Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Alle wollen Freiheit, aber was ist das eigentlich? Eine Geschichte aus alter Zeit kann uns bei dieser Frage weiterhelfen – aus der Zeit, als die christliche Kirche gerade einmal zehn Jahre alt war.
Die Jerusalemer Urgemeinde hatte Sorgen. Seit die frohe Botschaft vom Auferstandenen beim Pfingstfest erstmals öffentlich verkündigt worden war, versuchten die führenden Juden, die Apostel mundtot zu machen. Sie wollten die in ihren Augen gotteslästerliche Sekte der Christen vernichten. Als dann Stephanus, einer der ersten sieben Diakone, um seines treuen Zeugnisses willen zu Tode gesteinigt wurde, brach die Christenverfolgung mit voller Brutalität los. Zu der Zeit lebten die Christen richtig gefährlich; jederzeit konnte es geschehen, dass sie festgenommen, gefoltert oder sogar hingerichtet wurden. Dennoch hielt die junge Kirche weiter Gottesdienste, verkündigte und gewann viele Menschenseelen für das Himmelreich. Der Apostel Simon Petrus war ihr Hauptpastor und auch ihr fleißigster Prediger. Er wirkte nicht nur in Jerusalem, sondern auch in anderen Teilen Palästinas. Im Frühling des Jahres 44 hielt sich Petrus aber gerade wieder in Jerusalem auf. Da geschah es, dass Soldaten ihn im Auftrag von König Herodes Agrippa festnahmen und ins Gefängnis warfen. Petrus wird das nicht überrascht haben; er wird sogar damit gerechnet haben. Agrippa war keinen Deut besser als sein Großvater Herodes der Große, der ein halbes Jahrhundert zuvor viele unschuldige Kinder in Bethlehem töten ließ. Er war auch keine Deut besser als sein Onkel Herodes Antipas, der die Ermordung Johannes des Täufers angeordnet hatte. Petrus wusste, dass Agrippa sich als Superjude aufspielen wollte, um dem Volk zu gefallen. Dabei hatte er herausgefunden, dass ihm das mit brutaler Christenverfolgung hervorragend gelang. Die Römer, die ihn zum König gemacht hatten, kümmerte es nicht. So kam es, dass Petrus als Gefangener durch die Straßen Jerusalems getrieben wurde – er, der kurz vorher noch verkündigt hatte, wie Menschen wahre Freiheit und Frieden für ihre Seele finden können. Hätte er lieber fliehen sollen, oder sich verstecken? Und was würden sie mit ihm machen? Petrus brauchte kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, dass sie ihn töten wollten. Erst wenige Tage zuvor hatte Herodes Agrippa seinen Apostel-Kollegen Jakobus hinrichten lassen. Im Gefängnis erwarteten vier Soldaten den Festgenommenen. Sie brachten ihn in ein muffiges Kellerloch und ketteten zwei Wachsoldaten an seine Handgelenke. Dann verriegelten sie die Tür und postierten zwei weitere Soldaten davor. Nach ein paar Stunden würde eine Ablösung für diese vier Männer kommen. Agrippa hatte insgesamt 16 Soldaten für die Bewachung des Oberapostels abkommandiert. Der König war nicht dumm: Er hatte gehört, dass es zuvor merkwürdige Gefangenenbefreiungen bei den Aposteln gegeben hatte, und betrieb deswegen einen hohen Sicherheits-Aufwand. Nun müssen wir annehmen, dass Petrus sich unter diesen Umständen nicht gerade wohl fühlte. Auf der anderen Seite aber hatte er volles Vertrauen in seinen Herrn und machte sich darum keine Sorgen um den Ausgang der Geschichte. Es gelang ihm sogar, in seiner Zelle tief und ruhig zu schlafen.
Was mag Petrus gegen die Angst geholfen haben? Letztlich war es die Erkenntnis: Ich bin in Wahrheit frei! So frei, wie auch wir es sind und wie es ein Mensch nur sein kann. Wie geht das zu? Wenn ein Angeklagter vom Richter freigesprochen wird, dann ist er tatsächlich frei. Darum ist es die höchste Freiheit, vom höchsten Richter freigesprochen zu werden. Eben dies tut Gott, der höchste Richter – mit Petrus, mit mir, mit dir, mit jedem, der ihm Vertrauen schenkt. Freilich ergeht dieses Urteil nicht deswegen, weil wir unschuldig wären. Jeder von uns verletzt Gottes Gesetz immer wieder, das wissen wir sehr genau. Wir sind sozusagen Sünden-süchtig. Dennoch spricht Gott uns frei. Wir entgehen der Strafe, der ewigen Höllenqual. Der Grund dafür ist Jesu Tod am Kreuz; da hat er unsere Strafe auf sich genommen. So kann der Vater uns Jesu Sühne anrechnen und freisprechen, ohne ungerecht zu sein. Ja, so groß ist Gottes Liebe zu uns, dass er seinen eigenen Sohn leiden und sterben lässt, damit wir sündhaften Menschen von der Strafe befreit werden. Diese Freiheit ist nun keineswegs ein Vakuum, eine bloße Abwesenheit von Strafe. Nein, diese Freiheit bedeutet: Wir stehen unter Gottes besonderem Schutz und Segen; wir sind Erben des Himmelreichs – dieses herrlichen, fantastischen, Freude-erfüllten, Schmerz- und Sorgen-freien Landes, das wir nach unseren Erdentagen ganz in Besitz nehmen dürfen. Dort wird dann unsere Freiheit zur Vollkommenheit vollendet werden. Alles, was sonst auf Erden Freiheit genannt wird, ist bestenfalls ein matter Abglanz davon. Wenn jemand diese göttliche Freiheit besitzt, dann spielen menschliche Unfreiheiten keine große Rolle, und Sorgen werden klein. Wahre Freiheit besiegt auch die Furcht, denn wenn Gott uns freigesprochen und zu Himmelserben gemacht hat, dann gibt es nichts mehr, das uns letztlich schaden oder Angst machen kann. Petrus war sich dieser Freiheit bewusst, deshalb konnte er sich frei fühlen, obwohl ihn Wachsoldaten umgaben. Diese Freiheit besiegte seine Angst, sogar die Todesangst angesichts seiner drohenden Hinrichtung.
Die Jerusalemer Christen erfuhren von der Festnahme des Petrus und machten sich natürlich Sorgen um ihn. Sie liebten ihn sehr; er hatte ihnen stets geistliche Kraft und viel Trost gegeben, wenn er in apostolischer Vollmacht gepredigt hatte. Würde das nun endgültig vorbei sein? Und würden sie Ostern ohne ihn feiern müssen, das große Fest der Auferstehung Jesu? Die ganze Sache geschah nämlich in der Woche vor dem jüdischen Passafest, das mit dem Osterfest zusammenfiel. Wie gern würden sie Petrus wieder zuhören, wenn er davon predigte, wie es zum erstenmal Ostern wurde, wie er zusammen mit Johannes zum Grab gerannt war, wie sie es leer vorgefunden hatten und wie sie plötzlich dem erhöhten Christus begegnet waren. Ja, die Gemeinde vermisste Petrus. Aber sie verzweifelte nicht. Stattdessen warf man alle Sorgen auf Gott und betete für Petrus. Die Jerusalemer Christen werden Gott darum gebeten haben, dass er den Apostel in seiner schwierigen Lage geistlich stärkt und ihn möglichst bald wieder herauskommen lässt. Stundenlang flehten sie zu Gott und trafen sich dazu heimlich in ihren Wohnhäusern. Sogar nachts wachten treue Beter und erhoben ihre Stimmen zu Gott in treuer Fürbitte für Simon Petrus.
Auch diese treuen Beter waren wahrhaft freie Menschen; auch sie lebten aus der Kraft von Gottes Freispruch. Einige von ihnen mögen alt oder behindert gewesen sein, andere waren Sklaven; dennoch waren sie frei – frei vom Todesurteil der Sünde, frei für die Gemeinschaft mit Gott. Manche Leute definieren Freiheit so: Freiheit ist, wenn man tun und lassen kann, was man will. Auch das lässt sich von der christlichen Freiheit sagen. Wenn wir nämlich auf Gottes Freispruch vertrauen, geschieht etwas Wundervolles und Geheimnisvolles mit uns: Christus kommt in unsere Herzen und übernimmt dort die Leitung unseres Lebens. Das bedeutet nicht, dass wir zu Marionetten werden, sondern es bedeutet, dass unser Wille und Gottes Wille zu einer herrlichen Einheit verschmelzen. Wir werden dahingehend verändert, dass wir mit unserem geheiligten Willen nun nichts anderes wollen als das, was wir auch sollen und was am besten für uns ist. Darüber hinaus bekommen wir die Kraft, entsprechend zu leben. Mit anderen Worten: Wir werden fähig zu tun, was wir tun wollen beziehungsweise was Christus, der in uns lebt, tun will. Ja, das gehört zur wahren Freiheit hinzu. Lass dich nicht irremachen, wenn du trotzdem noch gottlose Gefühle und Begierden in dir wahrnimmst und wenn du dich immer wieder dabei ertappst, dass du gegen Gottes Willen handelst. Das ist nicht dein wahres Ich, sondern das ist lediglich der Versuch des Teufels, dir deine Freiheit wieder wegzunehmen. Er kann dir aber nicht schaden, denn all deine Sünden sind ja vergeben, und du weißt, dass Jesus den Teufel besiegt hat. Auch spürst du, wie Gott dich im Kampf gegen Satan unterstützt. Selbst wenn dieser Kampf lebenslang weitergehen wird, können wir uns darauf verlassen, dass Jesus als Sieger schon feststeht. So war auch der Gebetskampf der Jerusalemer Urgemeinde genau das, was sie tun wollte und was ihrer christlichen Freiheit entsprach, auch wenn er anstrengend war und Selbstdisziplin erforderte.
Petrus saß nun schon ein paar Tage im Gefängnis. Mittlerweile war es Samstag, der Sabbat und letzte große Festtag der Passa-Woche. Petrus rechnete damit, dass König Herodes Agrippa ihm am folgenden Tag den Prozess machen würde. Mit Rücksicht auf das hohe Fest hatte er diesen Schauprozess bis jetzt aufgeschoben. Aber nun würde er sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, Petrus öffentlich vor einer großen Menge zum Tode zu verurteilen. Er wusste, dass viele Juden genau das erleben wollten. Ob sie wohl den Tod des Petrus ebenso ungestüm fordern würden, wie sie einst bei Pontius Pilatus „Kreuzige, kreuzige!“ gebrüllt hatten? Petrus wusste, dass man ihn, den Jünger, nicht besser behandeln würde als seinen Meister. Dennoch blieb er ruhig; er war sich sicher: Was auch immer geschieht, ich bin in des Herrn Hand. So gelang es ihm in dieser Nacht, wieder ruhig einzuschlafen. Aber plötzlich spürt er einen Stoß in seine Seite. Er versucht, seine Augen zu öffnen, aber es gelingt ihm kaum, weil ein blendend helles Licht die Gefängniszelle erfüllt. Dann hört er eine Stimme: „Schnell, steh auf!“ Jemand packt ihn am Arm und zieht ihn hoch. Petrus fühlt, wie die Eisenmanschetten von seinen Handgelenken fallen. Was ist nur los? Nun erkennt er eine Lichtgestalt, einen Engel. Der Engel sagt: „Wach auf; zieh dir deine Sandalen an!“ Petrus gehorcht. Dann fordert ihn der Engel auf: „Zieh dich an und komm mit!“ Petrus wirft sich seinen Umhang über und stolpert hinter dem Gottesboten her – erst durch die merkwürdigerweise offene Zellentür und dann durch den Gang. Petrus fragt sich, ob er das alles nur träumt. Sie kommen am ersten Wachposten vorbei und dann am zweiten Wachposten – die regen sich überhaupt nicht! Dann gelangen sie zum großen Eisentor am Eingang des Gefängnisses. Ganz von allein öffnet es sich und gibt ihnen den Weg nach draußen frei. Petrus folgt dem Engel in die frische Nachtluft. Ein Stück weit laufen sie gemeinsam, dann ist der Gottesbote plötzlich weg. Aber Petrus ist nun auch körperlich wieder frei. Er steht in einer Jerusalemer Straße und merkt: Das ist kein Traum. Da ruft er aus: „Jetzt merke ich, dass der Herr wahrhaftig einen Engel geschickt hat, um mich aus den Klauen des Herodes und von der drohenden Gerichtsverhandlung zu befreien.“
So erhörte Gott die Gebete der Jerusalemer Christen und befreite Petrus. Er ließ ihn nicht im Stich, sondern tat, was das Beste für ihn war. Darauf hatte der Apostel und hatten die Beter auch vertraut. Wir merken: Wahre Freiheit geht mit Gottvertrauen einher. Wenn die Gemeindeglieder statt auf Gott auf sich selbst und ihre eigene Kraft vertraut hätten, dann hätten sie die Grenzen dieser Kraft gleich am eisernen Tor zu spüren bekommen, ganz zu schweigen von den Wachsoldaten und den anderen Sicherheitsvorkehrungen. Und wenn Petrus im Gefängnis nicht auf Gott vertraut hätte, dann wäre er an seiner Lage verzweifelt. Aber sogar als er noch halb schlief, gehorchte er dem Engel und vertraute darauf, dass er mit Gott in allen Situationen sicher ist und nichts schiefgehen kann. Vertrauen heißt: Wenn wir Gott die Mittel und Wege wählen lassen und auf ihn hören, dann werden wir fähig zu tun, was wir wirklich wollen – und das ist, wie wir bereits festgestellt haben, letztlich nichts anderes, als was er will. Nur mit solchem Vertrauen werden wir richtig frei. Es mag uns immer wieder überraschen, wie Gott handelt, aber wir können zuversichtlich sein: Es geschieht stets zu unserem Besten.
Auch die Jerusalemer Gemeinde erlebte in dieser Nacht eine Überraschung. Als Petrus, endlich ganz wach, sich in den Straßen Jerusalems wiederfand, überlegte er, was er als nächstes tun sollte. Er vermutete, dass die Christen sich in dieser Nacht vor dem Auferstehungssonntag in einem geeigneten Gebäude versammelt hatten. Ein solches Haus gehörte Maria, der Mutter des Markus; dort war Petrus viele Male zuvor mit seinen Glaubensgeschwistern zusammengekommen. Dahin begab er sich nun und klopfte an die Tür. In diesem Haus waren tatsächlich viele Gemeindeglieder versammelt; sie beteten gerade. Unter ihnen war Rhode, eine Dienstmagd des Hauses. Als es klopfte, ging sie zur Tür, denn das gehörte zu ihren Pflichten. Durch die geschlossene Haustür fragte sie: „Wer ist da?“ Eine Stimme antwortete: „Ich bin's, Petrus!“ Er hätte ihr gar nicht seinen Namen sagen müssen, sie erkannte die vertraute Stimme sofort. Diese Stimme gehörte dem Mann, der ihr so viel von Jesus erzählt hatte: von seiner Kreuzigung, seinem Begräbnis, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt. Diese Stimme hatte ihr auch die wunderbaren Weissagungen Christi weitergesagt von seinem Wiederkommen. Diese Stimme hatte ihr viel Trost und Freude geschenkt durch die Verkündigung von der Sündenvergebung und vom ewigen Leben. Sie rannte zurück zu den anderen und rief: „Es ist Petrus!“ Die Glaubensgeschwister blickten verwirrt von ihrem Beten auf, starrten sie an und meinten dann: „Du bist ja verrückt.“ Rhode widersprach: „Nein, ich bin nicht verrückt, ich habe doch seine Stimme erkannt, es ist wirklich Petrus.“ Eine Diskussion begann, was Rhode da möglicherweise gehört haben könnte. Unterdessen schlug Petrus immer wieder an die Tür und wunderte sich, warum man ihm nicht öffnete. Schließlich machten sie auf. Da stand er warhaftig – Petrus, von dem sie schon geglaubt hatten, sie würden ihn nie wiedersehen.
Ist euch das auch schon mal so gegangen, liebe Brüder und Schwestern: dass ihr für etwas betetet und dann trotzdem überrascht wart, dass es so kam? Wir brauchen uns über Wunder nicht wirklich zu wundern: Gott kann Gebete auf Arten und Weisen erhören, die wir uns niemals träumen lassen.
Die Jerusalemer Christen lernten dies Lektion in der Osternacht des Jahres 44 nach Christus. Ich brauche euch nicht zu sagen, was für ein frohes Ostern es wurde! Petrus berichtete ausführlich, was er erlebt hatte. Dann trug er der Gemeinde auf, alles dem Gemeindeleiter Jakobus weiterzusagen, und ebenso jenen Gemeindegliedern, die nicht anwesend waren. Danach ging er fort. Er wollte nicht gleich wieder gefangen werden, denn nun wusste er ja, dass Gott ihn noch in seinem Dienst haben wollte. Er zog von Jerusalem weg. Wie gesagt, auch im Umland gab es viel zu tun für ihn. Überall sollten die Menschen die gute Nachricht hören von der wahren Freiheit. Es ist Gottes Freispruch von der Sündenstrafe. Es ist die Freiheit, die die Furcht besiegt. Und es ist die Freiheit, die uns tun lässt, was wir wirklich wollen. Petrus selbst hatte diese Freiheit geschenkt bekommen; Petrus vertraute auf diese Freiheit; Petrus lebte mit dieser Freiheit. Lasst uns ebenso leben, denn auch wir haben wahre Freiheit durch Jesus! Amen.
PREDIGTKASTEN |