Gott kommt

Predigt über Jesaja 35,1‑10 zum 2. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Adventszeit – das ist die Zeit der langen Abende, der trüben Tage, des nasskalten Wetters. Die Bäume stehen kahl, der Wind bringt Regen und die ersten Schnee­flocken. Und doch stünde es der Adventszeit nicht übel an, wenn sie im Frühling läge. Auf der südlichen Hälfte unserer Erde ist das ja wirklich der Fall.

Advent heißt Ankunft. Das Lied aus dem Jesaja-Buch, das ich eben vorgelesen habe, redet von der Ankunft unsers Gottes und von dem, was sie alles mit sich bringt. Es ist, als ob die Welt mit einem Zauberstab angerührt wäre: Alles erwacht zum Leben, alles grünt und blüht, überall ist Freude. Ja, wenn Gott kommt, wird es Frühling. Wer schon einmal im Frühling im Süden Palästinas war, der weiß, dass die sonst trockene und öde Wüste sich dann in ein Wunderland mit herrlichen Pflanzen und Blüten verwandelt. Genau das hatte Jesaja mit seinen Hörern vor Augen. Genau das verglich Jesaja mit dem Advent, mit dem Kommen des Herrn. Er verkündete: „Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlich­keit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Saron. Sie sehen die Herrlich­keit des Herrn, die Pracht unsers Gottes… Es werden Wasser in der Wüste hervor­brechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gwesen ist, sollen Brunn­quellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.“ Der Frühling von Gottes Kommen bringt aber noch mehr als üppige Vegetation. Jesaja fuhr fort: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird froh­locken.“ Wenn Gott kommt, verändert sich die Welt wie von Zauberhand berührt: Alles grünt und blüht, alles wird froh und heil. Das Kranke wird gesund, das Trockene wird fruchtbar, die Wüste wird zum Paradies­garten.

Wann kommt Gott? Welcher Advent ist gemeint? Einige von euch werden wissen, dass wir in der Adventszeit an ein dreifaches Kommen unsers Gottes denken: an den Advent der Vergangen­heit, als Gott in Christus Mensch wurde; an den Advent der Zukunft, wenn Christus mit Herrlich­keit wieder­kommen wird am Ende der Tage; und an den Advent der Gegenwart, wenn Christus durch den Heiligen Geist in unsere Herzen kommt. Auf diese dreifache Ankunft des Herrn hin möchte ich nun Jesajas Weissagung deuten.

Erstens: Der Advent der Vergangen­heit bedeutet eine Rück­besinnung auf das ur­sprüngliche Weihnachts­geschehen. Das war allerdings ein recht verborgener Advent. Der Herr kam armselig in Menschen­gestalt, hilflos als Baby, mittellos in Stall und Krippe. Sein Leben lang wurde er von vielen verachtet, verlacht und gehasst. Dem Augenschein nach scheiterte er. Wer aber das Kind in der Krippe und seinen späteren Werdegang mit den Augen des Glaubens betrachtet, der sieht, wie es um Jesus herum Frühling wurde und wie durch sein Kommen das Wunder der Verwandlung geschah, das Jesaja vorher­gesagt hatte: Augen der Blinden taten sich auf, Ohren der Tauben öffneten sich, Lahme sprangen und Stumme froh­lockten. Ja, diese Macht schlummerte bereits im Kind in der Krippe. Er hat sie dann später unter Beweis gestellt – nicht im Sinne einer revolutio­nären Welt­verbesse­rung, sondern als Zeichen für den, der da glaubt, und als Zeichen dafür, dass Gott nun zu seinem Volk gekommen ist. Da widerfuhr allem Volk die große Freude, dass Gottes Friede auf Erden kam, wie es der Engel den Hirten von Bethlehem ver­kündigte. Die Augen des Glaubens sehen: Die Wüste blüht, und Christus macht gesund – nicht nur die körperlich Kranken, sondern vor allem auch diejenigen, die eine durch Sünde ver­krüppelte Seele haben. Ja, ein Frühling der Freude und des Heils ist damals an­gebrochen.

Nun hat Jesaja aber noch mehr verkündigt als ein allgemeines Frühlings­erwachen beim Kommen des Herrn. Gott hat ihn die Dinge, die für ihn in der Zukunft lagen, noch klarer erblicken lassen. Er predigte: „Es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.“ Das ist die Straße der Nachfolge, auf die Jesus bei seinem damaligem Kommen rief. Dort gehen die Heiligen, die Jesus aus der Wüste ihrer Sünde zur Buße gerufen hat und die ihm dann gefolgt sind. Ungläubige wird man dort nicht finden – „Toren“, wie es bei Jesaja heißt. Vor wilden Tieren brauchen sich die Heiligen nicht zu fürchten, wenn sie auf dem Weg der Jesus-Nachfolge gehen. Zwar sucht Satan wie ein brüllender Löwe sie zu ver­schlingen, aber auf den Weg des Herrn kann er nicht gelangen, weil das Kommen des Herrn den Sieg über Satan bedeutet. Wer hinter Jesus hergeht, sich in seinen Wunden verbirgt und mit seinem Blut rein­gewaschen ist von aller Sünde, der lebt bereits in der neuen Frühlings­welt, wo Friede, Freude und Heil herrschen – auch wenn er dies erst mit den Augen des Glaubens schauen kann. Aber er ist schon unterwegs zum himmlischen Jerusalem, wo er mit Leib und Seele die Herrlich­keit von Gottes neuer Welt erfahren wird.

Dies führt uns zweitens zum Advent der Zukunft. So wahr der vergangene Advent ein­getroffen ist, den Jesaja voraussah, so wahr wird sich seine Verheißung erfüllen, die auch für uns noch in der Zukunft liegt. Jesus wird für alle Menschen sichtbar wieder­kommen; so haben wir es auch im heutigen Tages­evangelium gehört. Und dann wird die ewige Seligkeit anbrechen, dann wird es ewig Frühling werden. Das ist das Ziel der Erlösten, die auf dem Weg der Jesus-Nachfolge gehen. Davon prophezeite Jesaja: „Die Erlösten des Herrn werden wieder­kommen und nach Zion kommen mit Jauchzen, ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird ent­fliehen.“ Dann werden auch die leiblichen Augen sehen, was bisher nur die Glaubens­augen geschaut haben: die blühende Wüste des Gottes­reichs, den voll­kommenen Frieden, die Heilung aller Krank­heiten, die Überwindung aller Behinde­rungen. Kranken­häuser, Krücken und Rollstühle wird man dann nicht mehr brauchen, Blinde werden sich nicht mehr durch die Gegend tasten, Gehörlose werden sich nicht mehr mühsam durch Zeichen ver­ständigen müssen. Und während die Natur jetzt noch unter der Sünde und dem Unfrieden der Menschen mitleidet, wird dann auch die neue Natur mit den erneuerten Menschen in der neuen Welt vollkommen heil und friedlich sein. Raubtiere wird es da nicht mehr geben, vor Löwen und wilden Tieren, vor ab­sterbenden Bäumen und verseuchtem Wasser braucht sich da niemand mehr zu fürchten.

Und doch muss in Jesajas Vorhersage auch dies wahr­genommen werden: Das Wieder­kommen Christi wird eine Scheidung unter den Menschen bedeuten. Nicht alle werden an seinem Heil und am ewigen Frühling seiner herrlichen Gegenwart teilhaben dürfen. Jesaja prophe­zeite: „Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“ Wer nicht hinter Jesus her auf der Bahn des Heils gehen will, den wird einmal Gottes Zorn und Rache treffen. Wer seine Sünden nicht der Gnade Jesu anbefiehlt, der wird sich für seine Sünde selbst ver­antworten müssen und ihretwegen im letzten Gericht verurteilt werden – auch das bringt das zukünftige Kommen des Herrn mit sich. Wer aber Christus seinen Herrn nennt und ihm nachfolgt, für den gilt un­einge­schränkt: Das Wieder­kommen Jesu bringt den ewigen Frühling für Leib und Seele. Weil das die sind, die auf Gottes Wort im Munde seiner Boten achten, redet Jesaja seine Hörer als solche an, die zu den Erlösten gehören werden: „Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“ Das kann uns, die Erlösten des Herrn, zu der Advents­bitte führen: „Amen, ja, komm, Herr Jesus“ (Offb. 22,20).

Und diese Bitte können wir nun auch drittens auf den Advent der Gegenwart beziehen. Heute schon möge Christus in unser Herz einziehen, in uns das Heil seines ersten Kommens groß machen und uns so für sein zweites Kommen zurüsten. Wir leben ja heute als Christen in dieser Spannung zwischen dem Schon und dem Noch-nicht: Christus ist schon gekommen, sein Reich ist schon an­gebrochen, wir sind schon Bürger dieses Reiches, in der Taufe als solche berufen. Wir sind schon heil und gesund; die Erlösung Christi hat uns von unserern Haupt­problem, der Sünde, befreit. Wir können fröhlich zu Gott unserm Vater aufsehen; nichts trennt uns mehr von ihm. Wir leben im Frühling des Evan­geliums: Wir dürfen reichlich diese frohe Botschaft hören sowie im Heiligen Abendmahl sehen und schmecken, wie freundlich der Herr ist. Aber wir sehen das alles erst mit den Augen des Glaubens; unsere leiblichen Augen sind noch blind dafür. Leiblich gesehen leben wir im Noch-nicht. Es gibt ja noch wirklich blinde, taube, stumme und lahme Christen. Und auch unter uns gibt es noch Unfrieden und Streit, Trauer und Seufzen. Unser er­schrecktes „Warum?“ angesichts von viel Elend und Leid in der Welt zeigt uns, dass wir das Frühlings­paradies von Gottes Frieden noch nicht leiblich erleben und nicht beweisen können; wir können es nur glaubend bekennen und bezeugen. Wir leben in der Spannung zwischen dem Schon und dem Noch-nicht, in der Übergangs­zeit zwischen dem vergangenen und dem zukünftigen Advent Christi.

Darum müssen wir uns wie die Hörer damals von Jesaja ermuntern lassen: „Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht!“ Lasst uns das gegenseitig zurufen, lasst uns einander trösten mit dem Trost des Evan­geliums! Denn auch in unserer Gemeinde sind müde Hände – zu müde zum Gebet – , und wankende Knie – zu wankel­mütig, um der Einladung Jesu zum Gottes­dienst nach­zukommen – , und verzagte Herzen – verzagt angesichts per­sönlichen und weltweiten Leides. Das Heil Gottes aber, das Christus bei seinem ersten Kommen gebracht hat, steht fest und wahrhaftig da, auch, wenn die Glaubens­augen es in ihrer Schwachheit noch so schlecht erkennen können. Und so wahr Christus einst gekommen ist und das Heil brachte, so wahr wird er wieder­kommen und die Vollendurig bringen.

Wir leben zwischen dem Schon und dem Noch-nicht: Schon in der Freude des Evan­geliums, noch im Leid dieser Welt. Schon im Frieden mit Gott, noch im Unfrieden der Sünde. Schon in Heil durch Christus, noch mit einem kranken und ver­gänglichen Körper. Wir leben zwischen dem Schon und dem Noch-nicht; wir sind auf dem Weg zwischen Bethlehem und Jerusalem, auf der Bahn der Jesus-Nachfolge. Gott schenke uns für diesen Weg gefaltete Hände, feste Knie und ein fröhlich glaubendes Herz! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1983.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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