Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Wir alle haben ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie wir leben wollen. Wir haben Ansprüche an die Gegenwart. Wir haben Hoffnungen für die Zukunft. Wir haben Angst vor dem, was sich diesen Ansprüchen und Hoffnungen in den Weg stellen könnte. Kurz: Wir haben bestimmte Interessen. Wir äußern sie, wir vertreten sie, wir kämpfen womöglich für sie. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Der Kranke will Gesundheit. Der Geringverdiener will soziale Gerechtigkeit. Der Zufriedene will Sicherheit. Der Unterdrückte will Freiheit. Der Machtgierige aber will immer mehr Einfluss, Ruhm und Ehre. Manchmal vertreten Menschen diese ihre Interessen vollkommen rücksichtslos. Manchmal kämpfen Machtgierige um ihre Macht in einer Weise, bei der unzählige andere Schaden erleiden. Wenn das geschieht, dann erschrecken wir. Und wenn es in unserer Nähe passiert, dann können wir es kaum fassen. Und doch ist das im 21. Jahrhundert nicht anders als in den Jahrhunderten vorher. Es ist nicht anders als in den Zeiten von Napoleon oder Nebukadnezar. Die meisten der heute existierenden Nationalstaaten erhielten ihre heutige Größe und Form aufgrund von Machthunger und Eroberungspolitik. Unser deutsches Volk bildet da keine Ausnahme. Die Menschheit ist und bleibt von Sünde durchseucht, im Großen wie im Kleinen. Es ist menschlich, dass viele sich nehmen, was sie kriegen können. Und es ist menschlich, dass viele für ihre Freiheit kämpfen, für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Deswegen gibt es bis heute Kriege, und das wird leider bis zum Jüngsten Tag so weiter gehen. Es ist so, wie Jesus vorausgesagt hat: „Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn es muss geschehen.“ (Matth. 24,6) Es kann nicht anders sein, sagt Jesus, es ist zutiefst menschlich, denn der Mensch ist und bleibt ein Sünder.
Zur Zeit von Jesus gab es auch Herrscher wie Napoleon und Nebukadnezar. Es waren die römischen Kaiser, die sich nach und nach ein Riesen-Reich zusammenerobert hatten und praktisch alle Völker der antiken Welt unterdrückten. Und es gab viele Menschen in den unterdrückten Völkern, die sich nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung sehnten. Nicht wenige waren bereit, dafür zu kämpfen. Man fand sie auch im Volk der Juden. Einige von ihnen setzten ihre Hoffnung auf Jesus von Nazareth. Sie glaubten, dass er Israel aus den Fesseln der Fremdherrschaft erlösen und zu neuem Glanz führen würde. Auch in seinem engsten Jüngerkreis muss es diese Hoffnung gegeben haben. Davon blitzt etwas auf in unserer heutigen Evangeliums-Lesung, und zwar im Hinblick auf den Ober-Jünger Simon Petrus. Simon Petrus rechnete damit, dass Jesus das große Friedensreich von König David wieder aufrichten und dann in Jerusalem regieren würde. Er hoffte, dann weiterhin zu den engsten Vertrauten von Jesus zu gehören als ein angesehener Minister des großen Friedefürsten.
Darum war Petrus total entsetzt, als Jesus wie aus heiterem Himmel eine Strich durch diese menschlichen Hoffnungen machte. Es muss wie eine kalte Dusche für ihn gewesen sein, als Jesus verkündigte: „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“ Nicht nur, dass Jesus es ablehnt, ein Erlöser im weltlichen Sinne zu sein, also ein Freiheitskämpfer. Nein, er prophezeit sogar – menschlich gesprochen – seinen eigenen Untergang! Das geht gegen alle Hoffnungen, Erwartungen und Interessen der Jünger. „Bloß nicht!“, erwiderte Petrus daher leidenschaftlich. Vor Aufregung hatte er überhört, dass diese sogenannte Leidensankündigung des Herrn letztlich auch eine Sieges-Ankündigung ist: „…und nach drei Tagen auferstehen.“
Jesus lenkt mit seinen Worten unsern Blick weg von der Tagespolitik, hin auf das, was wirklich wichtig ist. Wirklich wichtig ist, dass alles Übel dieser Welt von der Wurzel her bekämpft wird, nämlich von der Sünde im menschlichen Herzen. Und die bekämpfte Jesus nicht mit Waffen, nicht mit Geld und nicht mit anderen irdischen Macht-Instrumenten, sondern mit seinem Leiden, Sterben und Auferstehen. Mit Stillhalten und scheinbarem Unterliegen besiegte er die Macht Satans, der unser Leben immer wieder mit menschlichen, allzu menschlichen Interessen vergiften will. An anderer Stelle hat Jesus gesagt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch das andere alles zufallen.“ Jesus hat es abgelehnt, ein irdischer Friedenskämpfer und König zu werden; er hat sich diesem Anspruch immer wieder entzogen. Er hat auch klar und nüchtern gelehrt, dass er dieser Welt keinen äußeren Frieden bringen wird, bis zum Jüngsten Tag nicht. Im Gegenteil: Er hat vorausgesagt, dass es gegen Ende der Welt noch einmal sehr schlimm werden wird. Aber das ist nicht seine Hauptbotschaft. Die Hauptbotschaft ist sein Evangelium, und die ist untrennbar mit seinem Tod und seiner Auferstehung verbunden: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ – „Seht zu und erschreckt nicht, wenn ihr von Kriegen und Kriegsgeschrei hört!“ Denn wer zu Jesus gehört, gehört zum Himmelreich und hat insofern die Schrecken der Welt bereits überwunden – auch wenn sie ihn jetzt noch sehr erschrecken. Dieses Evangelium ist das, was ewig ist, was göttlich ist. Das meinte Jesus, als er Simon Petrus zurückwies: „Du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“
Liebe Brüder und Schwestern, das sollen wir auch uns gesagt sein lassen – zur Mahnung, aber vor allem zum Trost. Unser Herr will uns lehren, unsere eigenen menschlichen Interessen zurückzustellen hinter das eine göttliche Interesse, dass wir seine Jünger sind und mit ihm ewig leben sollen. Wenn wir diese Priorität setzen, dann können wir manches Schwere aushalten – Angst, Armut, Krankheit, Unterdrückung und andere Not. Wir brauchen nicht immer auf Sieg zu spielen, wir sollten manchmal lieber stillehalten. Wir können es von unserm Meister lernen – gerade jetzt, in der Passionszeit, die am Mittwoch beginnt. Solches Stillehalten erfordert allerdings ein Stück Selbst-Verleugnung. Wir müssen dann nämlich einsehen: Viele Dinge, die wir aus menschlicher Sicht gern anders hätten, können wir nicht ändern. Und manche Dinge, die wir vielleicht ändern könnten, haben möglicherweise einen zu hohen Preis – für uns selbst oder auch für unsere Mitmenschen. Darum hat Jesus den Rat gegeben: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten. Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele?“
Liebe Brüder und Schwestern, wir können uns nicht selbst erlösen und wir können auch die Welt nicht retten. Das sind menschliche Hoffnungen, die zwar immer wieder aufkeimen und durch allerlei Propaganda genährt werden, die sich aber letztlich als eine Verführung Satans erweisen. Nur wer sich selbst demütig zurücknimmt und an den gekreuzigten Christus glaubt, der findet Leben die Fülle – das ewige Leben. „Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?“, fragte Jesus weiter. Nichts. Gar nichts. Wir stehen mit leeren Händen vor unserem Schöpfer, noch dazu mit von bösen Taten beschmutzten Händen! Aber Jesus hat unsere Seele ausgelöst, er hat’s am Kreuz getan. Und damit hat er das Entscheidende dafür getan, dass wir leben können – gut leben, ewig leben. So entspricht es dem Willen des Vaters im Himmel. Darum war der Weg ans Kreuz für Jesus ein heiliges Muss, vom Vater verordnet: „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“ Wer an diesen Jesus glaubt, wer ihm nachfolgt und sich zu ihm bekennt, den reißt er mit durch Leiden und Tod zur Fülle des Lebens. Ja, das ist der göttliche Weg zum Leben, der einzig wahre Weg, während die vielen Wege menschlicher Interessen, Hoffnungen und Gelüste – Sackgassen sind. Amen.
PREDIGTKASTEN |