Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Manchmal können wir in der Zeitung davon lesen, dass jemand einen Rekord-Lottogewinn erzielt hat. Ich selbst werde nie so ein Vermögen gewinnen, denn ich spiele nicht im Lotto; ich halte das für herausgeworfenes Geld. Aber wenn ich in der Zeitung von solchen Millionengewinnen lese, dann träume ich manchmal: Was würdest du machen, wenn du so viel Geld hättest? Und wenn ich so träume, dann stelle ich fest: Das wäre ja eine ganz märchenhafte Situation; da würde vieles in meinem Leben von heute auf morgen anders werden.
Bei dem Landarbeiter in Jesu Gleichnis war das auch so. Zuerst hatte er kaum Besitz; er musste sich sein Brot auf fremden Äckern verdienen. Da stößt er eines Tages beim Pflügen auf eine Kiste. Er gräbt sie aus, öffnet sie – und traut seinen Augen nicht: eine Schatztruhe voller Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen! Es ist ein Schatz, den jemand hier offenbar im Krieg oder aus Furcht vor Dieben vergraben und dann vergessen hat. Der Landarbeiter denkt: Wenn ich diesen Schatz hätte, dann hätte ich ausgesorgt – aber der Schatz gehört ja dem Besitzer des Feldes. Ob der wohl davon weiß? Vielleicht nicht! Dann könnte ich den Acker kaufen, und der Schatz würde mir gehören.
Freudig erregt macht sich der Landmann auf den Weg. Der Anblick des herrlichen Schatzes verfolgt ihn in seinen Gedanken. Er muss das Gold haben, auch wenn es seinen gesamten Besitz kostet! Der Mann geht zu dem Bauern, dem der Acker gehört, und sagt, dass er ihm den Acker abkaufen möchte. Der Bauer nennt einen Preis. Der Preis ist hoch, aber der Landarbeiter willigt ein. Er kratzt seine Ersparnisse zusammen: Es reicht nicht. Er verkauft sein Haus: Es reicht immer noch nicht. Er verkauft sein Werkzeug, alle entbehrlichen Kleidungsstücke, allen persönlichen Besitz. Und jetzt reicht es: Er hat den Kaufpreis gerade so zusammenbekommen. Da kauft er den Acker, holt sich den Schatz und ist ein gemachter Mann. Er hat nun alles, was er zum Leben braucht; er braucht sich um nichts mehr zu sorgen. Er ist reich, er ist froh. Er hat alles hingegeben und dafür Großes gewonnen.
Wenn wir das Gleichnis richtig deuten wollen, dann dürfen wir uns nicht bei den Einzelheiten aufhalten. Natürlich entspricht das Verhalten des Landmanns nicht dem 9. Gebot, wonach man den Besitz des Nächsten nicht mit einem Schein des Rechts an sich bringen soll. Der Mann hätte den Schatz eigentlich abliefern müssen. Auch kann man das Himmelreich nicht kaufen oder durch Tricks ergaunern. Aber das sind ja alles nur Ausschmückungen der Geschichte. Übertragen können wir nur das Wesentliche; und das sind drei Dingen: Erstens der große Wert des Schatzes (der Schatz war ja unermesslich viel mehr wert als der Acker, insofern hat der Landmann ihn praktisch umsonst bekommen); zweitens die große Freude des Mannes; drittens seine Hin-Gabe (im wörtlichen Sinn, denn all seinen Besitz gab er für diesen Schatz hin).
Der Schatz ist das Himmelreich. Wir können auch sagen: das Reich Gottes, oder die Gotteskindschaft. Der Schatz ist die Tatsache, dass wir zu Gottes Haushalt gehören, so wie Kinder in ihr jeweiliges Elternhaus gehören. Wie schlimm ist es, wenn Kinder nicht wissen, wo sie hingehören! Wie schlimm ist es, wenn sie ungeliebt sind oder wenn die Zustände in ihrem Elternhaus zum Davonlaufen sind. Ebenso arm dran sind alle Menschen, die nicht den Schatz des Himmelreiches haben. Wie schön ist es, wenn Kinder ein richtiges Zuhause haben. Da können sie Zuflucht nehmen. Da werden sie mit allem Nötigen versorgt. Da sind sie geliebt und angenommen. Da haben sie Freude und Gemeinschaft. So reich sind alle Menschen, die zum Himmelreich gehören. Zu Gott gehören, zum lieben himmlischen Vater, das ist der unermesslich große Schatz des Himmelreichs. Jesus hat ihn für uns erworben mit seinem heiligen Blut. Jesus hat uns die Tür zum Vaterhaus aufgeschlossen, die Schuld und Sünde zugeschlossen hatten. Jesus ist unser Bruder geworden, damit wir in Gemeinschaft mit ihm zu Kindern Gottes werden. Dieser Schatz ist mehr wert als alle Lottomillionen der Welt.
Und dieser Schatz verändert unser Leben auch viel stärker, als es Lottomillionen tun würden. Die Millionen könnten durch Krieg und Inflation verloren gehen, so wie die Schätze der Antike durch Motten und Rost bedroht waren; das Himmelreich aber behält seinen Wert in Zeit und Ewigkeit. Die wichtigsten Dinge des Lebens kann man nicht für Geld kaufen: Gesundheit, Liebe, ein fröhliches Herz oder Unsterblichkeit; das Himmelreich aber gibt mir all dies. Auch wenn ich eine Zeit lang Mangel leide, wenn mir die Gesundheit fehlt oder das fröhliche Herz, so weiß ich doch mit dem Apostel Paulus, dass „dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (Römer 8,18). Das Himmelreich befreit mich überdies vom Leistungszwang: Ich brauche mir Gottes Wohlwollen und der Menschen Anerkennung nicht zu verdienen; Gott nimmt mich einfach als sein Kind an, und meine Mitchristen haben mich nicht um irgendwelcher Verdienste willen lieb, sondern einfach, weil ich ihr Bruder bin. Das Himmelreich gibt mir sogar in Stunden der Verzweiflung Halt: Wenn auch Welten zusammenbrechen oder wenn es zumindest so scheint, dann ist da immer noch die Hand, die mich hält; dann ist da immer noch das Vaterhaus, wo ich meine Zuflucht habe. Fürwahr, ein gewaltiger, ein unermesslich großer Schatz, dem nichts in dieser Welt gleicht!
Liebe Gemeinde, auf diesen Schatz sind wir in der Taufe gestoßen. Da ist das Himmelreich zu uns gekommen, da sind wir Gottes Kinder geworden. Und so haben wir seit unserer Taufe nur noch Grund, fröhlich zu sein. Wir können uns freuen wie ein Lottomillionär oder wie der Landmann, als er die Schatzkiste fand. Ja, wir haben sogar noch mehr Grund zur Freude, weil unser Schatz der größte ist. Sicher, es gibt manches im Leben, was uns traurig oder ärgerlich oder zornig macht, aber das kann niemals unsere Freude aufheben. Denn unsere Taufe bleibt, und damit bleibt uns auch das Himmelreich, und damit auch die Freude der Gotteskindschaft, wenn sie auch zuweilen überlagert ist von anderen Gemütsregungen. Die Freude ist das tiefste und tragende Gefühl im Christenleben.
Ein Problem haben wir freilich mit dem Schatz des Himmelreiches: Es erscheint uns so wenig greifbar; wir sehen so wenig davon. Wir haben keine Schatzkiste zu Hause stehen, wo wir uns am Glanz von Gold und Edelsteinen satt sehen können. Wir haben nur Gottes Wort, das uns all die großen Dinge seines Reiches zusagt. Aber was heißt „nur“? Ist es nicht etwas ganz Großes, dass Gott zu uns redet und uns mit heiligem Eid das ewige Leben verspricht durch seinen Sohn Jesus Christus? Ist es nicht ein Zeichen seiner unermesslichen Liebe und Barmherzigkeit, dass er die großen Verheißungen des Evangeliums unzählige Male wiederholt und bekräftigt, in vielen Zusagen und Gleichnissen der Bibel (wie übrigens auch in diesem Bibelvers hier), im Sakrament der Taufe, im Sakrament des Altars, in der Predigt und im Zuspruch der Sündenvergebung durch das Hirtenamt, das er selbst gestiftet hat? Da, in Gottes Wort, haben wir die Schatztruhe; da können wir lesen, hören, sehen und schmecken, wie freundlich der Herr ist.
Freilich kommt der Schatz nicht magisch wie durch Zauberei zu uns. Der Taufschein ist kein Garantieschein für den Himmel. Der Mann im Gleichnis hat etwas getan, um in den Besitz dieses Schatzes zu gelangen. Er hat sogar all seine Habe drangesetzt, um ihn zu erwerben; er hat alles hingegeben. Beim Schatz des Himmelreichs ist solche Hingabe der Glaube. Nicht, dass wir uns das Himmelreich damit verdienen müssten – unsere armselige Habe und unser armseliger Glaube ist nichts verglichen mit dem Wert des Himmelreiches. Nicht, dass unsere Seligkeit von unserm Tun abhängt, denn der Glaube ist ja auch Gottes Tun durch den Heiligen Geist in uns. Aber Gott will uns den Schatz nicht aufdrängen, sondern er will, dass wir ihn im Glauben annehmen. Glaube – das ist das Vertrauen: Gott, dein Schatz ist mehr wert als alles; darum ist mir das Himmelreich wichtiger als alle Schätze dieser Welt. Gott, als dein Kind bin ich immer geborgen; darum will vor nichts mehr Angst haben. Gott, auch in deinen Mahnungen und Geboten meinst du es herzlich gut mit mir und lehrst mich, als dein Kind zu leben; darum will ich gerne gehorchen, auch wenn ich nicht immer den Sinn einsehe. Gott, weil ich gesündigt habe, musste dein Sohn bitter büßen; darum tut mir meine Sünde leid; ich will darauf vertrauen, dass Jesus allen Schaden gut gemacht hat und ich bei dir in Gnaden bin. Ja, durch Glauben, durch bedingungsloses Vertrauen, eignen wir uns den Schatz des Himmelreiches an. Das Himmelreich soll den höchsten Stellenwert bei uns im Leben haben. Wenn das nicht so ist, haben noch nicht begriffen, was es für ein Schatz ist.
Lasst uns zum Schluss überlegen, wie die Geschichte im Gleichnis weitergegangen sein könnte. Der Mann könnte seinen Schatz wieder im Acker vergraben haben aus Furcht vor Dieben. Dann müsste er allerdings weiterleben wie bisher; er hätte nichts davon. Er könnte auch die Kiste mit nach Hause nehmen und sich jeden Tag am Anblick des Goldes und der funkelnden Reichtümer erfreuen. Den Wert des Schatzes würde er damit allerdings nicht ausschöpfen. Er könnte auch den Schatz investieren; er könnte damit Handel treiben und Dinge kaufen, die gut und nützlich sind. Das wäre, denke ich, das Richtige. Lasst es uns so mit dem Schatz des Himmelreiches so tun. Liebe Brüder und Schwestern, vergrabt den Schatz nicht, lasst euer Christsein nicht ruhn! Freut euch vielmehr an dem funkelnden Schatz, hört und lest Gottes Wort, nehmt und schmeckt Gottes Sakrament, und werdet damit selig! Und setzt diesen Schatz im Alltag ein, investiert ihn! Lebt die Freude, die Gott euch schenkt, und gebt anderen Anteil daran! Lebt, ohne euch zu sorgen, denn Gott sorgt für euch! Werft die Angst weg, denn ihr seid geborgen im Himmelreich! Lebt nach Gottes Geboten im Vertrauen darauf, dass dies der beste Weg ist! Und wenn ihr das alles noch nicht richtig könnt, dann kommt und schöpft immer neu aus dem großartigen Schatz! Kommt unters Wort, kommt zum Sakrament! „Herr, dein Wort, die edle Gabe, / diesen Schatz erhalte mir, / denn ich zieh es aller Habe / und dem größten Reichtum für. / Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten, / worauf soll der Glaube ruhn? / Mir ist nicht um tausend Welten, aber um dein Wort zu tun.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |