Gott schenkt uns einen Tag zum Jubeln

Predigt über Matthäus 28,1‑8 zum Sonntag Jubilate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Mit der Sonntagsruhe und der Feiertags­heiligung ist das heutzutage so eine Sache. Da fordern zum Beispiel Unternehmer­verbände aus wirtschaft­lichen Gründen eine Ausweitung der Sonntags­arbeit. Selbst Politiker aus Parteien, die sich christlich nennen, befürworten es, dass die Fließbänder auch sonn- und feiertags laufen. Gewerkschafts­führer, die sonst wenig mit der Kirche am Hut haben, verteidigen dagegen eifrig die Sonntagsruhe. Dass Bischöfe in dasselbe Horn stoßen, verwundert nicht; eher schon, wie einmal ein evangelischer und ein katholischer Bischof das begründet haben. Sie schrieben in ökumenischer Eintracht, dass „die Menschen mehr denn je eine gemeinsame freie Zeit für ein gemeinsames Leben brauchen“. Sie befürchteten, heißt es weiter in ihrer Stellung­nahme, dass bei vermehrter Sonntags­arbeit die „soziale, gesellschaft­liche und religiöse Sonntags­kultur geschädigt“ würde – was auch immer sie darunter verstanden. Ja, es ist eben nicht so einfach mit der Sonntagsruhe.

Auch ich hatte vor ein paar Wochen mein persönliches Verwirr-Erlebnis zur Sonntagsruhe. Ich wollte mal an einem Sonntag­nachmittag ein wenig im Garten arbeiten, weil das gerade gut in meinen Zeitplan passte. Als ich das meiner Frau mitteilte, war sie entsetzt: Du kannst doch nicht am Sonntag im Garten arbeiten, schon gar nicht als Pastor! Ich erwiderte: Ich arbeite doch immer sonntags. Ich halte Gottes­dienste. Ich sitze am Schreibtisch oder mache Besuche. Unser freier Tag ist doch der Donnerstag. Darauf meine Frau: Ja, schon, aber so grobe Arbeit! Darauf wieder ich: Wird denn der Sonntag mehr geheiligt, wenn man fernsieht, spielt, Sport treibt oder Handarbeiten macht? Ist das alles denn heiliger als Gartenarbeit? Darauf meine Frau: Nein; aber was werden die Nachbarn sagen! Ich gab mich geschlagen. Auch drei erfahrene Seelsorger unserer Kirche, die ich um Rat fragte, sagten mir: Theologisch ist nichts dagegen einzuwenden, wenn du am Sonntag­nachmittag im Garten arbeitest. Aber die Leute wirst du damit auf die Palme bringen! Da saß ich nun mit meiner eigenen Sonntags-Verwirrung – und beschloss, einmal darüber zu predigen.

Aus dem Abschnitt der Oster­geschichte, den ich eben vorgelesen habe, möchte ich deshalb jetzt besonders auf eine Aussage das Augenmerk lenken, und zwar auf den Anfang. Da steht: „Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach…“ Der Sabbat war der siebente Tag der Woche, der Feiertag der Juden, an dem keine grobe Arbeit getan werden durfte; Juden begehen ihn immer am Samstag. Am folgenden Tag, an einem Sonntag also, erstand Jesus vom Tode. Dann fanden die Frauen das leere Grab, hörten die Botschaft vom Auf­erstandenen und sagten sie weiter. Der Sonntag ist demzufolge der Jubeltag der Auferstehung Jesu Christi. Gott schenkte diesen Jubeltag mit der Oster­botschaft. Schon bald begannen die Christen, den Sonntag als wöchentlichen Osterfeiertag zu begehen; wir haben bereits im Neuen Testament mehrere Hinweise darauf. Der Sonntag war allerdings keineswegs ihr Ruhetag. Die christlichen Sklaven mussten sonntags teilweise bis zehn Uhr abends arbeiten; erst dann konnten sie den Gottesdienst ihrer Gemeinde besuchen. Dafür hatten sie – je nach Religion ihrer Herrschaft – am jüdischen Sabbat oder an heidnischen Feiertagen frei. Die Judenchristen beachteten zum Teil weiter die Sabbat­vorschriften ihrer Väter, ohne sie freilich für alle Christen als Zwang vor­zuschreiben. Davor hatte schon der Apostel Paulus nachdrücklich gewarnt: „So lasst euch nun von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen eines bestimmten Feiertags, Neumondes oder Sabbats“, heißt es im Kolosserbrief (Kol. 2,16). Gott schreibt für uns keinen bestimmten Tag vor, weder als Ruhetag noch als Tag zum Hören des Gotteswortes. Wenn uns das Wort unsers Herrn wichtig ist, werden wir ja ohnehin täglich damit umgehen. Luther schrieb im Großen Katechismus zum 3. Gebot: „Der äußerlichen Feier nach ist dieses Gebot allein den Juden gegeben… Darum geht uns Christen dieses Gebot nach dem äußeren Wortsinn nichts an.“

Weil nun aber der Osterjubel so mächtig von diesem ersten Ostersonntag in die Sonntage der folgenden Jahrhunderte hinein­schallte, hat sich der Sonntag allgemein eingebürgert als Tag, an dem sich die Christen besonders viel Zeit nehmen, um Gottes Wort zu hören; auch loben und ehren sieh ihren Herrn an diesem Tag in der christlichen Gemeinschaft. Als das Christentum staatlich anerkannt wurde, ist dieser Tag dann auch gesetzlich geschützt worden, zusammen mit anderen christlichen Feiertagen. Jeder sollte die Gelegenheit haben, sonntags zum Gottesdienst zu gehen, darum brauchte nicht gearbeitet zu werden. Und so fiel dann auch für die meisten ihr körperlicher Ruhetag mit dem wöchentlichen Osterjubeltag zusammen. Noch einmal: Das ist nicht Gottes Gebot, sondern eine christliche Sitte, die sich eingebürgert hat. Ich zitiere noch einmal den Großen Katechismus: Gottes Wort und der Gottesdienst sind „nicht an eine bestimmte Zeit gebunden wie bei den Juden“. Wir könnten auch immer mittwochs oder freitags oder täglich unsern Gottesdienst halten, wenn wir das wollten. „Weil aber“, fährt Luther fort, „von alters her der Sonntag dazu bestimmt ist, soll man's auch dabei bleiben lassen, damit eine einträchtige Ordnung bewahrt werde.“ Was die körperliche Ruhe anbetrifft, hat Gott nur angeordnet, dass man sechs Tage arbeiten und dann einen Tag ruhen soll. Ob es aber der Sonntag ist – wie bei den meisten – oder der Montag oder der Donnerstag, das ist nicht von Gott vor­geschrieben, da haben wir alle Freiheit. Man darf also auch als Christ am Sonntag arbeiten – voraus­gesetzt, man vernach­lässigt dadurch den Gottesdienst und Gottes Wort nicht, und voraus­gesetzt, man findet auch mal zur Ruhe.

Liebe Gemeinde, sehen wir folglich den Sonntag nicht als eine Zwangsjacke an, sondern als ein wunderbares Geschenk! Wir bekommen einen Tag pro Woche geschenkt zum Ausruhen, Jubeln, Feiern und Fröhlich-Sein unter dem lebens­spendenden Worten unsers auf­erstandenen Herrn. Kaum einer von uns braucht bei seinem Arbeitgeber zu betteln, dass der ihn am Sonn‑ oder Feiertag zum Gottesdienst lässt; das ist sogar gesetzlich geschützt. Es wäre in der Tat schade, wenn davon Abstriche gemacht werden – aber einzig und allein um der üblichen Gottesdienst­zeit willen. Wir bekommen jeden Sonntag zum Jubeln geschenkt und zum Hören auf Gottes Wort. Es ist immer noch dieselbe wunderbare und frohe Botschaft vom ersten Ostertag; die Botschaft, die die Frauen – zunächst ungläubig – vom Engel hörten und dann den Jüngern weiter­verkündigten: Unser Herr ist auferstanden! Er lebt, und wir dürfen in Ewigkeit mit ihm leben!

Wenn wir uns das nur recht klarmachen würden, dann bräuchten wir uns Luthers Übersetzung des 3. Gebots nicht zweimal sagen zu lassen: „Du sollst den Feiertag heiligen.“ Was heißt das? Die Erklärung macht es deutlich: dass wir Gottes Wort gerne hören und lernen, und zwar ohne zeitliche Regulierung und Ein­schränkung. Den Sonntag freilich werden wir dann als besonders günstige Gelegenheit dazu wahrnehmen. Wenn wir den Feiertag heiligen wollen, brauchen wir nicht ängstlich wie die Juden zu fragen: Was dürfen wir heute tun und was nicht? Wir dürfen all das tun, was wir auch sonst als Christen mit gutem Gewissen tun dürfen. Nein, wenn wir den Feiertag heiligen wollen und dazu das Geschenk des Oster­jubeltags recht gebrauchen, dann werden wir fragen: Wie kann ich an jedem Sonntag recht Ostern feiern? Wie kann ich diesen Tag gut nutzen – für Gottes Wort, für die Gemeinschaft mit anderen Christen, für Jubel, Lobpreis und Gebet? Die Sonntagsruhe soll ja keine leere Ruhe sein, sondern gefüllte Ruhe, mit Gottes Wort gefüllte Ruhe!

Leider verpassen viele Menschen die Chance, die Gott ihnen mit dem Sonntag schenkt. Da ist ein ganzer Tag frei von Arbeit, und der wird obendrein noch von den Arbeitgebern bezahlt. Aber viele nutzen ihn nicht für den Zweck, für den er ursprünglich eingeführt wurde und für den er sich so gut anbietet; sie bleiben dem Gottesdienst fern. Wenn sie die frohe Botschaft nicht hören, das Sakrament nicht feiern und in den Osterjubel der Gemeinde nicht einstimmen wollen, ist das so, wie wenn sie das köstliche Stück Sahnetorte vor sich auf dem Teller einfach stehen lassen. Gott persönlich lädt ein, aber sie sagen ab, bleiben lieber im Bett, machen Ausflüge, treiben Sport oder sitzen im Wirtshaus. Um es ganz klar zu sagen: Dadurch wird der Feiertag auch nicht mehr geheiligt, als wenn sie im Garten arbeiten, das Feld bestellen oder am Fließband stehen würden. Die Chance des Sonntags vertun sie ungenutzt.

Liebe Gemeinde, wenn ich euch das sage, so trage ich eigentlich Eulen nach Athen. Ihr folgt ja treu Gottes Einladung in den Gottesdienst und nutzt diesen Osterjubeltag recht. Ich sage es deshalb, um euch darin zu bestärken und um euch anzuregen, andere Christen zur rechten Heiligung dieses Tages zu ermuntern. Nicht aus Pflicht oder Zwang soll jemand zur Kirche kommen, sondern im Wissen, dass hier die unfasslich gute Nachricht im Mittelpunkt steht, die seit dem ersten Ostermorgen in der Welt ist: Jesus lebt und ist bei uns alle Tage, bis an der Welt Ende, und darüber hinaus in Ewigkeit. Macht euch das einmal klar, wenn ihr selbst nur unlustig und ohne große Erwartungen zur Kirche kommt. Hier begegnet euch der auferstandene Herr in Wort und Sakrament, der eurem Leben die entscheidende Wendung zum Guten gibt.

Wenn wir den Sonntag als große Chance zum Osterjubel und zum Hören von Gottes Wort neu entdecken, dann wird uns der kurze Gottesdienst am Vormittag vielleicht zu wenig sein. Wir werden dann fragen: Wie können wir den ganzen Tag heiligen? Wie können wir den ganzen Tag unserm auf­erstandenen Herrn widmen? Früher gab es in vielen Gemeinden Nachmittags­gottes­dienste; die sind leider irgendwann abgeschafft worden. Wenn der Wunsch besteht, könnte man sie wieder einführen. Oder es könnten in den Familien sonntags erweiterte Hausandachten gehalten werden, etwa mit Lese­predigten. Wir haben ja Zeit an diesem Tag! Oder Eltern könnten sich vornehmen, am Sonntag besonders intensiv mit ihren Kindern biblische Geschichten zu lesen oder aus dem Katechismus, aus der Bibel oder dem Gesangbuch zu lernen. Familien mit älteren Kindern können sich vornehmen, sonntags eine häusliche Bibelarbeit durch­zuführen. Es gibt ganz viele Möglich­keiten, den Sonntag wirklich zu heiligen und nicht nur keine Arbeit zu tun.

Liebe Gemeinde, die Anhängerinnen Jesu standen früh am ersten Ostersonntag auf und machten sich auf den Weg, um einen toten Jesus zu ehren. Sie machten die wunderbare Erfahrung, dass ihnen ein Jubeltag geschenkt wurde, erfüllt mit der Botschaft: Jesus lebt! Da sollten wir uns doch auch immer wieder sonntags früh aufmachen, um im Gottesdienst den lebendigen Jesus zu ehren, und diesen ganzen geschenkten freien Tag unter sein Wort stellen. Für unsere Seele ist es das Beste, was wir tun können. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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