Prüfe mich, Gott, und erfahre mein Herz

Predigt über 1. Mose 4,1‑16 zum 13. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Kain und Abel – auf den ersten Blick eine altbekannte Geschichte, auf den zweiten Blick eine merkwürdig dunkle Geschichte, auf den dritten Blick eine Geschichte mit klarer Aussage: Auf das Herz des Menschen kommt es an! Gott prüft mit dieser Geschichte unsere Herzen, ob wir es gut oder böse meinen. So stelle ich diese Predigt unter das Psalmwort, das in unseren Beicht­gottes­diensten seinen Platz hat: „Prüfe mich, Gott, und erfahre mein Herz“ (Psalm 139,23).

Adam und Eva waren um ihrer Sünde willen aus dem Paradies vertrieben worden. Trotzdem blieb Gott seinem Schöpfungssegen treu, den er über sie gesprochen hatte: „Seid fruchtbar und mehret euch“ (1. Mose 1,28). Adam und Eva bekamen Kinder: den Kain, den Abel und dazu noch Töchter, von denen erst im nächsten Kapitel der Bibel die Rede ist. Die Kinder wurden erwachsen. Kain und Abel teilten sich die land­wirtschaft­liche Arbeit: Kain bestellte den Acker, Abel kümmerte sich um das Vieh. Wir müssen auch annehmen, dass beide sich aus ihren Schwestern Frauen wählten und Kinder hatten. Dann passierte die Sache mit dem Opfer. Kain nahm etwas von seiner Ernte und legte es für Gott auf einen Altar. Abel wählte aus seiner Herde Opfertiere aus – die besten erst­geborenen Tiere. In der Bibel steht: „das Fett“; das ist im über­tragenen Sinn zu verstehen; wir würden heute sagen: die Sahne­stücke. Auch Abel legt seine Gaben auf einen Altar. Und dann heißt es: „Der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.“ Wie Gott das den beiden zeigte, steht nicht da, wir können da nur raten. Luther meinte in seiner Auslegung, Gott zündete Abels Opfer mit Feuer vom Himmel an, wie das in alter Zeit öfter geschah, aber Kains Opfer zündete er nicht an. Wie dem auch sei, jedenfalls ließ er den Abel wissen, dass er sein Opfer annahm, Kains aber nicht. Warum tat Gott das? Weil Abel sein Opfer mit gläubigem Herzen darbrachte, Kain aber nicht. Im Hebräer­brief lesen wir: „Durch den Glauben hat Abel Gott ein besseres Opfer dargebracht als Kain“ (Hebr. 11,4). Abel wollte Gott wirklich eine Freude machen und ihm für alles danken. Auch hoffte er, dass Gott ihm trotz mancher Sünde gnädig ist. Kain dagegen hatte kein reines Herz bei seinem Opfer. Luther meinte, Kain war nicht demütig und pochte stolz auf seinen Vorzug als Erst­geborener; vielleicht sah er auf seinen Bruder gering­schätzig herab. Auch ist es bemerkens­wert, dass Kain irgend­welche Feldfrüchte darbrachte, während Abel mit Liebe das Allerbeste für Gott heraus­gesucht hatte. Jedenfalls sah Gott Kains Opfer nicht gnädig an um dessen unreinen Herzens willen.

Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir opfern, dann lasst uns mit gläubigen Herzen opfern! Was haben wir denn zu opfern? Zum Beispiel Zeit und Geld. Lasst uns Zeit für Gott opfern, damit wir ihn ausführlich loben. Lasst uns Zeit opfern für Gottes Wort, damit Gott uns den Glauben an seine Frohe Botschaft mehre. Wenn wir mit gläubigem Herzen Zeit opfern, dann werden wir die „Erstlinge“ unserer Zeit dem Herrn darbringen, das „Fett“: Wir werden jeden Tag mit einer Morgen­andacht beginnen und werden jede neue Woche mit dem Gottes­dienst in der Gemeinde anfangen. Wenn das Herz aber nicht rein ist, wenn sich da die Freuden und Sorgen der Welt breit machen und der Glaube in einen Winkel verbannt wird, dann werden wir nur irgendetwas von unserer Zeit bringen, ein paar Minuten kurz vor dem Einschlafen vielleicht, oder ein gelegent­licher Gottes­dienst­besuch. Ein solches Kainsopfer ist Gott nicht wohl­gefällig – um des unreinen Herzens willen. Ebenso ist es mit dem Geld: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“ (2. Kor. 9,7) – einen, der aus Dank und Freude gibt; einen, der wirklich opfert – für Kirche, Gemeinde, Mission und Not­leidende. Er wird dann auch gern ein schönes Stück seines Geldes abgeben, so wie Abel vom Fett seiner Herde gab. Wem aber nicht viel am Herrn und am Bau seines Reiches gelegen ist, der wird nicht mehr als ein Trinkgeld für ihn übrig haben. Solche Opfer soll er lieber für sich behalten; es liegt kein Segen darauf. Gott sieht das Herz an. Vielleicht fragst du jetzt erschreckt: Wie kann ich denn dahin kommen, ein Opfer nach Art des Abel zu bringen? Die Antwort: Schaue nur recht genau auf das Opfer des Gottes­sohnes Jesus Christus, das er für dich gebracht hat. Sieh an, wie er sich für dich eingesetzt hat, und wie er arm wurde, um dich reich zu machen. Dann wirst du mit rechter Herzens­haltung freudig abgeben von deinem Reichtum und dein Leben für Gott einsetzen.

Wir wollen nun aber sehen, wie die Geschichte mit Kain und Abel weiterging. „Kain ergrimmte sehr und senkte seinen Blick“, heißt es. Er wurde eifer­süchtig auf seinen Bruder und wütend auf Gott. Er blickte finster – und verriet damit, wie es in seinem Herzen aussah. Da stellte Gott ihn zur Rede. Wir wissen nicht, wie Gott mit Kain redete, ob durch eine Stimme vom Himmel oder durch die Stimme seines Gewissens. Luther meinte, sein Vater Adam hätte in Gottes Namen mit Kain geredet. Wie dem auch sei, Gott stellte Kain zur Rede. Er meinte es gut mit ihm. Er wollte verhindern, dass Kain durch sein unlauteres Herz ins Verderben gerissen wird, und warnte ihn deshalb. Er sagte: „Warum ergrimmst du? Und warum senkst du finster deinen Blick? Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.“ Kain jedoch ließ sich nicht zur Vernunft bringen, vielmehr ließ er sich von seinem Zorn hinreißen. Sein böses Herz trieb ihn immer weiter in die Sünde. Schließlich erschlug Kain seinen un­schuldigen Bruder. Zu was der Mensch doch fähig ist – der dritte Mensch, den diese Erde überhaupt gesehen hat!

Liebe Brüder und Schwestern, wir sind entsetzt von so einer Tat. Wir sind entsetzt, wenn wir auch in unseren Tagen Ähnliches erfahren: Kinder erschlagen ihre Eltern, Geschwister bringen sich um im Streit, ja, Eltern legen sogar Hand an ihre Kinder. Vielleicht denken wir: Die sind doch nicht normal, das sind doch keine Menschen mehr. Und doch ist es leider allzu normal und allzu menschlich, was da geschieht. Es kommt da ein böses Herz zum Zuge – ein böses Herz, wie es in allen Menschen wohnt. „Das Dichten und Trachten des mensch­lichen Herzens ist böse von Jugend auf“, sagt Gott (1. Mose 8,21). Wir alle kennen Hassgefühle und Eifersucht gegen unseren Bruder, sei es der leibliche Bruder, der Mitchrist oder einfach der Mitmensch. Damit sind wir in Gottes Augen schon Mörder, denn Gott sieht das Herz an. „Wer seinen Bruder hasst, der ist ein Tot­schläger“, schrieb der Apostel Johannes in seinem ersten Brief mit Verweis auf Kain (1. Joh. 3,15). Und Jesus machte in der Bergpredigt klar, dass einer, der mit seinem Bruder zürnt, vor Gott nicht besser dasteht als einer, der tötet. Ja, auch in unseren Herzen steckt das drin, und es kommt oft genug zum Ausbruch. Zwar hauen wir niemandem den Schädel ein – dazu sind wir zu gut erzogen und haben auch Angst vor den Folgen. Aber wir lassen den Mitmenschen auf andere Weise unsern Hass spüren: durch spitze Bemerkungen vielleicht, oder durch Nicht­beachten, oder durch eine unterkühlte Höflich­keit. „Die Sünde lauert vor der Tür und hat nach dir Verlangen, du aber herrsche über sie“, sagte Gott dem Kain, und er sagt es auch uns. Ach, dass doch unser böses Herz nicht unser Reden und Tun bestimmte! Aber aus eigener Kraft können wir das nicht schaffen. Wir müssen unser Herz von Gott reinigen lassen – durch seinen Sohn Jesus Christus. So gereinigt, bitten wir dann den himmlischen Vater: „Führe uns nicht in Ver­suchung!“ Lass nicht zu, dass die Sünde über mich herrsche, sondern hilf, dass ich mich mit gläubigem Herzen in der Versuchung bewähre!

Wir wollen noch auf das Ende der Geschichte sehen. Das ist freilich recht dunkel. Gott stellte Kain zur Rede nach dem ab­scheulichen Brudermord. Kain gab zunächst eine un­verschämte Antwort: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Da wurde Gott deutlich: „Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.“ Und dann strafte Gott den Kain: „Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.“ Da packte den Kain das kalte Entsetzen: Jetzt wurde er sich richtig bewusst, was er getan hatte. „Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte“, jammerte er. Man kann auch übersetzen: „Meine Sünde ist zu schwer.“ Im Hebräischen gibt es ein und dasselbe Wort für Tun und Folge, Sünde und Strafe. Sünden­erkenntnis geschieht immer in Zusammen­hang mit Gottes Straf­urteil. Wir wissen nicht, ob Kain über diese Reue auch zur Buße gefunden hat. Buße geht ja einen Schritt weiter und schließt das Vertrauen ein, dass Gott die Schuld vergeben werde. Luther und viele Bibel­ausleger sagen, Kain hätte nicht zur Buße gefunden; die Reue hätte ihn nur zur Ver­zweiflung und letztlich zur Verdammnis getrieben, wie es zum Beispiel auch bei Judas Iskariot der Fall war. Ich habe ein klein wenig Hoffnung, dass Kain vielleicht doch zur Buße gefunden hat und seine Seele trotz der schweren Schuld gerettet wurde. Wie dem auch sei, Gott er­leichterte ihm den schweren Fluch ein wenig. Kain hatte Angst vor der Blutrache von seiten der Nachkommen Abels, aber Gott schützte ihn durch ein Zeichen. Auch das ist dunkel, was für ein Zeichen gemeint ist. Klar ist jedenfalls, dass Gott in seiner großen Barm­herzig­keit auch einen so tief gefallenen Sünder wie Kain noch etwas von seiner Güte spüren ließ.

Liebe Brüder und Schwestern, das ist unser großer Trost und unsere gewisse Hoffnung: Auch wenn wir unterlegen sind in der Versuchung, auch wenn die Sünde uns überwunden hat, können wir durch Reue und Buße umkehren und auf Gottes Vergebung hoffen. Keine Sünde ist so schwer, als dass sie nicht vergeben werden könnte. Nur das verstockte Herz, das findet nicht mehr zurück zu Gott – das Herz, das zwar die Abgründe von Schuld und Strafe erkennt, aber nicht mehr an Gottes Erbarmen glauben kann. Wenn du in dieser Gefahr bist, wenn dein Glaube zu verlöschen droht und da nur Dunkel und Ver­zweiflung um dich ist, dann denke an das Zeichen der Barmherzig­keit, das Gott an dir gemacht hat: die heilige Taufe. Das ist Gottes Zeichen, dass Tod und Sünde über dich nicht herrschen sollen – kraft des Blutes Jesu Christi, das auch für dich geflossen ist. Denk an dieses Zeichen, halte dir Gottes Liebe vor Augen! Lass dir stets auf neue dein Herz reinigen und mit Glauben füllen! Denn auf das Herz kommt es an; Gott sieht das Herz an. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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