Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Es gibt, abhängig von Lebensalter und Menschentyp, ganz unterschiedliche Einstellungen zu Arbeit und Freizeit. Für kleine Kinder kann Arbeit eine Art Spiel sein, eine Freizeitbeschäftigung also. Amateursportler dagegen nehmen ihre Freizeitbeschäftigung oft so ernst, dass sie zur anstrengenden Arbeit wird. Manch einer stöhnt unter viel Arbeit, sucht sich aber trotzdem immer noch mehr. Ein anderer leidet unter Arbeitslosigkeit. Aber nicht jeder Arbeitsloser ist mit seiner Situation unzufrieden, denn er bekommt dennoch alles, was er zum Leben braucht. Eine Hausfrau setzt ihre Arbeitskraft ohne offizielle Bezahlung für Haus und Familie ein. Wer ein Leben lang hart gearbeitet hat, hält es meistens auch im Alter nicht ohne Beschäftigung aus. Fromme Leute rechtfertigen ihren Arbeitseifer oft gern mit einem Wort aus dem 90. Psalm, das sie nach der alten unrevidierten Luther-Übersetzung zitieren: „Unser Leben währet siebzig Jahre, wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre. Und wenn's köstlich gewesen ist, so ist's Mühe und Arbeit gewesen.“
„… was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe“, so heißt es dagegen in der revidierten Fassung der Lutherbibel, die seit l964 in Gebrauch ist. Ist das nicht ein Widerspruch? Was sagt dieser Psalm denn nun wirklich aus? Macht die Arbeit das Leben süß, oder ist das scheinbar Beste im Leben nur sinnlose Mühe und Plage?
Liebe Gemeinde, Mose, der Psalm schuf, meinte in der Tat das Letztere. Es ist ein Psalm über die Vergänglichkeit des Menschen. Und vergänglich wie der Mensch selbst ist auch seine Arbeit. „Das Leben fähret schnell dahin, als flögen wir davon“, so geht es im selben Vers weiter. Auch die Ursache für diese Vergänglichkeit nennt der Psalm: „Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen. Denn unsre Missetaten stellst du vor dich, unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht.“ Unsere Sünde macht das Leben in dieser Welt vergänglich und unsere Arbeit vergeblich – aus der Perspektive der Ewigkeit zumindest. Luther hat übrigens mit seiner ursprünglichen Fassung nichts anderes gemeint: „wenn s köstlich gewesen ist, so ist s Mühe und Arbeit gewesen.“ Das Wort „köstlich“ bezeichnete zu Luthers Zeit etwas, das Menschen in ihrer Einbildung für kostbar und wertvoll halten. So scheint die Arbeit für den Menschen auf der Höhe seiner Schaffenskraft etwas Wertvolles zu sein, aber am Lebensende muss er dann doch einsehen, dass das meiste davon vergebliche Mühe war. Wir bekommen in diesem Psalm also vor Augen geführt: Die Arbeit des Menschen ist ebenso wie sein ganzes Leben vom Fluch der Sünde überschattet. Es ist bemerkenswert, dass Gott gleich nach dem Sündenfall über Adam folgende Strafe verhängte: „Mit Mühsal sollst du dich vom Acker nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen“ (1. Mose 3, 17‑18). Das ist bis heute so geblieben, auch wenn die „Dornen und Disteln“ je nach Situation aus ungünstiger Arbeitszeit, Schmutz oder schlechter Bezahlung bestehen können. Erste Feststellung also: Auf der Arbeit lastet ein Fluch um der Sünde willen.
Allerdings liegen diejenigen, die Arbeit für etwas Schönes und Köstliches halten, nicht völlig schief. Zwar kann man diese Haltung nicht gerade mit dem 90. Psalm begründen, wohl aber mit anderen Stellen der Heiligen Schrift. „Der Fleißigen Hand macht reich“, heißt es ganz positiv in den Sprüchen Salomos (Spr. 10,4). Und bereits vor dem Sündenfall hat Gott dem Adam im Paradies eine Arbeit gegeben, nämlich dass der den Garten „bebaute und bewahrte“ (1. Mose 2,15). Die Arbeit an sich ist also keineswegs eine Folge der Sünde, sondern ein Stück Schöpfungsordnung; sie hat die Verheißung göttlichen Segens. Jetzt könnte natürlich einer kommen und sagen: Da sieht man's mal wieder: Die Bibel ist voller Widersprüche; einmal erscheint die Arbeit als Fluch, dann wieder als Segen. Aber es trifft eben beides zu. Die Arbeit ist grundsätzlich eine gute Schöpfungsordnung Gottes, und wer sie als solche annimmt, der wird etwas von dem Segen der Arbeit spüren und Freude daran haben. Lediglich durch die Sünde und ihre Folgen ist die Arbeit mit einem Fluch belastet, mit Mühe und mit dem Strafurteil der Vergänglichkeit – also aus der Ewigkeitsperspektive mit Vergeblichkeit. Zu der ersten Feststellung tritt die zweite: Arbeit ist eine segensreiche Schöpfungsordnung Gottes.
Nun wollen wir Gottes Wort aber nicht nur nach der Arbeit befragen, sondern auch nach der Freizeit. Und wir wollen diesen Begriff von seiner ursprünglichen Bedeutung her verstehen als freie Zeit – nämlich frei von Arbeit und frei, um sie nach eigenen Wünschen zu füllen. Dann können wir feststellen, dass auch die Freizeit zu Gottes Schöpfungsordnung gehört. Gott hat ja den siebenten Tag als Ruhetag geschaffen. Im 3. Gebot heißt es zunächst nur: „Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten Tag sollst du keine Arbeit tun“ (2. Mose 20,9.10). In dieser Ruhezeit gönnt Gott es uns auch, dass wir uns an den schönen Dingen des Lebens freuen, spielen, lachen, Musik machen oder Sport treiben. „Freue dich deiner Jugend und lass dein Herz guter Dinge sein“, heißt es im Prediger Salomo (Pred. 11,9). Gott gönnt uns das Vergnügen von Herzen. Die dritte Feststellung lautet also: Freizeit ist eine segensreiche Schöpfungsordnung.
Aber auch die Freizeit ist nicht ganz unproblematisch. Dann zum Beispiel, wenn einer zu viel davon hat. Oder wenn einer nichts Rechtes damit anzufangen weiß. Dann verführt die Freizeit leicht zur Faulheit – wohlbemerkt: nicht zum wohlverdienten Ausruhen und Ausspannen, sondern zu einer faulen Lebenseinstellung, die jeder Arbeit möglichst aus dem Weg geht. „Der Weg des Faulen ist dornig“, heißt es in den Sprüchen Salomos (Spr. 15,19); ebenso: „Wer nichtigen Dingen nachgeht, wird Armut genug haben“ (Spr. 28,19). Es muss zu denken geben, dass man heutzutage Freizeit als Problem empfindet, weil mancher zuviel davon hat. Arbeitslosigkeit kann krank machen. Langeweile führt doch zumindest zu innerer Armut, auch wenn die gröbste äußere Armut durch unser soziales Netz Gott sei Dank eingedämmt ist. Früher wurde vor den Gefahren der Faulheit nachdrücklich gewarnt mit dem Sprichwort: „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“ Übrigens ist unschwer zu erkennen, dass auch die Gefahren der Freizeit, nämlich Faulheit und Müßiggang, von der Sünde herrühren, die in allen Menschen steckt. Deshalb darf von Gottes Wort her nicht nur gesagt werden: Freizeit ist eine segensreiche Schöpfungsordnung, sondern wir müssen auch die vierte Feststellung treffen: Freizeit birgt um der Sünde willen Gefahren in sich.
Ich fasse zusammen, was Gottes Wort zu Arbeit und Freizeit sagt: Arbeit ist eine segensreiche Schöpfungsordnung Gottes. Freizeit ist eine segensreiche Schöpfungsordnung Gottes. Auf der Arbeit ruht ein Fluch um der Sünde willen. Freizeit birgt Gefahren in sich, und zwar ebenfalls um der Sünde willen. Was fangen wir als Christen mit diesen Feststellungen an? Wir nehmen Arbeit und Freizeit dankbar und fröhlich aus Gottes Hand. Wir bejahen beides. Wir sagen weder: Der Mensch lebt, um zu arbeiten, noch: Der Mensch arbeitet, um zu leben, sondern vielmehr: Ein vernünftiger Rhythmus von Arbeit und Freizeit macht erfülltes Leben aus – Leben nach Gottes Willen und Ordnung. Arbeit und Freizeit, Aktivität und Ruhe, Geben und Empfangen, Sich-Abmühen und Genießen gehören zum Leben dazu wie Einatmen und Ausatmen.
Wie dieser Rhythmus im praktischen Leben verwirklicht wird, da kann ich hier keine Patentrezepte geben, dazu sind wir zu unterschiedlich. Dem einen müsste ich sagen: Arbeite nicht soviel, du machst dich noch kaputt, du solltest ruhig mal ein bisschen faul sein. Dem anderen müsste ich sagen: Setz dich mehr ein, arbeite härter, diene deinen Mitmenschen mit aller Kraft; Gott hat dich nicht in diese Welt gesetzt, damit du andere für dich arbeiten lässt. Jeder muss also für sich selbst den rechten Rhythmus von Arbeit und Freizeit finden.
Die Voraussetzung dafür ist freilich für alle gleich. Weil es die dunkle Seite von Arbeit und Freizeit um der Sünde willen gibt, ist das Problem niemals die Arbeit oder die Freizeit an sich, sondern es ist die Sünde. Die Sünde aber besteht in der Trennung von Gott, in der Auflehnung gegen den Schöpfer. Friede mit Gott und die Aussicht auf ewiges Leben ist damit auch die Voraussetzung für gesegnete Arbeit und gesegnete Freizeit. Beides schenkt Jesus denen, die an ihn glauben.
Hier können wir erkennen, wie unsere Erlösung ihre ganz praktischen Auswirkungen hat. Ich will das verdeutlichen. Wenn ich Jesus vertraue und meine Arbeit tue, dann weiß ich: Ich brauche mir nicht verbissen und angespannt mein täglich Brot selbst zu verdienen, denn Gott schenkt es mir und versorgt mich mit allem, was ich brauche, selbst wenn ich nichts mehr verdienen kann. Ich kann mit meiner Arbeit vielmehr fröhlich meinem Nächsten dienen, wie Christus uns gedient hat. Aus diesem Grund will ich fleißig sein und meine Arbeit möglichst gut machen. In Gottes Ewigkeit darf ich dann von aller Arbeit ausruhen. Wenn ich das bedenke, werde ich nicht zuviel Freizeit und Müßiggang haben, denn ich brauche meinen Hunger auf Lebensfreude in diesem Leben noch nicht ganz zu stillen (das ist sowieso eine Illusion); diesen Hunger wird mir Gott einst im himmlischen Paradies stillen.
Weil von unserem Glauben unser Verhältnis zu Arbeit und Freizeit und Ewigkeit abhängt, ist es wichtig, vor aller Arbeitszeit und Freizeit die Zeit für Gott beiseite zu nehmen. Das entspricht der sogenannten „Erstlingsgabe“, die Gott im Alten Testament von seinem Volk forderte. Wir sollen nicht nur von unserem Geld zuallererst einen Anteil in das Reich Gottes stecken und mit dem Rest für unsere eigenen Bedürfnisse sorgen, sondern wir sollen auch bei unserer Zeiteinteilung den Terminen mit Gott die höchste Rangstufe einräumen und dann an Arbeit und Freizeit denken. Wer meint, wegen Arbeitsüberlastung auf Hausandachten und Gottesdienstbesuch verzichten zu müssen, der steht in derselben Gefahr wie der, der die Freizeit am Sonntagmorgen zum Ausschlafen oder für den Sportverein reserviert. Das erste bei unserer Zeiteinteilung soll die Frage sein, wann wir Zeit für Gott haben, dann werden auch Arbeitszeit und Freizeit gesegnet sein. So gesehen ist das 3. Gebot nicht nur ein Ruhe- und und Freizeitgebot, sondern in erster Linie ein Gebot, Zeit zu haben für Gott.
Liebe Gemeinde, genau das tun wir gerade hier im Gottesdienst: Wir haben Zeit für Gott. Die Erstlingsgabe, die erste Hälfte des ersten Tages der Woche, ist dem gemeinsamen Hören auf sein Wort gewidmet sowie dem Loben, Danken und Beten. Amen.
PREDIGTKASTEN |