Vom Hören und vom Handeln

Predigt über Jakobus 1,19‑25 zum 4. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn in den Medien kirchliche Dinge themati­siert werden, dann ist da meistens vom Handeln der Christen die Rede. Es geht dann zum Beispiel um politische und ge­sellschaft­liche Verant­wortung oder um den Umwelt­schutz. Kirchen­intern dagegen liegt der Schwerpunt mehr auf dem Hören – besonders auf dem Hören auf Gottes Wort. Einige hätten gern, dass auch innerhalb der Kirche mehr vom christ­lichen Handeln gesprochen wird. Andere bedauern, dass in den Medien zu wenig vom glaubenden Hören und vom Seligwerden die Rede ist. Wir merken daran: Es ist nicht ganz einfach, das Hören und das Handeln im Christen­leben ins rechte Gleich­gewicht zu bringen. Das war schon immer so. Die luthe­rischen Bekenntnis­schriften machen hier zwar mit Gottes Wort wunderbar klare Aussagen, aber jede Christen­generation muss sie sich neu aneignen.

Auch wir wollen das heute versuchen, und zwar mit dem eben gehörten Abschnitt aus dem Jakobus­brief. Der Apostel Jakobus deutet in diesem Abschnitt zwei Bilder für Gottes Wort an: Er vergleicht es erstens mit einer Pflanze, zweitens mit einem Spiegel. „Nehmt das Wort an, das in euch gepflanzt ist“, sagt er zuerst, und nennt dann den Hörer des Wortes einen „Mann, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut“. Diese beiden Bilder möchte ich jetzt nach­einander aufnehmen und an ihnen ver­deutlichen, was es mit dem Hören und mit dem Handeln und mit ihrer Beziehung zueinander auf sich hat.

Gottes Wort ist also erstens eine Pflanze in unserem Lebens­garten. Der Heilige Geist ist der Gärtner, der sie da ein­gepflanzt hat. Er hat das bei unserer Taufe getan, denn wir wissen ja: Die Taufe hat ihre Kraft und ihr Wesen nicht aus dem Wasser, sondern aus dem Wort Gottes, „so mit und bei dem Wasser ist“ (wie Luther im Kleinen Katechismus erklärte). Diese Pflanze ist ein ganz wunderbares Geschöpf. Es ist eine Heil­pflanze, die alle Heil­pflanzen der Welt an Wirkung übertrifft. Jakobus bezeugt: „Das Wort, das in euch gepflanzt ist, hat Kraft, eure Seelen selig zu machen.“ Das ist eine gewaltige Heilkraft! Das Opfer unsers Herrn Jesus Christus am Kreuz ist die Quelle dieser Heilkraft. Ist das nicht wunderbar? Weil Gottes heiliges Evangelium seit der Taufe in unserem Lebens­garten ein­gepflanzt ist und dort wächst, werden unsere Seelen heil zur ewigen Seligkeit. Zusammen mit den Seelen aber heilt alles in unserem Leben. Weil die Seele auf die ewige Seligkeit hofft, braucht sie an zeitlichen Ängsten, Nöten und Schmerzen nicht zu ver­zweifeln. Weil uns ein voll­kommener Auf­erstehungs­leib verheißen ist, brauchen uns Krankheiten und die leibliche Vergänglich­keit nicht zu er­schrecken. Die Pflanze des göttlichen Wortes, die in unserm Lebens­garten ein­gepflanzt ist, macht nach und nach alles heil.

Wenn wir erkennen, dass diese Pflanze so einmalig heilsam ist, dann wird sie uns ganz wichtig sein. Dann werden wir uns um sie kümmern. Dann werden wir sie hüten wie einen Augapfel. Wie geschieht das? Durchs Hören! Die Pflanze von Gottes Wort in unserm Lebens­garten wächst und gedeiht, wenn wir immer wieder darauf hören, was Gott uns sagt. Und das heißt auch: Wenn wir uns darum bemühen, Gottes Wort immer besser zu verstehen. Und das heißt auch: Wenn wir das Evangelium nicht nur mit den Ohren hören, sondern mit den Herzen – wenn wir ihm also Glauben schenken. Und das heißt auch: Wenn wir das Wort sozusagen mit dem Mund „hören“, wenn wir es nämlich mit dem Mund in uns aufnehmen durch Christi Leib und Blut im Heiligen Abendmahl. Auch das Abendmahl wirkt ja in der Kraft des göttlichen Wortes: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut, für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden.“ Wir merken: Das Hören ist ganz wichtig. Es ist eigentlich das Wichtigste im Christen­leben, denn durch das Hören auf Gottes Wort kommt die ewige Seligkeit zu uns. Darum: „Nehmt das Wort an, das in euch gepflanzt ist und Kraft hat, eure Seelen selig zu machen.“

Es gibt nun allerlei Unkräuter, die die Pflanze des göttlichen Wortes in unserm Lebens­garten zu ersticken drohen. Vor einem dieser Unkräuter warnt Jakobus hier. Ich will es mal das Unkraut „Ich-weiß-alles-besser“ nennen. Jakobus schrieb an Christen, die viel über Gottes Wort disku­tierten. Sie ereiferten sich dabei und gerieten einander in die Haare. Dabei vergaßen sie, geduldig und demütig darauf zu achten, was Gottes Wort denn nun wirklich genau sagt, und darüber in Ruhe nach­zudenken. Schließlich ging es nur noch um persönliche Recht­haberei. Dieses Unkraut muss ausgejätet werden, weil es die Pflanze des Wortes gefährdet. Zu solchem Unkraut-Jäten mahnt Jakobus hier: „Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. Nehmt das Wort an mit Sanftmut.“

Vielleicht sind solche recht­haberischen Diskus­sionen für uns gar nicht das Problem. Unkraut jäten aber sollten wir in jedem Fall, wenn uns die Pflanze des Gottes­wortes wichtig ist. Wir sollten uns daher bewusst machen, was es noch für Unkräuter gibt. Jakobus mahnte: „Legt ab alle Un­sauber­keit und alle Bosheit.“ Da gibt es zum Beispiel das Unkraut „Ich-habe-genug-gelernt“. Mancher denkt, das Grundwissen aus dem Kon­firmanden­unterricht genügt, und will gar nicht mehr wissen. Aber Stillstand bedeutet hier Rück­schritt; wer nicht weiter auf Gottes Wort hört und darin forscht, bei dem droht der Glaube zu verkümmern. Im Bild: Wenn die Pflanze des Gottes­wortes nicht wachsen kann, muss sie sterben. Oder es gibt das Unkraut „Genaues-weiß-man-nicht“. Da werden scheinbare Wider­sprüche und dunkle Stellen in der Bibel zum Anlass genommen, die Heilige Schrift für unklar und mehrdeutig zu halten und dann nur noch das zu glauben, was einem selbst gerade gut dünkt. Auch dieses Unkraut sollte durch fleißiges Hören und Lernen ausgejätet werden. Oder es gibt das Unkraut „Ich-habe-zu-viel-zu-tun“. Manche Christen meinen, das Bibel­studium sei nur Sache der Pastoren und Theologen, denn das sei ja ihr Beruf. Unser Beruf ist es, Gottes Wort zu lehren und öffentlich zu ver­kündigen; aber Gottes Wort zu hören und zu lernen ist der Beruf aller Christen, denn Gott hat es uns ja allen mit der Taufe in den Lebens­garten ein­gepflanzt. Bei manchen wächst das Unkraut „Ich-bin-zu-dumm-dazu“, aber auch dieses Unkraut lässt sich ausjäten: Gott selbst will dich lehren, recht zu hören. Er hat ver­sprochen, es durch seinen Heiligen Geist zu tun. Glaube und rechtes Hören ist keine Sache der Intelli­genz, sondern im Gegenteil: Es ist eine Sache des demütigen, einfältigen Herzens.

Kommen wir nun vom Hören zum Handeln und vom Bild der Pflanze zum Bild des Spiegels. „Seid Täter Worts und nicht Hörer allein, sonst betrügt ihr euch selbst“, schrieb Jakobus. Und dann führte er den Vergleich mit dem Spiegel ein: „Wenn jemand ein Hörer des Worts ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Mann, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut; denn nachdem er sich beschaut hat, geht er davon und vergisst von Stunde an, wie er aussah.“

Was sehen wir denn im Spiegel des Gottes­wortes? Wir sehen zuerst einen zerlumpten, herunter­gekommenen Gesellen. Das sind wir mit unserer Sünde, die wir ohne diesen Spiegel nicht wahrhaben. Wir erschrecken über unser Spiegel­bild. Aber dann sehen wir in demselben Spiegel des Gottes­wortes, wie Jesus Christus von hinten an uns herantritt und uns die Kleider des Heils und den Mantel seiner Gerechtig­keit anlegt: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Nun sehen wir ordentlich und stattlich aus – wie Menschen, die Gott unter die Augen treten dürfen, festlich gekleidet für das ewige Hochzeits­mahl im Himmel.

Wären wir nun vergess­liche Hörer, dann würden wir uns zwar im Gottes­dienst und beim Bibellesen an unseren neuen Kleidern freuen, aber im Alltag, wenn wir gerade nicht in den Spiegel sehen, würden wir nicht mehr daran denken und so weiter­leben, als trügen wir noch die alten schmutzigen Lumpen. Unser Handeln wäre von der Sünde geprägt, und nicht von der Erlösung, die Jesus uns geschenkt hat. So soll es nicht sein, sagt Jakobus. Die ewige Seligkeit empfangen wir zwar allein durchs Hören und durch den Glauben, aber unser Handeln soll damit im Einklang stehen. Wenn Jesus uns den Mantel seiner Gerechtig­keit vergebend umgelegt hat, dann sollen auch wir freudig all unsern Schuldigern vergeben. Wenn Jesus uns in unserer Armut mit seinem Reichtum beschenkt hat, dann sollen auch wir mit unserm Reichtum die Armen beschenken. Und wenn wir dazu Möglich­keiten sehen in ge­sellschaft­lichem oder politischem Engagement, dann sollen wir sie nutzen. Wenn wir Menschen traurig und verzagt sehen, sollen wir sie trösten und ihnen zu neuer Freude verhelfen, genau wie Jesus es in unserer Not getan hat. Ja, das bedeutet es, Täter des Worts zu sein und das Spiegelbild nicht zu vergessen: Wenn wir einander lieben, weil und wie Jesus uns zuerst geliebt hat.

Solche guten Werke sollten wir nicht gering schätzen, nur weil wir uns mit ihnen nicht die Seligkeit verdienen können. Die Recht­fertigungs­lehre des lutheri­schen Bekennt­nisses wäre falsch verstanden, wenn wir gute Werke für etwas Anrüchiges und Selbst­gerechtes hielten. Im Augsburger Bekenntnis, Artikel 20, heißt es klipp und klar: „Es wird gelehrt, dass gute Werke getan werden sollen und müssen, aber nicht so, dass man darauf vertraut, durch sie Gnade zu verdienen, sondern dass man sie um Gottes willen und zu Gottes Lob tut.“ Solche guten Werke haben dann auch ihre Seligkeit, wie Jakobus schreibt: „Wer durchschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit – gemeint ist die Liebe Christi – und dabei beharrt und ist nicht ein vergess­licher Hörer, sondern ein Täter, der wird selig sein in seiner Tat.“ Gemeint ist hier freilich nicht die ewige Seligkeit – die kommt allein durch das Hören und den Glauben – ‚ sondern eine zeitliche Seligkeit. Im griechi­schen Text steht hier ein ganz anderes Wort als für die ewige Seligkeit. Aber diese zeitliche Seligkeit, die bringen gute Werke und christ­liches Handeln mit sich. Wer gute Werke tut, macht sich und andern damit eine Freude und lobt Gott. Darum: Hörer des Worts sein ist gut und wichtig – es ist überhaupt das Wichtigste in der Welt, denn daran hängt die ewige Seligkeit. Nur Hörer sein aber ist Selbst­betrug, denn wer nur christlich hört und nicht christlich handelt, der beweist damit, dass er das Gehörte schon wieder vergessen hat. Darum: „Seid Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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