Nur wer Jesus nachfolgt, findet das Himmelreich

Predigt über Markus 10,17‑27 zum 18. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Unsere Lebensreise lässt sich mit einem Gefahrgut­transport ver­gleichen, denn wir nehmen Dinge durch unser Leben mit, die unserer Seele gefährlich werden können. Da ist zum Beispiel der Reichtum: Seine Gefahr für die Seele wird im eben gehörten Bibelwort und an vielen anderen Stellen der Heiligen Schrift ein­dringlich vor Augen geführt. Aber auch die enge Bindung an andere Menschen, die Arbeit oder der Sport sind solche Gefahrgüter auf der Lebensreise sowie alles, woran man sein Herz hängen könnte, was einem also wichtiger werden könnte als Jesus Christus. „Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott“, sagte Martin Luther. Wir dürfen uns zwar an allen guten Dingen des Lebens freuen, aber wehe uns, wenn sie uns von Christus wegziehen! Das wäre das Schlimmste, was uns passieren könnte. Lasst uns mit unserem Bibel­abschnitt jetzt also etwas „Unfall­verhütung“ für die Seele lernen; wir wollen ja nicht mit unseren gefähr­lichen Gütern auf der Lebensreise ver­unglücken!

Der Mann, um den es geht, erscheint uns zunächst von der allerbesten Seite. Ich behaupte sogar, dass wir uns von ihm eine Scheibe abschneiden können. Er kommt freiwillig zu Jesus, ohne Auf­forderung, ohne Pflicht­gefühl, ganz einfach, weil er sich viel von Jesus erwartet. Wenn doch die Menschen mit dieser Einstellung in die Gottes­dienste strömten und die Bibel läsen! Sodann kniet er vor Jesus nieder. Da ist es wieder, wie so oft in der Bibel: das Knien, dieses äußere Zeichen innerer Demut und Ehrfurcht vor Gott. Der Mann ist ein Vorbild. Und dann diese Frage: „Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ Wer so eine Frage stellt, der ist nicht weit vom Himmel­reich. Er weiß, was zählt im Leben: nämlich mit Gott ins Reine kommen und das ewige Leben erben. Wie wenige Menschen inter­essiert das heute noch! Vielen ist das ewige Leben so unwichtig wie zum Beispiel fran­zösische Vokabeln oder die Amtlichen Bekannt­machungen in der Zeitung. Sie sollten sich ein Beispiel nehmen an dem Mann aus unserem Bibelwort.

Jesus geht in seiner Antwort zunächst auf die Anrede „guter Meister“ ein und sagt: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.“ Ich muss gestehen: Ich wüsste gern, was Jesus damit sagen wollte, aber ich weiß es nicht. Ich habe darüber nachgedacht und in schlauen Büchern nach­gelesen, aber ich kann nur Vermutungen äußern, und das lasse ich lieber. Lassen wir dieses Wort also auf sich beruhen; es ist für den weiteren Verlauf der Geschichte nicht wichtig.

Wie reagiert Jesus nun aber auf die Frage: „Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe“? Wir würden erwarten, dass er ihn zum Glauben auffordert. Ich jedenfalls würde ent­sprechend antworten, und diese Antwort wäre ja auch richtig. Aber es könnte auch sein, dass diese Antwort vorschnell wäre. Es könnte sein, dass man mit der Auf­forderung „Glaube nur!“ jemandem ein gutes Gewissen macht, der eigentlich durch Gottes Gesetz in seinem Gewissen auf­gerüttelt werden müsste. Es könnte sein, dass der andere noch gar nicht verstehen kann, was mit dem Glauben gemeint ist. Weil Jesus alle Menschen durchschaut und daher auch diesen Mann sofort richtig einschätzt, gibt er ihm zunächst einmal die Antwort, die Gottes Gesetz gibt: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.“ Jesus zählt Gebote auf, lässt allerdings jene der Zehn Gebote aus, die das Verhältnis des Menschen zu Gott betreffen. Die Verheißung, die Jesus mit den Geboten verbindet, ist die klare Botschaft des Alten Testaments: Wer die Gebote hält, wird leben.

Für den Mann ist das selbst­verständ­lich. Vielleicht ist er sogar ein wenig enttäuscht, von Jesus solche Binsen­weisheit zu hören; vielleicht hat er sich mehr ver­sprochen. Jedenfalls antwortet er: „Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.“ Nehmen wir ihm das ab? Ja, das können wir ihm abnehmen. Dem äußeren, buchstäb­lichen Sinn nach kann man die Gebote vier bis zehn durchaus halten, wenn man sich Mühe gibt. Selbst das Lügen kann man sich verkneifen, wenn es einem ernst ist mit den Geboten. Erst wenn wir an die tiefere Bedeutung der Gebote denken, wird es kritisch. Jesus hat das in der Bergpredigt deutlich gemacht: Mit seinem Bruder zürnen, das ist bereits töten; einen lustvollen Blick wagen, das ist bereits Ehebruch. Um die Gebote in diesem vollen Sinn zu halten, genügt es nicht, sich moralisch zusammen­zureißen; um die Gebote in diesem vollen Sinn zu halten, muss das Herz rein werden. Das geschieht aber nur dort, wo ein Mensch sich im Herzen frei macht von den Dingen dieser Welt, um Jesus nach­zufolgen. Jesus macht die Probe aufs Exempel, ob der Mann dazu bereit ist, und sagt: „Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!“

Aber halt! Bevor diese Worte in unserer Geschichte stehen, steht da noch etwas anderes, etwas sehr Wichtiges: „Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb.“ Jesus liebt den armen reichen Mann von Herzen, so wie er dich und mich liebt. Trotzdem – oder gerade deswegen – tritt er ihm mit einer harten Forderung so unangenehm nahe. Er möchte ja, dass dieser Mann von einem falschen Weg umkehrt und dahin findet, wo er eigentlich hin will: zum ewigen Leben nämlich. Er möchte das Beste für die Seele dieses Menschen. Deshalb sagt er ihm klipp und klar, wo der Weg lang geht. Liebe Gemeinde, hört an dieser Stelle genau zu: Christliche Liebe bedeutet nicht, die anderen mit Samt­handschuhen anzufassen. Christliche Liebe bedeutet auch nicht, jeden nach seiner Facon selig werden zu lassen. Christliche Liebe bedeutet auch nicht, den Menschen nur ja nicht zu nahe zu treten, ihnen nur ja keine harten Worte zu sagen und ihre falschen Wege tot zu schweigen. Christliche Liebe bedeutet vielmehr, den Menschen in aller Klarheit und Offenheit, ja, notfalls auch in aller Schärfe deutlich zu machen: Nur hinter Jesus her geht es zum ewigen Leben! Nur wer Jesus nachfolgt, findet den Weg ins Himmel­reich! Wer an seinem Reichtum oder irgendetwas anderem hängt und nicht bereit ist, dieses andere, wenn es sein muss, wegen Jesus los­zulassen, der ist auf dem falschen Dampfer. Der, dem Jesus nicht konkurrenz­los wichtig ist, der sollte sich keine Hoffnung auf den Himmel machen. Liebe Gemeinde, das zu sagen ist Liebe, so lernen wir es von Jesus.

Allerdings möchte ich hier gleich einem Miss­verständnis begegnen. Erstens muss nicht jeder sich von seinem Besitz oder anderen Dingen wirklich trennen, der Jesus nachfolgt. Jesus sieht dem Mann ins Herz und stellt fest, dass er mit seinem Herzen am Besitz hängt. Er sieht, dass ihm auf diese Weise der Besitz zum tödlichen Verhängnis wird, darum fordert er die radikale Trennung. Ob es in deinem Herzen genauso aussieht oder nicht, kannst du prüfen. Und zweitens: Jesus erwartet nicht, dass wir von heute auf morgen vollkommen werden. Zwar fordert er von dem Mann die ernsthafte Befolgung auch des ersten Gebotes, nämlich Gott über alle Dinge zu fürchten und zu lieben und zu vertrauen, aber er zeigt auch den Weg, auf dem er das lernen kann: als Schüler, als Jünger, als Nachfolger Jesu! Und da lernt er zualler­erst, dass Gott ihn liebt, trotz seiner Sünde. Da kann er lernen, dass ihn nicht der perfekte Gebots­gehorsam selig machen wird, sondern dass Gott ihm das ewige Leben schenken will. Da gewinnt er neues Vertrauen zu Gott, und dieses Vertrauen verändert sein Herz. Und dann beginnt er mit diesem neuen Herzen, die Gebote zu halten, richtig zu halten, ihrem Geist nach. Er beginnt damit, er lernt es bei Jesus, er bleibt aber ein Schüler, der noch viel zu lernen hat. Merkt ihr, worum es geht, liebe Gemeinde? Nicht um Vollkommen­heit, sondern um Lern­bereit­schaft! Es geht darum, Jesus und seinem Wort über alle Dinge zu vertrauen und von ihm zu lernen.

Schockie­rend an der Geschichte ist nun, dass der Mann zu solchem Vertrauen nicht fähig ist. „Er wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon, denn er hatte viele Güter.“ Der arme Mann! Mit seinem Geld ist er nicht wirklich glücklich, und dass er ohne Geld glücklich werden könnte, das kann er sich nicht vorstellen. Wie viele Menschen sind auch heutzutage so arm dran! Wie viele, die sich christlich nennen, wie viele in unserer Gemeinde! Wie viele schlagen den Ruf zur Umkehr aus, ja, fühlen sich sogar beleidigt oder lieblos behandelt, wenn ihnen denn mal der einzige Weg zum Seelenheil deutlich gemacht wird! Es wimmelt in unserem Land von reichen Männern und Frauen, die wohl ihre Erwartungen an Gott und Jesus Christus haben, aber die nicht bereit sind, für das Himmelreich alles dranzugeben und ihr Leben zu ändern. Sie sind auf dem falschen Weg. Es tut mir in der Seele weh, sie in ihr Verderben laufen zu sehen.

Aber wir wollen nicht über andere klagen, sondern lieber uns selbst zur Buße rufen lassen durch dieses Wort. Wie sieht es bei mir aus? Hängt mein Herz an nichts fester als an Jesus? Jesus sagte seinen Jüngern im Anschluss an diese Begebenheit: „Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!“ Reichtum, Familie, Arbeit, Sport und andere Dinge sind gefährliche Güter auf unserer Lebens­reise; gerade der Wohlstand kann schnell zum Verhängnis für die Seele werden. Ist das nicht ein ent­setzlicher Gedanke? „Die Jünger entsetzten sich über seine Worte“, heißt es. Und Jesus haut noch einmal in dieselbe Kerbe: „Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“ In der Bergpredigt hatte er noch von der engen Pforte geredet, jetzt redet er sogar vom Nadelöhr. Unmöglich? Ent­setzlich? „Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen unter­einander: Wer kann dann selig werden?“ Ja, diese Frage sollten wir uns mit allem Ernst stellen, und zwar zuallererst im Blick auf uns selbst! Wo liegt das Gefahrgut in deinem und meinem Leben, das unser Herz gefangen nehmen, von Jesus wegbringen und ins Verderben stürzen kann? Nur hinter Jesus her geht es zum ewigen Leben – das ist der christliche Glaube, der uns selig macht. Niemand kann zwei Herren dienen; wenn Jesus erst an zweiter Stelle kommt, dann bist du bereits auf dem falschen Weg.

Liebe Gemeinde, ich sage das nicht, weil ich gern die Seelenangst und das Entsetzen unter euch säen möchte, das damals unter den Jünger entstand. Ich sage das vielmehr deshalb so deutlich, weil ich möchte, dass ihr den richtigen Weg findet. Darum will ich euch auch den Trost des letzten Satzes Jesu in diesem Zusammen­hang nicht vor­enthalten. Freilich möchte ich mit diesem Satz auch nichts zurück­nehmen oder abschwächen von dem, was ich eben ausgeführt habe. Vielmehr: Wenn sich dein Gewissen nun rührt und du dich fragst: Wie ist es um meine Seele bestellt? Gehe ich mit dem Gefahrgut auf meiner Lebensreise recht um, oder wird es mir zum Verhängnis? Wenn du so fragst, dann soll dir der letzte Satz zeigen, wohin du dich aus dieser Gefahr retten kannst. Jesus sagt: „Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott, denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“ Von Gott dürfen wir das menschen­unmögliche Wunder erwarten, dass er uns den rettenden Glauben schenkt – das kompromiss­lose Vertrauen zu Jesus, das uns zu seinen Jüngern macht. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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