Gottes drei Passas

Predigt über 2. Mose 12,21‑28 zum Gründonnerstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Manchmal werde ich gefragt: Warum tut Gott heute keine Wunder mehr? Dann antworte ich: Er tut auch heute noch Wunder, das können viele Christen bezeugen. Und besonders fleißige Beter erleben wunderbare Erhörungen. Dennoch muss ich zugeben, dass Gott sich oft verborgen hält und nicht zu antworten scheint. Vor allem zeigt er seine große Macht nicht mehr in der Öffentlich­keit, so wie er zum Beispiel damals die zehn Plagen über Ägypten brachte. Wir leben, so scheint es, in einer Dürrezeit der Gottes­offen­barungen vor der Welt. Das hat wahr­scheinlich mit dem Abnehmen des Glaubens und der Liebe zu tun, was Jesus selbst für die Endzeit angekündigt hat. Und doch schenkt uns Gott auch in dieser Dürrezeit das, was für unseren Glauben nötig ist: Er schenkt uns sein Wort, das uns von den vergangenen Stern­stunden der Gottes­offenbarung Kunde gibt. Wenn wir eben vom Vorabend des Auszugs der Israeliten aus Ägypten gehört haben, dann ist das so eine Sternstunde der Gottes­offen­barung. Dieses „Passa“ Gottes, wie es genannt wird, möchte ich mit zwei weiteren Stern­stunden der Gottes­offenbarung in Verbindung bringen, die ich das zweite und das dritte Passa nenne.

Beim ersten Passa zeigte Gott mit Macht­erweisen sowohl seinen Zorn als auch seine Gnade. Es hatte seinen guten Grund, dass die Ägypter in dieser Nacht Gottes Zorn zu spüren bekamen: Ihr König, der Pharao, ließ nicht zu, dass die Hebräer von ihrem Sklaven­dienst beurlaubt werden. Genau das aber forderte Gott von ihm. „Lass mein Volk ziehen!“, lautete Gottes Befehl durch Mose und Aaron. Doch der Pharao beugt sich diesem Befehl nicht. Er erkannte die Autorität Gottes nicht an und nahm den Machtkampf mit ihm auf. Neunmal hatte Gott bereits mit Plagen gewarnt, die immer härter wurden, und neunmal hatte der Pharao nein gesagt und sein Herz verstockt. Jetzt, beim zehnten Mal, schlug Gott un­barmherzig zu: In dieser Nacht vertilgte er alle Erst­geborenen unter Mensch und Vieh in Ägypten. Leichen­geruch und Klage­schreie lagen über dem Land. Gott zeigte, wer er ist: Ein Gott, der sich nicht zum Narren halten lässt und der keine leeren Drohungen von sich gibt. Er ist zwar sehr geduldig und hatte neunmal vorgewarnt, am Tag X aber, als seine Stunde gekommen war, zeigte er sich als Richter und Herr über Leben und Tod.

Ja, dieses erste Passa, diese Sternstunde der Gottes­offen­barung, zeigte seinen Zorn. Aber sie zeigte auch seine Gnade. Denn das große Leid der Ägypter wurde Gottes aus­erwähltem Volk, den Israeliten, zur Befreiung aus der Sklaverei und zum Aufbruch in das ver­sprochene Land – ein fruchtbares Land, fast ein Schlaraffen­land, ein „Land, wo Milch und Honig fließt“. So durften die Hebräer die Nacht des Passa, diese Sternstunde Gottes, in freudiger Erwartung verbringen. Sie spürten: Jetzt ist die Stunde da, Abschied zu nehmen von Ägypten und von einer verhassten Arbeit. Jetzt ist die Stunde da, auf­zubrechen in eine Zukunft, die bisher nur in vagen Vor­stellungen und Träumen existiert hatte. Diese Aufbruch­stimmung, diese Vorahnung von etwas Besonderem, lag in der Luft, als die Hebräer Moses Anweisungen empfingen. Ein Fest sollten sie feiern – mitten zwischen den gepackten Bündeln ein Fest, das erste Passafest. Blut sollten sie an den Querbalken und die Pfosten ihrer Türen streichen, das Blut der Passa­lämmer; und dieses Blut würde die Grenze bilden zwischen dem Leichen­geruch von Gottes Zornes­handeln draußen und dem Braten­geruch von Gottes Fest und Gnaden­handeln drinnen. Am Blut an der Tür zeigten sich das Vertrauen zu Gott und der Gehorsam seiner Anweisung gegenüber. Dort würde Gottes tödlicher Zorn vorüber­gehen, passieren und sie über­springen; dort würde Gottes Gnade im Passa deutlich werden, denn Passa heißt „über­springen“. Das galt nicht nur für die Sternstunde des Passa, sondern auch für die Zeit danach, in der das Passafest nach Gottes Anweisung jährlich wiederholt werden sollte. Eine Generation sollte der nächsten erklären: So wunderbar hat sich Gott damals erwiesen; so furchtbar ist sein Zorn für die, die sich gegen ihn auflehnen, und so herrlich seine Gnade für die, die ihm vertrauen und gehorchen. Mit dem Wieder­holungs­gebot sorgte Gott dafür, dass die Israeliten auch in geistlichen Dürrezeiten an diese Sternstunde denken und Gott vertrauen konnten.

So ein Passamahl, so eine Erinnerungs­feier an das erste Passa, bildete auch den Rahmen für Gottes zweites Passa, für die zweite Sternstunde der Gottes­offen­barung, um die es hier gehen soll. Jesus feierte dieses Passamahl mit seinen Jüngern. Und weil er ihr Gastgeber und Hausvater war, deutete er ihnen das Fest. Aber erst zu dieser Sternstunde kam die eigentliche tiefe und geistliche Bedeutung des Festes an die Oberfläche: Er, Jesus selbst, war das Passalamm; er selbst war das Brot, das den Jüngern zugute zerbrochen wurde; er selbst vergoss das Blut, das nun nicht an den Balken der Haustür, sondern an den Balken des Kreuzes vor Gottes Zorn rettete — nicht nur einmal, sondern ein für alle Mal, durch die Vergebung aller Sünden. Auch in diesem großen Machterweis Gottes zeigten sich sowohl sein Zorn als auch seine Gnade: Es zeigte sich der Zorn über die verkehrte, verstockte und ungehorsame Menschheit, der sich — so wahr Gott lebt — entladen musste, denn Gott steht zu seinem Gebot und Warnen. Aber dieser Zorn entlud sich wunder­barer­weise auf Gottes eigenen Sohn, der wie ein Blitz­ableiter alle Strafe auf sich zog. Seht, wie er leiden musste an Leib und Seele! Wie die Dornen in seine Kopfhaut stachen! Wie Blut aus seinen Wunden floss! Wie er sich vehöhnen und verurteilen ließ, während er genau wusste, dass er nichts Böses getan hat! Wie er mit ansehen musste, dass ihn alle Freunde verließen! Wie er qualvoll den ach so bitteren Kelch des Todes kosten musste, der Sünde Sold!

Aber gerade darin zeigte sich Gottes wunderbares Gnaden­handeln: Wie beim ersten Passa zur Feier die besten Lämmer ge­schlachtet wurden (einjährig, männlich und ohne Fehler), so gab Gott beim zweiten Passa das Beste und Liebste, was er hatte, als sein Lamm, als das Lamm Gottes, und weitete zugleich im neuen Bund seine Gnade vom erwählten Volk Israel auf die ganze Menschheit aus. Darüber hinaus sorgte Gott für die Erinnerung an diese Sternstunde des zweiten Passa im Hinblick auf folgende Dürrezeiten – nicht nur in der Predigt des Evangeliums unter allen Völkern, sondern auch in der Stärkung durch das neue Passamahl, das Heilige Abendmahl, in dem sich Christus selbst zu essen und zu trinken gibt. Er hat es eingesetzt mit den Worten: „Solches tut zu meinem Gedächt­nis.“

Diese Mahlzeit und die Erinnerung an das zweite Passa, das Kreuzes-Passa, soll uns zum dritten Passa geleiten, der letzten Sternstunde der Gottes­offen­barung, die diese Welt sehen wird. Auch dann wird sich Gott durch den wieder­kommenden Jesus Christus in Zorn und Gnade herrlich erweisen. Der Zorn wird dann diejenigen treffen, die sich nicht seiner Macht beugen wollten, sondern die wie Pharao ihr Herz verstockten und meinten, auch ohne Christus und ohne sein Blut mit ihrer Schuld fertig zu werden. Dann wird ihr Klage­geschrei zu hören sein. Denkt nicht, Gott würde dann sagen „Schwamm drüber!“ und alle Menschen in den Himmel nehmen. Er hat es anders an­gekündigt, und das Passafest macht es deutlich: Gott steht zu seinem Wort. Gottes Gedulds­faden ist lang, und er warnt auch vor dem dritten Passa noch mit neun oder 99 leichteren Plagen. Kriege, Erdbeben und Wirtschafts­krisen sind Vorboten dieses Tages X, der letzten Stern­stunde, die Jesus angekündigt hat. Alles läuft nach Gottes Plan; seine Warnungen stehen und gelten, und sein langer Atem kann den Plan nur scheinbar hinaus­zögern, nicht aber ändern. Der Tag X kommt bestimmt.

Für uns aber, die wir durch die heilige Taufe in sein Volk hinein­genommen worden sind, ist dieser Tag X mit Gottes großem Gnaden­erweis verbunden: Er wird uns dann nämlich in das ver­sprochene himmlische Land führen, in das vollkommene himmlische Kanaan, wo Milch und Honig und Freude und Liebe fließen werden. Gottes End­abrechnung mit seinen Feinden und besonders mit dem einen altbösen Feind, dem Satan, wird an uns vorüber­gehen, wenn wir unsere Herzenstür mit dem Blut des Gottes­lammes bestrichen haben und glauben: „Das Blut Jesu Christi rettet uns von aller Sünde“ (1. Joh. 1,7). Noch wohnen wir in dieser Welt der Knecht­schaft, die uns die Sünde gebracht hat, aber schon feiern wir die Nacht, auf die unsere völlige Befreiung folgen wird. Wir sind in freudiger Erregung, in Aufbruch­stimmung. Wir wissen, dass wir nicht mehr lange hier sein werden, und richten unsere Gedanken in die wunderbare Zukunft, von der wir nur erahnen können, wie traumhaft schön sie sein wird.

Lasst uns Passa feiern am Vorabend zu Gottes letzter großer Stern­stunde. Lasst uns mit dem Blut des Lammes unsere Herzens­türen be­streichen. Lasst uns an das erste und zweite Passa denken und uns auf das dritte vor­bereiten. Wir wollen dabei auch an diejenigen denken, die von Gott ebenfalls zu diesem Fest berufen sind, aber nicht kommen wollen. Es ist unsere Aufgabe, sie zu mahnen, dass auch sie an das Blut Jesu glauben, denn ohne den Glauben, ohne sein Blut an der Herzenstür, wird Gottes Verderben vor ihnen nicht Halt machen. Vor allem aber wollen wir uns an Gottes Weisung halten und Passa feiern nach seinem Gebot in der Feier des Heiligen Abendmahls. Kommen wir, feiern wir, folgen wir dem Beispiel der Hebräer vor dem ersten Passa, von denen es heißt: „Da neigte sich das Volk und betete an. Und die Kinder Israel gingen hin und taten, wie der Herr es Mose und Aaron geboten hatte.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1982.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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