Gerecht allein aus Glauben

Predigt über Galater 2,16‑21 zum 11. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir leben in einer Leistungs­gesell­schaft. Schon vom Kleinkind werden Leistungen gefordert: Es soll den Teller leer essen, sich für Geschenke bedanken und seine Schuhe selbst zubinden. Der Schüler wird gemäß seiner Leistungen mit Zensuren beurteilt. Auch in der Berufs­ausbildung, in Prüfung und Examen zählt nur die erbrachte Leistung. Im beruflichen Alltag ist der Angestellte seiner Firma so viel wert, wie er leistet, und für den Selbst­ständigen hängt die wirtschaft­liche Existenz von der Leistung ab. Selbst im privaten Bereich kann es vorkommen, dass Leistung gefordert wird, in Ehe und Familie, denn nicht immer hat der eine den anderen um seiner selbst willen lieb. Es gibt Erwartungen von Frau und Mann, von Eltern und Kindern, von Schwieger­eltern und Schwieger­kindern. Viele denken so: Wenn der andere das leistet, was ich von ihm erwarte, dann ist er okay; wenn nicht, bin ich von ihm enttäuscht und lasse ihn das auch spüren.

Weil unser ganzes Leben vom Leistungs­prinzip geprägt ist, tun wir uns schwer zu glauben, dass bei Gott nicht die Leistung zählt. Und weil das Leistungs­prinzip keine Erfindung der Neuzeit ist, war das in früheren Jahr­hunderten ebenso. Zum Beispiel im 1. Jahr­hundert nach Christus bei den Gläubigen in der Landschaft Galatien, für die Paulus den Galater­brief schrieb. Auslöser für diesen Brief waren schlechte Nachrichten aus Galatien. Paulus traute seinen Ohren nicht: Da waren Leute gekommen, die den Galtern weismachen wollten, sie müssten bestimmte jüdische Gesetze halten, um selig zu werden. Dabei waren die Galater nicht einmal geborene Juden, sondern Heiden. Viele Gemeinde­glieder waren im Begriff, diesen Menschen Glauben zu schenken. Es ist ja auch viel leichter zu glauben, dass man sich bei Gott mit Leistung was verdienen kann, als dass er frei, umsonst und ohne Hinter­gedanken schenkt. Paulus muss ziemlich entsetzt gewesen sein, als er diese Nachricht erhielt, hatte er doch damals seinen ganzen Eifer darauf verwendet, den Galatern das Evangelium von Jesus Christus vor Augen zu malen. So hatte er diese Gemeinde aufgebaut. Er war nicht müde geworden, die Freiheit vom Leistungs­druck zu ver­kündigen, den die Galater aus der Zeit des Götzen­dienstes sehr wohl kannten. Er war nicht müde geworden zu betonen: Nicht durch Gesetzes­werke, sondern durch den Glauben an Jesus werdet ihr selig! Hatten sie das nicht kapiert, oder hatten sie es schon vergessen?

Ich kann Paulus gut verstehen. Wenn ich eine Predigt vorbereite, dann denke ich manchmal: Das wissen die Gemeindeglieder doch längst, dass sie allein durch den Glauben an Christus selig werden; muss das denn immer wiederholt werden? Das muss ihnen doch bald zu den Ohren heraus­kommen! Und dann stelle ich in Gesprächen fest: Auch manche Gemeinde­glieder haben noch gar nicht richtig verstanden, was das Evangelium sagt. Sie meinen immer noch, durch ihren guten Lebens­wandel einen Platz im Himmel zu verdienen. Tat­sächlich: Das Leistungs­denken steckt tief in uns drin.

Als Paulus die schlechte Nachricht aus Galatien bekam, setzte er sich hin und schrieb den Galater­brief. Ein ent­scheidendes Stück daraus wollen wir jetzt miteinander betrachten. Es beginnt so: „Weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird…“ Gesetzes­werke sind jegliche Art von Leistungen, mit denen Menschen sich bei Gott einen Verdienst erwerben wollen. „Gerecht“ heißt in der Sprache der Bibel „richtig“ oder „gut“. Paulus sagt mit diesem Nebensatz also: Kein Mensch kann sein Leben so führen, dass Gott damit zufrieden ist. „Das wissen wir“, schreibt er, da gibt es keinen Zweifel, das bezeugt nämlich die Heilige Schrift. Und jeder Mensch, der Gottes Gebote ernst nimmt und selbst­kritisch genug ist, wird es bestätigen: Gott kann mit meinen Leistungen nicht zufrieden sein, auch nicht mit den Leistungen irgend eines anderen Menschen.

Weil das so ist, bleibt nur der andere Weg zur Seligkeit übrig, den Gottes Wort weist: Der Weg des Glaubens an Jesus. Paulus schreibt: „Weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes.“ Merkt, wie geduldig Paulus hier den Galatern Nachhilfe­unterricht in Religion gibt! Immer und immer wieder wiederholt er das Wichtigste: Nicht durch Werke des Gesetzes, sondern durch den Glauben! Und er schreibt: „Auch wir sind zum Glauben gekommen“, und meint damit die Juden­christen, die mit dem jüdischen Gesetz groß geworden sind. Sogar wir Juden, sagt Paulus, haben erkannt: All mein Gesetzes­gehorsam und meine Frömmigkeit sind „Dreck“ – so drückt er sich in einem anderen Brief aus (Phil. 3,8). Darum ist der Glaube an Jesus der einzige Weg, auf dem ich vor Gott bestehen und in den Himmel kommen kann. Paulus betont am Ende dieses Verses: „Denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht.“ Er hämmert es den Galatern förmlich ein – und auch uns, die wir das ebenso nötig haben!

Die folgenden Verse sind ein wenig schwerer zu verstehen. Paulus war ein scharfer Denker. Er wollte den Galatern mit diesen Sätzen beweisen, dass beides sich einander aus­schließt: Die Werk­gerechtig­keit und Christus. Deshalb schreibt er in Vers l7: „Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden – ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne!“ Er will damit sagen: Ist unser christ­licher Glaube etwa Sünde? Ist es denn eine Sünde zu meinen, ich werde nicht durch eigene Leistung gerecht, sondern durch das, was Christus für mich getan hat? Das wollen euch nämlich diese Leute weismachen: Euer Glaube ist falsch, sagen sie, ihr müsst schon selber was tun! Aber das kann doch nicht sein, dass dieser Glaube falsch und Sünde ist. Dann wäre ja Jesus ein Diener der Sünde – auf ihn gründet sich ja dieser Glaube! Aber der Sohn Gottes ein Diener der Sünde? Niemals! Das sei ferne!

Im nächsten Vers 18 vertieft Paulus diesen Gedanken: „Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Über­treter.“ Paulus tut hier so, als wenn er so handelte wie die Galater, und zeigt, wie unsinnig das ist. Er meint: Ich habe doch damals meine Gesetzes­gerechtig­keit aufgegeben. Als Jude habe ich noch versucht, mit meiner Frömmigkeit bei Gott anerkannt zu werden. Als ich aber Christ wurde, habe ich diesen Irrtum aufgegeben. Nun stellt euch mal vor, ich würde plötzlich wieder zu dem zurück­kehren, was ich damals aufgab. Ich würde mich doch glatt selbst in die Pfanne hauen! Ich würde damit doch sagen: Was ich als Christ glaubte, war falsch; was ich davor als Jude geglaubt hatte, war richtig. Ich würde mein Christstein damit als Sünde abstempeln; ich würde mich selbst zu einem Übertreter machen.

Was Paulus bis hierher schreibt, ist ein indirekter Beweis. Er probiert, was dabei heraus­kommt, wenn er wie die Galater wieder durch Gesetzes­werke gerecht werden wollte, und stellt fest: Das klappt nicht. Jetzt, ab Vers l9, schreibt er direkt, was der Glaube an Jesus für ihn bedeutet: „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe.“ Paulus hatte das Gesetz studiert und musste fest­stellen: Das kann ich nicht halten; so werde ich niemals vor Gott gerecht. Darum hat er den ganzen Wahn fahren lassen, durchs Gesetz gerecht zu werden, und den anderen Weg be­schritten, der allein zum Leben mit Gott führt: den Weg des Glaubens an Christus. Durch das Studium des Gesetzes hat er die Gesetzes­gerechtig­keit aufgegeben – er ist dem Gesetz „ge­storben“. Und dieses Sterben sieht er in ganz enger Verbindung mit dem Kreuz Christi. Er schreibt: „Ich bin mit Christus ge­kreuzigt“, und denkt dabei an seine Taufe. Denn von der Taufe hat er in einem anderen Brief ge­schrieben: „So sind wir nun mit Christus durch die Taufe begraben in den Tod, auf dass, gleichwie Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlich­keit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln“ (Römer 6,4).

Dieses neue Leben entfaltet Paulus in Vers 20. Er schreibt: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch (gemeint ist: auf dieser Erde, noch nicht im Himmel), das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahin­gegeben.“ – „Christus lebt in mir“, das bedeutet glauben! Wenn Gott mich ansieht, dann sieht er nicht mehr nur mich selbst, sondern er sieht seinen Sohn Jesus Christus, der seit der Taufe in mir lebt. Und dann sagt er: „Du bist gerecht, ich bin mit dir zufrieden“ – aber nicht, weil ich selbst so gut bin, sondern weil Jesus so gut ist und sich selbst für mich dahin­gegeben hat. Glauben heißt: Ich gehöre zu Jesus, und Jesus gehört zu mir. Ich lebe in ihm, und er lebt in mir. Glauben ist Lebens­gemein­schaft mit Jesus Christus. Deshalb lese ich die Bibel, deshalb halte ich mich zur Gemeinde, deshalb gehe ich zur Kirche, deshalb empfange ich das Heilige Abendmahl: um diese Gemein­schaft mit meinem Herrn zu leben, und nicht etwa, damit Gott und die Welt mich für einen frommen Menschen halten, denn dann würde ich ja wieder in dieses unselige Leistungs­denken zurück­fallen. Paulus schreibt: „Was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahin­gegeben.“

Im letzten Vers unsers Abschnitts hat Paulus zusammen­gefasst, was ihm wichtig ist: „Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes, denn wenn die Gerechtig­keit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.“ Er will damit sagen: Ja, ihr lieben Galatar, begreift doch endlich, was ihr da tut, wenn ihr durchs Gesetz gerecht werden wollt: Ihr werft Gottes Gnade einfach weg – auf den Müll! Gottes Gnade, eure einzige Chance zum Leben! Dann wäre Christus für euch vergeblich gestorben, dann ist all euer christ­liches Gerede und Getue umsonst, dann könntet ihr ebensogut wieder eure heidnischen Götzen anbeten oder brauchtet an überhaupt nichts mehr zu glauben.

Liebe Gemeinde, lassen wir uns das durch die ernsten und ein­dringlichen Worte des Apostels Paulus ins Herz schreiben: Halten wir nur ja fest am Glauben an Jesus Christus! Machen wir uns keine Hoffnungen, Gott werde uns um unseres guten Lebens willen einst in den Himmel holen. Wer solche Hoffnungen hat, der wirft die Gnade Gottes weg – auf den Müll. Wer solche Hoffnungen hat, für den ist Christus vergeblich gestorben. Wer solche Hoffnungen hat, hat nicht begriffen, worum es im Evangelium und in der Kirche geht. Kurz: Wer solche Hoffnungen hat, glaubt nicht an Christus. Lasst uns darum nur nach dem Einen trachten: Dass wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland Jesus Christus, dass wir im Glauben eng mit ihm verbunden bleiben, unsere Hoffnung ganz auf ihn setzen, mit ihm leben und mit ihm sterben! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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