Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Wenn Manöverzeit ist, prägt in der Nähe von Truppenübungsplätzen das Militär den Straßenverkehr. Mancher Autofahrer ärgert sich dann über die Behinderungen, die Panzer und Militärkolonnen darstellen. Manch einer beobachtet mit Sorge, wie Kinder, angeregt von den Manöverübungen, Krieg spielen. Manch einer bekommt es angesichts so vieler Vernichtungsmaschinen mit der Angst zu tun. Es gibt nur wenige Menschen, die ein völlig positives Verhältnis zum Militär haben. Nun werden uns Gottes Engel in der Bibel militärisch veranschaulicht; so haben wir es auch eben in der alttestamentlichen Lesung zum Michaelisfest vernommen. Wenn da von himmlischen Heerscharen die Rede ist, sollten wir unsere Vorbehalte gegen das Militär beiseite lassen und zu verstehen versuchen, was Gott uns damit sagen will.
Sehen wir uns die Begegnung zwischen Josua und dem Engel einmal genauer an. Josua hatte auf Gottes Befehl hin das große Volk Israel durch den Jordan ziehen lassen. Endlich, nach vierzigjähriger Irrwanderung in der Wüste, waren sie im verheißenen Land Kanaan. Aber neue Sorgen entstanden. Wie sollten sie die sicher befestigten Städte der heidnischen Urbevölkerung einnehmen? Das nämlich hatte Gott ihnen aufgetragen. Josua, der Anführer des Volkes und der Armee, stand gedankenverloren vor der Stadt Jericho, die ihnen am nächsten lag. Und da sieht er den Fremden mit gezogenem Schwert stehen. Seine Reaktion ist ein Musterbeispiel an Offenheit und Gottvertrauen. Josua geht nicht zum Angriff über, läuft nicht weg, sinnt nicht über militärische Hinterlisten nach, sondern geht einfach auf den Fremden zu und fragt ihn schlicht: „Gehörst du zu uns oder zu unseren Feinden?“ „Nein“, antwortet der Mann, und das bedeutet: „Weder – noch.“ Dann fährt der Fremde fort: „Ich bin der Fürst über das Heer des Herrn.“
Der Oberste aller Engel steht vor Josua. Aus dem Danielbuch erfahren wir, dass dieser höchste Erzengel Michael heißt; nach ihm ist das Michaelisfest benannt. Michael – das ist eigentlich keine Name, sondern eine Frage: „Wer ist wie Gott?“ Der schlichte Mann, der mit dem gezogenen Schwert vor Josua steht (wir erinnern uns an den Engel, der mit dem Flammenschwert vor dem Garten Eden Wache hielt), dieser schlichte Mann ohne Flügel und Lichtglanz verkörpert Gottes Gegenwart und Majestät vor Josua. Nicht immer erscheinen Engel den Menschen so unscheinbar, wenn sie denn erscheinen; manchmal kommen sie mit vier Flügeln oder mit sechs Flügeln, auch mit Feuerglanz und großem Geschrei, wie man an anderen Stellen in der Bibel nachlesen kann. Aber hier verzichtet der Erzengel auf jede Zurschaustellung seiner Macht. Er kann darauf verzichten, weil er weiß: Josua glaubt ihm auch so.
Als Josua erfährt, wer vor ihm steht, fällt er auf die Knie und betet. Es ist für ihn ganz selbstverständlich, vor Gottes Größe zu Boden zu gehen, selbst wenn diese Größe verhüllt ist. (Josua ermutigt uns, unsere innere Haltung der Demut auch äußerlich mit Knien zum Ausdruck zu bringen, sofern der Gesundheitszustand das zulässt.) Auf Geheiß des Engels tut Josua dann noch ein Übriges, um die Heiligkeit dieser Begegnung gebührend zu würdigen: Er zieht seine Schuhe aus – genauso wie es sein Vorbild und Vorgänger Mose am brennenden Dornbusch getan hat. Was der Engelfürst Josua dann mitteilt, ist nicht mehr Bestandteil der Lesung; wir sollten es aber auch zur Kenntnis nehmen. Der Befehlshaber des Engelheers gibt dem Befehlshaber des israelitischen Heers jene denkwürdige Strategie mit auf den Weg, die wohl einzigartig in der Militärgeschichte dasteht: An sieben Tagen sollen die Kriegsleute um die Stadt Jericho herumziehen, und am letzten dieser Tage soll mit Posaunen und Kriegsgeschrei ein so gewaltiger Lärm gemacht werden, dass die Stadtmauern davon einstürzen.
Soweit die Sache mit Josuas Engelbegegnung. Und nun noch einmal die Frage von vorhin: Was will Gott damit sagen, wenn Engel so militärisch auftreten wie hier Michael als himmlischer General mit gezücktem Schwert?
Wenn wir in der Bibel von Dingen außerhalb unserer Erfahrungswelt hören, dann können uns diese Dinge immer nur mit Bildern und Vorstellungen unserer Welt vermittelt werden. Wenn wir von Gott als König, Vater oder Herr hören, vergleichen wir ihn sprachlich mit menschlichen Königen, Vätern und Herren. Und wenn die Summe aller Engel „himmlische Heerscharen“ genannt wird (auf Hebräisch „Zebaoth“), dann vergleichen wir die Engel mit menschlichen Heeren. Mit diesem Vergleich kommen wir im Verständnis der an sich unzugänglichen Engelwelt ein paar Schritte weiter. Es ist erstens die Menge, zweitens die Rangordnung, drittens der Gehorsam und viertens die Kampfbereitschaft, die damit von den guten Geistern Gottes ausgesagt wird. Es gibt erstens eine unübersehbare Fülle von Engeln im Himmel. Es ist kein Häuflein, keine Schar, keine Kompanie, sondern ein großes Heer. Zweitens gibt es auch bei den Engeln Untergebene und Vorgesetzte, allen voran der Engelfürst Michael, der nur dem dreieinigen Gott persönlich untersteht. Drittens zeichnet die Engel unbedingter Gehorsam und Zuverlässigkeit aus in der Ausführung von Gottes Willen und Gottes Befehlen. Und viertens stehen sie im Kampf gegen alle bösen und gottfeindlichen Kräfte, wobei die Bibel keinen Zweifel lässt an ihrer Überlegenheit in diesem Kampf.
Soweit können wir eine Angelologie, eine Lehre von den Engeln, zwar interessiert aber unbeteiligt zur Kenntnis nehmen. Direkt betroffen werden wir erst in dem Augenblick, wo wir der Frage nachgehen, zu welchen strategischen Zielen denn Gott sein Heer einsetzt. Da müssen wir mit der Heiligen Schrift antworten: zu unseren Gunsten – uns Menschen zugute! Gott setzt seinen ganzen himmlischen Militärapparat in Bewegung, um armen, elenden, sündigen Menschen zu helfen – Menschen, die ihm nicht gehorsam sind und sich oft genug von ihm abwenden. Er setzt seinen ganzen himmlischen Militärapparat in Bewegung, weil er uns Menschen trotz unserer Sünde liebt.
Weil er das Volk Israel liebte und ihm das Land Kanaan schenken wollte, schickte er ihnen seinen Engelfürsten Michael und ließ ihn dem Josua strategische Tipps geben. Weil er auch die anderen Menschen lieb hat, ließ er der Jungfrau Maria durch einen Engel das Kommen seines Sohnes ankündigen. Als sein Sohn dann als Mensch geboren war, verkündigte er durch einen Engel den Hirten Bethlehems große Freude und ließ sie anschließend sein gewaltiges Heer beim Gotteslob erleben. Als Gottes Sohn sich auf den schwärzesten Freitag der Weltgeschichte vorbereitete, um die Sünden der Welt auf sich zu nehmen, erschien ihm ein Engel und stärkte ihn. Als Gottes Sohn wieder auferstanden war, gaben Engel den erstaunten Jüngerinnen und Jüngern Bescheid. Als Gottes Sohn in den Himmel auffuhr, teilten Engel den Zurückbleibenden mit, er werde so wiederkehren, wie sie ihn haben weggehen sehen. Gottes größte Heilstat für uns Menschen, der Weg seines Sohnes Jesus Christus in dieser Welt, wurde vom Dienst seiner himmlischen Heerscharen begleitet. Gott setzte alle Hebel in Bewegung, um uns zu retten und um diese Rettung zu verkündigen.
Und wie sieht es heute aus? Heute haben wir Gottes rettende Botschaft schwarz auf weiß vor uns, in den Schriften der Apostel und der Propheten. Mit Christus ist alles gesagt und getan, was zu unserm Heil nötig ist. Wir brauchen heute keine Engel mehr, die uns Gottes Wort sagen. Dennoch gilt auch heute noch, dass Gott sein Heer in den Dienst der Menschen stellt. Der Beter des 91. Psalms bekannte von Gott: „Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ Gottes Schutzengel sind bis zum heutigen Tag nicht arbeitslos. Gott hat für jedes seiner Erdenkinder eine Leibwache abkommandiert, die in gefährlichen Situationen eingreift; viele Menschen haben in ihrem Leben das schon erfahren. Auch Zeitgenossen, die mit Kirche und Glaube nicht allzuviel anfangen können, wissen doch etwas vom Schutzengel. Da gibt es zum Beispiel die Ansicht, dass Kinder und Betrunkene besonders leistungsfähige Schutzengel haben. Oder da gibt es einen Aufkleber für Motorradfahrer, auf dem steht: „Fahre nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann!“ Natürlich sind solche Redensarten recht zweifelhaft, weil in ihnen Gottes Engel doch allzu menschlich dargestellt werden. In Wahrheit sind die Schutzengel ja perfekte Leibwachen, denen nie ein Fehler unterläuft. Sie sind eben keine Menschen, sondern Engel.
Nur was sagen wir, wenn doch mal ein Unfall passiert? Wenn ein Menschen verletzt wird, wenn gar Kinder getötet werden? Wir kommen dann nicht umhin einzugestehen, dass Gott das zugelassen hat. Wenn in so einem Fall der Schutzengel nicht eingreift, dann handelt er bewusst so, im Auftrag Gottes des Allmächtigen. „Ist etwa ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tut?“, heißt es beim Propheten Amos (Amos 3,6). Die Frage stellen heißt sie verneinen. Es geschieht kein Unglück gegen Gottes Willen, kein einziges. Wenn also etwas Schlimmes passiert, dann hat der Schutzengel keineswegs geschlafen. Vielmehr sollten wir fragen, was uns Gott denn für eine Botschaft damit überbringen will. Gott redet zwar nicht mehr durch Engelerscheinungen, egal ob mit oder ohne Flügel, aber er kann uns sehr wohl etwas sagen, indem er hier oder dort seinen Schutzengel zurückhält. Er kann uns dadurch zum Beispiel sagen: Ich bin der Herr über Leben und Tod; ich entscheide, wann ein Leben erfüllt ist, nicht ihr – ob nach acht oder nach 18 oder nach 80 Jahren. Er kann auf diese Weise auch sagen: Der Sünde Sold sind Schmerzen und Tod; ihr müsst immer wieder durch das Leid erfahren, dass die Sünde mit ihren Folgen noch in der Welt ist, damit ihr nicht übermütig werdet und meint, ihr hättet Christus nicht nötig. Er kann uns dadurch auch sagen: Nimm dein Kreuz auf und lerne, was es heißt, Christus nachzufolgen; es heißt nämlich, das Kreuz zu tragen. Und er kann uns dadurch sagen: Lernt doch, dass diese Welt vergänglich ist und dieses Leben vorübergehend, ein Provisorium; ein viel besseres Leben wartet auf euch, das ewige Leben ohne Leid und Tod.
Ja, zu diesem Leben will Gott uns durch Christus führen. Auch zu dieser Gelegenheit wird er sein Engelheer einsetzen. Engel werden mit Posaunenklängen den letzten Tag der Welt ankündigen. Engel werden in einer letzten Schlacht Satan und die Seinen endgültig besiegen. Engel werden die Seelen der Gläubigen in Abrahams Schoß tragen. Und zusammen mit den Engeln werden wir dann für immer Gott loben. Amen.
PREDIGTKASTEN |