Berufen, belastet, bewahrt

Predigt über Jeremia 20,7‑13 zum Sonntag Okuli

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Leben des Propheten Jeremia kann man mit drei „b“ be­schreiben: berufen, belastet, bewahrt. Im Rückblick auf seine Berufung sagte Jeremia zu Gott: „Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen.“ Ja, genau so war es. Jeremia hatte sich nicht in das Propheten­amt gedrängt, im Gegenteil, er hatte sogar Einwände gehabt: „Ich tauge nicht zu predigen, ich bin zu jung.“ Aber Gott ließ diese Einwände nicht gelten, sondern teilte dem jungen Propheten mit: „Ich sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten“ (Jer. 1,5‑6). Ja, Jeremia ist von Gott regelrecht in dieses Amt gedrängt worden, und deshalb seufzte er: „Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen.“

Fünfzig Jahre lang hat Jeremia mit diesem Amt gelebt – und gelitten. Ja, das Propheten­amt war eine schwere Last für ihn. Das hing mit der Botschaft zusammen, die er zu verkündigen hatte, und mit der Zeit, in der er lebte. Jeremia musste dem Volk Juda seine Schlechtig­keit vorhalten und Gottes Zorngericht ankündigen. Er redete von der Zerstörung Jerusalems und von der Ver­schleppung der Einwohner. So eine schlimme Botschaft zu sagen ist ja schon an sich eine Last, und Jeremia klagte deshalb: „Sooft ich rede, muss ich schreien; ‚Frevel und Gewalt!‘ muss ich rufen.“ Es kommt erschwerend hinzu, dass er wegen dieser Ver­kündigung oft angegriffen wurde. Die Könige Judas waren ihm teilweise feindlich gesinnt und verfolgten ihn; die Mitbürger spotteten über diesen Unheils­propheten. Sie glaubten ja lieber den falschen Propheten, die den Leuten ein gutes Gewissen machten, die nicht so viel von Buße redeten, die Frieden und Heil ver­kündigten. Selbst die engsten Freunde und Angehörigen Jeremias schüttelten verständnis­los den Kopf. Auch die Einsamkeit gehörte für Jeremia zur Last des Propheten­amtes. Er lebte unter dieser Last den größten Teil seines Lebens – wie gesagt, etwa fünfzig Jahre lang. Am Ende erlebte er, wie seine Prophe­zeiungen wahr wurden. Jeremia starb wahr­scheinlich im Ausland, nämlich in Ägypten, den Märtyrer­tod.

Wenn wir sagen, dass Jeremia nicht nur berufen und belastet, sondern auch von Gott bewahrt worden ist, dann können wir das gar nicht unmittelbar an seinem Lebensweg ablesen. Von Gott bewahrt zu werden bedeutet ja auch nicht unbedingt, immer Glück zu haben, das merken wir an vielen biblischen Berichten. Aber Gott bewahrte Jeremia davor, seinem Auftrag untreu zu werden und abzufallen. Die Versuchung dazu kannte Jeremia wohl, aber Gott rief ihn durch sein Gewissen immer wieder zurück. Jeremia sagte darüber: „Ich dachte: Ich will nicht an den Herrn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.“ Außerdem gab Gott Jeremia die Gewissheit, dass er ihm am Ende gegenüber allen Feinden Recht schaffen wird. Und schließlich schenkte Gott dem Jeremia trotz allem ein fröhliches Herz, das Gott loben konnte. Jeremia hielt im Glauben daran fest, dass Gott auch den geringsten Menschen retten und selig machen wird, der ihm vertraut. So wird aus der Klage Jeremias am Ende ein Jubel: „Singet dem Herrn, rühmet den Herrn, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften errettet!“

Liebe Gemeinde, erlaubt mir, dass ich an dieser Stelle einmal über mich selbst rede. Weil auch ich gerufen bin, Gottes Wort zu ver­kündigen, kann ich mich in gewisser Hinsicht mit Jeremia ver­gleichen. Und da sage ich zunächst spontan: Ich bin froh, dass ich nicht in Jeremias Haut stecke. Ich brauche nicht um Leib und Leben zu fürchten. Mich treffen nicht der Spott und die Anfeindung der Mit­menschen, zumindest merke ich nichts davon. Ich bin auch nicht einsam wie Jeremia, sondern ich weiß, dass unter meinen Verwandten und Bekannten, auch unter den Brüdern und Schwestern in Kirche und Gemeinde viele Verständnis für mein Amt haben und es in der Fürbitte mittragen. Ich bekomme ein festes Gehalt und brauche mir um materielle Dinge keine Sorgen zu machen; es geht mir gut. Vor allem aber habe ich nicht so eine Schreckens­botschaft zu verkündigen wie Jeremia. Mir hat Gott vor allem auf­getragen, das liebe Evangelium zu predigen, das allen Menschen Vergebung der Sünden, Heil und ewiges Leben anbietet.

Trotzdem kann ich Jeremia gut verstehen und auch manche Gemeinsam­keit mit ihm entdecken. Auch ich kann von mir sagen, dass ich berufen, belastet und bewahrt bin. Ich bin von Gott ausersehen worden, ein Hirte seiner Gemeinde zu werden; ich bin von anderen Berufs­wünschen heraus­gerufen worden in dieses Amt. Ich hatte damals meine Bedenken und Einwände, wusste aber zugleich: Wenn Gott ruft, dann muss man um jeden Preis gehorchen.

So schön und be­friedigend die Aufgabe eines Pastors ist – sie bringt auch ihre Lasten mit sich. Gottes Botschaft ist zwar heute eine Heils­botschaft, aber wenn man das Licht richtig verkündigen will, dann muss man auch von den Schatten reden. Wenn man die Rettung und das ewige Leben in Christus verkündigt, dann muss auch gesagt werden, dass ein Leben ohne Glauben misslingt und in der ewigen Verdammnis endet. Wo das Evanglium recht verkündigt wird, da muss auch über Sünde, Tod und Buße geredet werden. Und dann erfährt man es als Belastung, wenn den Worten nicht geglaubt wird. Wenn Menschen den Ruf zur Umkehr und zum Glauben nicht ernst nehmen. Wenn sie darüber spotten oder ärgerlich sind. Wenn sie lieber auf die falschen Propheten hören, die mensch­lichen Trost für Gottes Wort ausgeben und sagen: Wir wollen doch positiv ver­kündigen, seel­sorger­lich handeln, und den Leuten nicht mit Hölle und Teufel drohen. Ich empfinde es als Last, wenn man mir hin und wieder zu verstehen gibt, ich solle doch nicht immer gleich mit Gottes Wort kommen, sondern vielmehr ein ganz normaler netter Kumpel sein. An­feindungen wie Jeremia habe ich nicht zu ertragen, aber ich spüre den einen Feind am Werk, den Satan: in der Welt, in der Kirche und in meinem eigenen Herzen. Ja, das Amt eines Gottesboten hat auch heute noch seine Be­lastungen.

Aber das Wort Gottes drängt heraus, ich kann und will es nicht ver­schließen. Ich weiß: Vor Menschen brauche ich meine Ver­kündigung letztlich nicht zu recht­fertigen, sondern ich soll so reden, wie ich es einst vor Gottes Richter­stuhl ver­antworten kann – so habe ich es ja bei der meiner Einführung in diese Gemeinde ver­sprochen. Und wenn ich allein diesem Auftrag treu bleibe, dann wird Gott alles recht machen, auch wenn das Lasten mit sich bringt. Das Schönste aber ist, dass ich selbst durch das Blut Jesu bewahrt werde vor Gottes Zorn und Strafe. Denn mein Gewissen sagt mir immer wieder: Du hast nicht so gelebt und dein Amt nicht so geübt, dass du es vor Gottes Angesicht ver­antworten kannst. Aber Gott vergibt mir immer wieder, und so bewahrt er meine Seele zum ewigen Leben. Ja, auch ich bin nicht nur berufen und belastet, sondern auch bewahrt.

Ich habe jetzt ein wenig von mir und meinem Amt geredet. Es ist gut, wenn ihr einmal ein wenig davon mitbekommt. Zugleich aber könnt ihr diese Gedanken auch auf euch selbst übertragen, denn dieser Abschnitt aus dem Buch Jeremia ist nicht nur etwas für Propheten und Pastoren. Seine Botschaft gilt für alle Christen – für alle, die als Jünger in der Nachfolge des Herrn stehen. Letztlich bin ich selbst auch nichts anderes als ein Jünger des Herrn – also einer, der versucht, seine Lebens­aufgabe von Gott gehorsam anzunehmen. So soll es bei jedem Christen sein. Auch ihr werdet dabei merken, dass ihr berufen, belastet und bewahrt seid.

Ihr seid berufen durch die heilige Taufe. Gott hat sich da euer bemächtigt, ob ihr wolltet oder nicht. Ihr empfindet diese Berufung vielleicht manchmal als Last. Vielleicht würdet ihr sonntags morgens viel lieber ausschlafen als in die Kirche gehen. Vielleicht beneidet ihr heimlich diejenigen, die nicht so ein enges Gewissen haben, sondern die sich fröhlich und selbst­bewusst über manches göttliche Gebot hinweg­setzen. Damit scheinen sie sogar oft besser zu fahren, wie es in einem Schlager heißt, den ich neulich im Radio hörte: „Die Sünder sind besser dran.“ Vielleicht seid ihr mit eurem Glaubens­zeugnis auch schon auf Un­verständnis gestoßen. Vielleicht leidet ihr darunter, dass man euch für weltfremd oder fromm hält. Vielleicht bedauert ihr es, dass ihr aus Gewissens­gründen bei manchem nicht mitmachen könnt, wozu man euch einlädt. Vielleicht quält es euch, dass ihr als Christen nicht viel fröhlicher und sorgloser leben könnt als andere Menschen, was durch das Evangelium doch eigentlich möglich sein sollte. Vielleicht habt ihr den Eindruck, dass ihr mehr Lasten aufgelegt bekommt und euch mehr Sorgen macht als andere. Denken wir doch nur an die Sorge um das Seelenheil anderer Menschen, wie quälend die werden kann! Wer nicht glaubt, hat diese Sorge nicht und braucht sich nicht um die Irrwege anderer zu kümmern.

Wenn ihr die Berufung eurer Taufe und eures Christseins als Last empfindet, dann denkt daran, dass Gott euch auch bewahrt. „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ – dieses Gotteswort bleibt bestehen (Jes. 43,1). Die ewige Erlösung, die Jesus am Kreuz für uns erworben hat, kann uns niemand rauben. Gott bewahrt uns in Ewigkeit – das können und sollen wir von Gott erwarten und erhoffen, nicht ein angenehmeres und sorgloseres Leben als andere; ein solches Leben hat Gott auch dem berühmten Propheten Jeremia nicht gegeben; sogar Gottes eigener Sohn hat die Last einer Berufung auf sich genommen – die schwerste Last, die je einer getragen hat. Gott bewahrt unsere Seele in Ewigkeit. Da wird es offenbar werden, dass er uns Recht schaffen wird. Da wird er dann Vergeltung üben an Satan und allen, die ihm anhängen. Gebe Gott, dass sein Wort weiter in uns brennt und dass wir wie Jeremia nicht davon lassen können, gemäß unserer Berufung zu leben und Zeugen zu sein für sein großes Tun an den Menschen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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