Weiterbeten!

Predigt über Lukas 18,1‑8 zum Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Großmutter meiner Frau pflegte in Zeiten der Not oder bei familiären Problemen ihren Angehörigen stets die knappe Weisung mit auf den Weg zu geben: Weiter­beten! Genau das ist auch die Aussage dieses Gleich­nisses von der bittenden Witwe: Weiter­beten! Oder, wenn man den ein­leitenden Satz des Lukas wörtlich übersetzt: „Es ist nötig, immer zu beten und dabei nicht nachlässig zu werden.“

Obwohl der Sinn des Gleich­nisses ganz klar ist, lohnt es sich, auf Einzel­heiten zu achten. Zum Beispiel kann man sich darüber wundern, dass der Richter als gottlos und selbst­süchtig geschildert wird. Immerhin steht er in diesem Gleichnis doch für den himmlischen Vater! Nun, das ist eine Be­obach­tung, die man in manchem Gleichnis von Jesus machen kann. Jesus schildert den Richter bewusst so böse und ungerecht, weil er dann einen Vergleich vom Geringeren zum Größeren ziehen kann. Damit will Jesus deutlich machen: Wenn schon so ein böser Mensch sich durch hart­näckiges Bitten erweichen lässt, wieviel mehr wird dann erst der gute gnädige Vater im Himmel hören!

Auch kann man einmal darüber nachdenken, was für ein Anliegen die Frau denn wohl gehabt haben mag. Es steht nicht im Gleichnis drin, aber man kann doch aus den Angaben erahnen, was ihr Problem war. Von einem Wider­sachser ist da die Rede, einem Prozess­gegner, einem Mann also, mit dem sie einen Rechts­streit hat. Vielleicht hatte der verstorbene Ehemann diesem Widersacher Geld geliehen. Nun, da er tot war, brauchte die Frau dieses Geld dringend für ihr Auskommen. Jüdische Frauen durften damals nicht selbst ihren Lebens­unterhalt verdienen, und eine Rente bekamen sie auch nicht. Der Widersacher aber wollte das Geld nicht heraus­rücken. Heute würde man sich in so einer An­gelegen­heit an das Amtsgericht wenden. Damals wendete man sich an den zuständigen Rechts­gelehrten, den Richter, der die Pflicht hatte, den Schwachen und Be­nachteilig­ten Recht zu ver­schaffen: den Witwen, den Waisen und den Ausländern zum Beispiel.

Aber, wie gesagt, der ungerechte Richter dachte nicht daran, hier seine Pflicht zu tun. Vielleicht war er mit dem Widersacher befreundet, vielleicht war dieser ein einfluss­reicher Mann, vielleicht wollte der Richter auch einfach nur seine Ruhe haben. Die Witwe jedoch ließ ihm keine Ruhe. Sie hatte kein anderes Rechts­mittel oder Machtmittel zur Verfügung. Sie wurde nicht müde, den Richter immer wieder aufzusuchen und ihr Recht zu fordern. Sie tat es offenbar so energisch, dass der Richter sich schließlich sagte: „Weil sie mir so viel Mühe macht, will ich ihr Recht schaffen; am Ende kommt sie sonst noch und schlägt mir ins Gesicht!“ Auch dies kann man nicht in den Einzel­heiten aufs Beten übertragen. Unser Beten ist kein energisches Fordern wie das Bitten der Witwe, sondern wir bitten unsern himmlischen Vater wie liebe Kinder. Und Gott erhört unsere Gebete auch nicht deshalb, weil ihm unser Beten langsam lästig wird, sondern weil er uns lieb hat und uns alles Gute geben möchte. Übertragen lässt sich nur dieser Gedanke: Es lohnt sich, dran­zubleiben am Gebet, auch wenn Gott scheinbar lange Zeit nicht hört.

„Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Aus­erwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hin­ziehen?“, fragt Jesus am Ende der Geschichte. „Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.“ In Kürze – nach Gottes Zeitmaß, nicht nach Menschen­zeitmaß! Nach Gottes Zeitmaß, nach dem Jesus vor zweitausend Jahren auch gesagt hat: „Ich komme bald“ (Offb. 22,20). Und „Recht“ schaffen wird er – da erkennen wir gleich das Haupt-Anliegen all unserer Gebete: die Gerechtig­keit vor Gott, die Recht­fertigung des Sünders durch Christi Blut allein aus Gnade und den Freispruch im Jüngsten Gericht: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!“ (Matth. 25,34) Recht schaffen wird er gegen unseren Wider­sacher, den Teufel, der in der Bibel ebenso genannt wird wie der Widersacher beziehungs­weise Prozess­gegner der Witwe. Recht schaffen wird er, wenn der Teufel uns bei Gott verklagen will, Recht um des Blutes seines Sohnes Jesus Christus willen.

Ja, so beten wir beständig um das Heil unserer Seelen, und auch um das Heil der Seelen anderer Menschen. Wie sehr liegen sie uns doch am Herzen, die Un­gläubigen, die den Mantel der Gerechtig­keit nicht anziehen wollen und die die Kleider des Heils verachten! Wie sehr liegen sie uns am Herzen – besonders, wenn sie uns nahe stehen, wenn es sich um Nachbarn handelt, um Arbeits­kollegen, um Verwandte oder gar um die eigenen Kinder! Wie viele beten jahraus, jahrein dafür, dass dieser oder jener zum Glauben findet. Und wie viele fühlen sich nicht erhört mit diesen Bitten, so wie die Witwe im Gleichnis. Da will einem dann schon einmal der Mut sinken, da zweifelt man und fragt, ob es denn noch Zweck hat weiter­zubeten.

„Wenn der Menschen­sohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?“, fragte Jesus am Ende und forderte damit unseren Glauben heraus. Ob unser Glaube durchhält, ob wir bis ans Ende beharren? Auch der Glaube daran, dass Gott unsere Gebete erhört? Auch die Gebete um das Heil der ungläubigen Mit­menschen? Lasst uns nicht aufhören, um Glauben zu flehen, sowohl für uns als auch für andere! Lasst uns dranbleiben und nicht müde werden! Lasst uns weiter­beten!

Wie Gott dann unsere Gebete erhört und wie er Recht schafft, das ist seine Sache, da brauchen wir uns nicht den Kopf zu zerbrechen, da können wir uns überraschen lassen. Gott führt wunderbare Wege, und für jeden Menschen hat Gott andere Wege. Ja, Gott hat mit jedem Menschen seine eigene Geschichte. Oft kann man erst im Nachhinein erkennen, wie wunderbar er Recht geschafft hat denen, die nicht müde wurden zu beten.

Ein Beispiel dafür möchte ich jetzt erzählen, ein altes und berühmtes Beispiel. Vor eineinhalb­tausend Jahren wurde in Nordafrika ein Kind geboren, der Sohn einer christ­lichen Mutter und eines ungläubigen Vaters. Augustinus wurde er genannt; seine Mutter hieß Monika, sein Vater Patricius. Von Anfang an war es der sehnliche Wunsch und das inständige Gebet der Mutter, dass der kleine Augustinus ein Gotteskind wird. Doch taufen lassen durfte sie ihn nicht, weil der Vater ein Heide war. Aber sie erzählte ihrem Jungen von Gott und vom Heiland und vom Himmel. Sie wurde nicht müde, für ihn zu beten. Zunächst schien sich der Junge nach ihrem Wunsch zu entwickeln. Er nahm das auf, was sie ihn lehrte. Und als er einmal sehr krank wurde, hatte er auch den Wunsch, getauft zu werden. Doch als er wieder gesund war, da meinte er, es hat wohl noch Zeit. Mutter Monika betete weiter. Augustinus wurde erwachsen, und weil er intelli­gent war, studierte er Philo­sophie. Er wurde ein Lehrer der Rhetorik, der Rede-Kunst. Er strebte nach Reichtum und Ansehen, und sein Vater bestärkte ihn darin. Auch genoss Augustinus das Leben in vollen Zügen. Die Nächte verbrachte er mit Mädchen. Dann lebte er in wilder Ehe und wurde Vater eines unehelichen Kindes. An Jesus dachte er nicht mehr. Seine Mutter war traurig darüber und weinte viel, aber sie betete weiter. Dann trat eine Wende ein. Augustinus wurde nach­denklicher. Aber er las nicht etwa die Bibel, sondern er las die Schriften einer schlimmen un­christli­chen Sekte, der Manichäer. Seine Mutter verbot ihm, nach Hause zu kommen, solange er dieser Sekte angehörte, aber Augustinus lachte sie nur aus. Doch Mutter Monika betete weiter. Augustinus zog fort. Er zog nach Rom, hatte dort wenig Erfolg in seinem Beruf, wurde krank, zog dann weiter nach Mailand. Hier konnte er Professor werden. Ab und zu ging er dort zur Kirche – aber nur, um zu hören, wie die Predigten des Bischofs Ambrosius rhetorisch aufgebaut waren. Augustinus schrieb später: „Mich interes­sierte nicht, was er sagte, sondern wie er's sagte.“ Aber auch vom Inhalt blieb etwas hängen. Augustinus war nicht glücklich in dieser Zeit; er war innerlich zerissen. Er suchte nach Lebenssinn, aber er fand ihn nicht – bis schließlich sein Landsmann Alypius zu ihm kam, ein Christ, der ihm den Weg zum Heiland wies. Da bereute Augustinus weinend seine Sünden und begann, in der Bibel zu lesen. Und dann ließ er sich taufen. Fünfund­dreißig Jahre mussten erst vergehen, ehe er ein Kind Gottes wurde. Seine Mutter war über­glücklich: Nun waren ihre Gebete endlich erhört worden. Auch ihr Mann hatte sich kurz vor seinem Tod noch taufen lassen. Fröhlich und geborgen in ihrem Heiland starb sie bald darauf.

„Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Aus­erwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen“, fragte Jesus. Gott hat auch der Monika Recht geschafft in Kürze. Was für eine große Ermutigung, geduldig weiter­zubeten – gerade auch für diejenigen unter den Un­gläubigen, die uns nahe stehen. Ich kann dir zwar nicht ver­sprechen, dass du Gottes Erhörung noch auf Erden so wunderbar erleben wirst wie die Monika. Aber eines kann ich dir ver­sprechen, oder besser: Jesus selbst verspricht es dir mit diesem Gleichnis: Weiterbeten lohnt sich! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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