Die Jüngerschule

Predigt über Markus 4,35‑41 zum 4. Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Lasst uns mit den Jüngern bei Jesus in die Schule gehen! Wenn wir mit den Jüngern aus der Geschichte der Sturmstillung etwas lernen wollen, dann müssen wir fragen: Was haben die Jünger denn bei dieser Gelgenheit falsch gemacht? Warum fährt Jesus sie so hart an und sagt: „Habt ihr noch keinen Glauben“?

Die Jünger hatten Angst gehabt. Wer hätte das nicht in solcher Situation? Wenn im Talbecken des Sees Genezareth unversehens gefährliche Fallwinde aufkommen, geraten kleine Fischer­boote in echte Seenot. Schon füllte sich das Boot mit Wasser, sodass die Jünger in unmittel­bare Lebens­gefahr gerieten. Als Fischer, als echte Wasser­profis, schätzten sie die Gefahr auch richtig ein. Und in ihrer Angst taten sie eigentlich etwas ganz Ver­nünftiges: Sie weckten Jesus, der un­verständ­licher­weise bei diesem Chaos schlafen konnte, und schrieen zu ihm um Hilfe: „Meister, fragst du nicht danach, dass wir umkommen?“

Ist das nicht das Beste, was sie tun konnten: Gottes Sohn um Hilfe bitten? So ist es ja auch vorbildlich im l07. Psalm beschrieben von Menschen, die in Seenot gerieten. Das ist dort so großartig ge­schildert, dass ich es hier erwähnen möchte. Im 107. Psalm heißt es: „Die mit Schiffen auf dem Meere fuhren und trieben ihren Handel auf großen Wassern, die des Herrn Werke erfahren haben und seine Wunder auf dem Meer, wenn er sprach und einen Sturmwind erregte, und sie gen Himmel fuhren und in den Abgrund sanken, dass ihre Seele vor Angst verzagte, dass sie taumelten und wankten wie ein Trunkener und wussten keinen Rat mehr, die dann zum Herrn schrien in ihrer Not, und er führte sie aus ihren Ängsten und stillte das Ungewitter, dass die Wellen sich legten und sie froh wurden, dass es still geworden war, und er sie zum erwünschten Land brachte, die sollen dem Herrn danken für seine Güte und für seine Wunder, die er an den Menschen­kindern tut…“ Genauso ist es bei den Jüngern gelaufen!

Was war nun aber der Fehler der Jünger, wo war ihr Unglaube? Achtet mal genau darauf, was die Jünger schrieen: „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“ Sie hielten es also für möglich, dass Jesus ihr Schicksal egal war, dass er sich nicht um sie kümmerte! Da haben wir schon mal eine schlimme Wurzel des Unglaubens, die Haltung nämlich: Gott hat mich anscheinend vergessen und lässt mich in der Gefahr hängen! Der Unglaube der Jünger zeigt sich aber darüber hinaus noch in dem Wörtchen „umkommen“. Sie sagten: „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“ Im älteren Luthertext heißt es: „Fragst du nichts danach, dass wir verderben?“ Warum sagten sie nicht einfach: „… dass wir ertrinken, dass wir sterben?“ Dann hätten sie nämlich viel ruhiger bleiben können. Auch wenn Gott beschlossen hätte, dass sie in dieser Stunde sterben sollten, hätten sie doch wissen müssen, dass Wind und Wellen ihren Seelen nichts anhaben können, denn Seelen können nicht durch äußere Lebens­gefahr verderben. Das hatte Jesus den Jüngern oft genug klar­zumachen versucht, zum Beispiel mit dem Wort: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können. fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann – hier dasselbe Wort, das die Jünger ge­brauchten! – in der Hölle“ (Matth. 10,28). Der Leib muss früher oder später sowieso sterben, und Gott hat den rechten Zeitpunkt dafür über jeden Menschen bereits be­schlossen. Niemand kann seinem Leben auch nur eine Spanne zusetzen, „ob er sich gleich darum sorget“, wie Jesus gesagt hat (Matth. 6,27). Aber viel schlimmer als der un­ausweich­liche Tod des Leibes ist es ist, wenn die Seele verdirbt. Das will Gott auch gar nicht, und er hat ver­sprochen: Alle, die an Jesus glauben, werden ewig leben; ihre Seelen werden also niemals umkommen und verderben! Wir lernen in der Jünger­schule: Nicht den Tod des Leibes sollen wir am meisten fürchten, der kommt sowieso un­ausweich­lich, aber der kann uns nicht von Gott und vom ewigen Leben trennen. Vielmehr soll es uns am wichtigsten sein, dass die Seele nicht verdirbt. „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes“, mahnte Jesus, „dann werden euch die Dinge, die ihr für den Fortbestand des Leibes braucht, schon in aus­reichendem Maß zufallen“ (Matth. 6,33). Merkt ihr, worum es geht? Merkt ihr, was Jesus seine Anhänger in der Jünger­schule lehren will? Wo Leib und Leben bedroht sind, da herrscht keine wirkliche Gefahr, denn der Vater hat ja alles in der Hand, Wind und Wellen, Tod und Leben, wie er‘s führt, so ist es recht. Wo dagegen das Seelenheil bedroht ist, wo Menschen den Glauben und die ewige Seligkeit zu verlieren drohen, da muss unter Jüngern Jesu die höchste Alarmstufe ausgerufen werden. Da müssen wir Jesus und dem himmlischen Vater täglich in den Ohren liegen und ihn im Gebet bedrängen, dass er uns doch nicht verderben lässt.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir sitzen im Boot dieser Welt. Wirbelwinde kommen von allen Seiten, die Wellen gehen hoch und schlagen in das Boot, sodass es unter­zugehen droht. Im Klartext: Wir erfahren Krankheit und Leid, hören von Mord und Totschlag. Die Welt­wirtschaft gerät immer mehr in die Krise, die Umwelt geht immer mehr kaputt, Kerntechnik und Gentechnik beschwören ungeahnte Gefahren herauf. Was tun wir Menschen im Boot, sofern wir uns Jünger Jesu nennen, was tun wir Christen? Stimmen wir ein in das Klagelied der Welt? Lassen wir uns bange machen? Sollten diese Dinge zu unserem Hauptthema werden in der Kirche? Sollen wir sagen: „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen“? Keineswegs! Dem der Wind und die Wellen gehorchten, dem werden auch die Kernenergie und das Klima gehorchen. Und dass er uns immer wieder aus Gefahr errettet, hat er nicht nur damals den Jüngern bewiesen, sondern er beweist es auch uns täglich aufs neue. Christus braucht nur ein Wort zu sagen, und schon gehorchen ihm die Kräfte, die unser Leben bedrohen. Aber selbst wenn er es zulässt, dass uns Krankheit und äußerliche Not betreffen, ja, auch wenn wir sterben müssen, wissen wir doch, dass unsere Seelen davon nicht betroffen sind. Darum können wir angesichts einer kaputten Welt fröhlich und getrost das Lied anstimmen: „Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh.“

Nicht dass ihr mich falsch versteht: Ich bin durchaus dafür, dass man sich um Frieden und Wohlergehen für alle Menschen bemüht und dass man auch für diese Dinge Jesus um Hilfe bitten sollte. Gott hat jedem von uns ein gewisses Maß an Ver­antwortung gegeben; wir dürfen ihn nicht durch Gedanken­losigkeit und Leichtsinn versuchen. Aber Sorgen sollen wir uns in diesem Bereich nicht machen; auch sollen wir nicht meinen, dass hier für uns die allergrößten Gefahren bestehen. Denn allzu leicht übersehen wir dann die wahre Gefahr für die Menschen dieser Welt, die Gefahr nämlich, den Glauben und das ewige Seelenheil zu verspielen. Ein Mensch, der in Frieden und Sicherheit ohne Glauben stirbt, ist schlimmer dran als einer, der qualvoll ertrinkt oder verbrennt, aber mit seinem Gott im Reinen ist.

Was das Seelenheil der Menschen anlangt, sehe ich ein anderes Boot vor meinem geistigen Auge. In diesem Boot schläft nicht Jesus, sondern es schlafen die Jünger, die Christen. Vielleicht blinzelt mal einer mit den Augen, sieht die bedrohliche Lage und denkt: „Das kann gefährlich werden.“ Aber schon ist er wieder ein­geschlafen. Da pfeift der Wind der Gott­losigkeit, und die Wellen des Zeitgeistes schwappen über in das Boot. Da nimmt der Glaube ab, und die Liebe erkaltet. Da halten sich Menschen fern von Gottes Wort uns Sakrament, da werden sie nachlässig beim Beten. Da halten sie Sorge und Reichtum der Welt ab, regelmäßig und oft für ihre Seele zu sorgen. Manch ein Mitchrist sagt mir offen ins Gesicht: „Diese und jene Aussage der Bibel kann ich nicht auf mich beziehen, das ist veraltet, das machen doch heute alle anders.“ Als ob ein Fehler dadurch richtiger wird, dass alle ihn machen! Solche Haltung ist ganz gefährlich, ist sie doch nichts anderes als ein Miss­trauens­antrag an den lebendigen Gott und sein Wort.

Was aber können wir tun? Liebe Jünger Jesu Christi, lasst uns in diesem Bereich unsern Meister an der Schulter rütteln und ihm zuschreien: „Meister, fragst du nicht, dass wir verderben?“ Lasst uns nicht müde werden im Gebet! Bittet ihn täglich für die Seelen, die verloren zu gehen drohen! Für Kinder und Enkel, für Nachbarn und Arbeits­kollegen, für Patenkinder und Freunde! Und dann wollen wir ihn um noch etwas bitten: Wir wollen ihn bitten, dass er bei uns selbst, bei einem jeden einzelnen von uns, anfängt, dem Sturm des Teufels Einhalt zu gebieten, der unsere Seelen in den Schiffbruch treiben will. „Herr, weise mir deinen Weg! Lass mich nicht verderben! Zeige mir, was für mein Seelenheil wichtig und nötig ist!“ Und dann lasst uns bereit sein, wenn er an uns zu arbeiten anfängt. Es werden dann ganz konkrete Schritte dabei heraus­kommen. Vielleicht, dass du wieder anfängst, täglich in der Bibel zu lesen und intensiv zu beten. Oder vielleicht, dass du dir Gedanken machst, wie du anderen aus der Gefahr für ihre Seele heraus­helfen kannst – aus einer Gefahr, die sie meistens gar nicht wahrhaben. Das ist eine Aufgabe, die nicht so sehr theo­logische Bildung erfordert, sondern vor allem viel Liebe, viel Geduld und viel Glaubens­zuversicht. Wenn es dir gelingen sollte, auch nur einem einzigen Menschen den Weg zu Jesus zu zeigen, hast du schon viel erreicht.

Vielleicht denkt ihr jetzt: das sind aber schwere Gedanken und harte Worte; wo bleibt da der Trost? Ich frage zurück: Welchen Trost erwartet ihr denn? Soll ich sagen, dass alles in Ordnung ist in unserem Leben? Dass die Gefahren für den Leib und besonders für die Seele nicht so schlimm sind, wie sie aussehen? Trost finden wir nur, wenn wir auf Jesus blicken. Ja, lasst uns auf Jesus sehen und wahrnehmen: Als er bei seinen Jüngern im Boot war, erwachte er im rechten Augenblick und gebot dem Sturm Einhalt. Vor allem aber lehrte er seine Jünger Vertrauen. So dürfen wir auch heute noch bedingungs­los vertrauen – nicht nur, dass er uns in manchen Gefahren bewahren und erretten wird, sondern vor allem, dass wir durch seine Liebe neue Menschen werden. In der Taufe hat er uns zu seinen Jüngern gemacht, so, wie er die ersten Jünger berufen hat. Er hat unseren Seelen das ewige Leben ver­sprochen. Und er nimmt uns in seine Schule, damit unser Glaube stark wird, damit wir selbst selig werden und durch unser Zeugnis anderen auf dem Weg zur Seligkeit helfen können. Jesus nimmt uns wie die Jünger damals in die Jünger­schule und fragt uns immer wieder: „Habt ihr noch keinen Glauben?“ Er tut es, damit wir in täglicher Umkehr immer neu und immer mehr Vertrauen lernen. Ist das nicht Trost, ist das nicht Gnade, in seine Schule gehen zu dürfen? Und wenn wir von ihm zugerüstet und verändert werden, dann werden wir das ewige Leben so leuchtend klar vor Augen haben, dass uns die Stürme äußerer Not und Bedrohung kaum noch schrecken können. Elf der zwölf ersten Jünger haben das gelernt: Es ist über­liefert, dass sie durch viel Trübsal hindurch den Glauben bewahrt und bezeugt haben, viele von ihnen bis in den Märtyrertod hinein. Wir lernen: Nicht das ist Gnade, dass Gott uns vor jeglicher Not und jeglichem Leid bewahrt, sondern dass er durch seinen Sohn Jesus Christus in Not und Leid bei uns ist und uns im Glauben zurüstet zum ewigen Leben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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