Erinnerungen an Jesus

Predigt über Lukas 24,1‑9 zum Ostersonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Erinne­rungen pflegen wir gern: Je älter wir werden, desto wichtiger werden sie uns. Vor allem denken wir an Menschen zurück, die nicht mehr unter uns sind. Von unserem Küchen­fenster aus können meine Frau und ich ein Stück Friedhof sehen, und da beobachten wir oft, wie viele Menschen mit Liebe und Mühe die Gräber ihrer Angehörigen pflegen. Das ist ja gewisser­maßen eine Erinnerungs­arbeit: Wenn man nichts tun würde, wäre das Grab irgendwann verwildert und der Grabstein zu­gewuchert. Auch mit Fotos und Gegen­ständen pflegen wir die Erinnerung an liebe Ver­storbene.

Die Frauen aus Galiläa, die mit Jesus zusammen­gewesen waren, begannen ebenfalls gleich nach seinem Tode mit der Erinnerungs­arbeit. Am Karfreitag waren sie dabei gewesen, als man Jesus in die Grabeshöhle gelegt hatte. (Übrigens bedeutet das griechische Wort für Grab, das wir im Neuen Testament finden, „Er­innerungs­mal“ oder „Gedächtnis­stätte“.) Allerdings hatten die Frauen am Freitag keine Zeit mehr gehabt, Jesu Leichnam so ein­zubalsamie­ren, wie es damals üblich war; sie konnten gerade noch einige Salben und Öle für diesen Zweck vor­bereiten. Am nächsten Tag, am Sabbat, hielten sie die Feiertags­ruhe ein, die Gottes Gesetz gebot. Schwer genug wird es ihnen gefallen sein, denn sie wollten doch so gern den letzten Dienst an Jesu Leib tun; und Leichen verwesen schnell im Klima des Heiligen Landes. Deshalb standen sie am ersten Tag der neuen Woche sehr früh auf, noch vor Sonnen­aufgang, und eilten mit ihren Salben und Ölen zur Grabes­stätte, um die Ein­balsamie­rung endlich vorzu nehmen.

Da erleben sie das, womit sie überhaupt nicht gerechnet haben, was sie total durch­einander­bringt und erschreckt: Der Verschluss­stein der Grabeshöhle ist weggerollt und der Leichnam Jesu ist ver­schwunden. Stattdessen stehen da zwei Männer in der Gruft mit hell glänzenden Kleidern – so hell, dass die Frauen geblendet ihr Gesicht zu Boden neigen müssen. Sie merken sofort: Das sind keine Menschen wie du und ich, das sind Engel. Ein großer Schreck überfällt sie.

Und dann kommt das Wichtigste in diesem Bericht, nämlich die Botschaft der Engel: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auf­erstanden.“ Das ist die Erklärung für den weg­gewälzten Stein und für das leere Grab: Jesus ist nicht mehr unter den Toten, sondern er lebt, wird ewig leben, ist Sieger über Hölle, Tod und Teufel!

Eigentlich hätten die Frauen gar nicht überrascht zu sein brauchen, eigentlich hätten sie das von vornherein wissen müssen. Sie hätten in ihrer Erinnerungs­arbeit nur an das Richtige zu denken brauchen, nämlich an das, was Jesus schon immer gesagt hatte. Nun helfen ihnen die Engel bei diesem Stück Erinnerungs­arbeit. Sie sagen: „Gedenkt daran, wie er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschen­sohn muss über­antwortet werden in die Hände der Sünder und gekreuzigt werden und am dritten Tage auf­erstehen.“ Da fällt es den Frauen wieder ein: Ja, natürlich, Jesus hat ja mehrmals davon gesprochen! Genauso hat er es ihnen und allen Jüngern gesagt. Und er hat es obendrein noch mit ver­schiedenen Vergleichen angedeutet. Vom Zeichen des Jona hat er gesprochen: Wie Jona drei Tage im Bauch des Fisches war, so muss der Menschen­sohn drei Tage im Schoß der Erde sein. Er hat vom Tempel seines Leibes prophezeit: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn wieder aufrichten. Ja, jetzt fällt den Frauen dies alles wieder ein. „Sie gedachten an seine Worte“, heißt es im Bibeltext. Und dann gehen sie los und verkündigen die frohe Botschaft den Jüngern.

Wie erinnern wir uns eigentlich an Jesus? Woran denken wir, wenn wir seinen Namen hören? Denken wir daran, dass er ein guter Mensch war, ein Vorbild der Liebe? Schätzen wir ihn für seine machtvolle Ver­kündigung, für seine Predigten vom Reich Gottes? Das ist alles gut und richtig. Aber wenn wir nur so an Jesus denken, dann sind wir nicht weiter als die Frauen vor Ostern, dann pflegen wir nämlich nur die Erinnerung an Ver­gangenes, an einen lange Ver­storbenen, der zudem in unsere heutige Zeit gar nicht so recht passen will. Dann wäre jedes Kirch­gebäude letztlich nur ein „Grab“ im biblischen Sinn: ein Erinnerungs­mal, eine Gedenk­stätte. Dann wäre unser kirchliches Leben nur eine Erinnerungs­pflege, die sich bemüht, den Leichnam Jesu vor dem Verwesen zu retten und seine Ruhestätte vor dem Verwildern zu bewahren.

Nun aber hilft uns Gott dabei, dass wir uns an das Richtige erinnern – so wie er den Frauen damals durch die beiden Engel half. Er ruft auch uns heute durch sein Wort zu: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auf­erstanden.“ Ja, das ist auch für uns das Wichtigste: Jesus ist auf­erstanden, Jesus lebt! „Auf­erstanden“ ist das wichtigste Wort in diesem Bericht und in der ganzen Bibel, denn das Wort „auf­erstanden“ ist Gottes heiliges Siegel für alle Zusagen, die er mit seinem Sohn Jesus Christus verbunden hat. Mit dem Wort „auf­erstanden“ besiegelt Gott alles, was Jesus tat, lehrte und litt. „Auf­erstanden“, das bezeugt uns zugleich: Jesus ist nicht mehr tot, sondern er lebt – auch heute noch und in Ewigkeit. Wir brauchen in der Kirche nicht krampfhaft einen Jesuskult aufrecht zu erhalten oder uns um die Zukunft des Christen­tums zu sorgen. Es geht ja nicht um die Ein­balsamie­rung einer Leiche oder um die Pflege einer Grabstätte. Vielmehr ist der auf­erstandene, lebendige Herr Jesus Christus da; er ist hier mitten unter uns, bis an der Welt Ende, so hat er ver­sprochen. Und er ruft und erbaut noch heute seine Leute zu der einen, heiligen christ­lichen Kirche. Nein, wir brauchen uns um nichts anderes zu sorgen als darum, dass wir an ihm bleiben, dem lebendigen Herrn, dass wir ihm vertrauen, gehorchen und nachfolgen; dann kann überhaupt nichts schief­gehen.

Lassen wir uns doch wie die Frauen damals daran erinnern, dass Jesus auf­erstanden ist und lebt. Und nehmen wir dieses selige Wissen mit in unsern Alltag; machen wir Ernst damit. Wenn du bei deiner all­täglichen Arbeit bist, dann wächst sie dir vielleicht manchmal über den Kopf. So viele Aufgaben kommen auf dich zu, und du merkst, du hast nur eine kleine Kraft. Als Selbst­ständiger machst du dir vielleicht Sorgen, ob du wirtschaft­lich überleben kannst. Als An­gestellter sorgst du dich um deinen Arbeits­platz. Als Hausfrau kommst du unter allen An­forderungen und Aufregungen nicht zur Ruhe. Aber dann erinnere dich an Jesus! Denke daran: er ist auf­erstanden, er lebt! Stell dir vor, dass er neben dir steht und dich begleitet. Und wenn er da ist, dann ist doch alles gut, oder? Ruf dir die Oster­botschaft ins Gedächtnis, zum Beispiel mit einem Liedvers aus dem Gesangbuch: „Lebt Christus, was bin ich betrübt? / Ich weiß, dass er mich herzlich liebt. / Wenn mir gleich alle Welt stürb ab, / gnug, dass ich Christus bei mir hab.“

Oder wenn in deinem Leben wirklich einmal alles ganz anders gelaufen ist, als du dir das gedacht hast, oder wenn du merkst, du kriegst dein Leben nicht in den Griff, und wenn du letztlich keinen anderen dafür ver­antwortlich machen kannst als dich selbst, dann denke an Jesus, denk an ihn in der richtigen Weise. Du sagst, du taugst nichts, aber Jesus hat mit seinem Blut allen Schaden und alles Versagen wieder gut gemacht, und Gott hat mit der Auf­erstehung sein heiliges Siegel darunter gesetzt. Stell dir ruhig vor, dass Jesus neben dir steht, und denke daran, dass er dich nicht fallen lässt, auch wenn alle Welt dich fallen lassen sollte. „Lebt Christus, was bin ich betrübt? / Ich weiß, dass er mich herzlich liebt. / Wenn mir gleich alle Welt stürb ab, / gnug, dass ich Christus bei mir hab.“

Oder wenn dir Krankheiten und Schmerzen zu schaffen machen, dann denke an ihn. Es sind ja nicht nur die Schmerzen, die dich dann bedrücken, es ist ja oft vielmehr die Furcht: Was wird daraus werden; wird es Heilung geben? Und wenn du älter bist, dann fragst du dich bei solchen Gelegen­heiten: Sollte das meine Krankheit zum Tode sein? Ist meine Lebensuhr nun abgelaufen? Diese Frage kann dich quälten und drücken – so sehr, dass du meinst, du kannst es nicht ertragen. Aber dann denke daran, dass dein Herr unter den Lebenden ist und nicht unter den Toten. Halte dich fest am Wort „auf­erstanden“. Er ist auf­erstanden und lebt heute. Stell dir vor, er steht neben deinem Kranken­lager und geht mit dir in die Tiefe, geht mit dir sogar auf die letzte schwere Reise, wenn es denn soweit ist. Er geht mit und wird dich heraus­führen aus dem Tod, so wie er selbst nicht im Grab geblieben ist. „Lebt Christus, was bin ich betrübt? / Ich weiß, dass er mich herzlich liebt. / Wenn mir gleich alle Welt stürb ab, / gnug, dass ich Christus bei mir hab.“

Ja, an das Richtige sollen wir uns erinnern, wenn wir an Jesus denken: an seine Auf­erstehung und daran, dass er heute lebt und uns das ewige Leben schenkt. Aber es fällt uns schwer, auch im Alltag und in der Not immer daran zu denken und fest­zuhalten. Wir mögen viel gelernt haben aus dem Kat­echismus, aus dem Gesangbuch und aus der Bibel, und wir mögen noch viel davon wissen, aber dies eine lernt unser Herz so schwer: dass es wahr ist, dass Jesus lebt und dass uns deshalb absolut nichts schaden kann, weil er ja bei uns ist. Das vergessen wir in Not und Traurigkeit so leicht – wie die Frauen die Worte Jesu am Oster­morgen, bevor sie zum Grab gelangten.

Aber Gott hat den Frauen die Engel geschickt, die sie an das Wichtigste erinnerten. Und Gott schickt noch heute seine Boten zu demselben Zweck, auch wenn es keine Engel sind. Es sind die Apostel und Propheten, deren Worte wir in der Heiligen Schrift lesen können. Es sind auch die Prediger, die Verkündiger des Evan­geliums. Es sind die heiligen Sakramente, die Christus gestiftet hat. Die Taufe sagt: mit Christus begraben in den Tod, mit Christus auf­erstanden zu neuem Leben! Das Abendmahl verkündigt Gottes neuen Bund, Gottes neues Testament im Blute Jesu zur Vergebung der Sünden; es hat die Verheißung, dass wir es einst mit dem erhöhten Herrn zusammen in seines Vaters Reich feiern werden. Überhaupt, das ist unser Lebens­inhalt als christliche Gemeinde, dass wir nicht müde werden, uns einander zuzurufen: „Der Herr ist auf­erstanden, er ist wahrhaftig auf­erstanden, halleluja!“ Darum feiern wir Ostern – jedes Jahr, und eigentlich jeden Sonntag, am ersten Tag der Woche, an dem Tag also, als Jesus siegreich aus dem Grabe kam. Nun lebt er für immer, und wir mit ihm! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum