter? Wir alle wissen, dass wir uns nicht aus eigener Kraft bessern können. Hoffentlich wissen wir es. Das wäre so unsinnig wie der Versuch des Baron Münch­hausen, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Nein, wir brauchen einen anderen, der uns zieht – einen, der festen Boden unter den Füßen hat, der also nicht selbst im Sumpf der Sünde steckt. Dieser Eine ist Jesus Christus, der von keiner Sünde wusste. So heißt Buße nichts anderes, als von Jesus Hilfe erbitten und Hilfe erwarten, nachdem man seine Sünde erkannt und bereut hat. Damit ist Buße etwa ganzs anderes, als was man im land­läufigen Sinn darunter versteht: ein Bußgeld zahlen; eine Bußleistung voll­bringen; Genugtuung schaffen; oder: Das sollst du mir büßen! Buße im christ­lichen Sinn ist etwas ganz Positives und Schönes: die Abkehr von alten Wegen, die ja doch nur in die falsche Richtung führen, und die Hinwendung zu Jesus, dem einen Weg zum himmlischen Vater und zu seinem Reich. Jesus hilft ja wirklich dem, der von ihm Hilfe erwartet und erbittet. Er vergibt alle Schuld und tilgt alle Irrwege. Er vergibt zum Beispiel all das Böse, was wir über andere geredet haben, und alle Lauheit beim Empfang des Heiligen Abendmahls. Ja wirklich, das ist vergeben und vergessen, das belastet uns nicht mehr, dafür brauchen wir uns nicht mehr zu ver­antworten, das brauchen wir nicht selber abzubüßen, das hat Christus alles bereits am Kreuz für uns abgebüßt. Wie wunderbar ist solche Buße! Da kann man befreit aufatmen! Da ist der Weg frei für Neues, für Besseres, für ein Leben in der Nachfolge, für ein Leben mit dem richtigen Kurs! Wenn das alle wüssten, dann würden die Leute am liebsten immer nur Buße tun. Sie würden Schlange stehen zum Beicht­gottesdienst und zum Heiligen Abendmahl. Sie würden dem Pastor die Bude einrennen, um in der Einzel­beichte die Vergebung der Sünden zu bekommen.

Ja, diese Buße, diese Änderung ist etwas ganz Positives. Wenn wir uns ändern lassen, dann geht es viel besser in unserem Leben. Wir sind den ganzen alten Ballast vergangener Sünden dann los. Wieviel besser haben wir es da als die Politiker! Die werden von ihren Fehlern der Vergangen­heit manchmal noch nach fünfzig Jahren eingeholt. Bei uns Christen ist alles getilgt und ausradiert, wenn wir Buße getan haben. Wir sind den Ballast alter Sünde los und können mit neuem Mut versuchen, auf Gottes Wegen zu gehen. Wieviel schöner und besser ist es doch zum Beispiel, andere Menschen zu ent­schuldigen, Gutes von ihnen zu reden und alles zum Besten zu kehren. Wieviel besser ist es doch, ganz oft Jesu Tischgast zu sein, die Sünden­vergebung im Sakrament des Altars zu empfangen und damit den Glauben gestärkt zu bekommen. Gottes Ver­änderungen lohnen sich, sie sind gut für uns, sie helfen uns weiter für Zeit und Ewigkeit. Gott will uns ja nicht ärgern, wenn er uns zur Buße und Änderung aufruft – im Gegenteil, er möchte, dass wir Leben die Fülle haben. Wer das erkennt, der wäre ein Idiot, wenn er sich nicht von Gott verändern lassen wollte.

Ich habe es vorhin schon einmal angedeutet und will es noch einmal wieder­holen: Solche Änderung, solches Buße-Tun geschieht immer wieder, solange ein Christ auf Erden lebt. Martin Luthers berühmteste der 95 Thesen drückt das treffend aus: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: ‚Tut Buße!‘, will er, dass das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete Buße sei. Jede Predigt, jeder Gottes­dienst will dich verändern und ruft dich zur Buße auf. Jedesmal, wenn du in der Bibel liest, ruft Gott dich zur Umkehr. Wohl­bemerkt: Nicht dazu, dass du dich zum neunund­neunzigsten Mal zusammen­reißen und das Gute tun sollst; das schaffst du nie aus eigener Kraft, das ist ver­geblicher Krampf. Aber dass du dich immer wieder mit deiner Schuld an Jesus wendest und ihn um Hilfe bittest. Durch seine Vergebung erhältst du dann die Kraft, dein Leben anders zu leben als bisher – besser, nach Gottes Willen.

Solches lebenslange Buße-Tun ist auch die beste Vor­bereitung auf den Himmel. Wer nicht bereit ist umzukehren, der läuft weiter in die falsche Richtung und verpasst den Zug nach Hause. Den Israeliten hat Gott es damals sehr scharf und klar durch den Propheten Jeremia an­gekündigt: Weil sie wie die Streit­rösser blindlings in die falsche Richtung einher­stürmen, wartet ein schlimmes Straf­gericht auf sie. Gottes letztes Straf­gericht, die Hölle und ewige Verdammnis, wartet auf alle, die sich nicht von ihm verändern lassen, sondern bleiben wollen, wie sie sind. Das gilt sogar für Menschen, die äußerlich als tadellose Christen erscheinen. Jeder, der meint, bei ihm sei alles in Ordnung und er brauche sich nicht zu ändern, der ist schnur­stracks auf dem Weg zur Hölle. Denn Christsein heißt, stets Buße tun, stets sich ändern lassen durch Gottes Wort, stets sich heraus­helfen lassen durch Jesus Christus. Ja, solche Bereit­schaft zur Buße ist der Kern des christ­lichen Glaubens. Alle, die so leben, dürfen sich schon auf das Ziel freuen: auf den Himmel. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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