Das rote Seil

Predigt über Josua 2,1-21 zum 17. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Eine Rede soll einen „roten Faden“ haben – also einen Haupt­gedanken, der sich von Anfang bis Ende durch­zieht. Dasselbe gilt für eine Ge­schichte und auch für eine Predigt. Unser heutiger Predigt­text hat so einen roten Faden – sogar im wört­lichen Sinn. Es ist ein ziemlich dicker roter Faden: das rote Seil nämlich, mit dem Rahab die beiden Kund­schafter heimlich entkommen ließ.

Wir können fragen: Wieso besaß Rahab so ein rotes Seil, so auffällig gefärbt? Seile sind ja nicht von Natur aus rot, auch vor drei­tausend Jahren nicht. Im Gegen­teil: Es war damals besonders auf­wändig, Textilien und eben auch Seile rot zu färben. Man musste erstmal eine große Menge von Schild­läusen ver­arbeiten, um eine aus­reichende Menge Karmin oder Karmesin zu erhalten (so heißt der rote Farb­stoff, mit dem das Seil gefärbt war). Wir sehen: Rahab wird sich dieses rote Seil ganz bewusst an­geschafft oder auch selbst gefärbt haben. Das hing wohl mit ihrem Beruf zusammen. Rahab war ja eine Pro­stitu­ierte. Offenbar diente das rote Seil liebes­hungrigen Männern als Erkennungs­zeichen, dass sie hier hoch­klettern und eine schöne Zeit in Rahabs Armen erwerben können. Heute gibt es Rotlicht-Viertel; damals war Rahabs Haus wohl so etwas wie das Rote-Seil-Viertel von Jericho. An diesem Seil konnten die Freier auch heimlich wieder hinunter­klettern von der Dach­terrasse, auf der Rahabs Liebes­laube stand. Die beiden Kund­schafter waren also bestimmt nicht die ersten Männer, die das rote Seil zum diskreten Ver­schwin­den be­nutzten.

So be­trachtet, kann der rote Faden beziehungs­weise das rote Seil in dieser Ge­schichte für einen an­ständi­gen Menschen zum Haar in der Suppe werden. Denn auch wenn das heute viele anders sehen: Es ist nicht an­ständig, die Dienste einer Hure in Anspruch zu nehmen. Gottes Wort ist da ganz klar: Hurerei ist Sünde. Die meisten Menschen werden heute aller­dings eher an den beiden Kund­schaftern Anstoß nehmen. Die waren ja mit einer ganz anderen Absicht bei Rahab gelandet: Sie wollten aus­spionie­ren, wie die Is­raeliten am besten die Stadt Jericho über­fallen und ihre Bewohner töten können. Wenn man sich das mal klar­macht, kann das sogar für gut­willige Bibel­leser ein ziemlich dickes Haar in der Suppe dar­stellen. War es denn wirklich Gottes Wille, dass Jericho zerstört und seine Be­völkerung aus­gelöscht wird?

Wenn wir Gottes Wort ernst nehmen, müssen wir diese Frage ganz nüchtern bejahen. Wir müssen dabei unser Bauch­gefühl dem Urteil des All­mächti­gen unter­ordnen. Das Alte Testament berichtet immer wieder von Gottes Straf­gerichten über un­gehorsame Menschen. Zu Noahs Zeit war dieses Straf­gericht eine weltweite Flut. Zu Abrahams Zeit war es Feuer, das vom Himmel auf die Städte Sodom und Gomorra regnete. Und zu Josuas Zeit hatte das Volk Israel den gött­lichen Auftrag, die heid­nische Be­völkerung im Land Kanaan zu töten. Die Bibel lässt da keinen Zweifel offen: In dieser be­sonderen geschicht­lichen Situation sollte Israels Heer Gottes Straf­gericht an den Götzen­dienern voll­strecken. Die Ge­schichte vom Untergang Jerichos ist also eine Gerichts-Ge­schichte – die Ge­schichte von Gottes gerechtem Gericht über Menschen, die ihn nicht als obersten Herrn an­erkennen wollen. Selbst­verständ­lich sind solche Gerichts-Ge­schichten kein Freibrief für Kreuzzüge und andere so­genannte heilige Kriege. Seit Jesus leben wir ja in der Gnaden­zeit; da ist Gottes end­gültiges Straf­gericht aus­gesetzt bis zum Jüngsten Tag. Aber zu Josuas Zeiten war das anders. Da ist es tat­säch­lich auch vor­gekommen, dass Gott durch Kriege gestraft hat.

Kommen wir zurück zum roten Faden und zum roten Seil. Sodom und Gomorra haben Weltruhm erlangt als Brut­stätten von Hurerei und anderen schlimmen Sünden. Gott hat deshalb sein Straf­gericht über diese Städte voll­streckt. Auch in Jericho gab es Hurerei, wie wir an Rahab und ihrem roten Seil sehen. So verhängte Gott auch über Jericho sein Straf­gericht. Und heute noch zeigt Gott mit dieser Ge­schichte, was er von Hurerei, Ehebruch und der­artigen Sünden hält. Seien wir nüchtern und hören wir die Bot­schaft: Diese Sünden sind keines­wegs so harmlos, wie sie in modernen Unter­haltungs­medien oft dar­gestellt werden und wie eine breite Mehrheit sie sieht. Hurerei, Ehebruch und andere derartige Sünden verdienen Gottes strenges Straf­gericht.

Aber es geht um mehr als um sexuelle Sünden, um wesent­lich mehr. Aus der Bibel können wir lernen: Sexuelle Sünden sind eigent­lich nur die Folge von einem geist­lichen Ehebruch, nämlich die Folge der Untreue gegenüber Gott. Die Heilige Schrift ver­gleicht Götzen­dienst immer wieder mit Ehebruch. Wer den wahren Gott verlässt und sich andern Göttern zuwendet, der wird Gott untreu. Und infolge dieser Untreue gegen Gott geschieht es dann leicht, dass der Götzen­diener auch seinen Ehe­partner verlässt und sich mit anderen einlässt – wenn er denn die Ehe nicht ohnehin ver­achtet. Wir müssen aller­dings nüchtern fest­stellen, dass sogar moralisch einwand­freie Menschen leicht zu geist­lichen Ehe­brechern werden können – nämlich immer dann, wenn sie irgend­jemanden oder irgend­etwas mehr füchten, lieben und vertrauen als Gott den Herrn. Da prüfe jeder sich selbst. Wer wollte dann noch be­haupten, dass er Gottes Straf­gericht nicht verdient hat?

Ja, die Ge­schichte von den Kund­schaftern und vom Untergang Jerichos ist eine Gerichts-Ge­schichte. Aber sie ist zugleich auch eine Rettungs-Ge­schichte. Denn Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern dass der Sünder umkehrt und am Leben bleibt. Das sehen wir bei der Sintflut an Noah, das sehen wir bei Sodom und Gomorra an Lot, das sehen wir beim Untergang Jerichos an Rahab. Rahab bekehrte sich von ihrem Götzen­glauben und bekannte sich zum lebendi­gen Gott. Sie tat es, weil Gott ihr in den Ereig­nissen um das Volk Israel begegnet war. Der Heilige Geist hatte sie dadurch zum Glauben und Bekennen geführt. So bekannte sie vor den Kund­schaf­tern: „Der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden.“ Sie hoffte dabei, dass dieser eine wahre Gott sie rettet, dass er sie und ihre An­gehörigen am Leben erhält bei seinem Straf­gericht. Die Kund­schafter sicherten ihr das zu – so wie noch heute alle Boten des Evan­geliums den Glau­benden Rettung aus Gottes Straf­gericht zu­sichern. Und dann wurde Rahab auch ihrer­seits zur Retterin: Sie ver­steckte die Kund­schafter vor den Ver­folgern und ließ sie heimlich an dem bewussten roten Seil über die Stadt­mauer ent­fliehen. Was für eine groß­artige Rettungs-Ge­schichte!

Diese Rettungs-Ge­schichte ist dann noch weiter­gegangen. Rahab und ihre An­gehörigen wurden beim Angriff auf Jericho ver­schont. Sie blieben un­versehrt im Haus mit dem roten Seil. Sie schlossen sich dem Volk Israel an und dienten fortan Gott dem Herrn. Selbst­verständ­lich hängte Rahab die Prosti­tution an den Nagel. Sie heiratete einen Mann namens Salmon aus dem Stamm Juda und bekam Kinder. Aus dieser Familie ging nach ein paar Gene­rationen König David hervor, und nach vielen weiteren Gene­rationen Jesus.

In Jesus wurde Gott selbst ein Mensch. Und an Jesus ließ Gott die wunder­barste aller Gerichts‑ und Rettungs-Ge­schichten ge­schehen: Jesus starb am Kreuz auf Golgatha und wurde am dritten Tag auf­erweckt von den Toten. Auf Golgatha erlitt der Gottes­sohn das schlimm­ste Straf­gericht; da richtete sich Gottes Zorn über die Sünden der ganzen Welt gegen ihn. Aber gerade so wurde Jesus zum Retter der Mensch­heit, und das Wort vom Kreuz wurde zur wichtig­sten Rettungs-Ge­schichte der Welt.

Gottes Gnade trium­phiert über seinen Zorn. Diese Gnade zieht sich wie ein roter Faden durch die Zeit, oder besser: wie ein dickes rotes Seil – rot wie die Liebe, rot wie Christi Blut. Dieses Gnaden-Seil zog sich durch die Gene­rationen von Rahab bis hin zu Jesus. Dieses Gnaden-Seil zieht sich durch die ganze Welt­geschich­te, von Adam über Noah und Abraham bis hin zum Jüngsten Tag. Auch wir dürfen uns an diesem roten Seil fest­halten, dürfen an Gottes Liebe glauben und auf seine Rettung zum ewigen Leben ver­trauen. Amen.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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