Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Immer wenn ich bei nicht allzu eifrigen Kirchgängern auf das Thema Gottesdienst zu sprechen komme, fühlen diese sich gedrängt, ihr Fernbleiben irgendwie zu erklären oder zu entschuldigen. Manchmal heißt es dann: „Diejenigen, die jeden Sonntag in die Kirche rennen, sind oft schlechter und liebloser als andere.“ Ich verkneife mir dann die Gegenfrage: „Würden Sie sich denn weigern, in ein Krankenhaus zu gehen, nur weil da so viele Kranke drin liegen?“
Die Kirche ist ein Krankenhaus. Hier kommen Kranke in ihrer Not zu Jesus Christus, um sich durch Wort und Sakrament behandeln zu lassen. Die Sünde ist eine elende Seuche und chronische Krankheit der Menschenseele. Und wenn man schon die gängige Redensart verwendet: „Hauptsache gesund!“, dann sollte man dabei die Heilung der Seele vor Augen haben, wie sie allein durch die frohe Botschaft von Jesus Christus geschehen kann. So betrachtet, haben wir allen Grund, uns an die Stelle des Lepra-Kranken zu versetzen, von dem unsere biblische Geschichte handelt.
Ein Lepra-Kranker oder Aussätziger war in damaliger Zeit in mehrfacher Hinsicht arm dran. Da war nicht nur die unheilbare Krankheit, der Schmerz der Wunden, das Verfaulen am lebendigen Leibe. Es gab auch keinerlei medizinische Möglichkeit, diese Krankheit wenigstens aufzuhalten oder zu lindern, noch gab es Krankenkassen, die dem Durchschnittsverdiener eine Behandlung finanziert hätten. Das Schlimmste aber war: Der Aussätzige war ein Ausgestoßener. Er musste außerhalb seines Wohnorts hausen und „Unrein! Unrein!“ schreien, wenn sich ein Gesunder nahte. Man muss sich das vorstellen: Der Aussätzige war selbst von den engsten Familienangehörigen für immer getrennt! Der Grund dafür war nicht nur die Ansteckungsgefahr, sondern auch die Tatsache, dass der Aussätzige nach alttestamentlichem Gesetz kultisch unrein war. Das heißt: Er war von Gottes Haus und Gottes Volk ausgeschlossen; er durfte nicht in den Tempel; er durfte keine Gottesdienste mitfeiern. Zu allen Leiden musste er obendrein das belastende Gefühl ertragen, von Gott verlassen zu sein.
Liebe Gemeinde, wir merken sehr deutlich, wie Lepra hier zeichenhaft die Sünde darstellt: Sünde macht unrein, Sünde trennt von Gott, Sünde zerstört auch das Miteinander der Menschen, Sünde zieht Schmerzen nach sich und bringt schließlich den Tod. Sünde ist gewissermaßen der Aussatz der Seele. Darum lasst uns jetzt genau darauf achten, wie der Aussätzige und Jesus einander begegnen. „Es kam ein Aussätziger, bat Jesus, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich reinigen.“
Wir erfahren erstens: Der Aussätzige weiß um seine Unreinheit, er weiß, was mit ihm nicht in Ordnung ist. Das ist die erste Grundbedingung für Menschen, die etwas von Jesus erwarten: Sie müssen erkennen, wie todkrank sie durch die Sünde sind und dass es keinen menschlichen Ausweg gibt.
Wir erfahren zweitens: Der Aussätzige hat volles Vertrauen zu Jesus. Er traut Jesus ohne allen Zweifel ein Heilungswunder zu. Er kommt zu Jesus, weil er weiß: Niemand außer ihm kann mir helfen. Dieses Vertrauen sollten wir uns abgucken – das schlichte Vertrauen: Jesus kann alles in meinem Leben in Ordnung bringen; wirklich alles, was in meinem Leben in Unordnung ist, Familienkrach, Finanzsorgen, Probleme mit den Kindern, unsicherer Arbeitsplatz, Einsamkeit, Trauer, Enttäuschung, Krankheit des Körpers, Krankheit der Seele – dies alles und die Wurzel aller Probleme, die Sünde. Wenn einer Ordnung in unser Leben bringen kann, dann er. Ja, dieses Vertrauen können wir haben.
Wir erfahren drittens: Der Aussätzige kommt ganz bescheiden zu Jesus, ganz demütig. Er weiß, er hat keinen Anspruch auf Hilfe. „Nur wenn du willst“, sagt er. Er weiß, Gott ist kein Geschäftspartner, den man für die eigenen Bedürfnisse nutzbar machen kann. Gott ist ja mächtig, hoch, erhaben, majestätisch, ein gewaltiger Herr, dem ich kaum unter die Augen zu treten wagte, wenn mich nicht meine Not dahin triebe. Der Aussätzige fällt vor dem Gottessohn auf die Knie. Zwar hängt nichts an dieser äußeren Geste an sich, aber sie drückt doch eine Geisteshaltung der Demut aus. Prüfen wir uns, ob wir dazu noch bereit sind: Wörtlich genommen vor Gott auf die Knie zu gehen, wenn wir zu Hause beten oder wenn Christus im Heiligen Abendmahl leibhaft anwesend ist. Sicher möchte Gott nicht, dass ein älterer oder behinderter Mensch unter großen Qualen niederkniet und dann überhaupt nicht mehr andächtig beten kann. Aber wenn die Mehrzahl der Gemeindeglieder bei den Einsetzungsworten zum Altarsakrament nicht mehr kniet, ist dies, so denke ich, doch wohl eine Verarmung; vielleicht sogar ein Mangel an Bereitschaft, eine demütig anbetende Haltung auch äußerlich sichtbar zu machen.
Der Aussätzige weiß um seine Krankheit und bittet demütig um Heilung. Rein werden will er, nicht nur einfach körperlich gesund. Er will aufs Neue hineingenommen werden in die Gemeinschaft mit Gott und den Menschen.
Wie reagiert nun Jesus? „Es jammerte ihn“, heißt es zunächst. Das ist unser lieber Heiland, wie wir ihn immer wieder voll Freude anbeten und annehmen können: Ihm ist unsere Krankheit nicht egal, er heilt sie auch nicht ganz cool, sondern er fühlt mit uns. Er weiß, wie jämmerlich uns zumute ist. Er kann sich in uns hineinversetzen. Der erhabene Gottessohn kommt uns ganz nahe mit seinem Mitgefühl. Und nicht nur damit. Er wagt es sogar, den unreinen und ekelerregend Kranken anzufassen. „Er streckte die Hand aus und rührte ihn an“, heißt es. Das fällt in vielen Heilungsgeschichten auf: Jesus redet nicht nur und gebietet nicht nur den Krankheiten oder den unreinen Geistern, sondern er rührt die Kranken an, er tut Zeichenhandlungen an ihnen, er lässt sie seine Gegenwart im wahrsten Sinne des Wortes spüren. Das gehört übrigens bis zum heutigen Tag zu seiner Therapie. Wer im „Krankenhaus“ Kirche sich von ihm Heilung erbittet, der hört nicht nur befreiende, helfende und heilende Wort, sondern der spürt die Sündenvergebug durch die Handauflegung, der fühlt und schmeckt Christi Leib und Blut im Heiligen Abendmahl.
Die äußeren Zeichen begleiten das Wort Jesu. Und dieses Wort heißt im Fall unserer Geschichte: „Ich will's tun; sei rein!“ Dieses Wort hat nicht nur unmittelbar mit dem Aussätzigen etwas zu tun. Mit Recht ist dieses Wort in zwei Jahrtausenden um die Welt gelaufen und wird heute in diesem Gottesdienst von uns wahrgenommen, denn wir hören hier eine grundsätzliche Regierungserklärung Gottes. Gott will's tun, an allen Menschen, zu jeder Zeit, Gott will allen helfen und alle rein machen; Gott will, „dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“, schrieb Paulus (1. Timotheus 2,4). Gott will jeden gesund machen. Komm nur zu Jesus Christus, komm zu seiner Therapie, komm unter sein Wort und Sakrament, lass dir von ihm helfen in deiner Krankheit! Jesus ist nicht launisch, er will dir wirklich helfen, das steht fest. Nimm ihn beim Wort! Er will deine Sünden wirklich vergeben und tut es. Er will deine Krankheiten wirklich heilen und tut es, auch deine körperlichen Gebrechen, auch den ganzen Packen mit Problemen, den du mit dir herumschleppst.
Das Wie und das Wann musst du freilich ihm überlassen – aber sei gewiss: Dein Hilferuf bleibt nicht ungehört. Und alle Heilung beginnt damit, dass dein Hauptgebrechen geheilt wird, dein Seelen-Aussatz, deine Unreinheit, deine Sünde. „Ich will's tun; sei rein!“ – diese Worte darfst du hier und heute uneingeschränkt auf dich beziehen.
„Und sogleich wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein“, heißt es weiter. Damit ist das Wesentliche gesagt. Der Rest der Geschichte geht uns nur noch mittelbar etwas an. „Jesus drohte ihm und trieb ihn alsbald von sich und sprach zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst“, heißt es weiter. Diese wiederholte Aufforderung an Geheilte hat nur eine vorläufige Bedeutung für die Zeit vor Jesu Tod und Auferstehung. Jesus wollte nicht, dass man für ihn als Wunderdoktor Reklame macht. Nicht um Heilung von Aussatz und anderen Krankheiten geht es ihm ja letztlich, sondern um die frohe Botschaft: Mein Tod ist der Tod deiner Sünde, meine Auferstehung ist dein ewiges Leben. Mit dieser Botschaft konnte er die Jünger freilich erst nach Ostern beauftragen. Aber den alttestamentlich vorgeschriebenen Weg der Reinsprechung trägt er dem Geheilten auf: „Geh hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis.“ Auf diese Weise erfuhr die Heilung offizielle Anerkennung, und der Geheilte konnte problemlos in die Gesellschaft und in die Gottesdienstgemeinde zurückkehren.
Was nun folgt, ist typisch menschlich. Der Mensch tut oft gern das Gegenteil von dem, was er soll. Der Geheilte hält sich nicht an Jesu Verbot und erzählt munter von seiner Heilung in der ganzen Umgebung, sodass Jesus sich in dieser Gegend kaum mehr retten kann vor den Scharen Kranker, die man zu ihm bringt. Am Schluss der Geschichte heißt es: „Er ging fort und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte bekannt zu machen, sodass Jesus hinfort nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Qrten; doch sie kamen zu ihm von allen Enden.“ Der Geheilte erzählt von seiner Heilung, obwohl er es nicht tun sollte.
Und wir?
Wir dürfen und sollen von unserer Heilung weitererzählen – aber wir unterlassen es oft! In Gesprächen mit kirchenfernen Leuten ist es uns fast peinlich, über unseren Glauben und unseren wunderbaren Heiland Jesus Christus zu reden. Der ehemals Aussätzige sollte schweigen und redete; wir sollen reden und schweigen!
Vielleicht kann uns dieser Mann, dieser Geheilte, das Reden lehren. Warum redete er selbst wohl? Darum, weil er von dieser unglaublichen Heilung so erfüllt war, dass er offenbar nicht schweigen konnte! Sein ganzes hoffnungsloses Leben hatte plötzlich eine Wendung zum Guten genommen. Vielleicht ist uns bloß nicht voll bewusst, dass es uns ebenso ergeht durch Jesus Christus. Denkt einmal daran, wenn wieder jemand sagt: „Hauptsache gesund!“ Vielleicht könnt ihr dann erwidern: „Ja, Hauptsache gesund – geheilt von dieser elenden Krankheit Sünde durch Jesus Christus.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |