Allezeit lobsingen

Predigt über Apostelgeschichte 16,23‑25 zum Sonntag Kantate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wie können Paulus und Silas nur in solcher Situation singen? Zwar hat ihre Missions­arbeit in Philippi einen viel­versprechen­den Anfang genommen. Dann aber geschieht etwas, das häufig die Folge der Evangeliums­verkündi­gung ist: Einige macht‑ und geld­hungrige Menschen sehen in der befreienden guten Nachricht von Jesus Christus eine Bedrohung ihrer Interessen und verfolgen die Boten. So werden Paulus und Silas in einem öffent­lichen Prozess übel miss­handelt. Man reißt ihnen die Kleider vom Leib; splitter­nackt sind sie den neugierigen Blicken aus­geliefert. Dann werden sie mit Stöcken blutig geschlagen. Schließlich kommen sie ins Stadt­gefängnis. Ihre Füße werden angekettet. Scheinbar völlig sinnlos müssen sie leiden und werden an ihrem wichtigen Dienst gehindert. Wie können Paulus und Silas in solcher Situation nur singen?

Man kann ver­schiedene Antworten finden. Vielleicht gehört die Mitte der Nacht zu ihren gewohnten Gebets­zeiten, und daran halten sie auch im Gefängnis fest. Manche Christen hatten diese Gewohnheit, in Anlehnung an Psalmworte wie: „Zur Mitternacht stehe ich auf, dir zu danken“ (Ps. 119,62), oder: „Des Nachts singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens“ (Ps. 42,9). Vielleicht können Paulus und Silas wegen der schmer­zenden Wunden nicht schlafen und vertreiben sich deshalb die Zeit mit Singen und Beten. Letztlich sind das aber ober­flächliche Ver­mutungen. Im Grunde gibt es nur eine Antwort: Paulus und Silas können in dieser Situation singen, weil sie – trotz allem Unglück – immer noch Grund zum Singen haben! Christen können allezeit lobsingen, in guten wie in schweren Zeiten. Denn keine Not kann den Ostersieg Christi zerstören und den Bund, den er in der Taufe zugesichert hat: Du bist mein Kind; ich will für dich sorgen in Ewigkeit. Christen müssen wohl leiden, aber sie brauchen nicht zu ver­zweifeln, denn ihre Seelen sind geborgen in Jesus Christus und werden darum keinen Schaden nehmen. Wer leidet, kann immer noch lobsingen; wer ver­zweifelt, nicht mehr.

Paulus und Silas sind nicht ver­zweifelt. Aus dem Blickwinkel des Glaubens ist ihre Lage keineswegs nur übel. Sie wissen, dass sie auch im Gefängnis unter Gottes Gnade geborgen sind. Sie können dankbar sein, dass sie mit dem Leben davon­gekommen sind. Sie haben die Freude und das Vorrecht, um des Zeugnisses von Jesus willen leiden zu dürfen, in der Nachfolge Jesu das Kreuz tragen zu dürfen. Sie haben die Möglich­keit, den mühseligen und beladenen Mit­gefangenen die frohe Botschaft zu bezeugen – eine Möglich­keit, die sie sonst sicher nicht gehabt hätten. Gebet und Lobgesang dringen zu den Ohren der Mit­gefangenen und wohl auch zu ihren Herzen. Schließlich können Paulus und Silas aus dem Blickwinkel des Glaubens auch gewiss sein, dass Gott mit ihnen etwas Besonderes vorhat. Später kommt es ja heraus, warum sie im Gefängnis landen mussten: damit der Gefängnis­aufseher und seine ganze Familie zum Glauben kommen und getauft werden. Wie wunderbar fügt Gott doch alles – auch dann, wenn zunächst nur Trübsal zu herrschen scheint.

Darum können wir in der Tat allezeit lob­singen, und wir tun es ja auch: in Freude und Leid, am Karfreitag und zu Ostern, zur Hochzeit und zur Beerdigung. Singen und Beten gehören ganz selbst­verständ­lich zum Christen­leben dazu, es ist gewisser­maßen der Atem des Glaubens. Schon immer hat Gottes Volk gesungen, und es wird auch immer so bleiben. Als das Volk Israel glücklich durchs Schilfmeer gezogen war, stimmten Mose und seine Schwester Mirjam ein Loblied an. König David sang oft zur Harfe und dichtete wunderbare Psalmen, Psalmen der Freude und des Jubels, aber auch Psalmen aus tiefster Not. Als unser Herr Jesus Christus in der Nacht, da er verraten ward, mit seinen Jüngern das Abendmahl gefeiert hatte, sang er mit ihnen den Lobgesang nach dem Essen – und das, obwohl er wusste, was ihm bevorstand. In den ersten Jahr­hunderten nach Christus gab es Märtyrer, die um ihres Glaubens willen den Löwen zum Fraß vorgeworfen oder auf andere Weise grausam getötet wurden. Viele von ihnen gingen mit Lobliedern auf den Lippen in den Tod; sie freuten sich darauf, dass sie bald ihren Herrn sehen durften. Martin Luther räumte dem Gesang nach der Theologie den höchsten Stellenwert ein. Wenn er traurig war, sang er oft zur Laute. Seine Kirchen­lieder sind bis heute Kleinodien in unseren Gesang­büchern. Und was wäre die Christen­heit heute, was wären unsere Gemeinden ohne Gesang und Kirchen­musik? Was wären unsere Gemeinde­veranstal­tungen für Kinder ohne fröhliche Lieder? Nein, Christen müssen ganz einfach singen, allezeit, in Freude und Leid, das gehört zum Christen­leben unbedingt dazu. Auch im Himmel wird noch gesungen werden, in der Ewigkeit. Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, gibt uns einen kleinen Einblick in den Lobpreis der Engel und der trium­phierenden Erlösten. Wir sehen: Paulus und Silas sind keine Sonder­fälle, sie sind hier Beispiele für Gottes Leute, die nicht anders können als lobsingen. Sie stehen singend in dem zeit‑ und raum­übergreifen­den Chor aller Gottes­kinder, zu allen Zeiten und in der Ewigkeit.

Wenn wir uns das klarmachen, können wir nicht anders als mitsingen. Und es wäre wunder­schön, wenn viele Christen nicht nur im Gottes­dienst sängen, sondern täglich – immer, wenn sich Gelegenheit dazu bietet. Ich möchte euch Mut machen: Vergesst das Singen nicht bei euren Haus­andachten! Christen singen allezeit, es ist das Atmen der Seele. Wir haben auch allezeit Grund zum Singen. Es ist schade, dass man in der heutigen Zeit öfters hört: Ich kann nicht singen. Wenn ich bei Geburtstags­besuchen die Gesang­bücher auspacke, gibt es da häufig ein verlegenes Räuspern. Warum singen immer weniger Leute? Ich glaube nicht, dass viele un­musikalisch sind; ich glaube, sie sind das Singen nur nicht mehr gewohnt. Kinder hören es oft nicht mehr von ihren Eltern. Viele lassen lieber singen – aus dem Radio oder vom Tonträger. Und wenn man da die Besten der Welt in hervor­ragender Qualität für sich singen lässt, dann kann man schnell das Gefühl kriegen, man könne nicht singen. Noch einmal: Ich möchte euch Mut machen, von Paulus und Silas und allen Christen­generatio­nen zu lernen und das Lob Gottes reichlich zu singen. Auch wenn wir keine Stars sind, auch wenn es mal schief klingt, auch wenn ein kraftloser Mund nur mit Seufzen einstimmen kann – das macht nichts! Aber gesungen und gelobt muss werden, am besten täglich, denn wir haben allen Grund zum Singen. Wir haben Christus, wir haben Vergebung der Sünden und ewiges Leben.

So können wir auch in Trübsal singen, genau wie Paulus und Silas. Wir sollten es auch tun. Und wenn es uns schwerfällt, dann sollten wir uns dazu überwinden. Singen stärkt den Glauben. Nicht, dass wir uns mit Singen ein bisschen Mut machen müssen, so wie wenn jemand im Dunkeln pfeift. Nein, wir singen nicht, damit wir Mut bekommen, sondern weil wir getröstet sind. Aber indem wir singen, gräbt sich der Trost unserer Lieder immer tiefer in unsere Herzen ein. Das öffnet uns dann die Glaubens­augen, wenn Trübsal unsern Blick trüben will. Das bereitet uns auch auf die letzte Not vor. Ja, wer viel singt, lernt selig sterben.

Und wie die Mit­gefangenen Paulus und Silas singen hörten, können und sollen auch uns andere singen hören. Dieses Zeugnis bewirkt oft mehr als kompli­zierte Gespräche über den Glauben. Wieviel bedeutet es zum Beispiel bei Geburts­tagen und Familien­feiern, wenn die Gäste mit­bekommen: In diesem Haus wird fröhlich Gott gelobt! Wie segensreich ist es für die geistliche, aber auch sonstige Entwicklung der Kinder, wenn die Eltern mit ihnen regelmäßig singen!

Liebe Gemeinde, lasst uns allezeit loben, lasst uns viel singen! Wir haben allen Grund dazu. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum