Was fordert Gott?

Predigt über Micha 6,6‑8 zum 22. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was erwartet ihr von dieser Predigt? Was erwartet ihr überhaupt von einer Predigt? Mancher erwartet vielleicht garnichts von einer Predigt und hört sie nur, weil er aus Gewohnheit hier ist. Mancher erwartet vielleicht einen anregenden geistlichen Vortrag, mancher tröstlichen Balsam für seine wunde Seele. Mancher wird aber auch erfahren wollen, was Gott von ihm fordert. Gott, was muss ich tun, damit ich gerettet werden? Wie soll ich leben? Was erwartest du von mir?

Wer mit solchen Erwartung Gottes Wort betrachtet, zum Gottes­dienst kommt und eine Predigt hört, der erfüllt eine wichtige Voraus­setzung für sinnvolles Leben. Er sucht ja dadurch letztlich Gemein­schaft mit dem lebendigen Gott, das Reich Gottes und ewiges Leben. Er möchte der Ver­gänglich­keit, der Angst, dem Bösen, dem Teufel entfliehen. Es ist gut, wenn ihr mit dieser Erwartung Predigten hört; die Mehrheit der Menschen unseres Volkes hat keine solche Er­wartungen. Gott ist ihnen mehr oder weniger gleich­gültig, und dass er etwas von ihnen fordern soll, weisen sie entrüstet zurück. Sie wissen nicht, dass Gott sie ganz in der Hand hat und dass ihr Leben auf dem Spiel steht. Sie fragen nicht nach ihm und machen damit ihr eigenes Leben kaputt.

Ihr aber, so hoffe ich fragt: Gott, was forderst du von mir? Diese Frage ist uralt. Sie wird mit unter­schiedlicher Haltung gestellt. Da ist die bange Frage des Mönchs Martin Luther: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? Oder da ist das berechnende Fragen eines Tempel­besuchers im alten Israel: Gott, wieviel bin ich dir denn schuldig? Der Prophet Micha lässt ihn so zu Worte komnen: „Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern?“ Das sind recht wertvolle Tiere – die müssten dir als Opfer doch gefallen, Gott! Oder reicht das noch nicht? Soll ich Dutzende, Hunderte von Opfertieren bringen, und dazu die ent­sprechende Zahl mit Öl angerührter Speisopfer? „Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl?“ Das ist schon fast un­bezahlbar! Oder willst du etwa noch mehr, Gott? Willst du, dass das Opfer nicht nur materiell schmerzt, sondern dass ich ein Stück von mir selbst gebe? Willst du ein Menschen­opfer, wie es die Heiden ihren Götzen bringen? „Soll ich meinen Erst­geborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?“

Wie gesagt, solches Fragen ist alt, sehr alt. Und doch fragt die Seele noch heute so – deine und meine Seele. Wir wollen es vielleicht nicht wahr haben, aber doch tritt die Seele ein zur Audienz bei Gott, zieht gleichsam ihr Notizbuch aus der Tasche, zückt den Stift und fragt: Gott, was willst du nun eigentlich von mir? Was kann ich für dich tun? Wie kann ich es dir recht machen? Soll ich fünf Prozent von meinem Einkommen der Kirche geben? Soll ich fünf Prozent den Armen geben? Oder vielleicht zehn? Reicht das etwa nicht, willst du zwanzig Prozent? Und was forderst du noch? Ich soll zur Kirche gehen? Gut, wie oft? Reicht unter Umständen einmal im Monat? Oder sagen wir mal alle vierzehn Tage? Was, jeden Sonntag soll ich kommem? Kann ich vielleicht einmal im Monat aussetzen? Und du willst noch mehr von meiner kostbaren Zeit? Jeden Tag soll ich dir etwas davon geben? Reicht es, wenn ich immer vor dem Frühstück das Kalender­blatt lese? Dazu noch die Tisch­gebete?

Halt!, sagt Gott zu der Seele, die so fragt. Halt!, sagte er durch Micha dem Tempel­besucher, der es ihm recht machen wollte. Halt!, sagt Gott zu allen, die ihm immer mehr und immer größere Opfer anbieten, um es ihm recht zu machen. Steck das Notizbuch weg, es hat viel zu wenig Seiten, als dass du auf­schreiben könntest, was du mir schuldest. Du kannst nicht mit mir handeln, auch kannst du nicht kalku­lieren, was ich von dir fordere. Mit solcher Taschen­rechner-Frömmigkeit kommst du nicht weit. Du kannst nicht abhaken, was du mir geben sollst, du wirst niemals quitt mit mir werden. Stecke das Notizbuch weg, ich will viel mehr von dir. Höre gut zu (mit den folgenden Worten hat es Gottes Bote Micha den Tempel­besuchern wieder­gegeben, was Gott nun sagt): „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herz von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott!“

Das fordert Gott von der Seele: Gottes Wort halten. Wörtlich steht da: Das Recht tun; also das, was Gott in den Geboten befohlen hat. Du kannst nicht Gott irgendetwas anbieten, du sollst vielmehr all das tun, was er befohlen hat. Es reicht nicht, nicht zu morden und nicht zu stehlen, wenn du es auf der anderen Seite mit der Wahrheit nicht so genau nimmst oder den Feiertag nicht immer heiligst. „So jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der ist's ganz schuldig“, heißt es bei Jakobus (Jak. 2,10). Es reicht auch nicht, wie die Schrift­gelehrten aus den fünf Büchern Mose etwa 500 Einzel­forderungen heraus­zudestillie­ren und sie nach spitz­findiger Auslegung peinlich genau ein­zuhalten. Es reichte auch nicht, wenn es l000 Einzel­forderungen wären. Denn was es heißt, die Gebote im Sinne Gottes zu halten, hat Jesus in der Bergpredigt gezeigt: Nicht nur nicht töten, sondern nicht einmal im Stillen den anderen für einen Trottel halten! Nicht nur nicht Ehebruch begehen, sondern alle Blicke und Gedanken unter Kontrolle haben! Nicht nur zu Freunden und Verwandten gut sein, sondern sogar zu dem, der dich schlägt oder der dich über­vorteilen will! Das alles heißt „Gottes Wort halten“. Das fordert Gott von der Seele – von deiner und meiner Seele. Und er fordert noch mehr.

„Liebe üben“ heißt die nächste Forderung. Wörtlich steht da: „Barmherzig­keit lieb haben“; es geht also um die Nächsten­liebe. Da geht es nicht nur darum, die vielen einzelnen Weg­weisungen der göttlichen Gebote zu kennen, zu verstehen und peinlich genau zu befolgen, denn dann wäre es ja theoretisch immer noch denkbar, dass einer sagt: Jetzt bin ich fertig, jetzt habe ich es geschafft. Nein, du bist immer noch mehr schuldig! Die Liebe, die Barmherzig­keit am Nächsten, wird nie fertig. Oder kannst du selbst vom engsten Familien­kreis sagen, dass du allen genug Liebe und Zuwendung zukommen lässt? Und wie stehs mit den Nachbarn? Mit Freunden und Verwandten, die etwas von dir wollen oder die dich brauchen, die dir damit aber schrecklich auf die Nerven gehen? Wie steht es mit den vielen anderen Nächsten, die dir täglich begegnen? Liebe müssen wir immer schuldig bleiben; jeder kann wohl nur einen kleinen Bruchteil dessen schenken, was von ihm erwartet wird. Aber selbst wenn einer sein ganzes Leben aufopfert im Dienst der Liebe und Barmherzig­keit, wäre das nicht genug, Gott fordert noch mehr.

Er fordert nämlich schließ­lich: „demütig sein vor deinem Gott.“ Ein solch großer, nur theoretisch denkbarer Heiliger müsste dazu noch die Gabe der Demut haben. Er müsste nicht nur sagen, sondern in seinem tiefsten Innern davon überzeugt sein: „Ich tue nichts Besonderes. Ich tue gerade eben nur das, was Gott von mir erwartet. Ich kann mir auf mein Tun nichts einbilden, es ist keines besonderen Lohnes wert.“ Er müsste Jesus die Worte nach­sprechen: „Ich bin ein unnützer Knecht; ich habe getan, was ich zu tun schuldig war“ (Lukas 17,10). Das ist Demut, das ist die einzige Haltung, die einem Menschen vor Gott angemessen ist.

Wenn die Seele nun erfahren hat, Was Gott wirklich von ihr fordert, deine Seele und meine Seele, dann wird sie wohl nicht nur Notizblock und Stift schnell wieder ein­stecken, sondern auch den Kopf hängen lassen, kehrt machen und aus den Augen Gottes ver­schwinden. Selbst wenn sie tun wollte, was Gott fordert, sie könnte es nicht. Sie hatte gehofft, eine Liste mit Forderungen zu bekommen, die sie abhaken kann, aber nun erkennt sie, was Gott fordert: Sie müsste von Grund auf anders sein, um Gott zu gefallen, absolut gut, liebevoll und demütig. Da hat es erst gar keinen Zweck anzufangen, da hat es gar keinen Zweck, Gott gefallen zu wollen.

Aber wenn die Seele nun gerade Gott aus den Augen treten will, ruft Gott noch einmal: Halt! Er ruft es durch seinen Sohn Jesus Christus. Halt! Bleib hier! Du wolltest doch Gemein­schaft mit mir! Du kannst sie dir nicht erwerben? Du kannst nicht erfüllen, was ich fordere? Gut, ich will sie dir schenken! Du brauchst mir kein Opfer zu bringen, weder eines noch zehn­tausend, denn ich will ein Opferlamm für die ganze Welt stiften, das Gotteslamm. Du brauchst nicht zu überlegen, ob du dein Liebstes, deinen Erst­geborenen, hergeben musst, ich habe meinen einzigen Sohn für dich hergegeben und in die Welt gesandt. Du brauchst nicht die Gebote zu halten, Jesus Christus hat sie alle an deiner Statt gehalten. Du brauchst nicht Liebe zu üben, denn in Jesus ist die vollkommene Liebe auf Erden erschienen. Du brauchst nicht demütig zu sein, Jesus hat mit seiner Mensch­werdung sowie in seinem Leiden und Sterben für dich die tiefste Demütigung und Er­niedrigung erlitten. Du brauchst das alles nicht mehr zu tun, ich fordere es nicht mehr von dir. Du brauchst dich nicht mehr zu fragen, wie du vor mir bestehen und das Himmelreich ererben kannst, ich schenke es dir. Glaube nur an Jesus, durch den ich dir das alles schenke!

Und die Seele – meine Seele und deine Seele – nimmt dieses Geschenk mit Freuden an. Sie glaubt an Jesus Christus. Sie weiß: Was ich nie schaffen werde, das hat er geschafft: Gottes Forderung erfüllen. Sie weiß: Was alle Opfertiere der Welt nicht bewirken, hat sein Opfer bewirkt: meine Sünden vor Gott zu tilgen. Gott fordert nicht mehr, er schenkt statt­dessen.

Können wir nun das Micha-Wort zu den Akten legen, und die Zehn Gebote dazu? Nein, denn der Prophet sagte ja: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert.“ Die Forderung ist zwar abgetan, aber es bleibt nach wie vor das Gute, was Gott da sagt. Wer nun das Gute annimmt, das Gott ihm in Jesus Christus schenkt, der wird auch das Gute annehmen wollen, das Gott ihm im Gesetz schenkt. Er wird es besonders aus dem Grund tun, weil er weiß, dass Christus in seinem Herzen durch den Heiligen Geist fleißig am Werk ist und eine Renovierung durchführt. Es ist die Renovierung der Seele, die so umgebaut wird, dass sie freiwillig alles Gute tun kann – in dieser Welt noch un­vollkommen, in jener Welt dann vollkommen. Sie kann es deshalb tun, weil sie nicht mehr unter dem Stress steht, damit Gottes Erwartungen erfüllen zu müssen. Das ist ja längst erledigt – durch Christus. Darum liest die erlöste Seele – deine Seele und meine Seele – den Vers aus dem Buch des Propheten Micha so: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist: nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1983.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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