Der da ist und der da war und der da kommt

Predigt über Offenbarung 1,4‑8 zum Himmelfahrtstag

Liebe Gemeinde!

Viele Menschen können heutzutage nichts mit Christi Himmelfahrt anfangen. Ich glaube, es liegt nicht daran, dass man sich dieses Ereignis so schlecht vorstellen kann. Eigentlich ist es ja in der Apostel­geschichte ganz klar be­schrieben: Vor den Augen der Jünger wird Jesus in die Luft gehoben und ver­schwindet in einer Wolke; das kann man sich doch gut vorstellen. Und für den all­mächtigen Gott, den Schöpfer des Weltalls, war es kein Kunststück, seinen Sohn auf diese Weise von der Erde zu nehmen. Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, dass es wirklich so war. Nein, die Schwierig­keiten mit der Himmelfahrt liegen auf einer anderen Ebene: Die Himmelfahrt spricht uns heutige Menschen so wenig an. Wir können dieses Ereignis schlecht auf uns übertragen, können nicht direkt eine Lebens­weisheit daraus ableiten. Wir sagen im Glaubens­bekenntnis: „… auf­gefahren gen Himmel“, aber was bedeutet das eigentlich für uns?

Von Johannes, dem Autor der Offen­barung, und von den Christen der ersten Jahr­hunderte können wir lernen, dass diese Frage falsch gestellt ist. Wir denken viel zu ich-bezogen, wenn wir immer gleich etwas für uns persönlich mitnehmen wollen. Vielmehr sollten wir das Himmel­fahrts­fest zunächst mal einfach nur feiern. Wir sollten dabei Jesus feiern, der in den Himmel aufgefahren ist, und seinen himmlischen Vater. Wir sollten nicht in erster Linie etwas mitnehmen wollen, sondern wir sollten uns einbringen, Lob und Dank darbringen unserm wunderbaren Herrn. Wir sollten uns hier nicht in erster Linie selbst finden wollen, sondern uns selbst verlieren im Betrachten und Anbeten des großen Wunders Himmel­fahrt. Ja, Christus soll die Hauptperson sein, nicht wir mit unseren klein­gläubigen Alltags­änsten und ‑sorgen. Wenn wir so Himmelfahrt feiern, dann wird sich ganz von selbst etwas bei uns ändern, auch wenn wir nicht lehrerhaft fragen: Was hat das nun für uns zu bedeuten?

Ich sagte: Von Johannes können wir es lernen und von den Sätzen im 1. Ka­pitel der Offen­barung. Der Grund: Hier wird ganz einfach Gottes Herrlich­keit gerühmt und den christ­lichen Gemeinden verkündigt. „Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt“, heißt es am Anfang, und am Ende unseres Abschnitts steht: „Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der All­mächtige.“ Gott selbst verkündigt durch die Feder des Johannes seine Herrlich­keit, und schon allein diese Tatsache lässt uns staunen und loben. Gott selbst lässt durch den Brief des Johannes grüßen, der dreieinige Gott, und dazu die geheimnis­vollen sieben Geister vor seinem Thron – vielleicht sieben Erzengel, man weiß es nicht genau. Gott selbst stellt sich vor als der Ewige, als Anfang und Ende aller Dinge, als „A und O“ (wir würden sagen: von A bis Z) – „der da ist und der da war und der da kommt“. Diese Worte rahmen unseren Bibel­abschnitt ein. Wir wollen nun einfach auf dem Hintergrund der Himmelfahrt uns in diese Worte vertiefen und durch­buchstabie­ren, was für einen gewaltigen Herrn und Heiland wir haben: „der da ist und der da war und der da kommt“.

Jesus Christus – „der da war“. Gottes Sohn hat Geschichte gemacht. Er erschien in dieser Welt als Mensch aus Fleisch und Blut, als Mensch wie du und ich. „Das Wort ward Fleisch“, heißt es von seinem Kommen. Was Gott den Menschen sagen will, wurde Fleisch in Jesus Christus, wurde Geschichte – die einzig­artige Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth, der zugleich Gott ist. In unserem Abschnitt aus der Offenbarung wird er „der treue Zeuge“ genannt; das bedeutet dasselbe. Mit seinem Erdenleben, mit seinem Wirken, Reden und Leiden, hat er Gottes Willen für die Menschheit bezeugt. „Er hat uns erlöst von unsern Sünden mit seinem Blut“, heißt es weiter von ihm. Vergebung der Sünden, das ist keine fromme Theorie, sondern ein geschicht­liches Ereignis. Jesus hat wirklich für unsere Schuld am Kreuz gelitten und geblutet. Auch seine Auf­erstehung von den Toten hat ihren festen Platz im Lauf dieser Welt; sie ist kein Denkmodell, sondern ein wirkliches Ereignis in der Vergangen­heit. „Er ist der Erst­geborene von den Toten“, schrieb Johannes den Gemeinden.

Auch die Himmelfahrt gehört zur Welt­geschichte. Mit ihr vollendet sich der Weg des Gottes­sohnes in Raum und Zeit. Jesus stiehlt sich nach der Auf­erstehung nicht einfach davon aus dieser Welt, sondern er nimmt Abschied von seinen Jüngern und wird sichtbar hinweg­genommen – Jesus Christus, „der da war“, also der da war, als Mensch in unserer Welt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir weiter die Zeugen­berichte aus jener Zeit festhalten, ernst nehmen und immer wieder neu betrachten. Im Wort der Apostel im Neuen Testament haben wir zuverlässig und vom Heiligen Geist verbürgt die Kunde vom Weg des Gottessohns auf der Erde.

Aber auch das Zweite wollen wir bedenken: Jesus Christus – „der da ist“. Wir Christen leben ja nicht in der Vergangenheit. Unsere Gottes­dienste sind kein Totenkult, mit dem wir das ehrenvolle Andenken eines ver­storbenen Menschen pflegen. Nein, zu jedem Osterfest, an jedem Sonntag, an jedem Tag bekennen wir, dass Jesus lebt. Und er lebt nicht nur, sondern er herrscht auch als Herr Himmels und der Erden. „Jesus Christus herrscht als König, / alles wird ihm unter­tänig“, so singen wir. Johannes schrieb in unserm Bibelwort: „Er ist der Herr über die Könige auf Erden.“ Diese Glaubens­gewissheit können wir an der Himmelfahrt festmachen. Jesus hat seinen Jüngern gesagt: „Ich gehe zum Vater“. Er ist aufgefahren und sitzt zur Rechten Gottes des Vaters. Das bezeugt uns die Bibel mehrfach, und so bekennen wir es im Glaubens­bekenntnis. Er sitzt zusammen mit Gott dem Vater in der höchsten Regierung. Er hat zusammen mit dem Vater alles im Griff, im Himmel und auf Erden, in Zeit und Ewigkeit. Kein Spatz fällt zur Erde, ohne dass er es zulässt. Kein Haar wird grau ohne seinen Willen. Kein Politiker, kein Chef, kein Mensch kann gegen seinen Willen etwas durch­setzen. Und das Beste dabei ist: Er setzt sich für uns ein. Gott ist kein un­berechen­bares Schicksal, vor dem wir Angst haben müssten. Wer Christus seinen Herrn nennt, wird nur lauter Liebe vom All­mächtigen erfahren. „Er liebt uns“, schrieb Johannes den sieben Gemeinden in Kleinasien. Ja, die Offenbarung ist ein richtiger Liebesbrief Gottes. Und sie ist auch ein Liebesbrief an uns, denn sie gilt allen christ­lichen Gemeinden. Der Friedens­gruß am Anfang ähnelt den andern Briefen des Neuen Testaments; ihr kennt ihn vom Beginn vieler Predigten her: „Gnade sei mit euch und Friede.“ Hier in der Predigt geschieht nichts anderes, als dass Gottes Liebesbrief an euch weiter­gegeben wird. Ja, Christus ist der, der uns heute und jetzt lieb hat. Er hat einmal sein Blut für die Sünden der Welt vergossen, und so findet jeder das ewige Leben und Frieden mit Gott, der an Christus glaubt. Und weil wir durch den Glauben ganz eng zu Christus und zum himmlischen Vater gehören, sind auch wir Könige und Priester. Johannes schrieb: „Christus hat uns zu Königen und Priestern gemacht.“ Durch Jesus haben wir direkten Zugang zum Vater im Gebet. Wir brauchen keinen Priester und keinen Pastor, der dabei als Mittler tätig wird. Und wenn wir dann für die ganze Welt beten, für Regierungen und Mächtige, Ohnmächtige und Bedürftige, dann haben wir Anteil an der Herrschaft Christi, dann sind auch wir Könige, im Glauben frei von allen Menschen und allen Zwängen, nur unserm Oberkönig Jesus Christus untertan. Auch wenn wir in mensch­lichen Abhängig­keiten stecken, wenn wir krank, alt oder anderweitig gebunden sind, sind wir in Wahrheit frei. Denn es geschieht ja nichts, ohne dass unser König Jesus Christus es zulässt – unser König, der uns liebt, der uns hilft, den wir lieben und dem wir vertrauen. Ja, Jesus Christus ist der, „der da ist“, der jetzt und jeden Tag als unser lebendiger Herr zur Rechten des himmlischen Vaters sitzt.

Schließlich ist Jesus Christus auch der, „der da kommt“. Johannes schrieb: „Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinet­willen alle Ge­schlechter auf der Erde.“ Jesus Christus gehört auch die Zukunft. Das wird an einem bestimmten Tag un­ausweich­lich deutlich werden – dann auch gerade denen, die ihn nicht ihren Herrn genannt haben. Jesus wird an einem bestimmten Tag zurück­kommen auf die Erde, um Gericht zu halten. Auch daran erinnert uns die Himmel­fahrt. Denn das hatten Engel den Jüngern kurz nach der Auffahrt gesagt: „Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wieder­kornmen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen“ (Apostel­gesch. 1,11). So, wie sie ihn damals ent­schwinden sahen, so wird er wieder­kommen: mit den Wolken, für alle sichtbar. Dann werden alle Toten auferstehen – alle, die jemals gelebt haben. Wie werden dann diejenigen wehklagen, die ihn einst ans Kreuz brachten! Wie werden die Kriegs­knechte klagen, die mit brutalen Hammer­schlägen Nägel durch seine Glieder bohrten! Wie werden diejenigen klagen, die heute über ihn spotten und lästern! Wie werden diejenigen klagen, die seine Einladung ständig aus­schlagen, seine Einladung an den Altar und unter die Kanzel! Wie werden diejenigen klagen, die nur halbherzig und lau in der Nachfolge stehen und den Glauben am Ende verlieren! Wer aber im schlichten einfachen Glauben an seinen Herrn und Heiland bis ans Ende beharrt, der wird dann selig werden. Der wird in ewiger Heligkeit mit Jesus zusammen­sein. Dem gehört die Zukunft mit Jesus, „der da kommt“. Ja, auch daran erinnert uns die Himmel­fahrt.

Wir sehen: Auch wenn wir gar nicht bewusst irgend­welche Lehren aus diesem Wort der Schrift und aus der Himmelfahrt ziehen, sind wir unmittelbar an­gesprochen. Wir brauchen nur die Worte ernst zu nehmen, die Christus geagt hat, sowie auch die Worte, die er Johannes später auf­schreiben ließ. Es sind Worte von ungeheurer Bedeutung für das Leben jedes einzelnen Menschen. Denn was ist wichtig für uns? Doch ganz bestimmt die Zukunft! Wir fragen, was aus uns einmal werden wird, denken je nach Lebensalter an unsere Ausbildung, unsere Arbeit, unser Familien­glück, unsere Rente. Auch machen wir uns Gedanken um die Zukunft der Welt, zumal sie durch mancherlei Gefahren bedroht ist. Sollten wir da nicht besonders auch den Tag im Blick haben, an dem Christus für alle sichtbar wiederkommt – so, wie er einst in den Himmel fuhr? Den Tag, der einmal so wirklich Gegenwart sein wird wie der heutige Himmel­fahrts­tag? Wenn wir uns darum Gedanken machen, was aus uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird, sollten wir uns dann nicht erst recht darum Gedanken machen, was aus uns am Tag der Rückkehr Jesu wird und in der Ewigkeit? So wollen wir uns heute wieder neu das Vertrauen in Christus stärken lassen durch die Botschaft der Himmel­fahrt. Lasst uns ihn loben und ihm danken für all seine Liebe und für all das, was er für uns tut – in Vergangen­heit, Gegenwart und Zukunft. „Jesus Christus – der da ist und der da war und der da kommt.“ – „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ (Hebr. 13,8). Halleluja, Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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