Unterwegs zwischen Unglaube und Glaube

Predigt über Markus 16,9‑20 zum Sonntag Quasimodogeniti

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Mit dem heutigen Sonntag klingt die Osterwoche aus. Heute haben wir noch einmal ein österliches Wort aus der Heiligen Schrift vor uns. Der Auf­erstandene sagte seinen Jüngern dieses berühmte Wort: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.“

Ich muss gestehen: Dieser Satz hat mich zu einem bestimmten Zeitpunkt meines Lebens an den Rand der Ver­zweiflung gebracht – eigentlich nicht dieser Satz für sich genommen, sondern dieser Vers in Verbindung mit den folgenden Worten, die lauten: „Die Zeichen aber, die da folgen werden denen, die da glauben, sind die: In meinem Namen werden sie böse Geister austreiben, in neuen Zungen reden, Schlangen vertreiben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird's ihnen nicht schaden; auf Kranke werden sie die Hände legen, so wird's besser mit ihnen werden.“ Ich war damals erschrocken über die Erkenntnis: Solchen Glauben habe ich offen­sichtlich nicht, denn meinem Glauben folgen nicht solche Zeichen nach. Mit Gift­schlangen und tödlichen Getränken habe ich glücklicher­weise noch keine Erfahrungen gemacht. In Zungen reden, also in unkannten Sprachen, das kann ich nicht. Auch kann ich keine Geister austreiben und keine Wunder­heilungen bewirken. Sollte ich also vielleicht keinen wirklichen Glauben haben, weil die von Jesus genannten Zeichen offen­sichtlich fehlen? Wer hat dann aber überhaupt Glauben? Offen­sichtlich keiner von all den frommen Leuten, die ich kenne, denn ihnen allen folgen nicht diese Zeichen nach. Ist unser Glaube nur fromme Einbildung? Und kann dann überhaupt irgend­jemand selig werden, wenn doch der wahre Glaube fehlt?

Seit jener Zeit der Anfechtung sind viele Jahre vergangen, in denen ich gelernt habe, diese Worte Jesu in einem größeren Zusammen­hang zu sehen. Dieser größere Zusammen­hang ist das Oster­geschehen. Ich möchte euch jetzt durch Betrachtung dieses größeren Zusammen­hanges eine Hoffnung vermitteln, die ich selbst damals wieder­gewinnen durfte – die Hoffnung nämlich, dass ich doch zu den Gläubigen gehöre, denen Jesus hier die Seligkeit verspricht. Dabei möchte ich allerdings den Glauben keinesweges kleinreden; der Glaube ist und bleibt etwas Großes und Wunder­bares. Jesus sagte bei einer anderen Gelegen­heit, dass sogar ein senfkorn­großer Glaube Berge versetzen kann. Der Glaube an Jesus ist tatsächlich über alle Zwänge und Natur­gesetze dieser Welt erhaben.

Aber nun führt uns der größere Zusammen­hang des Oster­geschehens auch das Gegenteil des Glaubens vor Augen. Diejenigen, bei denen sich Unglaube zeigte, sind aus­gerechnet Jesu Jünger – also gerade die Menschen, die er mit dem gewaltig-großen Glaubens­wort dann in die Welt geschickt hat! Der Unglaube zeigte sich bei ihnen sogar in besonders krasser Form. Denn Jesus hatte seinen Jüngern noch vor seinem Tod mehrmals deutlich an­gekündigt, dass er sterben und am dritten Tag wieder auferstehen würde. Bei seiner Gefangen­nahme waren sie dennoch entsetzt geflohen. Petrus hatte seinen Herrn dann sogar dreimal verleugnet. Schließlich erlebten die Jünger den Kreuzestod ihres Herrn. Nun ist der Ostermorgen an­gebrochen. Da kommt Maria Magdalena und sagt den Jüngern: Jesus lebt! Aber sie glauben ihr nicht. Nun gut, man kann die Jünger verstehen: Es wäre ja nicht das erste Mal, dass ein Mensch vor Trauer verrückt wird und Halluzi­nationen hat; gerade bei der sensiblen Maria wäre solche Sinnes­verwirrung denkbar. Aber dann kommen wenig später zwei Männer und behaupten dasselbe. Das Zeugnis eines Mannes galt damals weitaus mehr als das einer Frau, und zwei Männer reichten aus, um eine Sache vor Gericht rechts­kräftig zu bezeugen. Wenn diese zwei Männer, die sich trotz ihrer Trauer noch ein gesundes Urteils­vermögen bewahrt haben, die Auf­erstehung bezeugen, dann muss da etwas dran sein. Und dennoch: Die Jünger glauben immer noch nicht. Welch krasser Unglaube! Die Vor­ankündigung Jesu, das Zeugnis der Maria und schließlich der Augenzeugen­bericht der beiden Männer hätten doch genügen müssen, um sie von der Auf­erstehung des Herrn zu überzeugen. Das ist nicht einfach nur Unglaube, das ist schon „Herzens­härtigkeit“, wie Jesus es später selbst genannt hat. Das ist das Gegenteil von dem großen Glauben, über den Jesus dann sprach.

Wir erkennen also (und diese Tatsache ist an sich schon tröstlich): Die Jünger, die dann als Apostel aus­geschickt werden, stehen zunächst auf der Unglauben-Seite und sind weit von dem großen Glauben entfernt, den Jesus für sie im Sinn hat. Als Jesus ihnen dann endlich persönlich als Auf­erstandener erscheint und damit die Flamme des Glaubens neu entfacht, müssen diese gestandenen Männer ganz neu und ganz unten mit dem Glauben anfangen – diese Männer, die für Jesus aus ihrer gesicherten bürger­lichen Existenz aus­gestiegen sind und sogar bereit waren, mit ihm und für ihn zu sterben! Sie werden wieder zu Glaubens-ABC-Schützen. Durch Jesu Anstoß und Hilfe – und nur dadurch! – machen sie sich auf den Weg vom Unglauben zum Glauben.

Wenn wir nun auf diesem Hintergrund unseren eigenen Glauben betrachten, dann müssen wir zugeben, dass wir selbst da irgendwo auf dem Weg zwischen Unglauben und Glauben sind. Die meisten von uns kennen wohl Zweifel an der Auf­erstehung Jesu, vielleicht auch Zweifel an der Existenz Gottes und am Leben nach dem Tod. Satan verschont keinen von uns; wir alle blicken ab und zu in die Abgründe des Unglaubens. Selbst die größten Heiligen sind davor nicht verschont geblieben. Auf der anderen Seite ist da der große, un­erschütter­liche, welt­überwinden­de Glaube, von dem Jesus redet und zu dem wir nur ehrfürchtig aufblicken können. Ja, in der Tat, auch wir sind unterwegs zwischen Unglaube und Glaube – wie die Jünger damals.

Nachdem wir uns das klargemacht haben, ist es wichtig, dass wir auf diesem Weg nun auch die richtigen Schritte tun, um im Glauben fester zu werden. Dabei wäre es falsch, wenn wir austesten wollten, wie stark unser Glaube schon ist, und versuchen würden, die Wunder­zeichen zu erproben, die Jesus den Glaubenden zuspricht. Die sachgemäße Reise­begleitung auf dem Weg vom Unglauben zum Glauben gewährt uns Jesus selbst, wie er sie damals auch den Jüngern gewährt hat. Wie hat er das gemacht?

An erster Stelle ist da immer wieder der Schritt der Reue und Buße zu tun. Jesus schimpfte bei seiner Erscheinung als Auf­erstandener zunächst einmal ganz kräftig mit den Jüngern und hielt ihnen ihre Herzens­härtigkeit vor. Auch wir müssen es uns von Gott gefallen lassen, dass er uns mit seinem Gesetzes­wort ernstlich ermahnt und schilt. Wir sollen nämlich immer wieder erkennen: Wir sind Sünder; wir sind träge; wir nehmen die Ver­heißungen und Weisungen der Heiligen Schrift nicht ernst genug. Vor allem ist unser Herz so träge. Wie wenig trauen wir in der Wirrnis dieser Welt der Liebe und der alles über­windenden Macht des dreieinigen Gottes! Deshalb ist wichtig, dass wir uns immer wieder aufs Neue über unsere Schuld und Sünde, auch über unsere Zweifel und die Abgründe des Unglaubens klar werden und sie in der Beichte vor den Herrn bringen. Einigen mag dieses dauernde Reden von Schuld übertrieben vorkommen, aber wenn wir uns ernstlich prüfen, müssen wir zugeben: Wir haben es immer wieder nötig.

Zweitens ist da das Vertrauen. „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden“ – das gilt auch ohne den Nachsatz von den nach­folgenden Zeichen. Die Auf­erstehung Jesu ist ja Gottes Siegel und Bestätigung des Sühnopfers, das Jesus mit seinem Tod dargebracht hat. Die Sünden sind vergeben – das wurde uns erstmals mit der Taufe zu­gesichert, und das wird uns durch Gottes Wort immer wieder neu bestätigt. Auch Jesus versichert es hier seinen Jüngern, die die Vergebung genauso nötig hatten. Für die Vergebung spielt es keine Rolle, wie schwach oder stark unser Glaube ist. Sicherlich ist es besser, einen starken Jesus-Glauben zu haben als mühsam irgendwo zwischen Unglaube und Glaube unterwegs zu sein, aber Gott sei Dank hängt die Vergebung nicht von der Stärke unseres Glaubens ab. Der Glaube ist im Hinblick auf die Vergebung mit der Hand eines Bettlers ver­gleich­bar, die das große Geschenk nur einfach in Empfang nimmt und es sich nicht selbst erarbeiten muss. Wenn ich den Glauben mit der Hand vergleiche, dann stelle ich fest: Was ich in der Hand halte, das habe ich ganz – egal wie fest mein Griff ist; nur wenn ich es loslasse, habe ich es nicht mehr. Auch der schwächste Glaube hat die ganze Verheißung. Es gilt hier das Jesaja-Wort: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen“ (Jes. 42,3).

Drittens – und wirklich erst an dritter und letzter Stelle! – kommen die Folgen, also die Früchte des Glaubens. Es sind diese wunderbaren Zeichen, die den Glaubenden nachfolgen. Wenn wir genau hinsehen, dann merken wir, dass Jesus die Jünger keineswegs zu solchen Wundertaten mahnt oder nötigt. Das muss er auch gar nicht. Denn wer, wie die Jünger, sich die harten Worte Jesu sagen lässt, sie mit Buße annimmt und seiner Vergebung vertraut, bei dem werden sich die Früchte wie von selbst einstellen – eben wie ein guter Baum ganz von selbst gute Früchte bringt. Diese Früchte, erfahren wir weiter, stehen in einem ganz besonderen Verhältnis zu dem Auftrag der Jünger, in alle Welt zu gehen und das Evangelium zu predigen. Mit diesen Wundern bestärkt Gott nämlich die Evangeliums­predigt der Jünger. Er, der Herr selbst, tut es, wann und wo er will. Kein Mensch kann diese Zeichen also erzwingen. Und kein Mensch sollte sie deshalb auch bei sich erwarten oder sich abmühen, um sie hervor­zubringen. Der Herr selbst bekräftigt sein Wort mit Zeichen und Wundern, wann er will, wo er will und wie er will. Und wenn er beschließt, zu bestimmten Zeiten oder bei bestimmten Menschen solche Zeichen nicht folgen zu lassen, dann soll uns das nicht am Glauben irre machen. Die Früchte des Glaubens sind ja weitaus viel­fältiger als die wenigen hier auf­gezählten Zeichen. An erster Stelle ist da mit Abstand die Liebe zu nennen. Aber, wie gesagt, mit seinen Früchten können wir unseren Glauben nicht fit machen, denn die Früchte entstehen ja erst aus dem Glauben und kommen von selbst nach dem Willen des Herrn. Wir sollen uns lediglich durch den Auftrag Jesu leiten lassen, dass das Evangelium unter allen Menschen aus­gebreitet wird. Ein jeder trage dazu bei in der Weise und mit den Gaben, wie der Herr es ihm schenkt.

Wenn wir uns nun also auf dem Weg vom Unglauben zum Glauben der Leitung Jesu anvertrauen und zu Buße, Vertrauen und Liebe bereit sind, sollten wir unsern Herrn einfach bitten mit den schlichten vorbild­lichen Worten: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Markus 9,24). Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1983.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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