Beschenkte, Lernende, Gesandte

Predigt über Matthäus 28,16‑20 zum Missionsfest oder zum 6. Sonntag nach Trinitatis

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Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jeder Christ ist ein Jünger Jesu. Die Glieder der ersten christ­lichen Gemeinde in Jerusalem kannten die Bezeichnung „Christ“ noch gar nicht; sie nannten sich einfach nur „Jünger“. Erst von der Heimat­gemeinde des Apostels Paulus heißt es: „In Antiochia wurden die Jünger erstmals Christen genannt“ (Apostel­gesch. 11,26). Ja, jeder Christ ist ein Jünger Jesu. Jeder Christ kann daher auf sich beziehen, was die Bibel von Jesu Jüngern sagt. Dem wollen wir in dieser Predigt nachgehen und uns fragen: Was macht denn einen Jünger Jesu aus? Wir wollen uns diese Frage mit einem ganz wichtigen Bibelwort be­antworten, mit dem Missions­befehl nämlich, den wir eben im Predigttext gehört haben. Sicher haben die meisten von euch diesen Text schon unzählige Male gehört und ent­scheidende Sätze daraus vielleicht sogar auswendig gelernt. Dennoch zeigt sich an diesem Wort deutlich, was für jedes Gotteswort gilt: Man kann daraus schöpfen und lernen, lernen und schöpfen und hat es doch niemals aus­geschöpft.

Drei Dinge, so lernen wir aus dem Missions­befehl, machen einen Jünger Jesu aus: Er ist erstens ein Be­schenkter, zweitens ein Lernender, drittens ein Gesandter.

Willst du also ein Jünger Jesu sein, ein Christ, dann musst du dich zunächst als Beschenkter verstehen. Das Geschenk hast du mit der heiligen Taufe bekommen. Ein Jünger wird jemand, so heißt es im Missions­befehl, der getauft wird „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Wenn wir ein Kind oder auch einen Erwachsenen taufen, dann wird aus ihm ein Jünger Jesu; so fängt Jünger-Sein an. Wir können uns nicht ein­dringlich genug vor Augen führen, was das bedeutet. In der Taufe wurde uns durch Wasser und Wort persönlich zugeeignet, was Jesus am Kreuz für alle Völker erworben hat: Vergebung der Sünden, Friede mit Gott und ewiges Leben. Etwas Größeres und Wert­volleres gibt es nicht. Als so Beschenkte sind wir hinein­genommen in die beständige Gemein­schaft mit Gott, haben sozusagen die Staats­bürgerschaft im Reich Gottes erlangt und sind dadurch auch aufgenommen in die Kirche, die Gemein­schaft aller Christen, die Schar derer, die nun den Ehrentitel „Jünger Jesu“ tragen dürfen. Solchen gilt, was Jesus am Ende des Missions­befehls sagte: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Er meinte damit nicht, dass am Weltende unsere Gemein­schaft mit ihm enden wird, sondern dass diese Gemein­schaft das Einzige sein wird, was das Weltende überdauert. Dann werden wir ihn auch sehen. Das macht das Tauf­geschenk so wertvoll: Es verwelkt nicht wie ein Blumen­strauß, es wird nicht aufgezehrt wie Konfekt, es zebricht nicht wie Geschirr, es rostet nicht und es veraltet nicht, sondern es besteht in Ewigkeit.

Wenn wir uns das so recht vor Augen führen, dass unser Jünger-Sein mit so einem gewaltigen Geschenk anfängt, dann können wir doch gar nicht anders als dieses Geschenk annehmen, es im Glauben fassen und mit dem Apostel Paulus ausrufen: „Gott sei Dank für seine un­aussprech­liche Gabe!“ (2. Kor. 9,15) Die elf Jünger haben dies so zum Ausdruck gebracht, dass sie vor dem auf­erstandenen Jesus nieder­fielen, so erfahren wir in unserem Bibelwort.

Im selben Atemzug ist aber noch etwas anderes von den Jüngern gesagt, und das mag uns über­raschen. Es steht da: „Einige aber zweifel­ten.“ Sie zweifelten, obwohl der Auf­erstandene leibhaftig vor ihnen war. Das zeigt uns, dass die Jüngerschar von damals aus Menschen wie du und ich bestand. Das holt sie herunter vom Denkmal­sockel, das bringt sie uns nahe. Und das illustriert die zweite Aussage über Jünger Jesu, die wir aufgrund dieses Wortes machen können: Jünger sind Lernende.

Willst du also ein Jünger Jesu sein, ein Christ, dann musst du dich als Lernender verstehen. Du musst wissen, dass du noch nicht ausgelernt hast, dass du noch nicht am Ziel bist. Du darfst dich nicht darüber hinweg­täuschen, dass dein Glaube noch klein und im eigent­lichen Sinne des Wortes zweifelhaft ist, nämlich mit Zweifeln behaftet. Deine geistliche Erkenntnis ist noch lücken­haftes Stückwerk. Ja, das solltest du wissen, und zugleich musst du bereit dafür sein, dass es besser wird; du musst lernbereit werden. Getaufte – also beschenkte – Jünger sollen all das halten lernen, was Jesus befohlen hat, so heißt es im Missions­befehl. „Alles“ steht da, nicht 80 Prozent oder 50 oder 20! Ein Jünger Jesu sagt nicht: „Mir reicht, was im Katechismus steht und was ich im Konfirmanden­unterricht gelernt habe; ich will das gar nicht alles so genau wissen, was in der Bibel steht.“ Ein Jünger Jesu lernt sein ganzes Leben lang und hat doch nie ausgelernt. Das steckt übrigens im griechi­schen Wort für „Jünger“ drin: Es lautet „mathätäs“ und bedeutet „Lernender“ oder „Schüler“.

Allerdings dürfen wir uns keinen Schüler unserer Zeit vorstellen, der mehr oder weniger lustlos die Schulbank drückt und nicht immer eine hohe Meinung von seinen Lehrern hat. Im Altertum war ein Schüler einer, der freiwillig in enger Lebens­gemeinschaft mit seinem Lehrer lebte, ihn hoch verehrte und als Autorität anerkannte. So war Plato ein Schüler des Sokrates, Elisa ein Schüler des Elia, der Apostel Andreas ur­sprünglich ein Schüler Johannes des Täufers. Bei den Juden nannte man den Lehrer ehrfürchtig „Rabbi“, zu deutsch „Lehr­meister“; auch Jesus wurde von seinen Jüngern so genannt. Wenn wir ihn heute „Herr“ nennen, so geben wir ihm damit noch größere Ehre, weil er uns nicht nur lehrt, sondern weil er uns auch erlöst hat und weil er als Gottes Sohn über allen Herren und Lehr­meistern steht. „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, verkündete er seinen Jüngern, und wir erkennen diese Macht an. Lasst uns diese Macht also auch dann anerkennen, wenn er uns lehrt! Wie viele nennen sich Christen – also Jünger oder Schüler Jesu – , aber deuteln an seinem Wort herum und verwerfen einen guten Teil davon als un­zeitgemäß. Wie viele meinen, es sei ungeheuer fromm und christlich, in Gemeinde­gruppen über Bibelworte zu reden und fest­zustellen, warum sie entweder unserer Meinung entsprechen oder nicht. Jesu Wort halten lernen ist aber etwas anderes. Halten, daran festhalten und danach tun, das ist gefragt! Wir sollen die Heilige Schrift als Wort unseres Meisters un­hinterfragt und demütig annehmen, auch wenn wir oft nicht kapieren, was Jesus sich dabei gedacht hat.

Eigentlich geht aber das Schüler-Sein noch weiter als Worte oder Lehren annehmen und halten. Der Jünger lernt ja auch vom Vorbild seines Lehr­meisters. Er guckt sich alles von ihm ab. Als Jünger Jesu muss es unser Ziel sein, so zu leben, so zu lieben, so zu werden wie er. Ja, das muss unser Ziel sein, auch wenn wir noch hoffnungs­los weit von ihm entfernt sind. Nachfolgen heißt ja eigentlich: dem Voran­gehenden hinter­hergehen. Das fordert freilich auch eine Portion Selbst­verleugnung. Alle meine Meinungen, Träume, An­gewohnheiten und Macken, die nicht mit dem Vorbild des Meisters im Einklang stehen, muss ich ablegen, wenn ich ein Christ sein will, ein Jünger Jesu. „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir“, sagte Jesus seinen Jüngern (Matth. 16,24).

Wir könnten das Wort „Jünger“ auch mit „Lehrling“ übersetzen im besten Sinne des Wortes: Ein Lehrling ist einer, der am Vorbild des Meisters lernt und sich in dasselbe Tun einübt. Wenn wir das bedenken, sind wir wieder einen Schritt weiter: Der Jünger lässt sich nicht nur beschenken und nimmt nicht nur passiv lernend etwas auf, sondern er wird aktiv und hilft als Lernender mit am Werk des Meisters. Das führt uns zur dritten Aussage über Jünger Jesu, die wir dem Missions­befehl entnehmen können: Jünger sind Gesandte.

Willst du also ein Jünger Jesu sein, ein Christ, so lass dich von deinem Meister senden! Der Missions­befehl ergeht bemerkens­werterweise nicht aus­schließlich an Verkündigungs­profis, an Apostel, Pastoren und Missionare, sondern ganz einfach an Jünger. Jünger erhalten den Auftrag: „Macht zu Jüngern alle Völker.“ Luther übersetzte ur­sprünglich: „Lehret alle Völker“; wörtlich könnte man übersetzen: Macht sie zu Lernenden gleich Schülern gleich Jüngern, oder noch wörtlicher: „jüngert alle Völker“. Jünger sollen Jünger machen! Und die sollen dann natürlich auch wieder Jünger machen. Das Jünger-Machen und Jünger-Werden soll sich als Ketten­reaktion in alle Welt ausbreiten! Kein Volk und kein Mensch, der nicht Jünger werden könnte! Heute würde man sagen: Jesus setzt Jünger als Multi­plikatoren des Evangeliums ein, als Verviel­facher. Wer sich als Christ versteht, als Jünger Jesu, der ist damit automatisch so ein Multi­plikator, und er trägt sein Scherflein dazu bei, dass möglichst viele andere Menschen auch Jünger werden. Denke nicht, Kirche und Gemeinde seien Dienst­leistungs­unternehmen, die je nach Bedarf religiöse Stimmung, Lebens­beratung, moralischen Unterricht oder nette Gemein­schaft anbieten. Zwar dient dir Jesus hier in einer Weise, die alle mensch­lichen Dienst­leistungen in den Schatten stellt. Aber zugleich bist du auf­gefordert und von Christus gesandt, mitzuhelfen bei dem großen Werk der Mission.

Und wie kann man mithelfen? Es gibt ganz viel zu tun für die Mission in der eigenen Gemeinde, im eigenen Ort, im eigenen Land und weltweit. Viele Jünger mit vielen ver­schiedenen Gaben werden gebraucht, und es sollte niemand meinen, er könne nichts beitragen. Fürbitte, Dankopfer und treuer Gottes­dienst­besuch sind grund­legende Dienste, die wohl jeder von uns leisten kann. Und in welcher Richtung das Gemeinde­leben zu laufen hat, das zeigt der Missions­befehl auch klar. Denn durch was sollen Jünger Jünger machen? Richtig, sie sollen taufen. Richtig, sie sollen lehren. Aber da steht doch noch etwas: Richtig, sie sollen hingehen! Es reicht nicht, ein großes Schild auf­zustellen: „Hier ist eine Kirche auf festem Glaubens­grund.“ Als Jünger sind wir gesandt, den Menschen nach­zugehen, Christi Liebe zu ihnen zu bringen, auf die Straßen, in die Wohnungen, in die Kranken­häuser, ins Gefängnis, ins Asyl­bewerber­heim oder wo sie sonst noch stecken, die Völker, die Jünger werden sollen. Als Jünger und Christen müssen wir bereit sein, uns senden lassen.

Liebe Jünger, lasst euch daran erinnern, dass ihr reich Beschenkte seid! Seid bereit, das Wort Christi stets gern zu hören und zu lernen! Seid bereit, dem Vorbild eures Herrn und Meisters Jesus Christus nach­zufolgen! Setzt euch im Vertrauen auf Gottes Hilfe auch ein, beim großen Auftrag der Kirche mit­zuhelfen, zu dem Christus alle Jünger ausgesandt hat: nämlich alle Völker zu Jüngern zu machen! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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