Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Eine Rede soll einen „roten Faden“ haben – also einen Hauptgedanken, der sich von Anfang bis Ende durchzieht. Dasselbe gilt für eine Geschichte und auch für eine Predigt. Unser heutiger Predigttext hat so einen roten Faden – sogar im wörtlichen Sinn. Es ist ein ziemlich dicker roter Faden: das rote Seil nämlich, mit dem Rahab die beiden Kundschafter heimlich entkommen ließ.
Wir können fragen: Wieso besaß Rahab so ein rotes Seil, so auffällig gefärbt? Seile sind ja nicht von Natur aus rot, auch vor dreitausend Jahren nicht. Im Gegenteil: Es war damals besonders aufwändig, Textilien und eben auch Seile rot zu färben. Man musste erstmal eine große Menge von Schildläusen verarbeiten, um eine ausreichende Menge Karmin oder Karmesin zu erhalten (so heißt der rote Farbstoff, mit dem das Seil gefärbt war). Wir sehen: Rahab wird sich dieses rote Seil ganz bewusst angeschafft oder auch selbst gefärbt haben. Das hing wohl mit ihrem Beruf zusammen. Rahab war ja eine Prostituierte. Offenbar diente das rote Seil liebeshungrigen Männern als Erkennungszeichen, dass sie hier hochklettern und eine schöne Zeit in Rahabs Armen erwerben können. Heute gibt es Rotlicht-Viertel; damals war Rahabs Haus wohl so etwas wie das Rote-Seil-Viertel von Jericho. An diesem Seil konnten die Freier auch heimlich wieder hinunterklettern von der Dachterrasse, auf der Rahabs Liebeslaube stand. Die beiden Kundschafter waren also bestimmt nicht die ersten Männer, die das rote Seil zum diskreten Verschwinden benutzten.
So betrachtet, kann der rote Faden beziehungsweise das rote Seil in dieser Geschichte für einen anständigen Menschen zum Haar in der Suppe werden. Denn auch wenn das heute viele anders sehen: Es ist nicht anständig, die Dienste einer Hure in Anspruch zu nehmen. Gottes Wort ist da ganz klar: Hurerei ist Sünde. Die meisten Menschen werden heute allerdings eher an den beiden Kundschaftern Anstoß nehmen. Die waren ja mit einer ganz anderen Absicht bei Rahab gelandet: Sie wollten ausspionieren, wie die Israeliten am besten die Stadt Jericho überfallen und ihre Bewohner töten können. Wenn man sich das mal klarmacht, kann das sogar für gutwillige Bibelleser ein ziemlich dickes Haar in der Suppe darstellen. War es denn wirklich Gottes Wille, dass Jericho zerstört und seine Bevölkerung ausgelöscht wird?
Wenn wir Gottes Wort ernst nehmen, müssen wir diese Frage ganz nüchtern bejahen. Wir müssen dabei unser Bauchgefühl dem Urteil des Allmächtigen unterordnen. Das Alte Testament berichtet immer wieder von Gottes Strafgerichten über ungehorsame Menschen. Zu Noahs Zeit war dieses Strafgericht eine weltweite Flut. Zu Abrahams Zeit war es Feuer, das vom Himmel auf die Städte Sodom und Gomorra regnete. Und zu Josuas Zeit hatte das Volk Israel den göttlichen Auftrag, die heidnische Bevölkerung im Land Kanaan zu töten. Die Bibel lässt da keinen Zweifel offen: In dieser besonderen geschichtlichen Situation sollte Israels Heer Gottes Strafgericht an den Götzendienern vollstrecken. Die Geschichte vom Untergang Jerichos ist also eine Gerichts-Geschichte – die Geschichte von Gottes gerechtem Gericht über Menschen, die ihn nicht als obersten Herrn anerkennen wollen. Selbstverständlich sind solche Gerichts-Geschichten kein Freibrief für Kreuzzüge und andere sogenannte heilige Kriege. Seit Jesus leben wir ja in der Gnadenzeit; da ist Gottes endgültiges Strafgericht ausgesetzt bis zum Jüngsten Tag. Aber zu Josuas Zeiten war das anders. Da ist es tatsächlich auch vorgekommen, dass Gott durch Kriege gestraft hat.
Kommen wir zurück zum roten Faden und zum roten Seil. Sodom und Gomorra haben Weltruhm erlangt als Brutstätten von Hurerei und anderen schlimmen Sünden. Gott hat deshalb sein Strafgericht über diese Städte vollstreckt. Auch in Jericho gab es Hurerei, wie wir an Rahab und ihrem roten Seil sehen. So verhängte Gott auch über Jericho sein Strafgericht. Und heute noch zeigt Gott mit dieser Geschichte, was er von Hurerei, Ehebruch und derartigen Sünden hält. Seien wir nüchtern und hören wir die Botschaft: Diese Sünden sind keineswegs so harmlos, wie sie in modernen Unterhaltungsmedien oft dargestellt werden und wie eine breite Mehrheit sie sieht. Hurerei, Ehebruch und andere derartige Sünden verdienen Gottes strenges Strafgericht.
Aber es geht um mehr als um sexuelle Sünden, um wesentlich mehr. Aus der Bibel können wir lernen: Sexuelle Sünden sind eigentlich nur die Folge von einem geistlichen Ehebruch, nämlich die Folge der Untreue gegenüber Gott. Die Heilige Schrift vergleicht Götzendienst immer wieder mit Ehebruch. Wer den wahren Gott verlässt und sich andern Göttern zuwendet, der wird Gott untreu. Und infolge dieser Untreue gegen Gott geschieht es dann leicht, dass der Götzendiener auch seinen Ehepartner verlässt und sich mit anderen einlässt – wenn er denn die Ehe nicht ohnehin verachtet. Wir müssen allerdings nüchtern feststellen, dass sogar moralisch einwandfreie Menschen leicht zu geistlichen Ehebrechern werden können – nämlich immer dann, wenn sie irgendjemanden oder irgendetwas mehr füchten, lieben und vertrauen als Gott den Herrn. Da prüfe jeder sich selbst. Wer wollte dann noch behaupten, dass er Gottes Strafgericht nicht verdient hat?
Ja, die Geschichte von den Kundschaftern und vom Untergang Jerichos ist eine Gerichts-Geschichte. Aber sie ist zugleich auch eine Rettungs-Geschichte. Denn Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern dass der Sünder umkehrt und am Leben bleibt. Das sehen wir bei der Sintflut an Noah, das sehen wir bei Sodom und Gomorra an Lot, das sehen wir beim Untergang Jerichos an Rahab. Rahab bekehrte sich von ihrem Götzenglauben und bekannte sich zum lebendigen Gott. Sie tat es, weil Gott ihr in den Ereignissen um das Volk Israel begegnet war. Der Heilige Geist hatte sie dadurch zum Glauben und Bekennen geführt. So bekannte sie vor den Kundschaftern: „Der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden.“ Sie hoffte dabei, dass dieser eine wahre Gott sie rettet, dass er sie und ihre Angehörigen am Leben erhält bei seinem Strafgericht. Die Kundschafter sicherten ihr das zu – so wie noch heute alle Boten des Evangeliums den Glaubenden Rettung aus Gottes Strafgericht zusichern. Und dann wurde Rahab auch ihrerseits zur Retterin: Sie versteckte die Kundschafter vor den Verfolgern und ließ sie heimlich an dem bewussten roten Seil über die Stadtmauer entfliehen. Was für eine großartige Rettungs-Geschichte!
Diese Rettungs-Geschichte ist dann noch weitergegangen. Rahab und ihre Angehörigen wurden beim Angriff auf Jericho verschont. Sie blieben unversehrt im Haus mit dem roten Seil. Sie schlossen sich dem Volk Israel an und dienten fortan Gott dem Herrn. Selbstverständlich hängte Rahab die Prostitution an den Nagel. Sie heiratete einen Mann namens Salmon aus dem Stamm Juda und bekam Kinder. Aus dieser Familie ging nach ein paar Generationen König David hervor, und nach vielen weiteren Generationen Jesus.
In Jesus wurde Gott selbst ein Mensch. Und an Jesus ließ Gott die wunderbarste aller Gerichts‑ und Rettungs-Geschichten geschehen: Jesus starb am Kreuz auf Golgatha und wurde am dritten Tag auferweckt von den Toten. Auf Golgatha erlitt der Gottessohn das schlimmste Strafgericht; da richtete sich Gottes Zorn über die Sünden der ganzen Welt gegen ihn. Aber gerade so wurde Jesus zum Retter der Menschheit, und das Wort vom Kreuz wurde zur wichtigsten Rettungs-Geschichte der Welt.
Gottes Gnade triumphiert über seinen Zorn. Diese Gnade zieht sich wie ein roter Faden durch die Zeit, oder besser: wie ein dickes rotes Seil – rot wie die Liebe, rot wie Christi Blut. Dieses Gnaden-Seil zog sich durch die Generationen von Rahab bis hin zu Jesus. Dieses Gnaden-Seil zieht sich durch die ganze Weltgeschichte, von Adam über Noah und Abraham bis hin zum Jüngsten Tag. Auch wir dürfen uns an diesem roten Seil festhalten, dürfen an Gottes Liebe glauben und auf seine Rettung zum ewigen Leben vertrauen. Amen.
PREDIGTKASTEN |