Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Adventszeit – das ist die Zeit der langen Abende, der trüben Tage, des nasskalten Wetters. Die Bäume stehen kahl, der Wind bringt Regen und die ersten Schneeflocken. Und doch stünde es der Adventszeit nicht übel an, wenn sie im Frühling läge. Auf der südlichen Hälfte unserer Erde ist das ja wirklich der Fall.
Advent heißt Ankunft. Das Lied aus dem Jesaja-Buch, das ich eben vorgelesen habe, redet von der Ankunft unsers Gottes und von dem, was sie alles mit sich bringt. Es ist, als ob die Welt mit einem Zauberstab angerührt wäre: Alles erwacht zum Leben, alles grünt und blüht, überall ist Freude. Ja, wenn Gott kommt, wird es Frühling. Wer schon einmal im Frühling im Süden Palästinas war, der weiß, dass die sonst trockene und öde Wüste sich dann in ein Wunderland mit herrlichen Pflanzen und Blüten verwandelt. Genau das hatte Jesaja mit seinen Hörern vor Augen. Genau das verglich Jesaja mit dem Advent, mit dem Kommen des Herrn. Er verkündete: „Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Saron. Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unsers Gottes… Es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gwesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.“ Der Frühling von Gottes Kommen bringt aber noch mehr als üppige Vegetation. Jesaja fuhr fort: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken.“ Wenn Gott kommt, verändert sich die Welt wie von Zauberhand berührt: Alles grünt und blüht, alles wird froh und heil. Das Kranke wird gesund, das Trockene wird fruchtbar, die Wüste wird zum Paradiesgarten.
Wann kommt Gott? Welcher Advent ist gemeint? Einige von euch werden wissen, dass wir in der Adventszeit an ein dreifaches Kommen unsers Gottes denken: an den Advent der Vergangenheit, als Gott in Christus Mensch wurde; an den Advent der Zukunft, wenn Christus mit Herrlichkeit wiederkommen wird am Ende der Tage; und an den Advent der Gegenwart, wenn Christus durch den Heiligen Geist in unsere Herzen kommt. Auf diese dreifache Ankunft des Herrn hin möchte ich nun Jesajas Weissagung deuten.
Erstens: Der Advent der Vergangenheit bedeutet eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche Weihnachtsgeschehen. Das war allerdings ein recht verborgener Advent. Der Herr kam armselig in Menschengestalt, hilflos als Baby, mittellos in Stall und Krippe. Sein Leben lang wurde er von vielen verachtet, verlacht und gehasst. Dem Augenschein nach scheiterte er. Wer aber das Kind in der Krippe und seinen späteren Werdegang mit den Augen des Glaubens betrachtet, der sieht, wie es um Jesus herum Frühling wurde und wie durch sein Kommen das Wunder der Verwandlung geschah, das Jesaja vorhergesagt hatte: Augen der Blinden taten sich auf, Ohren der Tauben öffneten sich, Lahme sprangen und Stumme frohlockten. Ja, diese Macht schlummerte bereits im Kind in der Krippe. Er hat sie dann später unter Beweis gestellt – nicht im Sinne einer revolutionären Weltverbesserung, sondern als Zeichen für den, der da glaubt, und als Zeichen dafür, dass Gott nun zu seinem Volk gekommen ist. Da widerfuhr allem Volk die große Freude, dass Gottes Friede auf Erden kam, wie es der Engel den Hirten von Bethlehem verkündigte. Die Augen des Glaubens sehen: Die Wüste blüht, und Christus macht gesund – nicht nur die körperlich Kranken, sondern vor allem auch diejenigen, die eine durch Sünde verkrüppelte Seele haben. Ja, ein Frühling der Freude und des Heils ist damals angebrochen.
Nun hat Jesaja aber noch mehr verkündigt als ein allgemeines Frühlingserwachen beim Kommen des Herrn. Gott hat ihn die Dinge, die für ihn in der Zukunft lagen, noch klarer erblicken lassen. Er predigte: „Es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.“ Das ist die Straße der Nachfolge, auf die Jesus bei seinem damaligem Kommen rief. Dort gehen die Heiligen, die Jesus aus der Wüste ihrer Sünde zur Buße gerufen hat und die ihm dann gefolgt sind. Ungläubige wird man dort nicht finden – „Toren“, wie es bei Jesaja heißt. Vor wilden Tieren brauchen sich die Heiligen nicht zu fürchten, wenn sie auf dem Weg der Jesus-Nachfolge gehen. Zwar sucht Satan wie ein brüllender Löwe sie zu verschlingen, aber auf den Weg des Herrn kann er nicht gelangen, weil das Kommen des Herrn den Sieg über Satan bedeutet. Wer hinter Jesus hergeht, sich in seinen Wunden verbirgt und mit seinem Blut reingewaschen ist von aller Sünde, der lebt bereits in der neuen Frühlingswelt, wo Friede, Freude und Heil herrschen – auch wenn er dies erst mit den Augen des Glaubens schauen kann. Aber er ist schon unterwegs zum himmlischen Jerusalem, wo er mit Leib und Seele die Herrlichkeit von Gottes neuer Welt erfahren wird.
Dies führt uns zweitens zum Advent der Zukunft. So wahr der vergangene Advent eingetroffen ist, den Jesaja voraussah, so wahr wird sich seine Verheißung erfüllen, die auch für uns noch in der Zukunft liegt. Jesus wird für alle Menschen sichtbar wiederkommen; so haben wir es auch im heutigen Tagesevangelium gehört. Und dann wird die ewige Seligkeit anbrechen, dann wird es ewig Frühling werden. Das ist das Ziel der Erlösten, die auf dem Weg der Jesus-Nachfolge gehen. Davon prophezeite Jesaja: „Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen, ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.“ Dann werden auch die leiblichen Augen sehen, was bisher nur die Glaubensaugen geschaut haben: die blühende Wüste des Gottesreichs, den vollkommenen Frieden, die Heilung aller Krankheiten, die Überwindung aller Behinderungen. Krankenhäuser, Krücken und Rollstühle wird man dann nicht mehr brauchen, Blinde werden sich nicht mehr durch die Gegend tasten, Gehörlose werden sich nicht mehr mühsam durch Zeichen verständigen müssen. Und während die Natur jetzt noch unter der Sünde und dem Unfrieden der Menschen mitleidet, wird dann auch die neue Natur mit den erneuerten Menschen in der neuen Welt vollkommen heil und friedlich sein. Raubtiere wird es da nicht mehr geben, vor Löwen und wilden Tieren, vor absterbenden Bäumen und verseuchtem Wasser braucht sich da niemand mehr zu fürchten.
Und doch muss in Jesajas Vorhersage auch dies wahrgenommen werden: Das Wiederkommen Christi wird eine Scheidung unter den Menschen bedeuten. Nicht alle werden an seinem Heil und am ewigen Frühling seiner herrlichen Gegenwart teilhaben dürfen. Jesaja prophezeite: „Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“ Wer nicht hinter Jesus her auf der Bahn des Heils gehen will, den wird einmal Gottes Zorn und Rache treffen. Wer seine Sünden nicht der Gnade Jesu anbefiehlt, der wird sich für seine Sünde selbst verantworten müssen und ihretwegen im letzten Gericht verurteilt werden – auch das bringt das zukünftige Kommen des Herrn mit sich. Wer aber Christus seinen Herrn nennt und ihm nachfolgt, für den gilt uneingeschränkt: Das Wiederkommen Jesu bringt den ewigen Frühling für Leib und Seele. Weil das die sind, die auf Gottes Wort im Munde seiner Boten achten, redet Jesaja seine Hörer als solche an, die zu den Erlösten gehören werden: „Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“ Das kann uns, die Erlösten des Herrn, zu der Adventsbitte führen: „Amen, ja, komm, Herr Jesus“ (Offb. 22,20).
Und diese Bitte können wir nun auch drittens auf den Advent der Gegenwart beziehen. Heute schon möge Christus in unser Herz einziehen, in uns das Heil seines ersten Kommens groß machen und uns so für sein zweites Kommen zurüsten. Wir leben ja heute als Christen in dieser Spannung zwischen dem Schon und dem Noch-nicht: Christus ist schon gekommen, sein Reich ist schon angebrochen, wir sind schon Bürger dieses Reiches, in der Taufe als solche berufen. Wir sind schon heil und gesund; die Erlösung Christi hat uns von unserern Hauptproblem, der Sünde, befreit. Wir können fröhlich zu Gott unserm Vater aufsehen; nichts trennt uns mehr von ihm. Wir leben im Frühling des Evangeliums: Wir dürfen reichlich diese frohe Botschaft hören sowie im Heiligen Abendmahl sehen und schmecken, wie freundlich der Herr ist. Aber wir sehen das alles erst mit den Augen des Glaubens; unsere leiblichen Augen sind noch blind dafür. Leiblich gesehen leben wir im Noch-nicht. Es gibt ja noch wirklich blinde, taube, stumme und lahme Christen. Und auch unter uns gibt es noch Unfrieden und Streit, Trauer und Seufzen. Unser erschrecktes „Warum?“ angesichts von viel Elend und Leid in der Welt zeigt uns, dass wir das Frühlingsparadies von Gottes Frieden noch nicht leiblich erleben und nicht beweisen können; wir können es nur glaubend bekennen und bezeugen. Wir leben in der Spannung zwischen dem Schon und dem Noch-nicht, in der Übergangszeit zwischen dem vergangenen und dem zukünftigen Advent Christi.
Darum müssen wir uns wie die Hörer damals von Jesaja ermuntern lassen: „Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht!“ Lasst uns das gegenseitig zurufen, lasst uns einander trösten mit dem Trost des Evangeliums! Denn auch in unserer Gemeinde sind müde Hände – zu müde zum Gebet – , und wankende Knie – zu wankelmütig, um der Einladung Jesu zum Gottesdienst nachzukommen – , und verzagte Herzen – verzagt angesichts persönlichen und weltweiten Leides. Das Heil Gottes aber, das Christus bei seinem ersten Kommen gebracht hat, steht fest und wahrhaftig da, auch, wenn die Glaubensaugen es in ihrer Schwachheit noch so schlecht erkennen können. Und so wahr Christus einst gekommen ist und das Heil brachte, so wahr wird er wiederkommen und die Vollendurig bringen.
Wir leben zwischen dem Schon und dem Noch-nicht: Schon in der Freude des Evangeliums, noch im Leid dieser Welt. Schon im Frieden mit Gott, noch im Unfrieden der Sünde. Schon in Heil durch Christus, noch mit einem kranken und vergänglichen Körper. Wir leben zwischen dem Schon und dem Noch-nicht; wir sind auf dem Weg zwischen Bethlehem und Jerusalem, auf der Bahn der Jesus-Nachfolge. Gott schenke uns für diesen Weg gefaltete Hände, feste Knie und ein fröhlich glaubendes Herz! Amen.
PREDIGTKASTEN |