Der Christus Gottes

Predigt über Lukas 9,18‑20 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Damals wie heute versucht man, Jesus in ein mensch­liches Schema zu pressen. Auf Jesu Frage: „Für wen halten mich die Leute?“, antworten die Jünger: „Johannes der Täufer (der kurz vorher hin­gerichtet worden ist und nun wieder zum Leben erwacht sein soll), Elia oder ein anderer Prophet des Alten Testa­ments.“ Die Meinungen tendieren dahin, dass Jesus zwar ein großer und bedeutender Gottesmann, aber eben nur ein Mensch gewesen sei, einer unter vergleich­baren anderen. Heute sind oft ähnliche Meinungen an­zutreffen. Direkt gegen Jesus hat kaum einer etwas. Man achtet ihn als Vorbild, Weisheits­lehrer, Re­volutio­när, Aussteiger, Guru, Prophet oder gar als okkultes Medium, das mit den Seelen Ver­storbener Kontakt hat – so jedenfalls behauptet es eine Drucksache, die unsere Gemeinde von einem anonymen Absender zugeschickt bekam. Man versucht, Jesus in ein mensch­liches Schema zu pressen; aber indem man ihn mit anderen zu vergleicht, verfehlt man die Wahrheit.

Als Jesus damals diese Frage stellte, wusste er natürlich schon vorher, was die Leute von ihm hielten. Es ging ihm also nicht um ein re­präsenta­tives Meinungs­bild über sein Image. Vielmehr wollte er seinen Jüngern bewusst machen, dass er der ganz Andere ist, der in kein mensch­liches Schema passt. Darum fragte er weiter, für wen denn die Jünger ihn hielten. „Du bist der Christus Gottes“, antwortete Petrus stell­vertretend für alle. Im Matthäus­evangelium steht in diesem Zusammen­hang noch, dass ihm diese Erkenntnis direkt von Gott geschenkt wurde. Ein dicker Trennungs­strich ist also zu ziehen zwischen den mensch­lichen Meinungen über Jesus, die allesamt an der Wahrheit vorbei­gehen, und der gott­gewirkten Erkenntnis: „Du bist der Christus Gottes“.

Mit dieser gott­gewirkten Erkenntnis über Jesus steht und fällt unser Heil. Ein Zeuge dieses Gesprächs, der Jünger Johannes, hat es in seinem ersten Brief klipp und klar dargelegt: „Wer ist ein Lügner, wenn nicht der, dr leugnet, dass Jesus der Christus ist?… Wer den Sohn hat, der hat das Leben, wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.“ (1. Joh. 2,22‑23) Vom richtigen Christus-Bekenntnis hängt unser Heil ab, unser ewiges Leben. Darum lasst uns jetzt nichts anderes tun, als das rechte Christus-Bekenntnis nach­zubuchsta­bieren, das Petrus uns vor­buchsta­biert hat: „Du bist der Christus Gottes!“

Christus ist Griechisch und heißt „Gesalbter“, auf hebräisch „Messias“. In alt­testament­lichen Zeiten wurden Menschen gesalbt, die bestimmte Ämter antraten: Könige, Priester und Propheten. Die Salbung geschah im Namen Gottes und zeigte an: Dieser Mensch hat sich nicht selbst ein Amt angemaßt, er ist auch nicht demo­kratisch gewählt oder von anderen Menschen dazu ausersehen worden, sondern Gott selbst hat diesen Menschen für das Amt erwählt und setzt ihn ein. Das Salböl war außerdem ein Zeichen des Heiligen Geistes und machte deutlich, dass Gott dem neuen Amtsinhaber durch den Heiligen Geist Weisheit und Kraft für sein Amt verleiht. Der von Gott so Auserwählte und Befähigte konnte dann „Gesalbter“ genannt werden, oder „Messias“, oder „Christus“.

Nun erwartete das Volk Israel in alt­testament­lichen Zeiten einen besonderen König, einen besonderen Priester, einen besonderen Propheten – den Messias. Viele Gottesboten kündigten ihn an. Jesus hat diese Ver­heißungen erfüllt; er hat sie in einer Person vereinigt: Jesus ist der Prophet, der Priester, der König zugleich; der Gesalbte, der Messias, der Christus. Weil Jesus aus der ewigen Welt seines Vaters in unsere Welt kam, ist die eigentliche Beauftragung und Befähigung zu diesem Dienst keine übliche Salbungs­feier gewesen. Und doch hat der himmlische Vater mit einem bestimmten Ereignis die Salbung Jesu sichtbar werden lassen – uns Menschen zu Liebe, damit wir desto gewisser werden: Jesus ist der Gesalbte. Das ist die Taufe Jesu, bei der der Heilige Geist in Tauben­gestalt erschien. Die Taufe Jesu im Jordan durch Johannes den Täufer wird im Neuen Testament seine „Salbung“ genannt. Ja, Jesus ist vom Vater gesalbt worden, eingesetzt in die Ämter Prophet, Priester und König. Aber was bedeuten diese Ämter?

Ein Prophet ist nicht nur jemand, der zukünftige Dinge vorhersagen kann. Das kann unter Umständen auch ein Wahrsager, der mit dem Teufel im Bund steht. Ein Prophet sagt den Menschen Gottes Wort, lehrt sie, mahnt sie, droht ihnen, macht ihnen Ver­heißungen. Genau das hat Jesus getan und tut es bis heute durch das Wort der Bibel, das in aller Welt verkündigt wird. Jesus ist bis zum heutigen Tag der gesalbte Prophet. Im Anschluss an das Petrus­bekenntnis hat er übrigens auch im engeren Sinne prophezeit: Er hat sein Leiden, Sterben und Auferstehen voraus­gesagt. Bevor dies nicht alles erfüllt sei, so ermahnte er seine Jünger, sollten sie ihn nicht öffentlich ver­kündigen. Jesus wollte nicht als bloßer Prophet bekannt werden; sein Haupt­auftrag war das Priesteramt – das zweite Amt, zu dem er gesalbt war.

Das Priesteramt erfüllte Jesus durch seinen Opfertod am Kreuz. Aber wieviel größer und wirksamer war sein Priesterdienst als die Dienste aller Priester Israels in der Zeit davor! Jesus brachte nicht unzählige Opfer, sondern nur ein einziges. Er brachte nicht Opfertiere auf den Altar, sondern sich selbst ans Kreuz. Er ist der Priester, der sich selbst zum Sündopfer gegeben hat, als Lamm Gottes. Sein Opfer galt nicht nur für das Volk Israel, sondern es gilt für die ganze Welt. Sein Opfer braucht nicht ständig wiederholt zu werden, sondern es gilt ein für alle mal, solange die Erde steht. Christus, der gesalbte Priester, hat sich selbst ein für alle Mal für alle Menschen der Erde zum Opfer gebracht. Was für ein gewaltiger Dienst! Ja, auch für die gott­losesten und bösesten Menschen gilt sein Opfer, für Mörder und für Tyrannen, auch für dich und für mich. Wer Jesus als den Christus im Glauben annimmt, der gewinnt die ewige Seligkeit durch dieses Opfer. Wer das Opfer nicht haben will und nicht an Jesus als den Christus glaubt, für den ist Christus umsonst gestorben.

Ein für alle mal hat Christus sein Opfer gebracht, aber dennoch geht sein Priester­dienst weiter bis zum heutigen Tag. Denn zu seinem Priester­dienst gehört die Fürbitte für die Seinen. Wisst ihr das, dass Jesus für euch den Vater bittet? Der Apostel Johannes schreibt in seinem ersten Brief: „Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist“ (1. Joh. 2,1). Jesus ist der gesalbte Priester Gottes, der Fürbitte für uns tut.

Schließlich ist Jesus auch der gesalbte König, der König aller Könige, der Herr aller Herren. Er ist der König des Volkes Israel wie sein leiblicher Urahn David. Aber er ist es im geistlichen Sinne über das neue, das geistliche Israel, nämlich über alle, die er zu Gottes Kindern gemacht hat. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagte er, und darum dürfen wir ihn nicht mit mensch­lichen Königen vergleichen (Joh. 18,36). Er herrscht über die Seinen mit Demut und Sanftmut, nicht mit Gewalt und Heer und Kraft. Er dient den Seinen wie ein Knecht, der König aller Könige. Er dient seiner Kirche durch Wort und Sakrament und viele wunderbare Gaben. Seine Herrschaft ist nicht laut und zwingend, sondern still und werbend. Dennoch hat er alle Macht. Wenn er dem Teufel im Reich dieser Welt noch etwas Raum gibt, dann ist das nur eine Frage der Zeit. Einmal wird der König Jesus Christus ein schreck­liches Gericht halten über den Teufel und über alle Gottlosen. Wer dann nicht dem Opfer des Priester Jesus Christus vertraut haben wird, der wird in diesem Gericht zur ewigen Strafe verurteilt werden. Ja, Jesus ist der gesalbte König.

Wir haben jetzt bedacht, was „Christus“ heißt: Prophet, Priester und König. Petrus sagte aber noch mehr: „Du bist der Christus Gottes.“ Oder wir müssen eigentlich übersetzen: „Du bist der Christus von Gott.“ An anderer Stelle steht es noch aus­führlicher: „Du bist Christus, der Sohn Gottes.“ Was heißt „von Gott“, was heißt „Sohn Gottes“?

Wenn ein Mensch einen Sohn hat, dann ist dieser Sohn auch ein Mensch. Wenn ein Tier Junge bekommt, dann sind die Jungen die gleiche Art Tier wie das Muttertier. Wenn Jesus Gottes Sohn heißt, dann bedeutet das: Er selbst ist Gott, weil sein Vater Gott ist. Er ist „eines Wesens mit dem Vater“, wie es im Nizänischen Glaubens­bekenntnis heißt. Das ist ganz ent­scheidend. Nur wenn wir Jesus wirklich als Gott ernst nehmen, haben wir den richtigen Glauben und das richtige Bekenntnis; wenn nicht, wird Jesus uns un­weigerlich in irgendein un­zutreffendes mensch­liches Schema rutschen. Ja, Jesus ist ganz wirklich Gott, so wahr er auch ganz wirklich Mensch ist und nicht etwa einen Scheinleib hatte. In Luthers Erklärung zum 2. Glaubens­artikel heißt es trefflich: „wahr­haftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahr­haftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren“.

Was bedeutet aber: „vom Vater in Ewigkeit geboren“? Es ist der einiger­maßen hilflose Versuch, etwas Un­vorstell­bares in Worte zu kleiden. Jesus hat keinen göttlichen Geburtstag, nur einen mensch­lichen; es gibt ihn von Ewigkeit her. Wenn wir Jesus Gottes Sohn nennen, meinen wir damit also keine Abstammung, sondern eine Beziehung. Jesus steht in einer Beziehung zu Gott wie ein Sohn zum Vater. Er ist mit denselben göttlichen Eigen­schaften aus­gestattet wie der Vater, aber er spielt sie nicht gegen ihn aus und setzt sie auch nicht partner­schaftlich ein. Vielmehr ordnet er sich freiwillig im Gehorsam dem Vater unter, wie es ein guter mensch­licher Sohn auch tut. Wenn Jesus Gottes Sohn genannt wird, ist damit also gemeint: Er ist wirklich Gott, eines Wesens mit dem Vater, aber er ordnet sich im frei­willigen Gehorsam dem Vater unter. Dieser Gehorsam in Bezug auf den dreifachen Dienst als Prophet, Priester und König rettet uns das Leben; deswegen können wir den Gehorsam des Gottes­sohnes nicht genug preisen.

Wir haben eben entfaltet, was in diesem schlichten Bekenntnis alles drinsteckt: „Du bist der Christus Gottes.“ Es mag vielleicht dem einen oder anderen trocken oder wirk­lichkeits­fern vorgekommen sein. Es ist doch aber ungeheuer wichtig, dass wir über unsern Herrn und Heiland Bescheid wissen. Umsonst ist uns das ja nicht in der Bibel offenbart worden. In den ersten Jahr­hunderten nach Christus war dies das Thema Nummer eins unter den Christen: nach­zubuchsta­bieren, was es bedeutet, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes. Wir sind heute oft viel zu sehr mit uns selbst und mit den Problemen dieser Welt be­schäftigt, um uns wirklich in Christus zu vertiefen. Gebe Gott, dass wir immer besser erkennen und immer gewisser bekennen können, was Petrus einst sagte: „Du bist der Christus Gottes.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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