Wahre Freiheit

Predigt über Apostel­geschichte 12,1‑17 zum 16. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Alle wollen Freiheit, aber was ist das eigentlich? Eine Geschichte aus alter Zeit kann uns bei dieser Frage weiter­helfen – aus der Zeit, als die christliche Kirche gerade einmal zehn Jahre alt war.

Die Jerusalemer Urgemeinde hatte Sorgen. Seit die frohe Botschaft vom Auf­erstande­nen beim Pfingstfest erstmals öffentlich verkündigt worden war, versuchten die führenden Juden, die Apostel mundtot zu machen. Sie wollten die in ihren Augen gottes­lästerliche Sekte der Christen vernichten. Als dann Stephanus, einer der ersten sieben Diakone, um seines treuen Zeugnisses willen zu Tode gesteinigt wurde, brach die Christen­verfolgung mit voller Brutalität los. Zu der Zeit lebten die Christen richtig gefährlich; jederzeit konnte es geschehen, dass sie fest­genommen, gefoltert oder sogar hin­gerichtet wurden. Dennoch hielt die junge Kirche weiter Gottes­dienste, verkündigte und gewann viele Menschen­seelen für das Himmel­reich. Der Apostel Simon Petrus war ihr Hauptpastor und auch ihr fleißigster Prediger. Er wirkte nicht nur in Jerusalem, sondern auch in anderen Teilen Palästinas. Im Frühling des Jahres 44 hielt sich Petrus aber gerade wieder in Jerusalem auf. Da geschah es, dass Soldaten ihn im Auftrag von König Herodes Agrippa festnahmen und ins Gefängnis warfen. Petrus wird das nicht überrascht haben; er wird sogar damit gerechnet haben. Agrippa war keinen Deut besser als sein Großvater Herodes der Große, der ein halbes Jahrhundert zuvor viele unschuldige Kinder in Bethlehem töten ließ. Er war auch keine Deut besser als sein Onkel Herodes Antipas, der die Ermordung Johannes des Täufers angeordnet hatte. Petrus wusste, dass Agrippa sich als Superjude aufspielen wollte, um dem Volk zu gefallen. Dabei hatte er heraus­gefunden, dass ihm das mit brutaler Christen­verfolgung hervor­ragend gelang. Die Römer, die ihn zum König gemacht hatten, kümmerte es nicht. So kam es, dass Petrus als Gefangener durch die Straßen Jerusalems getrieben wurde – er, der kurz vorher noch verkündigt hatte, wie Menschen wahre Freiheit und Frieden für ihre Seele finden können. Hätte er lieber fliehen sollen, oder sich verstecken? Und was würden sie mit ihm machen? Petrus brauchte kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, dass sie ihn töten wollten. Erst wenige Tage zuvor hatte Herodes Agrippa seinen Apostel-Kollegen Jakobus hinrichten lassen. Im Gefängnis erwarteten vier Soldaten den Fest­genommenen. Sie brachten ihn in ein muffiges Kellerloch und ketteten zwei Wach­soldaten an seine Hand­gelenke. Dann ver­riegelten sie die Tür und postierten zwei weitere Soldaten davor. Nach ein paar Stunden würde eine Ablösung für diese vier Männer kommen. Agrippa hatte insgesamt 16 Soldaten für die Bewachung des Ober­apostels ab­komman­diert. Der König war nicht dumm: Er hatte gehört, dass es zuvor merkwürdige Gefangenen­befreiungen bei den Aposteln gegeben hatte, und betrieb deswegen einen hohen Sicherheits-Aufwand. Nun müssen wir annehmen, dass Petrus sich unter diesen Umständen nicht gerade wohl fühlte. Auf der anderen Seite aber hatte er volles Vertrauen in seinen Herrn und machte sich darum keine Sorgen um den Ausgang der Geschichte. Es gelang ihm sogar, in seiner Zelle tief und ruhig zu schlafen.

Was mag Petrus gegen die Angst geholfen haben? Letztlich war es die Erkenntnis: Ich bin in Wahrheit frei! So frei, wie auch wir es sind und wie es ein Mensch nur sein kann. Wie geht das zu? Wenn ein Angeklagter vom Richter freigesprochen wird, dann ist er tatsächlich frei. Darum ist es die höchste Freiheit, vom höchsten Richter frei­gesprochen zu werden. Eben dies tut Gott, der höchste Richter – mit Petrus, mit mir, mit dir, mit jedem, der ihm Vertrauen schenkt. Freilich ergeht dieses Urteil nicht deswegen, weil wir unschuldig wären. Jeder von uns verletzt Gottes Gesetz immer wieder, das wissen wir sehr genau. Wir sind sozusagen Sünden-süchtig. Dennoch spricht Gott uns frei. Wir entgehen der Strafe, der ewigen Höllenqual. Der Grund dafür ist Jesu Tod am Kreuz; da hat er unsere Strafe auf sich genommen. So kann der Vater uns Jesu Sühne anrechnen und frei­sprechen, ohne ungerecht zu sein. Ja, so groß ist Gottes Liebe zu uns, dass er seinen eigenen Sohn leiden und sterben lässt, damit wir sündhaften Menschen von der Strafe befreit werden. Diese Freiheit ist nun keineswegs ein Vakuum, eine bloße Abwesenheit von Strafe. Nein, diese Freiheit bedeutet: Wir stehen unter Gottes besonderem Schutz und Segen; wir sind Erben des Himmel­reichs – dieses herrlichen, fan­tastischen, Freude-erfüllten, Schmerz- und Sorgen-freien Landes, das wir nach unseren Erdentagen ganz in Besitz nehmen dürfen. Dort wird dann unsere Freiheit zur Vollkommen­heit vollendet werden. Alles, was sonst auf Erden Freiheit genannt wird, ist bestenfalls ein matter Abglanz davon. Wenn jemand diese göttliche Freiheit besitzt, dann spielen menschliche Un­freiheiten keine große Rolle, und Sorgen werden klein. Wahre Freiheit besiegt auch die Furcht, denn wenn Gott uns frei­gesprochen und zu Himmels­erben gemacht hat, dann gibt es nichts mehr, das uns letztlich schaden oder Angst machen kann. Petrus war sich dieser Freiheit bewusst, deshalb konnte er sich frei fühlen, obwohl ihn Wach­soldaten umgaben. Diese Freiheit besiegte seine Angst, sogar die Todesangst angesichts seiner drohenden Hin­richtung.

Die Jerusalemer Christen erfuhren von der Festnahme des Petrus und machten sich natürlich Sorgen um ihn. Sie liebten ihn sehr; er hatte ihnen stets geistliche Kraft und viel Trost gegeben, wenn er in aposto­lischer Vollmacht gepredigt hatte. Würde das nun endgültig vorbei sein? Und würden sie Ostern ohne ihn feiern müssen, das große Fest der Auf­erstehung Jesu? Die ganze Sache geschah nämlich in der Woche vor dem jüdischen Passafest, das mit dem Osterfest zusammen­fiel. Wie gern würden sie Petrus wieder zuhören, wenn er davon predigte, wie es zum erstenmal Ostern wurde, wie er zusammen mit Johannes zum Grab gerannt war, wie sie es leer vorgefunden hatten und wie sie plötzlich dem erhöhten Christus begegnet waren. Ja, die Gemeinde vermisste Petrus. Aber sie ver­zweifelte nicht. Stattdessen warf man alle Sorgen auf Gott und betete für Petrus. Die Jerusalemer Christen werden Gott darum gebeten haben, dass er den Apostel in seiner schwierigen Lage geistlich stärkt und ihn möglichst bald wieder heraus­kommen lässt. Stundenlang flehten sie zu Gott und trafen sich dazu heimlich in ihren Wohn­häusern. Sogar nachts wachten treue Beter und erhoben ihre Stimmen zu Gott in treuer Fürbitte für Simon Petrus.

Auch diese treuen Beter waren wahrhaft freie Menschen; auch sie lebten aus der Kraft von Gottes Freispruch. Einige von ihnen mögen alt oder behindert gewesen sein, andere waren Sklaven; dennoch waren sie frei – frei vom Todesurteil der Sünde, frei für die Gemein­schaft mit Gott. Manche Leute definieren Freiheit so: Freiheit ist, wenn man tun und lassen kann, was man will. Auch das lässt sich von der christ­lichen Freiheit sagen. Wenn wir nämlich auf Gottes Freispruch vertrauen, geschieht etwas Wunder­volles und Geheimnis­volles mit uns: Christus kommt in unsere Herzen und übernimmt dort die Leitung unseres Lebens. Das bedeutet nicht, dass wir zu Marionetten werden, sondern es bedeutet, dass unser Wille und Gottes Wille zu einer herrlichen Einheit ver­schmelzen. Wir werden dahingehend verändert, dass wir mit unserem geheiligten Willen nun nichts anderes wollen als das, was wir auch sollen und was am besten für uns ist. Darüber hinaus bekommen wir die Kraft, ent­sprechend zu leben. Mit anderen Worten: Wir werden fähig zu tun, was wir tun wollen beziehungs­weise was Christus, der in uns lebt, tun will. Ja, das gehört zur wahren Freiheit hinzu. Lass dich nicht irremachen, wenn du trotzdem noch gottlose Gefühle und Begierden in dir wahrnimmst und wenn du dich immer wieder dabei ertappst, dass du gegen Gottes Willen handelst. Das ist nicht dein wahres Ich, sondern das ist lediglich der Versuch des Teufels, dir deine Freiheit wieder weg­zunehmen. Er kann dir aber nicht schaden, denn all deine Sünden sind ja vergeben, und du weißt, dass Jesus den Teufel besiegt hat. Auch spürst du, wie Gott dich im Kampf gegen Satan unter­stützt. Selbst wenn dieser Kampf lebenslang weitergehen wird, können wir uns darauf verlassen, dass Jesus als Sieger schon feststeht. So war auch der Gebetskampf der Jerusalemer Urgemeinde genau das, was sie tun wollte und was ihrer christ­lichen Freiheit entsprach, auch wenn er anstrengend war und Selbst­disziplin erforderte.

Petrus saß nun schon ein paar Tage im Gefängnis. Mittler­weile war es Samstag, der Sabbat und letzte große Festtag der Passa-Woche. Petrus rechnete damit, dass König Herodes Agrippa ihm am folgenden Tag den Prozess machen würde. Mit Rücksicht auf das hohe Fest hatte er diesen Schau­prozess bis jetzt auf­geschoben. Aber nun würde er sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, Petrus öffentlich vor einer großen Menge zum Tode zu ver­urteilen. Er wusste, dass viele Juden genau das erleben wollten. Ob sie wohl den Tod des Petrus ebenso ungestüm fordern würden, wie sie einst bei Pontius Pilatus „Kreuzige, kreuzige!“ gebrüllt hatten? Petrus wusste, dass man ihn, den Jünger, nicht besser behandeln würde als seinen Meister. Dennoch blieb er ruhig; er war sich sicher: Was auch immer geschieht, ich bin in des Herrn Hand. So gelang es ihm in dieser Nacht, wieder ruhig ein­zuschlafen. Aber plötzlich spürt er einen Stoß in seine Seite. Er versucht, seine Augen zu öffnen, aber es gelingt ihm kaum, weil ein blendend helles Licht die Gefängnis­zelle erfüllt. Dann hört er eine Stimme: „Schnell, steh auf!“ Jemand packt ihn am Arm und zieht ihn hoch. Petrus fühlt, wie die Eisen­manschetten von seinen Hand­gelenken fallen. Was ist nur los? Nun erkennt er eine Licht­gestalt, einen Engel. Der Engel sagt: „Wach auf; zieh dir deine Sandalen an!“ Petrus gehorcht. Dann fordert ihn der Engel auf: „Zieh dich an und komm mit!“ Petrus wirft sich seinen Umhang über und stolpert hinter dem Gottesboten her – erst durch die merk­würdiger­weise offene Zellentür und dann durch den Gang. Petrus fragt sich, ob er das alles nur träumt. Sie kommen am ersten Wachposten vorbei und dann am zweiten Wachposten – die regen sich überhaupt nicht! Dann gelangen sie zum großen Eisentor am Eingang des Gefängnis­ses. Ganz von allein öffnet es sich und gibt ihnen den Weg nach draußen frei. Petrus folgt dem Engel in die frische Nachtluft. Ein Stück weit laufen sie gemeinsam, dann ist der Gottesbote plötzlich weg. Aber Petrus ist nun auch körperlich wieder frei. Er steht in einer Jerusalemer Straße und merkt: Das ist kein Traum. Da ruft er aus: „Jetzt merke ich, dass der Herr wahrhaftig einen Engel geschickt hat, um mich aus den Klauen des Herodes und von der drohenden Gerichts­verhandlung zu befreien.“

So erhörte Gott die Gebete der Jerusalemer Christen und befreite Petrus. Er ließ ihn nicht im Stich, sondern tat, was das Beste für ihn war. Darauf hatte der Apostel und hatten die Beter auch vertraut. Wir merken: Wahre Freiheit geht mit Gott­vertrauen einher. Wenn die Gemeinde­glieder statt auf Gott auf sich selbst und ihre eigene Kraft vertraut hätten, dann hätten sie die Grenzen dieser Kraft gleich am eisernen Tor zu spüren bekommen, ganz zu schweigen von den Wach­soldaten und den anderen Sicherheits­vorkehrun­gen. Und wenn Petrus im Gefängnis nicht auf Gott vertraut hätte, dann wäre er an seiner Lage ver­zweifelt. Aber sogar als er noch halb schlief, gehorchte er dem Engel und vertraute darauf, dass er mit Gott in allen Situationen sicher ist und nichts schiefgehen kann. Vertrauen heißt: Wenn wir Gott die Mittel und Wege wählen lassen und auf ihn hören, dann werden wir fähig zu tun, was wir wirklich wollen – und das ist, wie wir bereits fest­gestellt haben, letztlich nichts anderes, als was er will. Nur mit solchem Vertrauen werden wir richtig frei. Es mag uns immer wieder über­raschen, wie Gott handelt, aber wir können zu­versicht­lich sein: Es geschieht stets zu unserem Besten.

Auch die Jerusalemer Gemeinde erlebte in dieser Nacht eine Über­raschung. Als Petrus, endlich ganz wach, sich in den Straßen Jerusalems wiederfand, überlegte er, was er als nächstes tun sollte. Er vermutete, dass die Christen sich in dieser Nacht vor dem Auf­erstehungs­sonntag in einem geeigneten Gebäude versammelt hatten. Ein solches Haus gehörte Maria, der Mutter des Markus; dort war Petrus viele Male zuvor mit seinen Glaubensgeschwistern zusammen­gekommen. Dahin begab er sich nun und klopfte an die Tür. In diesem Haus waren tatsächlich viele Gemeinde­glieder versammelt; sie beteten gerade. Unter ihnen war Rhode, eine Dienstmagd des Hauses. Als es klopfte, ging sie zur Tür, denn das gehörte zu ihren Pflichten. Durch die ge­schlossene Haustür fragte sie: „Wer ist da?“ Eine Stimme antwortete: „Ich bin's, Petrus!“ Er hätte ihr gar nicht seinen Namen sagen müssen, sie erkannte die vertraute Stimme sofort. Diese Stimme gehörte dem Mann, der ihr so viel von Jesus erzählt hatte: von seiner Kreuzigung, seinem Begräbnis, seiner Auf­erstehung und seiner Himmel­fahrt. Diese Stimme hatte ihr auch die wunderbaren Weis­sagungen Christi weiter­gesagt von seinem Wieder­kommen. Diese Stimme hatte ihr viel Trost und Freude geschenkt durch die Ver­kündigung von der Sünden­vergebung und vom ewigen Leben. Sie rannte zurück zu den anderen und rief: „Es ist Petrus!“ Die Glaubens­geschwister blickten verwirrt von ihrem Beten auf, starrten sie an und meinten dann: „Du bist ja verrückt.“ Rhode wider­sprach: „Nein, ich bin nicht verrückt, ich habe doch seine Stimme erkannt, es ist wirklich Petrus.“ Eine Diskussion begann, was Rhode da möglicher­weise gehört haben könnte. Unterdessen schlug Petrus immer wieder an die Tür und wunderte sich, warum man ihm nicht öffnete. Schließlich machten sie auf. Da stand er warhaftig – Petrus, von dem sie schon geglaubt hatten, sie würden ihn nie wieder­sehen.

Ist euch das auch schon mal so gegangen, liebe Brüder und Schwestern: dass ihr für etwas betetet und dann trotzdem überrascht wart, dass es so kam? Wir brauchen uns über Wunder nicht wirklich zu wundern: Gott kann Gebete auf Arten und Weisen erhören, die wir uns niemals träumen lassen.

Die Jerusalemer Christen lernten dies Lektion in der Osternacht des Jahres 44 nach Christus. Ich brauche euch nicht zu sagen, was für ein frohes Ostern es wurde! Petrus berichtete aus­führlich, was er erlebt hatte. Dann trug er der Gemeinde auf, alles dem Gemeinde­leiter Jakobus weiter­zusagen, und ebenso jenen Gemeinde­gliedern, die nicht anwesend waren. Danach ging er fort. Er wollte nicht gleich wieder gefangen werden, denn nun wusste er ja, dass Gott ihn noch in seinem Dienst haben wollte. Er zog von Jerusalem weg. Wie gesagt, auch im Umland gab es viel zu tun für ihn. Überall sollten die Menschen die gute Nachricht hören von der wahren Freiheit. Es ist Gottes Freispruch von der Sünden­strafe. Es ist die Freiheit, die die Furcht besiegt. Und es ist die Freiheit, die uns tun lässt, was wir wirklich wollen. Petrus selbst hatte diese Freiheit geschenkt bekommen; Petrus vertraute auf diese Freiheit; Petrus lebte mit dieser Freiheit. Lasst uns ebenso leben, denn auch wir haben wahre Freiheit durch Jesus! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1979.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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