Berufen – gesandt – bewahrt

Predigt über Jesaja 49,1‑3 zum 17. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Dieser Abschnitt Heiliger Schrift ist der Anfang eines der bekannten Knecht-Gottes-Lieder im Buch des Propheten Jesaja. Die erste und wichtigste Frage, die sich bei diesen Texten stellt, lautet: Wer ist denn der Knecht Gottes? Oder bezogen auf unseren Abschnitt: Wer redet denn hier als Knecht Gottes? Schaut man sich den dritten Vers an, dann lässt sich die Frage scheinbar schnell klären. Dort heißt es: „Er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich ver­herrlichen will.“ Aha, also ist wohl das Volk Israel der Knecht! Aber leider ist hier die deutsche Übersetzung in der revidierten Lutherbibel irre­führend. Wenn man genau übersetzt, muss es nämlich heißen: „Du bist mein Knecht. Israel ist es, durch den ich mich ver­herrlichen will.“ Aus den weiteren Versen geht dann hervor, dass der Knecht Gottes an Israel handeln soll. Da heißt es in Vers 5: „Nun spricht der Herr, dass ich Jakob zu ihm zurück­bringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde.“ Wer aber ist dann der Knecht Gottes? Ist es der Prophet Jesaja selbst? Dafür spräche, dass hier der Knecht selbst redet. Aber wenn man alle Knecht-Gottes-Lieder sorgfältig studiert und außerdem berück­sichtigt, wie sie im Neuen Testament zitiert werden, dann gelangt man zwangs­läufig zu einer anderen Antwort: Der Knecht Gottes ist niemand anders als Gottes Sohn Jesus Christus.

Lasst uns mit dieser Erkenntnis die drei Verse nun genau anschauen. Wir können ihre Aussage zusammen­fassen unter den drei Stich­worten: berufen – gesandt – bewahrt.

Der Sohn Gottes ist vom Vater berufen worden, um die verlorene Menschheit für die Gemein­schaft mit dem All­mächtigen zurück­zugewinnen. Dazu ließ der himmlische Vater seinen Sohn Mensch werden. Als er noch im Leib von Maria war, wurde bereits deutlich, dass Gott ihn zu einem gewaltigen Erlösungs­werk erwählt hatte: Er wurde durch den Heiligen Geist von einer Jungfrau gezeugt, ohne Zutun eines Mannes. Ein Engel trug Maria auf: „Du sollst ihm den Namen Jesus geben“ – das heißt zu deutsch „Retter“. Genau das hat Christus bereits Jahr­hunderte vorher geweissagt durch den Mund des Propheten Jesaja; wir lesen es hier in unserem Knecht-Gottes Lied: „Der Herr hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.“ Durch dieses Berufen wird deutlich, dass Christus nicht eigen­mächtig sein Erlösungs­werk getan hat, sondern dass er von Anfang an ganz abhängig vom Vater war. Er hat sich als Knecht, als Sklave, als Werkzeug gebrauchen lassen von Mutterleib an. Gott der Vater handelte durch Christus, und an Christus können wir erkennen, wie gut der Vater es mit uns meint.

Der Sohn Gottes ist zweitens vom Vater gesandt. Mit der Berufung als sein Knecht hat er einen bestimmten Auftrag erhalten, nämlich den Auftrag, Erlösung zu bringen. Diese Erlösung beschränkt sich nicht auf das Volk Israel, sondern sie gilt allen Völkern der Erde. Und diese Erlösung ist von Christus nicht nur bewirkt, sondern auch verkündigt worden. Das ist in unserem Abschnitt aus dem Jesaja-Buch ebenfalls geweissagt, nämlich mit den ein­leitenden Worten: „Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merket auf!“ Ja, auch die fremden Völker geht es etwas an, was Gott zu sagen hat. Das sind wir, liebe Gemeinde, denn wir sind die „Völker in der Ferne“ – aus der Perspektive des Volkes Israel. Wir sollen gut zuhören, was Gott durch seinen Knecht Jesus Christus sagt, verkündigt, verheißt. Was ist das für eine Botschaft? Merkwürdig, aber hier ist die Botschaft wie ein Kampf dar­gestellt: „Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht… Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht“, sagt der Knecht Gottes. Die Erlösung, die Christus in die Welt brachte und allen Menschen ver­kündigte, bringt in der Tat Kampf. Dem Teufel, dem Tod und der Hölle wird der Kampf angesagt durch die frohe Botschaft von der Sünden­vergebung. Und diese Botschaft rüttelt auch uns selbst auf. Sie lässt uns nicht im Schlaf der Sicherheit, sondern ruft uns zur Buße, zur Umkehr, zum Neubeginn, zum Kampf gegen den alten Trott eines unerlösten Lebens.

Der Sohn Gottes wurde aber auch drittens vom Vater bewahrt. An ver­schiedenen Stellen in den Evangelien heißt es, dass die Engel zu ihm traten, ihm dienten und ihn stärkten. In der bitteren Todesstunde freilich musste Jesus um unserer Sünde willen empfinden, was es heißt, von Gott verlassen zu sein. Aber danach hat ihn der Vater wieder erhöht mit Auf­erstehung und Himmel­fahrt, hat ihm den Platz zu seiner Rechten gegeben und hat ihm alle „Gewalt“, alle Vollmacht im Himmel und auf Erden übertragen. So sorgte der Vater für seinen Sohn, den er als Knecht in die Welt gesandt hatte. So bewahrte er ihn davor, der Nacht der Finsternis zu erliegen, und hob ihn hoch zu Ehren. Auch diese Bewahrung ist in unserer Jesaja-Weissagung ausgedrückt: „Mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt“, heißt es, und: „Er hat mich in seinem Köcher verwahrt“.

Jesus Christus, der Knecht Gottes, vom Vater berufen, gesandt und bewahrt – das ist die Aussage dieser drei Verse. Bleibt die Frage: Was sagt dieser Abschnitt uns, der christ­lichen Gemeinde?

Zunächst lässt uns dieses Wort jubeln und Gott fröhlich loben. Der Vater hat ja seinen Knecht uns zugut berufen, gesandt und bewahrt; wir dürfen unter seiner Herrschaft fröhlich leben in Ewigkeit. Wie gesagt: wir sind die „Inseln“ und die „Völker in der Ferne“, die bei dieser guten Nachricht aufmerken dürfen. Auch können wir Gott nicht genug dafür loben und preisen, dass Christi Weg und Werk schon Jahr­hunderte vorher so deutlich verkündigt und vorgezeichnet worden ist, denn das stärkt in uns in der Gewissheit: Hier hat wirklich Gott gehandelt, und Gott steht zu seinem Wort; er bleibt seinen Ver­heißungen treu durch all die Jahr­hunderte. Dann aber sollen wir auch bedenken, dass wir „in Christus hinein­getauft“ sind, wie die Bibel sagt. Wir gehören zu Christus, sind seine Brüder geworden und Gottes Kinder – Gottes­söhne, versöhnt mit Gott. Wir folgen Christus nach auf dem Weg, den er voraus­gegangen ist. Wir sind Glieder an seinem Leib. Und insofern haben wir auch Anteil an dem, was Gott an ihm getan hat. Bezogen auf unser Bibelwort heißt das: Auch wir sind berufen, gesandt und bewahrt vom himmlischen Vater.

Wir sind berufen von Mutterleib an. Gott weiß schon von Ewigkeit her, dass er uns zu seinen Kindern machen will. In der Taufe ist er unserem Wollen und Denken zuvor­gekommen und hat seine ewige Berufung öffentlich besiegelt. Also: Nicht wir haben Gott erwählt, nicht wir haben uns für Christus ent­schieden, nicht wir haben es für gut befunden, zu glauben und christlich zu leben, sondern Gott hatte das erste Wort über uns und hat uns berufen. Alles, was wir tun, ist lediglich Antwort auf Gottes Ruf, und selbst diese Antwort kommt nicht aus uns selbst heraus, sondern geschieht kraft des Heiligen Geistes. Wir können uns unseres Glaubens nicht rühmen. Wir sollten auch nicht fragen: Warum glaube ich, und andere nicht? Was ist mit denen, die nicht getauft werden? Die vor Christus lebten? Die von Christus nie gehört haben? Gottes Wort gibt uns keine Antworten, und so müssen sie uns wohl verborgen bleiben. Gottes Wort ist ja kein Lösungsbuch für die Rätsel dieser Welt, sondern ein Zuspruch, der dich und mich direkt anredet: „Ich habe dich berufen von Mutterleibe an!“ Wir sollten nicht fragen: Warum hast du denn gerade mich berufen und andere scheinbar nicht? Wir sollten lieber fragen: Wozu hast du mich berufen, was soll ich denn nun tun?

Die Antwort darauf gibt das zweite Stichwort: Wir sind gesandt. Wie Christus sollen wir Gottes Knechte, Gottes Sklaven, Gottes Werkzeuge sein. Das ist unser Lebenssinn, und damit können wir Gott ver­herrlichen. Wir sind das neue Bundesvolk, durch das Gott sich ver­herrlichen will. Dies Wort gilt auch von uns, dem neuen Volk Gottes: „Israel ist es, durch den ich mich ver­herrlichen will.“ Das geschieht, indem Gottes Wort in unserem Leben groß wird. Auch wir sollen Schwert und Pfeil sein, bereit zum rechten Kampf des Glaubens in dieser Welt. Wir sind nicht in der Welt, um es uns hier gemütlich zu machen in Bequem­lichkeit und Wohlstand, sondern wir sind in die Nachfolge Jesu gerufen, und das heißt auch: in den Kampf – mit den Waffen des göttlichen Wortes. Wir sollen bei uns selbst anfangen, sollen gegen das träge Fleisch kämpfen, das immer nur den Weg des geringsten Widerstands gehen möchte. Wie gefährlich ist das! Wieviele sagen heute: Ich tue nur, wozu ich Lust habe! Lobpreis, Gebet, Gottes­dienst und Mitarbeit im Reich Gottes tue ich nur, wenn ich das Bedürfnis danach habe. Ja, liebe Gemeinde, der Teufel wird schon dafür sorgen, dass du dann recht wenig Bedürfnis hast. Darum gilt es zu kämpfen und am Wort Gottes gegen alle inneren und äußeren Widerstände fest­zuhalten. Auch gilt es, mit Wort und Tat den Mitmenschen gegenüber Zeuge zu sein von Gottes guter Nachricht in Jesus Christus. In diesem Bereich können wir ebensowenig mit ungeteilter Zustimmung rechnen. Auch hier sind wir zum Kampf aufgerufen, zum mutigen Zeugnis des Glaubens, auch wenn Un­verständ­nis, Spott, Verachtung oder Ärgernis spürbar werden. Der letzte Kampf, den wir zu bestehen haben, wird der Todeskampf sein. Da muss sich Gottes Wort und Verheißung stärker erweisen als die Macht des Todes, die dann so groß und dunkel vor Augen tritt.

Wenn auch der Kampf als Knecht Gottes unangenehm sein kann, gibt es doch nichts Schöneres in der Welt, als ein Knecht Gottes zu sein beziehungs­weise zu dem Gottes­knecht Christus zu gehören. Denn Gott will uns ja drittens bewahren. Er hat ver­sprochen: Wer an Christus bleibt, geht niemals verloren, und der Sieg ist ihm gewiss. Wie Jesus überwunden hat, können und werden auch wir überwinden – kraft seines Opfers am Kreuz. Der Vater bewahrt uns, seine Knechte, und sorgt dafür, dass keine Last größer wird, als dass wir sie tragen können. Er gibt uns auch in den dunklen Stunden des Kampfes Ruhe und Erquickung durch sein Wort, seine tröstlichen Ver­heißungen und Zusagen. Auch dieses drei Verse dürfen wir so verstehen.

Ja, freut euch, liebe Christen, liebe Knechte des Herrn, liebe Nachfolger des einen Gottes­knechts: Der Allmächtige ist mit euch! Er hat euch berufen, hat euch gesandt und wird euch bewahren. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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