Von den Hirten lernen

Predigt mit Anspiel über Lukas 2,8‑20 zum Heiligen Abend

ANSPIEL I

Vier Hirten stehen im Halbkreis um ein Lagerfeuer. Der 1. Hirte gähnt.

2. Hirte: Wenn bloß die Nacht bald 'rum ist. Das ist ja wieder eine Kälte!

3. Hirte: Bald 'rum? Ich wette, es ist noch nicht mal Mitter­nacht.

Der 1. Hirte gähnt wieder.

4. Hirte (unter­bricht den 1. Hirten): Still! – Hat da nicht eben ein Wolf geheult?

3. Hirte: Ein Wolf? Du hörst Gespenster!

2. Hirte: Und wenn schon. Seht nur, wie mager unsere Schafe sind! Da wird dem Wolf der Appetit schon vergehen.

4. Hirte: Ja ja, es wird höchste Zeit, dass wir bessere Weide finden. Sind ja nur noch Haut und Knochen, die Biester.

2. Hirt (genüss­lich): Und ich würde so gern mal wieder eine ordentlich fette Hammelkeule essen, mmmh!

3. Hirte: Ob es hier bei Bethlehem überhaupt noch ein Fleckchen gibt, das wir nicht abgegrast haben?

4. Hirte: Wir müssen uns eben auf die Socken machen und woanders suchen.

1. Hirte (gähnt): Ja, aber nicht heute nacht.

2. Hirte: Nächste Woche vielleicht.

Der 1. Hirte gähnt besonders herzhaft. Leise ertönt ein Glocken­spiel.

4. Hirte: Still! – Ich hab eben wieder was gehört. Ich glaube, da sind doch Wölfe.

3. Hirte (etwas aufgeregt): Das sind doch keine Wölfe, das ist irgend was anderes. – Kommt mir ja merkwürdig vor.

Das Glocken­spiel wird lauter. Engel treten mit Kerzen und Instru­menten auf.

2. Hirte: Da hinten am Himmel wird's hell. Ich glaube, das ist schon die Morgen­dämmerung.

3. Hirte: Quatsch.

4. Hirte: Was hat das bloß zu bedeuten? Ein Gewitter? Eine – Natur­katastrophe? Ein – ein Gottes­gericht?

Das Vorspiel zum Engelgesang erklingt.

Engel (singen): Fürchtet euch nicht! Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große, große Freude; große, große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geborn, welcher ist Christus, der Herr. Denn euch ist heute der Heiland geborn, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids. – Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, auf Erden, und den Menschen ein Wohl­gefallen. Amen. Amen.

Die Engel blasen ihre Kerzen aus und treten ab.

2. Hirte: Was war das?

1. Hirte (gähnt): Könnte sein, dass da so ein paar Engel waren.

3. Hirte: Glaub ich nicht, kann ich mir nicht vorstellen. Das muss eine Täuschung gewesen sein.

4. Hirte: Wenn es nun aber doch Engel waren? Vielleicht sollten wir uns drum kümmern. Am Ende ist Gott böse mit uns, wenn wir nicht hingehen.

1. Hirte: Hingehen?

2. Hirte: Die Stadt ist mir zu weit weg.

1. Hirte: Zu müde.

3. Hirte: Wahr­scheinlich finden wir nichts und gucken dann dumm aus der Wäsche.

4. Hirte: Na ja, ihr habt wohl recht. Bleiben wir lieber hier. Wir können ja auch nicht einfach alles im Stich lassen.

Die Hirten treten ab.

PREDIGT

Liebe Gemeinde!

Sicher wundert sich jetzt mancher: Was war denn das für ein Ver­kündigungs­spiel? Die Hirten verhielten sich ja ganz anders, als es in der Bibel steht! Richtig, in der Bibel steht es anders. Aber ist das Verhalten der Hirten in dem Spiel wirklich so ver­wunderlich? Ich meine: Nein. Das Verhalten der Hirten in dem Spiel entspricht der Mehrheit derer, die sich heute Christen nennen. Die Botschaft ist dieselbe geblieben; noch in unserer Zeit verkündigen Gottes Boten allen Menschen große Freude, und noch in unserer Zeit ist der Heiland Jesus Christus wirklich zu finden – wenn auch nicht in Krippe und Windeln, so doch im Gottes­dienst, in der Wort­verkündi­gung und im Heiligen Abendmahl. Trotz dieser großartigen Botschaft reagieren die meisten Leute wie die Hirten im Spiel. Sie sagen: Kann ich mir nicht vorstellen, dass mir das was bringt. Sie sagen: Zu weit weg! Der Kirchgang ist ihnen zu zeitraubend und zu unbequem. Sie sagen: Zu müde!, und schlafen am Sonntag­morgen aus. Sie sagen: Wir können doch nicht alles im Stich lassen!, und werden so durch ihre Pflichten vom Gottes­dienst­besuch abgehalten – zum Beispiel durch das Mittag­essen, das pünktlich auf dem Tisch stehen soll. Ver­wunder­lich ist das Verhalten der Hirten keineswegs, es ist heute das Übliche. Die Folge: Nicht die Hälfte unserer Gemeinde­glieder sitzt sonntags in der Kirche.

Aber heute nachmittag ist es voll, und das ist schön. Ich hoffe, dass ihr nicht nur deshalb gekommen ist, um ein bisschen festliche Weihnachts­stimmung zu tanken, sondern vielmehr, um von Gottes Wort etwas mit­zunehmen. Ich hoffe auch, ihr seid nicht böse, dass ich mit dem Thema Gottes­dienst­besuch anfange. Das Thema Gottes­dienst­besuch ist eigentlich ein ungeheuer weihnacht­liches Thema – das werden wir gleich merken, wenn wir hören, wie sich die Hirten damals wirklich verhalten haben. Es ist überliefert im Lukas­evangelium, Kapitel zwei:

TEXTLESUNG Lukas 2,8‑20

Vier Dinge können wir an den richtigen Hirten beobachten: Erstens fürchteten sie sich; zweitens sprachen sie: „Lasst uns gehen und die Geschichte sehen“; drittens fanden sie; viertens breiteten sie das Wort aus und lobten Gott. In allen vier Verhaltens­weisen können wir etwas Wichtiges von den Hirten lernen.

Erstens: Sie fürchteten sich. Warum? Weil Gottes Klarheit sie umfing. Und wenn ein Mensch Gott begegnet, dann fallen ihm erst mal alle Sünden ein, und er bekommt einen fürchter­lichen Schreck. Dieser Schreck ist gut und heilsam, denn Sünden­erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Wir tun gut daran, auch ohne großen Engelsglanz über unsere Schuld zu erschrecken und nicht im Schlaf der Sicherheit zu verharren. Wenn wir ernst nehmen, was Gott in der Bibel von uns fordert, dann werden wir merken, wie wenig wir vor ihm bestehen können. Ist Gott dir wichtiger als alles andere? Betest, lobst und dankst du fleißig? Ist dir der Sonntag heilig? Liebst und ehrst du deine Eltern? Liebst du deine Mitmenschen wie dich selbst – allesamt, auch die Un­sympa­thischen, auch deine Feinde? Achtest du fremdes Eigentum, auch öffent­liches Eigentum? Bist du treu? Bist du rein in Gedanken, Worten und Werken? Bist du immer ehrlich und aufrichtig? Bist du zufrieden mit dem, was du hast? Nimm diese Gebote ernst, nimm sie an als Gottes Wort, und du musst über deine Schuld er­schrecken. Ohne diesen Schreck wirst du die Weihnachts­botschaft nie verstehen können, weil du dann mit dem Heiland nichts anfangen kannst, der erschienen ist, um deine Sünde vor Gott abzubüßen. Ohne dieses vorherige Erschrecken kannst du keine echte Weihnachts­freude haben. Ohne dieses vorherige Erschrecken kannst du kein Christ sein.

Zweitens: „Lasst uns gehen und die Geschichte ansehen“, sagten die Hirten. Da können wir das Wagnis des Glaubens von ihnen lernen. Einfach auf Gottes Wort hin losgehen und sehen, ob es stimmt! Dazu sind auch wir eingeladen: dass wir uns auf Gottes Versprechen verlassen und ihn beim Wort nehmen. Wenn Gott durch den Pastor sagt: „Dir sind deine Sünden vergeben“, dann sind sie wirklich vergeben. Wenn er sagt: Du darfst ewig leben, auch über den Tod hinaus, dann wirst du ewig leben, falls du daran glaubst. Wenn Gott dir sagt: Um diesen Glauben zu erhalten und durch Not und Tod hindurch zu bewahren, brauchst du die Gemein­schaft anderer Christen und den Gottes­dienst, dann sollten wir auch das ernst nehmen. Dass der christliche Glaube der einzig richtige ist und Gott seine Ver­heißungen alle erfüllt, das kann dir niemand beweisen, genauso­wenig wie den Hirten damals jemand beweisen konnte, dass der Engel die Wahrheit gesagt hat. Aber wenn du dem Vorbild der Hirten folgst und einfach sprichst: Lasst uns gehen! Lasst uns glauben! Lasst uns Gott beim Wort nehmen! Lasst uns im Gottes­dienst die Geschichte erleben, wie Gott uns in Wort und Sakrament nahekommt! – wenn du so dem Vorbild der Hirten folgst, dann wirst du merken, dass du dich nicht vergeblich in Bewegung gesetzt hast.

Drittens: Die Hirten fanden! Was fanden sie? Menschlich gesehen nichts Groß­artiges: Einen Vater, eine Mutter, ein neu geborenes Kind, notdürftig und armselig in einem Viehstall unter­gebracht. Aber sie sahen ja nicht nur mit den leiblichen Augen, sondern Gott lehrte sie, mit dem Herzen zu sehen: „Den aller Weltkreis nie beschloss, / der liegt in Marien Schoß.“ Gott selbst ein Kind – zur Welt gekommen, um alle Menschen zu erlösen! Auch du kannst ihn heute finden, hier in diesem Gottes­dienst: Christus ist da, Christus hat dich zu diesem Gottes­dienst eingeladen, Christus spricht zu dir durch die Worte der Bibel, auch durch die Lieder, die Predigt und das Ver­kündigungs­spiel. Und wenn morgen und übermorgen Haupt­gottes­dienste gefeiert werden, will Christus im Heiligen Abendmahl auch unter Brot und Wein zu dir kommen. Mit den leiblichen Augen wirst du nicht viel sehen; du wirst einfach Brot und Wein sehen sowie menschliche Stimmen hören. Du siehst eine Kirche, die heute mal gut gefüllt ist, aber bei anderen Gottes­diensten noch viele freie Plätze hat. Aber wenn Gott dich mit dem Herzen sehen lehrt, wirst du hier in der Kirche das finden, was die Hirten damals im Stall fanden: Gott selbst, wie er sich in unfassbarer Liebe zu uns Menschen herablässt, um uns aus unserem Elend zu reißen und ewig selig zu machen.

Viertens: Die Hirten kehrten um, breiteten das Wort aus und lobten Gott. Wir können es in einem Begriff zusammenfassen: Sie bekannten ihren Glauben. Bekennen bedeutet weitersagen und zugleich Gott loben. Wenn du fleißig zum Gottes­dienst gehst, bekennst du anderen gegenüber mit deinen Füßen, was dir wichtig ist. Und wenn du mit dem Herzen Christus als deinen Heiland erkannt hast, dann werden deine Lippen nicht von ihm schweigen, auch im Alltag nicht. Die frohe Botschaft der Engel findet dann ein Echo in deinem Mund. Und das soll sie auch heute finden, wenn wir gemeinsam in den Lobgesang einstimmen, den die „Engel“ vorhin vorgesungen haben. Danach werden dann unsere „Hirten“ den richtigen Schluss der Weihnachts­geschichte vorspielen. Amen.

GEMEINDEGESANG (KANON)

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, auf Erden, und den Menschen ein Wohl­gefallen. Amen. Amen.

ANSPIEL II

2. Hirte: Was war das?

1. Hirt: Engel sind uns erschienen!

3. Hirte: Kein Zweifel: Gott selbst hat mit uns geredet!

4. Hirte: „Ich verkündige euch große Freude“, hat der Engel gesagt. Der Erlöser ist geboren!

1. Hirte: Nichts wie hin nach Bethlehem!

2. Hirte: Lasst uns die Geschichte angucken!

3. Hirte: Gott wird uns schon den richtigen Weg zeigen.

4. Hirte: Und auf unsere Schafe wird er auch aufpassen.

1. Hirte: Also los, worauf warten wir noch!

Die Hirten treten ab.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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