Gut oder böse?

Predigt über Matthäus 12,33‑35 zum Buß‑ und Bettag

Liebe Gemeinde!

In billig gemachten Spielfilmen kann man den handelnden Personen meistens an der Nasenspitze ansehen, ob sie gut oder böse sind, und dem­entsprechend verhalten sie sich dann auch. Wer eine lebensnahe Handlung sehen möchte, rümpft über solche holzschnitt­artige Dar­stellung, über solche Schwarz-weiß-Malerei seine Nase. Denn in der Wirklich­keit sieht es ja anders aus: Die Bösen sind eigentlich gar nicht so böse; es sind ganz normale Menschen, die nur auf Abwege geraten sind. Und die Guten sind eigentlich gar nicht so gut, weil sich hinter einer Fassade des Gutseins oftmals eine gehörige Portion böser Selbst­gerechtig­keit verbirgt. Es scheint also keine ganz Guten und keine ganz Bösen zu geben, sondern nur Mittelgute und Mittelböse.

Wenn Menschen miteinander umgehen, dann haben solche Grauwerte ihren Sinn. Man muss es ja nicht gerade so weit treiben, dass man alle für gleich mittelgut hält. Etwas anderes ist es, wenn Gott urteilt – etwa durch seinen Sohn Jesus Christus. So geschieht es in den Worten aus dem Matthäus­evangelium, die wir eben gehört haben. Bei Gott gibt es den scharfen Kontrast von gut und böse wirklich. Jesus spricht von guten und bösen Menschen und vergleicht sie mit guten und faulen Bäumen. Jeder Baum, sagt er, kann nur Früchte von der Qualität tragen, die er selbst hat; der gute Baum bringt gute Frucht, der schlechte Baum bringt schlechte Frucht. Ebenso ist es beim Menschen, sagt Jesus, und er sieht dabei besonders auf diejenigen Früchte, die aus dem Mund kommen, auf die Worte also. Ein guter Mensch redet Gutes, „bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens“; ein böser Mensch redet Böses, „bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz“. Wie das Herz des Menschen beschaffen ist, so redet er. Oder um es mit dem Sprichwort zu sagen, das hier seinen Ursprung hat: „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“

Als Jesus seinen Zuhörern dies klarmachte, philo­sophierte er nun keineswegs einfach so vor sich hin, sondern er hatte einen triftigen Anlass für seine Rede. Kurz zuvor hatte er einen dämonisch besessenen Menschen geheilt. Daraufhin hatten einige Pharisäer geurteilt: „Er treibt die bösen Geister nicht anders aus als durch Beelzebul, ihren Obersten.“ Was für eine un­geheuerliche Behauptung! Sagten sie doch allen Ernstes, Jesus stünde mit dem Teufel im Bunde und hätte nur deshalb Macht über niedrigere böse Geister. Dieses Urteil war eine schlimme Ver­leumdung, eine aus­gesprochen faule Frucht im Mund der Pharisäer. „Ihr Schlangen­brut“, sagte Jesus ihnen auf den Kopf zu, „wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?“ – „Schlangen­brut“, das hört sich wie ein Schimpfwort an. Jesus will damit aber etwas Bestimmtes zeigen: Die Schlange ist das Symboltier für den Teufel, und „Brut“ bezeichnet die Nachkommen­schaft. „Ihr Schlangen­brut“ bedeutet also: „Euer Vater ist der Teufel“, und das hat Jesus in der Tat an anderer Stelle auch wörtlich so von den Pharisäern gesagt (Joh. 8,44). Er machte ihnen mit dieser Anrede deutlich: Nicht ich bin mit dem Teufel im Bund, sondern ihr seid es! Ohne dass ihr es wahrhaben wollt, steht ihr im Macht­bereich des Bösen, werdet von ihm bestimmt und gelenkt. Darum seid ihr böse, und böse ist auch eure Rede, etwa diese üble Lüge vom Beelzebul.

Liebe Gemeinde, es ist wichtig, dass wir uns über diesen Hintergrund der Worte Jesu klar werden, sonst würden wir sie leicht miss­verstehen. Aber wir dürfen nicht in der Vergangen­heit stehen bleiben, sondern müssen fragen, was Jesus denn uns damit sagen will. Falsch wäre es auch, wenn wir uns jetzt einfach den Pharisäern moralisch überlegen fühlten. Vor Gott bringt es überhaupt nichts, ein bisschen heller als schwarz zu sein, weiß ist man dann noch lange nicht. Wir würden dann auch selbst wie Pharisäer werden, weil wir auf andere gering­schätzig herabsähen. Vor Gott bringt es auch nichts, sich viel Mühe zu geben, dass man das Gute tue. Es gibt heute übrigens kaum einen Menschen, der sich mehr Mühe gibt als ein Pharisäer damals; mit jeder Faser ihres Leibes trachteten die Pharisäer danach, Gott zu gefallen. Aber auch diese Mühe schützte die Pharisäer nicht vor Jesu Urteil „Schlangen­brut“ und vor der schonungs­losen Diagnose: „Wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?“ Vor Gott zählen ganz einfach die Früchte, so wie Jesus es aussprach: Guter Baum – gute Frucht, fauler Baum – faule Frucht. Oder ohne Bild: Guter Mensch – gute Worte, böser Mensch – böse Worte.

Willst du also an diesem Wort Jesu lernen, wie du vor Gott dastehst, so musst du dich fragen: Wie sind meine Früchte? Wie sind meine Worte? Sind sie gut? Gefallen sie Gott?

Lieber Christ, prüfe deine Worte, lege die Früchte deines Mundes in die unfehlbare Prüfanlage der Heiligen Schrift, und nimm ernst, was dabei heraus­kommt. Wie redest du zu deinen Mit­menschen? Sind deine Worte immer liebevoll, helfen sie weiter? Trösten sie, ermutigen sie? Mahnen sie, wo es nötig ist? Sanft und verständis­voll? Oder laut und ärgerlich? Gibt es womöglich Menschen in deiner Nähe, mit denen du überhaupt nicht mehr redest? Sind deine Worte oft gereizt, egoistisch, spöttisch, nörgelnd, recht­haberisch? Und wie redest du über deine Mit­menschen? Stellst du sie immer ins best­mögliche Licht? Ent­schuldigst du sie vor anderen? Schweigst du über das, was andere nichts angeht? Oder hast du eine geheime Freude daran, von den Schwächen und Fehlern anderer zu reden? Klagst du Abwesende gern an, aber wagst es nicht, ihnen ihre Schuld unter vier Augen vor­zuhalten? Machst du dich hinter dem Rücken über deine Mitmenschen lustig? Und wie redest du zu Gott? Nimmst du dir Zeit zum Beten? Sprichst du voll Ehrfurcht und Liebe zu ihm? Hört Gott auch Lob und Dank von dir für all das viele Gute, das er dir täglich und reichlich schenkt? Stimmst du ein in den Lobpreis und in das Bekenntnis deiner Gemeinde im Gottes­dienst? Oder redest du nur mit Gott, wenn du gerade mal das Bedürfnis hast? Fehlt in deinen Gebeten die Fürbitte? Hört Gott nur Klagen von dir, Anklagen und Hilferufe? Hört er womöglich gar nichts von dir? Nennst du seinen Namen gedanken­los, sagst „Ach Gott!“, ohne ihn wirklich zu meinen? Un wie redest du über Gott? Leuchten deine Augen, lacht dein Herz, wenn du von ihm redest? Erzählst du freimütig von seiner großen Liebe, die du erfahren hast und noch erfährst? Oder ist es dir peinlich, über Gott zu sprechen? Machst du gar Witze und lose Bemerkungen über ihn und über heilige Dinge? Schimpfst du über Gott und über das, was er schafft – übers Wetter zum Beispiel?

Lieber Christ, wenn du dir diese Fragen ehrlich be­antwortest und wenn du Gottes Wort wie einen Maßstab an dein Reden anlegst, wirst du erkennen, dass du ein „fauler Baum“ bist. Da sind ja so viele faule Früchte! Und ich selbst stelle mich auch unter diese Anklage. Ja, gerade ich als Pastor, denn wieviel hängt von meinen Worten ab, und wieviel Schaden richte ich an, wenn ich das Falsche sage, wenn ich zur falschen Zeit rede, wenn ich zur falschen Zeit schweige. Jesu Wort zeigt mir und dir ganz klar: Du bist ein fauler Baum, ein böser Mensch, der aus dem bösen Schatz seines Herzens Böses hervor­bringt. Dass du gelegent­lich auch etwas Gutes sagst, ent­schuldigt dich nicht, denn Jesus forderte in der Berg­predigt: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Matth. 5,48).

Vielleicht fragst du nun: Ja, wer ist denn dann ein guter Baum? Darauf hat Jesus die Antwort bereits gegeben: „Niemand ist gut als Gott allein“ (Mark. 10,18). Und der Apostel Paulus bestätigt das im Römerbrief: „Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten“ (Römer 3,23).

Heißt das denn, dass auch wir „Schlangen­brut“ sind? Werden auch wir vom Teufel geritten? Ja, auch wir. Unsere Früchte verraten uns: In unseren Herzen steckt das Böse. Die Folgen beschreibt die Bibel ganz nüchtern: Dass Menschen krank werden, dass Menschen sterben, dass Menschen von Gott getrennt sind, das ist die Folge unserer Schlechtigkeit. Und diese Schlechtig­keit ist nicht bloß ein Schönheits­fehler, den man mit einem Bisschen guten Willen überwinden kann, nein, diese Schlechtig­keit steckt tief in uns drin. „Ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz.“

Liebe Gemeinde, diese Erkenntnis ist schreck­lich. Sie ist so schreck­lich, dass man sich in der heutigen Zeit oft sogar unter Christen scheut, sie deutlich aus­zusprechen. Aber auch wenn wir den Kopf in den Sand stecken, bleibt doch das ver­nichtende Urteil über unsere Schuld vor Gott bestehen. Ja, diese Erkenntnis ist schreck­lich, und ich hoffe, du erschrickst auch wirklich – nicht nur über die Schlechtig­keit der Welt, sondern auch über die Schlechtig­keit in deinem eigenen Herzen. Denn dieses Erschrecken ist der erste Schritt der Buße – wohl­bemerkt: der erste, der zweite kommt noch. Ohne das Erschrecken über die eigene Sünde gibt es kein Christsein. Aber wer erkennt, dass er als armer, elender, sündiger Mensch Gottes Strafe verdient hat, der bekommt Sehnsucht danach, dass es besser mit ihm wird.

Kann es denn besser mit uns werden? Und wenn ja, dann wie? Das fragen auch Menschen, die mit Gott nichts zu tun haben wollen. Sie wissen zwar nichts von der Sünde als der tief ver­wurzelten Bosheit im Menschen, aber sie merken doch, dass mit dem Menschen etwas nicht in Ordnung ist. Der Kommunismus erklärt das mit den äußeren Lebens­umständen: „Das Sein bestimmt das Bewusst­sein“, lehrte Karl Marx. Das glauben bis heute viele, auch wenn sie keine Kommunisten sind: Was einen Menschen gut oder böse mache, das sei seine Umwelt. Weit verbreitet ist deshalb die Illusion, dass man durch die richtigen Lebens- und Arbeits­bedingungen das Böse im Menschen zum Guten wenden könne. Aber die Erfahrung belehrt uns eines Besseren: Noch keinem Staat und keiner Gesell­schaft ist es gelungen, das Böse nachhaltig aus­zurotten.

Jesus sagte nicht: „Das Sein bestimmt das Bewusst­sein“, er sagte: „Wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über.“ Wenn etwas besser werden soll mit uns Menschen, dann müssen unsere Herzen besser werden! Genau das will Gott durch seinen Sohn Jesus Christus tun, und er hat es bereits getan. Willst du wissen wie? Gott macht dir ein großartiges Angebot. Er sagt: Ich sehe nicht mehr deine Bosheit an, weder dein böses Herz noch deine bösen Früchte. Ich sehe stattdessen die Gutheit meines Sohnes Jesus Christus an: wie der im Gehorsam gelebt hat, wie der im Gehorsam gelitten hat und gestorben ist. Seinen Tod nehme ich als Strafe für deine Sünde an; so wirst du wieder mein Kind, das mit mir Gemein­schaft haben darf. Ja, so werden auch Leid und Tod überwunden, denn nach dem Sterben kommt die Auf­erstehung zum ewigen Leben. Dieses Angebot macht Gott. Eigentlich ist es viel mehr als ein Angebot, es ist ein Geschenk, das dir seit der Taufe gilt, wo du von Gott neu geboren wurdest. Gott vergibt dir deine Sünde um Jesu willen; er rechnet sie nicht zu. Du brauchst ihm nur zu vertrauen, du brauchst ihn nur an dir handeln zu lassen und seinen Zuspruch anzunehmen. Da ist der zweite Schritt der Buße, der ent­scheidende Schritt, der dir heraushilft aus dem Erschrecken und der Ver­zweiflung über die Sünde und ihre Folgen. Nachdem du deine Sünde erkannt hast, findest du nun Zuflucht bei dem, der allein diesen Schaden heilen kann. Du bist böse, aber Gott sieht dich wegen Jesus wie einen Guten an. Mit mensch­licher Vernunft ist das nicht fassbar, aber es ist Gottes gute Nachricht für alle Menschen, Gottes Evangelium, das allen hilft, die an Jesus glauben.

Dieses Evangelium wird manchmal miss­verstanden. Da sagen einige: „Wenn das so ist, dann kann ich ja sündigen, soviel ich will; Gott vergibt mir ja!“ Wer so denkt, übersieht eines: Was Gott sagt, das tut er auch. Wenn Gott zu dir sagt: Du bist ein guter Baum, und du nimmst dieses Wort im Glauben an, dann wirst du wirklich zu einem guten Baum! Unter Gottes Wort beginnt eine Wandlung in deinem Herzen: Es bringt nun nicht mehr die Bosheit in dir Früchte, sondern der Glaube an Jesus Christus. Das zeigt sich dann auch in deinen Worten. Wenn dir ein Mensch zum Beispiel etwas Böses tut, und dir fällt ein, wie Gott dir vergibt, dann wirst du ihm auch vergeben, wirst freundlich mit ihm reden, wirst alle Rachepläne begraben.

Natürlich werden wir durch den Glauben nicht von einem Tag auf den andern zu Engeln. Früchte brauchen ihre Zeit zum Reifen, besonders die guten. Und du wirst auch immer wieder spüren, wie der Teufel über die noch ver­bleibende Bosheit in dir zum Zuge kommen will. Lass ihn nicht über dich herrschen! Kämpfe gegen ihn, jeden Tag! Auch wenn wir nur einmal im Jahr den Bußtag begehen, bleibt doch Martin Luthers These gültig: Jeder Tag im Leben eines Christen ist ein Bußtag, und zwar mit beiden Schritten: erstens mit Erschrecken über die Sünde, zweitens im Zuflucht-Nehmen bei Jesus Christus und seiner Vergebung. Durch solche tägliche Buße wird es besser mit deinem Herzen, und du wirst immer mehr zum guten Baum, der dann auch gute Frucht bringt. Zu solcher Buße leitet dich Gottes Wort an, darum solltest du es täglich betrachten und jeden Sonntag im Gottes­dienst hören.

Liebe Gemeinde, wir sind schwarz und böse im Licht von Gottes Forderung, aber wir sind weiß und gut im Licht von Gottes Evangelium. Wir sind unterwegs von schwarz nach weiß, von gut nach böse im täglichen Christen­leben. Und wir haben die Verheißung, einst im Himmel ohne Sünde für immer bei Gott sein zu dürfen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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