Da ist auch stets mein Herz und Sinn

Predigt über 1. Könige 8,27‑28 zum Himmelfahrtstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ (1. Mose 1,1) Wir können auch sagen: „Am Anfang schuf Gott Raum und Zeit.“ Himmel und Erde, Raum und Zeit, diese Bereiche können wir erleben; diese Bereiche hat Gott für uns Menschen geschaffen, dass wir darin leben sollen; er selbst ist freilich nicht an sie gebunden. Gott lässt sich schon gar nicht auf ein Haus be­schränken, und sei es auch der prächtigste Tempel oder die prunk­vollste Kathedrale, denn das gesamte Weltall, die „Himmel aller Himmel“, können ihn nicht fassen. Das war dem König Salomo durchaus bewusst, als er den großartigen Tempel in Jerusalem einweihte, den er gebaut hatte. Im Tempel­weihgebet sprach er diese Worte: „Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“

Wenn wir dennoch in Raum und Zeit etwas von Gott erfahren können, dann ist das an sich schon ein Zeichen seiner Liebe. Er hätte seine Schöpfung ja auch sich selbst überlassen können; aber er begegnet seinen Geschöpfen und gibt ihnen Weisung. Obwohl die Menschen sich in Sünde und Ungehorsam von ihm abwandten, ging er ihnen in Liebe nach, rief sie zur Umkehr, gab ihnen Weisung durch Gebote. Besonders dem Volk Israel galt seine Zuwendung. Obwohl ihn das ganze Weltall nicht fassen kann, ließ Gott sich dazu herab, erst in der Stiftshütte und dann im Jerusalemer Tempel für sein aus­erwähltes Volk gegenwärtig zu sein. Dabei galt die Bundeslade als sein Thron. Aber auch sein aus­erwähltes Volk trat seine Liebe mit Füßen, suchte nach anderen Göttern und verlor schließlich seine Vorzugs­stellung in der Welt.

Auch da zog Gott sich nicht in ferne Welten zurück, sondern suchte sein Volk und alle Menschen der Erde weiter auf. Ja, er ging dabei so weit, dass er selbst ein Mensch wurde in Jesus Christus. Der All­mächtige, den aller Himmel Himmel nicht fassen können, ließ sich dazu herab, ein Mensch in Raum und Zeit zu werden. Er nahm die gesamte Last der mensch­lichen Schuld auf sich; er starb am Kreuz. Danach erschien er vielen als Auf­erstandener. Vierzig Tage später verließ er in seiner sichtbaren Menschen­gestalt die Erde und kehrte zum himmlischen Vater zurück in die Welt jenseits von Raum und Zeit, jenseits aller Himmel Himmel. Er kehrte zurück in jene Welt, die wir zwar auch Himmel nennen, die aber mit unserer Atmosphäre und mit dem Weltall nichts gemein hat. „Himmel­fahrt“ nennen wir dieses Ereignis, das wir heute feiern, obwohl nicht nur der Begriff „Himmel“, sondern auch der Begriff „Fahrt“ miss­verständlich ist. Die Sache aber ist klar: Jesus Christus lebt nicht mehr als Mensch aus Fleisch und Blut unter uns. Er hat sein Heilswerk vollendet, das Werk der wunderbaren Liebe Gottes: ein Werk der Aufopferung für ein Menschen­geschlecht, das immer wieder Gott verlassen, verachtet, verhöhnt und mit Füßen getreten hat.

Wir feiern heute die Himmelfahrt Jesu Christi, und ich meine, wir sollten sie wirklich als Fest begehen: mit fröhlichen Liedern, mit einem schönen Gottes­dienst, und nachher mit gutem Essen, Trinken und Beisammen­sein in den Familien, ohne Arbeit und Alltags­stress. Aber zum Feiern gehört auch die Erinnerung daran, was es mit dem Anlass des Festes auf sich hat. Mit Christi Himmelfahrt können wir uns sogar an mehrere Dinge erinnern: Erstens hat Jesus die ent­sprechende Weissagung des Alten Testaments erfüllt. Zweitens sitzt er nun zur Rechten des Vaters; das heißt: Er hat an Gottes Welt­regierung ent­scheidenden Anteil. Drittens löst Christus im Himmel das Versprechen ein, das er zuvor seinen Jüngern gab: Er sendet den Heiligen Geist. Viertens hat Christus mit der Himmelfahrt das Versprechen seiner Wiederkehr am letzten Tag der Zeit verknüpft. Und fünftens lernen wir durch die Himmel­fahrt, unsere Lebens­energie nicht in den vergäng­lichen Angelegen­heiten dieser Welt zu erschöpfen, sondern unsern Sinn zum Herrn Jesus Christus in den Himmel zu richten. „… denn wo mein Schatz ist kommen hin, / da ist auch stets mein Herz und Sinn“, heißt es treffend in einem Himmel­fahrtslied.

Diesen fünften Gesichts­punkt möchte ich jetzt heraus­greifen. Ich möchte an dieser Stelle einen weiteren Vers aus Salomos Tempel­weihgebet in Erinnerung rufen. Nach der Fest­stellung, dass aller Himmel Himmel Gott nicht fassen können, betete Salomo: „Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, Herr, mein Gott, damit du hörest das Flehen und Gebet deines Knechtes heute vor dir.“ Der Vers endet eigentlich mit einem Doppel­punkt, und dann folgt breit und aus­führlich, was denn Salomo anlässlich der Tempelweihe bittet. Er bittet Gott um Hilfe und Erhörung für alle, die mit ihren Gebeten und Anliegen in den Tempel treten. Der Tempel wird sozusagen zur Schalt­stelle zwischen den Menschen auf Erden und dem ewigen, all­mächtigen Gott im Himmel – eine Schalt­stelle, die Gott selbst in seiner Barmherzig­keit gestiftet hat. Die Anliegen, die im Tempel vor Gottes Ohren gebracht werden können, zählt Salomo dann beispiel­haft auf: Klärung in Rechts­streits, Vergebung der Sünden, gutes Wetter für die Ernte, Hilfe bei Hungers­nöten und Seuchen, Beistand im Krieg, und so weiter. Wir erkennen: Die Israeliten sollten keinen Lebens­bereich vor ihrem himmlischen Vater ver­schließen, sondern alles vor ihn bringen. Sie sollten ihr Leben führen im Aufblick zu Gott. Nur so gibt es ja erfülltes Leben: im Aufblick zu Gott. Als Hilfe hat ihnen Gott den Tempel als Schalt­stelle zu ihm hin verordnet.

Wir Heutigen brauchen keinen Tempel, jedenfalls keinen aus Holz und Steinen. Wir haben Jesus Christus; der ist unser geistlicher Tempel geworden, der ist zur neuen Schalt­stelle der Beziehung zu Gott geworden. In seinem Namen sollen wir beten – auf der Grundlage der Erlösung, die er gestiftet hat. In seinem Namen sollen wir unser ganzes Leben führen, sind wir doch nach seinem Namen genannt. Wir heißen Christen, weil wir seit unserer Taufe zu Jesus Christus gehören. Darum soll unser Sinn und unser ganzes Leben nach ihm hin aus­gerichtet sein, hin zur Welt Gottes. Wichtig ist, dass wir mit ihm und dem himmlischen Vater richtig in Verbindung bleiben, dann werden sich die Angelegen­heiten dieser Welt schon irgendwie regeln lassen, da sorgt er dann schon dafür. „Trachtet zuallererst nach dem Reich Gottes, dann wird euch alles andere schon zufallen“, so hat Jesus seine Jünger gelehrt (Matth. 6,33). Zu unserem Herrn Jesus Christus aufblicken, nach Gottes Reich trachten – das lehrt uns seine Himmel­fahrt.

Liebe Gemeinde, mich packt manchmal das Entsetzen, wenn ich merke: Viele von denen, die sich heutzutage Christen nennen, haben nichts davon kapiert. Ihr sogenanntes Christsein erschöpft sich in Raum und Zeit, in den Äußerlich­keiten dieser Welt. Dass ihr Sinn über den Himmel und aller Himmel Himmel hinaus zu Jesus Christus und seinem Vater gerichtet sein soll, damit können sie nichts anfangen. Vielmehr reißen sie den guten Namen Christi und Gottes an sich, um ihn ihren eigen­süchtigen mensch­lichen Zielen zunutze zu machen. Es werden jetzt wieder überall Kon­firmationen gefeiert. Wieviele junge Menschen sagen da in der Kirche ihr frommes Sprüchlein ohne innere Be­teiligung, weil die großen Geld­geschenke winken! Sieht man sich die Zeitungs­anzeigen zur Kon­firmation an, so gewinnt man den Eindruck, Kon­firmation sei das Fest der Heim­elektronik, der neuen Kleider und der ersten Girokontos. Dabei geht es doch um nichts anderes als darum, dass ein junger Christ erstmals mündig für sich selbst den christ­lichen Glauben bekennt und feierlich verspricht, seinem Herrn Jesus Christus und der Kirche treu zu bleiben. Einen ähnlichen Hang zum Äußerlichen kann man bei Trauungen beobachten. Überhaupt scheinen vielen die äußerlichen Dinge an Kirche und Christentum viel ernster zu nehmen als die Herzens­bindung an Jesus Christus, den Glauben. Das Gotteshaus und die Erde sind vielen wichtiger als der Herr, den kein Haus und keine Erde und kein Kosmos fasst. Was der Pastor für ein Gewand anhat, ist manchem wichtiger als das, was er sagt. Ob das Beffchen schief saß oder gerade, darüber kann mancher nach dem Gottes­dienst besser Auskunft geben als über den Predigt­text. Was der Bruder oder die Schwester in der Kirchenbank für eine Frisur hat oder für Kleidung trägt, beschäftigt manchen mehr als das, was den Bruder oder die Schwester vielleicht bedrücken könnte und wofür vielleicht Fürbitte geraten wäre. Dass die Kirche einen schwach besuchten Eindruck macht, ist manchem Gemeinde­glied un­angenehmer als der Gedanke, dass vielen der selig machende Glaube fehlt. Dass die Mit­gemeinde­glieder fröhliche, gesellige Leute sind, ist manchem wichtiger, als dass in der Gemeinde Gottes Wort und Sakrament ver­antwortungs­voll verwaltet werden. Jeder mag diese Aufzählung nach eigener Erfahrung fortsetzen.

Bitte versteht mich jetzt nicht falsch: Ich möchte mit diesen Be­obachtungen niemanden anprangern. Ich stelle mich selbst unter diese Anklage, zu wenig nach meinem Herrn im Himmel zu trachten und zu sehr auf das Irdische zu sehen. Ich stelle aber im Namen Gottes auch euch unter diese Anklage, einen jeden, der bei sich diese Gefahr erkennt. Die Himmelfahrt Jesu Christi ruft uns alle zur Buße: „Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist!“ (Kol. 3,2) Es wäre verheerend zu meinen, man könne den himmlischen Vater und seinen ein­geborenen Sohn vor den Karren der eigenen weltlichen Interessen spannen.

Wie kann solche Buße aussehen? Was heißt „nach droben trachten“? Es heißt zu­allererst, dass wir uns doch endlich durch Jesus von unserem Gott helfen lassen; dass wir es freudig und dankbar annehmen, wenn er trotz unserer Sünde nicht müde wird, uns unter sein Wort und Sakrament einladen zu einem Leben in seiner Nachfolge. Lassen wir es doch einfach zu, dass er uns liebt und uns trotz unserer Sünde das ewige Leben schenken will! Nehmen wir es ihm ab, glauben wir es einfach! Lasst uns nach seinem Wort suchen. Fragen wir: Herr Jesus Christus, wie soll ich leben, was willst du mir zeigen? Und halten wir uns dann daran, was er durch sein Wort sagt. Sehen wir auf sein Wort und seinen Willen, nicht darauf, was „man“ tut. Es wäre nicht das Schlimmste, wenn man uns für weltfremde Menschen hält. Schlimm wäre es dagegen, wenn wir unserem Herrn den Gehorsam auf­kündigten und im allgemeinen Strom der Welt mit­schwämmen – in Egoismus, Habgier, Lüge, mangelnder Vergebungs­bereitschaft und zügelloser Sexualität. Dann würden wir in dieser unseligen Menschheits­tradition fortfahren, die Gottes Liebes­beweise immer nur mit Verachtung bedacht hat. Lasst uns vielmehr trachten nach dem, was oben ist, „denn wo mein Schatz ist kommen hin, / da ist auch stets mein Herz und Sinn.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

 


 

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