Der Landmann, der Same und der Boden

Predigt über Lukas 8,4‑15 zum Sonntag Sexagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Vergesst bitte für zwanzig Minuten alles, was ihr über den Ackerbau wisst; nur so könnt ihr Jesu Gleichnis richtig verstehen. Jesus hatte für sein Gleichnis die Arbeit eines Bauern im Norden Palästinas vor Augen, im felsigen Galiläa rund um den See Genezareth. Da gab es nur schmale Land­streifen an den Hängen zum Getreide­anbau. Und der ging damals so vonstatten: Der Landmann wirft aus seiner hoch­gerafften Schürze den Samen in weitem Bogen über das ungepflügte und in keiner Weise vor­bereitete Land. Danach erst pflügt er den Acker mitsamt dem Samen um. So kann es geschehen, dass der Felsboden unter einer dünnen Bodenkrume erst jetzt entdeckt wird; das Getreide kann dort natürlich nicht gedeihen. Nun tritt der Landmann feste Pfade auf dem Feld, von denen aus die Halme bei der Ernte geschnitten werden. Auch auf diesen Wegen ist der Same verloren; er wird zertreten. Gegen das Unkraut tut der Landmann nichts; so fällt auch dem Unkraut einiges zum Opfer. Nur ein Teil des Samens kann schließlich auf gutem Boden heran­wachsen und Frucht bringen. Man mag darüber streiten, ob diese Art des Ackerbaus wirtschaft­lich ist; Tatsache ist jedenfalls, dass sie in jener Gegend ganz selbst­verständ­lich angewandt wurde und dass Jesus diese allen vertraute Weise deshalb als An­schauungs­material für sein Gleichnis nimmt.

Wir wollen uns nun mit den drei „Haupt­darstel­lern“ in diesem Gleichnis be­schäftigen (so will ich sie mal nennen), die gleich­zeitig meine Predigt gliedern helfen sollen: mit dem Sämann, dem Samen und dem Boden.

Richten wir unseren Blick zunächst auf den Sämann. Für wen steht er? Wer wirft den Samen des Gottes­wortes aus? Zunächst fällt uns da Christus selbst ein, das Fleisch gewordene Gotteswort. Aber wie es dem einen guten Hirten gefällt, durch viele Menschen das Hirtenamt auf Erden aus­zurichten, so gefällt es auch dem einen Sämann des Gottes­wortes, seinen Samen durch menschliche Land­arbeiter ausstreuen zu lassen. Wir sind ja die Glieder an seinem Leib – am Leib der Kirche und Gemeinde. Wir sind die linke Hand, die die Schürze fasst, die rechte Hand, die den Samen in weitem Bogen ausstreut, die Füße, die über den Acker gehen, und der Rumpf, der sich bald nach rechts, bald nach links wendet.

Ja, liebe Gemeinde, lass mich das heute einmal an diesem Gleichnis hervor­heben: Wir, die Gemeinde Jesu Christi, sind nicht nur der hoffentlich gute Boden, in dem Gottes Wort aufgeht und Frucht bringt; wir haben auch Teil an der Arbeit des Sämanns. Und wie der Landmann in Palästina den Samen in weitem Bogen über das Feld wirft und sich gar nicht darum kümmert, ob es auf gute oder schlechte Erde fällt, so sollen wir die frohe Botschaft von Jesus Christus in weitem Bogen ausstreuen – ein jeder an der Stelle, wo ihn Gott hingestellt hat: als Pastor oder Kirchen­vorsteher oder einfaches Gemeinde­glied; als Vater oder Mutter, Großvater oder Großmutter, Kollege, Lehrer, Mitschüler, Mitbürger, Nachbar, Vereins­kamerad oder was auch immer. Lasst uns unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern leuchten – nämlich das Zeugnis von dem, der sagte: „Ich bin das Licht der Welt.“ Wir wollen uns dabei nicht auf bestimmte Personen­gruppen be­schränken, sondern alle erreichen, bei denen sich die Gelegenheit bietet: Alte und Junge, Kluge und Dumme, Atheisten und Kartei­christen, Aussiedler und Asyl­bewerber, Punker und Penner, Reiche und Arme, Fröhliche und Traurige – auf sie alle soll das Samenkorn des Gottes­wortes fallen. Lasst uns dazu auch alle Mittel und Medien nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Lasst uns Artikel und Leserbriefe an die Zeitungen schicken. Lasst uns zu Gottes­diensten und Gemeinde­veranstal­tungen im weiten Umfeld einladen. Lasst uns Familien­feiern und Kinder­geburtstage nutzen, um Andachten zu halten. Lasst uns Leute besuchen und einladen, die von niemand anderem besucht oder eingeladen werden. Lasst uns den Ober-Sämann um Kraft bitten: Herr, hilf uns, wir würden ja lieber faul in der Sonne sitzen, aber da ist dein guter Same, der muss hinaus aufs Land; gib uns Kraft, dabei mit­zuhelfen.

Und was bleibt uns sonst noch zu tun auf dem Acker Gottes? Der Sämann im Gleichnis tut nichts weiter, der Sämann in Palästina nicht viel mehr: Er pflügt den Acker nach dem Säen um; das ist eine Tätigkeit, die zum Säen dazugehört. Wenn wir wollen, können wir das in die Deutung ein­beziehen: Wir sollen uns darum mühen, dass der Same auch wirklich in den Boden hinein­kommt; wir sollen uns um Verständlich­keit mühen. Die Kirchen­sprache wird von vielen in unserer Umgebung nicht mehr verstanden. „Sündigen“ heißt bei vielen „zuviel Kuchen essen“, „Buße“ kommt für sie nur noch im Bußgeld­bescheid der Polizei vor. Vielleicht können wir im Umpflügen auch das Gebet um Glaubens­frucht sehen, also die vor Gott gebrachte Bitte, sein Wort möchte viele zum selig machenden Glauben führen. Aber unsere Haupt­aufgabe und Haupt­verant­wortung bleibt allein dies, dass das Wort aufs Land kommt, dass es ausgestreut wird. Hüten wir uns davor, den Acker be­einflussen zu wollen, wie es in der modernen Land­wirtschaft geschieht! Hüten wir uns davor, mit dem Unkraut­vernichtungs­mittel der Psychologie oder mit dem künstlichen Dünger von Werbetricks Menschen so hinbiegen zu wollen, dass ihnen gar nichts mehr anderes übrig bleibt, als an Christus zu glauben! Unser ganzes Zutrauen sollen wir auf den guten Samen setzen, den Gott uns gibt.

Damit sind wir bei Punkt zwei, dem Samen. Es ist ein ganz wunderbarer Same. Es ist das Wort vom Weizenkorn Jesus Christus, das in die Erde fällt und stirbt, um neue Frucht zu bringen. Ja, der Tod Jesu hat für alle Menschen die wunderbare Frucht gebracht, dass sie aus der dunklen, selbst ver­schuldeten Gottesferne in die Gemein­schaft mit dem himmlischen Vater zurück­kehren können. Diese frohe Botschaft ist nicht nur eine In­formation, über die sich Menschen freuen können. Das Evanglium von Christus ist vor allen Dingen eine Kraft, die Menschen verändern und selig machen kann. Wenn wir uns das Gleichnis genau betrachten, dann fällt uns beim guten Boden auf: Nicht der tote Boden bringt Frucht, sondern der Boden, der durch das Saatkorn lebendig gemacht wurde. Diese Kraft steckt im Wort Gottes: Ein Herz, das geistlich tot ist, wird durch dieses Wort zu lebendigem Glauben erweckt. Dieses Wunder ist bei uns in der Taufe geschehen. Wir sollten niemals aufhören, darüber zu staunen, und nie aufhören, Gott dafür zu loben und zu danken.

Lasst uns aber auch hier beim Samen nicht vergessen, dass wir nicht nur der Boden, sondern auch der Sämann sind. Aus dem Blickwinkel von Jüngern Jesu, die das Wort ausstreuen sollen, müssen wir auf das Saatgut des Gottes­wortes achthaben. Es wäre zum Beispiel falsch, wenn wir statt Samen Bonbons aus­streuten. Die sind zwar schön süß und bunt, aber sie sind auch tot und können keine Frucht bringen. Bonbons werden überall dort ausgesät, wo anstelle von Gottes Wort menschliche Gedanken in der Kirche verbreitet werden, die der Geistes­haltung unserer Zeit angenehmer sind. Wie groß ist die Versuchung dazu, auch in unserer Kirche! Allzu menschlich ist der Gedanke, man könne den Schrumpfungs­prozess der Gemeinden aufhalten, wenn man alles schwer Ver­ständliche, Harte und Anstößige von Gottes Wort weglässt. Auch stehen wir immer wieder in der Gefahr, dass uns der Teufel Unkraut­samen unter unser Saat­getreide mischt. Allzu leicht schleicht sich menschliche Vernunft in die Predigt des Kreuzes ein, wo doch das Wort vom Kreuz den Nicht­christen wie eine Torheit vorkommt. Wenn wir schon nicht verhindern können, dass der Boden Unkraut hervor­bringt, können wir doch wenigstens dafür Sorge tragen, dass der Same rein bleibt – Gottes Wort der Heiligen Schrift.

Kommen wir nun drittens und letztens zum Boden. Da zeigt uns Jesus in dem Gleichnis ganz nüchtern, dass wir auch mit dem Misserfolg unserer Ver­kündigung rechnen müssen, ja, dass der Misserfolg eigentlich sogar der Normalfall ist. Was Jesus an den ersten drei Bodenarten da ver­deutlicht, wird jeder kennen, der schon einmal Evan­gelisations­besuche gemacht oder Glaubens­gespräche mit Nicht­christen geführt hat. Da sind die Weg-Menschen: Sie hören, dass Gott ihnen die ewige Seligkeit schenken will – und leben doch weiter, als hätten sie es nie gehört; der Satan nimmt das Wort sofort wieder weg aus ihren Herzen. Da sind die Fels-Menschen: Sie sind ganz angetan von der Botschaft, doch wenn sie merken, dass das Christsein auch Opfer verlangt und dass man mit An­fechtungen sowie mit dem Alten Adam zu kämpfen hat, dann machen sie schnell einen Rückzieher. Da sind die Dornen-Menschen – und wie häufig findet man sie, auch in unserer Kirche: Die einen sind zu beschäftigt mit der Bewahrung und Vermehrung ihres Besitzes, um den Samen des Gottes­wortes wichtig zu nehmen und bei sich aufgehen zu lassen. Bei anderen sind es die „Freuden des Lebens“, wie Jesus sagte: der Sport­verein, die Freizeit­gestaltung, das Fernsehen, das Reisen… Zum Glück gibt es aber auch immer wieder Gute-Boden-Menschen, denen der Same des Gottes­wortes konkurrenz­los wichtig ist. Dort hat er Raum, aufzugehen und vielfach gute Frucht zu bringen: In Werken der Nächsten­liebe, in der treuen Mitarbeit in der Gemeinde sowie auch im fröhlichen Glaubens­zeugnis gegenüber anderen Menschen.

Wir wollen jetzt gar nicht darüber philoso­phieren, warum es so ist, das sagt uns Jesus nämlich nicht mit diesem Gleichnis. Er lehrt uns ganz einfach, die Dinge nüchtern zu sehen, wie sie sind: Gottes Wort fällt oft auf unfrucht­baren Boden, manchmal aber auch auf guten. Die Antwort auf eine bestimmte und viel gestellte Frage aber deutet sich in dieser Geschichte an: Warum glauben die einen, und die andern nicht? Was logisch un­befriedigend bleibt in der biblischen Antwort auf dieseFrage, das zeigt sich im Gleichnis als ein ganz natürlicher Zusammen­hang: Wo der Same des Gottes­wortes nicht aufgeht, da liegt es am Boden, nicht am Samen. Nicht Gott ist für Glaubens­hindernisse ver­antwort­lich, sondern allein der Mensch. Wo der Same des Gottes­wortes aber aufgeht, da bringt nicht der Boden aus sich selbst das Leben hervor, denn er ist zunächst genauso tot wie der Fels. Die Lebenskraft kommt aus­schließlich aus dem Samen. So ist das mit uns, die wir an Jesus glauben: Der Glaube ist nicht unser Verdienst, sondern ein Wunderwerk des Heiligen Geistes. Der hat uns durch den Samen von Gottes Wort und Sakrament lebendig gemacht. Gebe Gott, dass wir nun auch immer mehr Frucht bringen – ihm zur Ehre und den Mitmenschen zum Nutzen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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