Arbeit und Freizeit aus biblischer Sicht

Predigt über Psalm 90,10 in einem Bittgottesdienst für gesegnete Arbeit und Freizeit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es gibt, abhängig von Lebensalter und Menschen­typ, ganz unter­schiedliche Ein­stellungen zu Arbeit und Freizeit. Für kleine Kinder kann Arbeit eine Art Spiel sein, eine Freizeit­beschäfti­gung also. Amateur­sportler dagegen nehmen ihre Freizeit­beschäfti­gung oft so ernst, dass sie zur an­strengenden Arbeit wird. Manch einer stöhnt unter viel Arbeit, sucht sich aber trotzdem immer noch mehr. Ein anderer leidet unter Arbeits­losigkeit. Aber nicht jeder Arbeits­loser ist mit seiner Situation un­zufrieden, denn er bekommt dennoch alles, was er zum Leben braucht. Eine Hausfrau setzt ihre Arbeits­kraft ohne offizielle Bezahlung für Haus und Familie ein. Wer ein Leben lang hart gearbeitet hat, hält es meistens auch im Alter nicht ohne Beschäfti­gung aus. Fromme Leute recht­fertigen ihren Arbeits­eifer oft gern mit einem Wort aus dem 90. Psalm, das sie nach der alten un­revidierten Luther-Übersetzung zitieren: „Unser Leben währet siebzig Jahre, wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre. Und wenn's köstlich gewesen ist, so ist's Mühe und Arbeit gewesen.“

„… was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe“, so heißt es dagegen in der revidierten Fassung der Luther­bibel, die seit l964 in Gebrauch ist. Ist das nicht ein Wider­spruch? Was sagt dieser Psalm denn nun wirklich aus? Macht die Arbeit das Leben süß, oder ist das scheinbar Beste im Leben nur sinnlose Mühe und Plage?

Liebe Gemeinde, Mose, der Psalm schuf, meinte in der Tat das Letztere. Es ist ein Psalm über die Vergänglich­keit des Menschen. Und vergänglich wie der Mensch selbst ist auch seine Arbeit. „Das Leben fähret schnell dahin, als flögen wir davon“, so geht es im selben Vers weiter. Auch die Ursache für diese Vergänglich­keit nennt der Psalm: „Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen. Denn unsre Missetaten stellst du vor dich, unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht.“ Unsere Sünde macht das Leben in dieser Welt vergänglich und unsere Arbeit vergeblich – aus der Perspektive der Ewigkeit zumindest. Luther hat übrigens mit seiner ur­sprüng­lichen Fassung nichts anderes gemeint: „wenn s köstlich gewesen ist, so ist s Mühe und Arbeit gewesen.“ Das Wort „köstlich“ bezeichnete zu Luthers Zeit etwas, das Menschen in ihrer Einbildung für kostbar und wertvoll halten. So scheint die Arbeit für den Menschen auf der Höhe seiner Schaffens­kraft etwas Wertvolles zu sein, aber am Lebensende muss er dann doch einsehen, dass das meiste davon vergebliche Mühe war. Wir bekommen in diesem Psalm also vor Augen geführt: Die Arbeit des Menschen ist ebenso wie sein ganzes Leben vom Fluch der Sünde über­schattet. Es ist bemerkens­wert, dass Gott gleich nach dem Sündenfall über Adam folgende Strafe verhängte: „Mit Mühsal sollst du dich vom Acker nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen“ (1. Mose 3, 17‑18). Das ist bis heute so geblieben, auch wenn die „Dornen und Disteln“ je nach Situation aus ungünstiger Arbeits­zeit, Schmutz oder schlechter Bezahlung bestehen können. Erste Fest­stellung also: Auf der Arbeit lastet ein Fluch um der Sünde willen.

Allerdings liegen diejenigen, die Arbeit für etwas Schönes und Köstliches halten, nicht völlig schief. Zwar kann man diese Haltung nicht gerade mit dem 90. Psalm begründen, wohl aber mit anderen Stellen der Heiligen Schrift. „Der Fleißigen Hand macht reich“, heißt es ganz positiv in den Sprüchen Salomos (Spr. 10,4). Und bereits vor dem Sündenfall hat Gott dem Adam im Paradies eine Arbeit gegeben, nämlich dass der den Garten „bebaute und bewahrte“ (1. Mose 2,15). Die Arbeit an sich ist also keineswegs eine Folge der Sünde, sondern ein Stück Schöpfungsordnung; sie hat die Verheißung göttlichen Segens. Jetzt könnte natürlich einer kommen und sagen: Da sieht man's mal wieder: Die Bibel ist voller Wider­sprüche; einmal erscheint die Arbeit als Fluch, dann wieder als Segen. Aber es trifft eben beides zu. Die Arbeit ist grund­sätzlich eine gute Schöpfungs­ordnung Gottes, und wer sie als solche annimmt, der wird etwas von dem Segen der Arbeit spüren und Freude daran haben. Lediglich durch die Sünde und ihre Folgen ist die Arbeit mit einem Fluch belastet, mit Mühe und mit dem Strafurteil der Vergänglich­keit – also aus der Ewigkeits­perspektive mit Vergeblich­keit. Zu der ersten Fest­stellung tritt die zweite: Arbeit ist eine segens­reiche Schöpfungs­ordnung Gottes.

Nun wollen wir Gottes Wort aber nicht nur nach der Arbeit befragen, sondern auch nach der Freizeit. Und wir wollen diesen Begriff von seiner ur­sprüng­lichen Bedeutung her verstehen als freie Zeit – nämlich frei von Arbeit und frei, um sie nach eigenen Wünschen zu füllen. Dann können wir fest­stellen, dass auch die Freizeit zu Gottes Schöpfungs­ordnung gehört. Gott hat ja den siebenten Tag als Ruhetag geschaffen. Im 3. Gebot heißt es zunächst nur: „Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten Tag sollst du keine Arbeit tun“ (2. Mose 20,9.10). In dieser Ruhezeit gönnt Gott es uns auch, dass wir uns an den schönen Dingen des Lebens freuen, spielen, lachen, Musik machen oder Sport treiben. „Freue dich deiner Jugend und lass dein Herz guter Dinge sein“, heißt es im Prediger Salomo (Pred. 11,9). Gott gönnt uns das Vergnügen von Herzen. Die dritte Fest­stellung lautet also: Freizeit ist eine segens­reiche Schöpfungs­ordnung.

Aber auch die Freizeit ist nicht ganz un­proble­matisch. Dann zum Beispiel, wenn einer zu viel davon hat. Oder wenn einer nichts Rechtes damit anzufangen weiß. Dann verführt die Freizeit leicht zur Faulheit – wohl­bemerkt: nicht zum wohl­verdienten Ausruhen und Ausspannen, sondern zu einer faulen Lebens­einstellung, die jeder Arbeit möglichst aus dem Weg geht. „Der Weg des Faulen ist dornig“, heißt es in den Sprüchen Salomos (Spr. 15,19); ebenso: „Wer nichtigen Dingen nachgeht, wird Armut genug haben“ (Spr. 28,19). Es muss zu denken geben, dass man heutzutage Freizeit als Problem empfindet, weil mancher zuviel davon hat. Arbeits­losigkeit kann krank machen. Langeweile führt doch zumindest zu innerer Armut, auch wenn die gröbste äußere Armut durch unser soziales Netz Gott sei Dank eingedämmt ist. Früher wurde vor den Gefahren der Faulheit nach­drücklich gewarnt mit dem Sprichwort: „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“ Übrigens ist unschwer zu erkennen, dass auch die Gefahren der Freizeit, nämlich Faulheit und Müßiggang, von der Sünde herrühren, die in allen Menschen steckt. Deshalb darf von Gottes Wort her nicht nur gesagt werden: Freizeit ist eine segens­reiche Schöpfungs­ordnung, sondern wir müssen auch die vierte Fest­stellung treffen: Freizeit birgt um der Sünde willen Gefahren in sich.

Ich fasse zusammen, was Gottes Wort zu Arbeit und Freizeit sagt: Arbeit ist eine segens­reiche Schöpfungs­ordnung Gottes. Freizeit ist eine segens­reiche Schöpfungs­ordnung Gottes. Auf der Arbeit ruht ein Fluch um der Sünde willen. Freizeit birgt Gefahren in sich, und zwar ebenfalls um der Sünde willen. Was fangen wir als Christen mit diesen Fest­stellungen an? Wir nehmen Arbeit und Freizeit dankbar und fröhlich aus Gottes Hand. Wir bejahen beides. Wir sagen weder: Der Mensch lebt, um zu arbeiten, noch: Der Mensch arbeitet, um zu leben, sondern vielmehr: Ein ver­nünftiger Rhythmus von Arbeit und Freizeit macht erfülltes Leben aus – Leben nach Gottes Willen und Ordnung. Arbeit und Freizeit, Aktivität und Ruhe, Geben und Empfangen, Sich-Abmühen und Genießen gehören zum Leben dazu wie Einatmen und Ausatmen.

Wie dieser Rhythmus im praktischen Leben ver­wirklicht wird, da kann ich hier keine Patent­rezepte geben, dazu sind wir zu unter­schiedlich. Dem einen müsste ich sagen: Arbeite nicht soviel, du machst dich noch kaputt, du solltest ruhig mal ein bisschen faul sein. Dem anderen müsste ich sagen: Setz dich mehr ein, arbeite härter, diene deinen Mitmenschen mit aller Kraft; Gott hat dich nicht in diese Welt gesetzt, damit du andere für dich arbeiten lässt. Jeder muss also für sich selbst den rechten Rhythmus von Arbeit und Freizeit finden.

Die Voraus­setzung dafür ist freilich für alle gleich. Weil es die dunkle Seite von Arbeit und Freizeit um der Sünde willen gibt, ist das Problem niemals die Arbeit oder die Freizeit an sich, sondern es ist die Sünde. Die Sünde aber besteht in der Trennung von Gott, in der Auflehnung gegen den Schöpfer. Friede mit Gott und die Aussicht auf ewiges Leben ist damit auch die Voraus­setzung für gesegnete Arbeit und gesegnete Freizeit. Beides schenkt Jesus denen, die an ihn glauben.

Hier können wir erkennen, wie unsere Erlösung ihre ganz praktischen Aus­wirkungen hat. Ich will das ver­deutlichen. Wenn ich Jesus vertraue und meine Arbeit tue, dann weiß ich: Ich brauche mir nicht verbissen und angespannt mein täglich Brot selbst zu verdienen, denn Gott schenkt es mir und versorgt mich mit allem, was ich brauche, selbst wenn ich nichts mehr verdienen kann. Ich kann mit meiner Arbeit vielmehr fröhlich meinem Nächsten dienen, wie Christus uns gedient hat. Aus diesem Grund will ich fleißig sein und meine Arbeit möglichst gut machen. In Gottes Ewigkeit darf ich dann von aller Arbeit ausruhen. Wenn ich das bedenke, werde ich nicht zuviel Freizeit und Müßiggang haben, denn ich brauche meinen Hunger auf Lebens­freude in diesem Leben noch nicht ganz zu stillen (das ist sowieso eine Illusion); diesen Hunger wird mir Gott einst im himmlischen Paradies stillen.

Weil von unserem Glauben unser Verhältnis zu Arbeit und Freizeit und Ewigkeit abhängt, ist es wichtig, vor aller Arbeitszeit und Freizeit die Zeit für Gott beiseite zu nehmen. Das entspricht der sogenannten „Erstlings­gabe“, die Gott im Alten Testament von seinem Volk forderte. Wir sollen nicht nur von unserem Geld zuallererst einen Anteil in das Reich Gottes stecken und mit dem Rest für unsere eigenen Bedürfnisse sorgen, sondern wir sollen auch bei unserer Zeit­einteilung den Terminen mit Gott die höchste Rangstufe einräumen und dann an Arbeit und Freizeit denken. Wer meint, wegen Arbeits­überlastung auf Haus­andachten und Gottes­dienst­besuch verzichten zu müssen, der steht in derselben Gefahr wie der, der die Freizeit am Sonntag­morgen zum Ausschlafen oder für den Sportverein reserviert. Das erste bei unserer Zeit­einteilung soll die Frage sein, wann wir Zeit für Gott haben, dann werden auch Arbeitszeit und Freizeit gesegnet sein. So gesehen ist das 3. Gebot nicht nur ein Ruhe- und und Freizeit­gebot, sondern in erster Linie ein Gebot, Zeit zu haben für Gott.

Liebe Gemeinde, genau das tun wir gerade hier im Gottes­dienst: Wir haben Zeit für Gott. Die Erstlings­gabe, die erste Hälfte des ersten Tages der Woche, ist dem gemeinsamen Hören auf sein Wort gewidmet sowie dem Loben, Danken und Beten. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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