Gott ist im Fleisch

Predigt über 1. Timotheus 3,16a zum Heiligen Abend

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wie sieht eigentlich Gott aus? So können Kinder fragen. Und wenn Eltern diese Frage hören, werden sie meistens verlegen. Denn nicht nur Kinder fragen so, im Geheimen tun es auch Erwachsene.

Eine Konfir­mandin vermutete einmal: „Gott sieht vielleicht wie ein Gespenst aus.“ Sie dachte wohl: Gespenster sind meistens unsichtbar, und Gott ist es ebenfalls, also könnte er, wenn er vielleicht irgendwann doch mal sichtbar ist, wie ein Gespenst aussehen. Aber nein, so sieht er nicht aus. In der Bilder­bibel, die Schnorr von Carolsfeld vor über hundert Jahren mit Holz­schnitten bebildert hat, sieht Gott wie ein rüstiger alter Mann aus mit wallendem Gewand, Vollbart und welligem Haar – aber das ist nur künstle­rische Phantasie. Wie sieht Gott also wirklich aus?

Das Wort der Bibel, das ich eben vorgelesen habe, gibt die richtige Antwort: „Er ist offenbart im Fleisch.“ Was heißt das? Fleisch und Blut haben Menschen. Gott zeigt sich uns also als Mensch; Gott sieht wie ein Mensch aus. Und wenn du es noch genauer wissen willst: Stell dir eine Krippe vor mit Heu und Stroh; in ihr liegt ein neu­geborenes Baby, in Windeln gewickelt, zart und rosig. So sieht Gott aus. Gott ist Mensch geworden und liegt als Christkind in der Krippe. So zeigt er sich uns Menschen, so hat er sich uns offenbart.

Aber kann das denn wahr sein? Sollte Gott so ein kleines hilfloses Kind sein, das in ganz armseligen Verhält­nissen zur Welt kam? Wenn wir schon eine Vorstellung davon haben wollen, wie Gott aussieht, dann müsste er doch eine stattliche, erhabene Gestalt haben! Dann müsste man ihm doch ansehen, dass er ewig ist – dass es ihn schon vor Beginn der Welt gab und dass es ihn noch nach ihrem Untergang geben wird! Dann müsste man ihm doch ansehen, dass er das ganze Universum geschaffen hat und es mit seiner Macht in Gang hält! Dann müsste man ihm doch auch die mächtigen Wundertaten ansehen, die von ihm erzählt werden! Dann müsste man ihm doch Strenge und Gerechtig­keit ansehen, weil er den Menschen das Maß für Gut und Böse gesetzt hat und sie danach beurteilt! Ist da nicht das Kind in der Krippe ein ganz abwegiges Abbild von Gott?

Unser Bibelvers nennt es ein „gott­seliges Geheimnis“. In den Tagen vor Weihnachten hatten sicher viele von euch mit Geheim­nissen zu tun, sowohl die Kleinen als auch die Großen. Da wurde hinter ver­schlossenen Türen gebastelt, gemalt, geschrieben und verpackt. Jeder war ängstlich bemüht, seine Weihnachts­über­raschungen vor den andern zu verbergen. Bei dem „gott­seligen Geheimnis“, dass Gott wie der Mensch Jesus Christus aussieht, ist es ein bisschen anders. Dieses Geheimnis ist uns von Natur aus verborgen. Keiner, der das Jesuskind damals einfach nur gesehen hat, hätte geahnt, dass er Gott sieht. Dem Aussehen nach hat sich Jesus nicht von Millionen anderen Menschen unter­schieden. Dass er in Wahrheit Gott ist, konnte ihm niemand ansehen – außer denen, denen es Gott gesagt hatte. Ja, Gott hat Menschen sein Geheimnis verraten; gottseligen Menschen, glaubenden Menschen. Der Engel Gabriel hat es der Maria und dem Josef schon vor der Geburt verkündet, und viele weitere Engel haben es den Hirten auf dem Feld gesagt. Die haben das dann weiter­gesagt. Und der Stern hat es den Weisen aus dem Morgenland erzählt. Ja, so hat Gott seine Leute und seine Mittel, um das große Geheimnis zu verraten: „Gott ist offenbart im Fleisch.“ Darum ist es kein solches Geheimnis, das niemand erfahren darf, sondern es ist „kündlich groß“ – Gott hat es all denen verkündet, die ihm vertrauen.

Das ist aber erst der Anfang von Gottes Geheimnis. Gott hat uns auch gesagt, warum er so aussehen musste wie ein Baby, warum er Mensch werden musste: Jesus Christus hat nämlich von Anfang an so gelebt, wie wir es eigentlich sollten und doch nicht fertig­bringen. Er hat für uns die Gebote erfüllt. Und er hat für uns das durch­gemacht, was wir eigentlich für unsere Sünden verdient haben: den Kreuzestod, die schreck­liche Gott­verlassen­heit auf Golgatha. Gott hat also noch mehr Gesichter – das Kind in der Krippe ist nur eines, der Mann am Kreuz ein anderes. Wenn uns wirklich etwas daran liegt, zu wissen, wie Gott aussieht, und wenn wir wirklich seine Geheimnisse erfahren wollen, dann werden wir ein Leben lang brauchen, um das zu entdecken. Und wir müssen uns an die richtige Quelle halten, wo uns diese Geheimnisse entdeckt werden: Das geschieht in der Bibel, wie wir sie selbst lesen können und in der Kirche gepredigt bekommen. Nur dort werden uns exklusiv Gottes Geheimnisse enthüllt – nicht in der Natur, nicht durch philo­sophische Gedanken, nicht in der Mit­menschlich­keit. Weil heilige Männer es im Auftrag Gottes für uns auf­geschrieben haben, dürfen wir glauben und wissen, dass dieses Kind in der Krippe Gott selbst ist – uns zur Rettung arm, schwach und hilflos geworden. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1983.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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