Gott kommt zu Besuch

Predigt über Lukas 1,67‑79 zum 1. Advent

Liebe Gemeinde!

„Gott kommt zu Besuch“ – das ist nicht nur das Motto der Advents­zeit, sondern unter diesem Satz können wir alles zusammen­fassen, was wir glauben. „Gott kommt zu Besuch“ – das ist auch die Überschrift zu allen Berichten, die wir zwischen den beiden Buchdeckeln der Bibel finden.

Gott kommt zu Besuch zu Abraham. Er kommt sogar mehrere Male. Und er kommt nicht mit leeren Händen, sondern bringt große Ver­heißungen als Gast­geschenke mit. Einmal schwört er Abraham sogar einen Eid – er, der allmächtige und ewige Gott, der Schöpfer des Universums, schwört seinem Geschöpf Abraham: „Ich will dein Geschlecht segnen und mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen, und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden“ (1. Mose 22,17‑18).

Gott kommt zu Besuch zu David, dem König jenes gewaltigen Volks, das der Herr aus den Nachkommen Abrahams hatte entstehen lassen. Er kommt in Gestalt eines Boten, in Gestalt des Propheten Nathan. Und wieder sind große Verheißungen das Gast­geschenk. Gott verheißt David einen mächtigen Nachkommen, der für immer König sein wird. „Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein“, lässt er durch Nathan sagen (2. Sam. 7,14).

Gott kommt zu Besuch. In den folgenden Jahr­hunderten kommt er immer wieder zu seinem Volk Israel. Dieses Volk gleicht in den rauhen Stürmen der Geschichte einem schwan­kenden Schilfrohr im Wind, das schließlich abknickt. Gott kommt in der Gestalt vieler Propheten, die das abknickende Rohr mahnen, warnen, trösten. Immer aber bringen sie als Gast­geschenk die Davids-Verheißung mit, die Ankündigung des Nachkommens von David, der für immer regieren, von allen Feinden erretten und den Völkern der Erde Segen bringen wird, wie es bereits dem Abraham versprochen worden war.

Gott kommt zu Besuch. Er kommt durch den letzten der Propheten des Alten Testa­mentes, durch Maleachi. „Siehe, ich will meinen Boten senden, der vor mir her den Weg bereiten soll“, lautet Gottes Gast­geschenk bei diesem Besuch (Mal. 3,1). Gott kündigt an, persönlich zu kommen: Er, der Herr, wird selbst der Davids­nachkomme sein, über den schon so vieles verheißen wurde. Ein bestimmter Bote, ein bestimmter Prophet wird ihm unmittelbar vorangehen und seinen Weg bereiten.

Gott kommt zu Besuch zu Zacharias. Dieser Mann kennt all die Geschichten von Gottes Besuchen bei den Menschen. Oft genug hat er von Abraham, David, Maleachi und den anderen Propheten gehört, oft genug die Ver­heißungen gelesen. Zacharias ist ein alter Priester, ein frommer Mann, dem die Begegnung mit Gott bei den Opfer­zeremonien des Tempel­dienstes, im Gebet und im Umgang mit der Heiligen Schrift wohl vertraut und lieb war. Dass Gott ihn noch auf andere Weise besuchen würde, damit rechnete er nicht. So trifft ihn der Besuch Gottes blitzartig. Ein Engel erscheint und kündigt ihm, dem kinderlosen Greis, an, dass er einen Sohn bekommen werde. Auch trägt er ihm auf, diesen Sohn Johannes zu nennen. Zacharias, der Gottes­besuche bisher nur von der Zuschauer­bank des Bibellesers aus gekannt hat, wird nun selbst ein von Gott Besuchter und erhält ein reiches Gast­geschenk: Er erhält die Verheißung eines lang ersehnten und erbetenen Sohnes. Dieser Sohn, erfährt der zu Tode er­schrockene Zacharias vom Engel, ist der Vorläufer des Herrn und Davids­sohnes, eben jener Vorläufer, von dem Maleachi geweissagt hatte. Zacharias glaubt es nicht; er kann es nicht fassen, dass er plötzlich im Rampenlicht von Gottes Geschichte mit seinem Volk steht. Darum lässt Gott ihn bis zur Geburt des Sohnes verstummen. Kaum aber ist Johannes geboren und durch das Ritual der Be­schneidung in das Gottesvolk ein­gegliedert, öffnet sich der Mund des Zacharias wieder. Nun sieht er klar, nun glaubt er, nun weiß er die Gottes­begegnung zu würdigen. Seine Lippen öffnen sich, und zuallererst lobt er Gott. Er lobt den Gott, der sein Volk besucht hat. Er erinnert sich an die Gottes­besuche bei David, bei den Propheten und bei Abraham. Aber es geschieht mehr als Lob und Erinnerung: Zacharias weissagt, wird Sprachrohr des Heiligen Geistes; er, der von Gott Besuchte, wird nun auch zu einem Boten Gottes, durch den Gott sein Volk abermals besucht. So ordnen sich unter der Macht des Heiligen Geistes in diesem Lobgesang die bisher geschehenen Gottes­besuche wie Teile eines Puzzles, bei dem nun endlich erkennbar wird, was es darstellen soll. Das letzte Teil in diesem Puzzle ist das Baby Johannes, das der glückliche Vater Zacharias bei seinem Lobgesang vor Augen hat. Aus diesem Baby wird einmal der große und wort­gewaltige Prophet werden, der Vorläufer des Herrn und Davids-Nachkommen Jesus Christus, von dem Maleachi geweissagt hat. Er ist das letzte Teil im Puzzle und deutet zusammen mit all den anderen Teilen, all den anderen Gottes­besuchen und ihren Ver­heißungen auf den kommenden Jesus Christus hin, von dem Zacharias in seinem pro­phetischen Loblied singt. Er sieht ihn so klar vor seinen pro­phetischen Augen, dass er von ihm reden kann, als sei er bereits gekommen. „Der Herr hat besucht und erlöset sein Volk“, singt er. „Horn des Heils“ nennt er ihn, und „Aufgang aus der Höhe“ – ihn, den Herrn selber, wie er als Nachkomme Davids leibhaftig zur Welt kam zu seinem wichtigsten und folgen­reichsten Besuch bei den Menschen.

Gott kommt zu Besuch in diesem Jesus Christus, und zwar zu allen Menschen. Er kommt nicht un­angemeldet, sondern er hat sich seit alt­testament­licher Zeit in den vielen voran­gehenden Besuchen an­gekündigt. Er kommt mit dem kostbarsten Gast­geschenk, das diese Welt gesehen hat: Er schenkt Erlösung, er „hat besucht und erlöset sein Volk“. Jesus bringt sein Gast­geschenk dem Volk Israel und allen Völkern der Erde, Wie Gott es schon dem Abraham verheißen hatte. Erlösung heißt das Geschenk, Rettung aus der Hand der Feinde. Die Feinde, das waren nicht die Römer, die damals Palästina besetzt hielten, und das sind heute nicht die radikalen Terro­risten, die die Welt in Atem halten. Es sind auch nicht diejenigen, die uns ärgern und eins auswischen wollen, der klein­karierte Angestellte im Amt, der nervtötende Chef, die un­nachgiebige Lehrerin oder der verständnis­lose Wohnungs­nachbar. Die Feinde, aus deren Hand uns Jesus Christus befreit, bestehen nicht aus Fleisch und Blut. Es handelt sich vielmehr um Satan und die ihm unter­gebenen Geister, die es vorziehen, im Verborgenen zu arbeiten. Dennoch sind sie real und weitaus gefähr­licher als alle Armeen der Welt. Sie locken uns ver­führerisch, unser Leben ohne Gott und seine Gebote zu führen, versprechen Befreiung von Zwängen und ein herrliches Leben. Wer ihnen in die Falle geht, erkennt ihre wahren zer­störeri­schen Motive und ihre unheimliche Macht erst, wenn es zu spät ist, wenn er in „Finsternis und Schatten des Todes“ sitzt. Auch wir würden da sitzen und keine Chance auf Leben mehr haben, wenn nicht Gott in Jesus Christus zu uns Menschen zu Besuch gekommen wäre, wenn er uns nicht erlöst hätte, wenn er uns nicht Erkenntnis des Heils in Vergebung unserer Sünden geschenkt hätte. Aber so ist der Trick der Feinde misslungen, ihre Falle ist entlarvt, sie sind und bleiben besiegt, und wir, die wir im Todes­schatten saßen, sind frei und gehören zu Jesus, der Licht und Leben ist. Gott hat besucht und erlöset sein Volk, besucht zu Weihnachten und erlöst zu Ostern.

Gott kommt zu Besuch. Er kam zu den Vätern, er kam in den Propheten, er kam schließlich leibhaftig in Jesus. Und er kam zu dir – zwar kam er wieder in ganz anderer Weise, aber nicht weniger wirklich und nicht weniger heil­bringend. Ein Außen­stehender wird nur gesehen haben, wie ein Mann im Talar Wasser über deinen Kopf schüttete, aber du weißt: Damals kam der dreieinige Gott zu Besuch in dein Leben. Als Gast­geschenk brachte er dir all das mit, was er bereits bei seinen früheren Besuchen verheißen und geschenkt hat, all das, was er in seinem wichtigsten Besuch als größtes Geschenk hinterließ: Er schenkte dir Sieg über deine wahren Feinde, Vergebung deiner Sünden und Licht in der Dunkelheit dieser Welt, sodass wir trotz all ihrer Schreck­nisse erkennen können, wohin wir unsere Füße zu richten haben, nämlich auf den „Weg des Friedens“, des Friedens mit Gott. Gott kam mit der Taufe zu dir zu Besuch, nicht nur auf eine kurze Visite, sondern um Dauergast in deinem Leben zu werden. Nun ist dein Leib ein Tempel des Heiligen Geistes, weil Jesus in ihm weilt. Mach dir das einmal klar: Der Schöpfer des Universums, der allmächtige, all­wissende, ewige Gott, wohnt in deinem Leib, wohnt in dir, dem kleinen, un­bedeutenden Geschöpf im Milliarden­heer der Menschen. Wo du auch bist, in Kirche oder Kino, in Schule oder Schlaf­zimmer, bei der Arbeit oder beim Ausruhen, immer ist Jesus bei dir, Dauergast deines Lebens, der dich täglich und stündlich mit seinen reichen Gast­geschenken überhäuft. „Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast“, beten viele vor dem Essen, und er ist da, er segnet unsere Speisen, hört unsere Gespräche, und er leistet uns Gesell­schaft.

Gott kommt zu Besuch. Er ist Dauergast unseres Lebens und kommt doch immer wieder neu. In jeder Bibel­stunde, in jeder Predigt, in jedem Abendmahl, in jedem geistlichen Gespräch, in jedem Menschen, dem wir einen Liebes­dienst erweisen können, begegnet uns Jesus neu. Wenn wir das wahr haben, werden wir unter dem Glanz seiner Anwesenheit solche Menschen werden, die in Heiligkeit, Gerechtig­keit, Furcht­losigkeit und Frieden leben und dienen – dem dienen, der unser höchster und liebster ständiger Gast ist.

Gott kommt zu Besuch – zwar ist er schon in mancherlei Weise und oft gekommen, zwar ist er Dauergast unseres Lebens und kommt täglich neu, aber doch steht sein letztes leib­haftiges Kommen noch aus. Das Ver­sprechen, dass er einmal in sichtbarer Herr1ich­keit wieder­kommen wird, hat er bereits viele Male als Gast­geschenk gebracht. Wenn nun auch wir – wie Zacharais – die Besuche Gottes wie Teile eines Puzzles zusammen­legen, wird alles auf das Wieder­kommen Jesu hindeuten, und wir können davon mit der gleichen Gewissheit und Selbst­verständlich­keit reden, wie es Zacharias vom bevor­stehenden Kommen des Herrn tat. Jesus wird ein letztes Mal zu Besuch kommen, mit den Wolken des Himmels, wie er selbst sagte. Mit jedem Strich, den der Sekunden­zeiger deiner Uhr weiter­rückt, mit jeder neuen Ziffer, die sich auf deiner Digitaluhr bildet, rückt der Augenblick näher, wenn Gott in Jesus Christus am Ende wieder leibhaftig zu Besuch kommt. Und wie sich Zacharias über das bevor­stehende Kommen des Aufgangs aus der Höhe freute, dürfen wir uns auf das Wieder­kommen des Menschen­sohnes freuen. Dann wird er nicht mehr bei uns zu Gast sein, klein und unscheinbar in einer Krippe, klein und unscheinbar in der Mittel­mäßigkeit unseres Christen­lebens, klein und unscheinbar in einem Stück Brot und einem Schluck Wein, sondern dann wird er uns in seine und seines Vaters Wohnungen nehmen, und wir werden seine Gäste sein. Darum dürfen und sollen wir wie Zacharias laut jubeln und Gott loben, dass uns der Aufgang aus der Höhe nicht nur besucht hat, sondern auch erlöst und so zu seinem Gast, Kind und Erben gemacht hat. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1982.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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