Wie bewertet uns Gott?

Predigt über Matthäus 14,1-12 zum 5. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Sicher seid ihr schon mal gebeten worden, eine Dienst­leistung oder ein Produkt zu bewerten. Das geschieht meistens mithilfe einer fünfstufigen Bewertungs­skala nach dem Muster: sehr zufrieden – zufrieden – teilweise zufrieden – unzufrieden – sehr unzufrieden. Aber habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, wie andere Menschen euch bewerten würden? Oder auch: Wie Gott euch bewerten würde? Ich selbst frage mich manchmal: Wie findet Gott mich eigentlich; was denkt er von mir? Ist er einigermaßen zufrieden, oder ärgert er sich dauernd über mich? Ich gebe zu, dass ich mir da nicht sicher bin. Was kommt dabei heraus, wenn Gott mich bewertet – etwa auf der fünfstufigen Skala heilig – anständig – normal – unmoralisch – gemein?

Die Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium macht uns diese Skala am Beispiel ver­schiedener Menschen anschaulich: Johannes der Täufer war heilig, seine Jünger waren anständig, die Geburtstags­gäste des Herodes waren normal, der König selbst und die Tänzerin Salome waren unmoralisch, deren Mutter Herodias war aus­gesprochen gemein.

Der Evangelist Matthäus hat diese Geschichte in einer Art Rückblende erzählt. Johannes der Täufer ist schon eine Weile tot, da wird der galiläische König Herodes Antipas auf Jesus aufmerksam. Vertraute berichten ihm, dass dieser Rabbi aus Nazareth be­eindruckend predigt und Wunder­heilungen vornimmt, die niemand für möglich hält. Da meldet sich das schlechte Gewissen bei Herodes. Er befürchtet, dass Johannes der Täufer von den Toten auferstanden ist – eben jener Prophet, den er selbst auf dem Gewissen hat. Eigentlich wollte er ihn gar nicht hinrichten, aber leicht­sinniger­weise war er in eine Situation gekommen, in der ihm nichts anderes übrig geblieben war. Von dieser Sache hat Matthäus in seiner Rückblende berichtet.

Der Reihe nach!

Herodes verliebt sich Hals über Kopf in die Frau seines Halbbruders Philippus. Ihr Name ist Herodias. Er spannt sie seinem Bruder aus und macht sie zu seiner eigenen Frau. Seine erste Frau verstößt er. Es handelt sich um eine ganz normale Ehebruch­geschichte; heute würde sich kaum jemand darüber aufregen. Aber Gott regt sich darüber auf. Er hat ja ganz klar geboten: „Du sollst nicht ehebrechen“; Herodes weiß das. Kein Zweifel: Auf unserer Bewertungs­skala erhält Herodes das Prädikat unmoralisch. Mindestens. Nun handeln wir nicht wie Herodes, aber wie sieht es mit unseren Gedanken aus? Sind die nicht auch manchmal ehe­brecherisch?

Johannes der Täufer nennt den Ehebruch des Königs beim Namen. Gott hat Johannes ja zum Bußprediger berufen, darum deckt er allen Menschen ihre Sünden auf. Er will, dass sie umkehren. Sie sollen so leben, wie Gott es von ihnen erwartet. Johannes nimmt dabei keine Rücksicht auf Rang und Würde; auch mächtigen Männern hält er ihre Verfehlungen vor. Un­erschrocken führt er seinen Auftrag aus, auch wenn ihn das in Gefahr bringt. Auf unserer Bewertungs­skala erhält Johannes die Bestnote heilig. Jesus hat einmal von ihm gesagt, dass er der Größte ist. Wer von uns dürfte es wagen, sich mit Johannes zu vergleichen, und annehmen, dass auch er in Gottes Augen heilig lebt?

Herodes hätte Johannes am liebsten getötet und damit seinem ganzen Volk gezeigt: Solche Kritik lasse ich mir nicht gefallen; das ist Majestäts­beleidigung! Aber Herodes ist nicht nur unmoralisch, sondern auch feige. Er muss damit rechnen, dass dann ein Aufstand gegen ihn losbricht, denn Johannes ist äußerst beliebt. Das gibt es ja heute noch: dass Despoten bekannte Regimegegner milder behandeln als unbekannte, um nicht in Verruf zu geraten. So lässt Herodes Johannes nur in Ketten legen und ins Gefängnis werfen. Aber auch das ist unmoralisch: Er bestraft einen Un­schuldigen.

Und nun kommt der Geburtstag des Königs. Es wird ein rauschendes Fest, das zu einer Orgie mit Besäufnis ausartet. Eine besondere Attraktion ist der erotische Tanz der bildschönen Salome, der Tochter von Herodias aus erster Ehe. Herodes ist hingerissen. In seinem Rausch verspricht er der Tänzerin, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, und bekräftigt das vor all seinen vornehmen Geburtstags­gästen mit einem Eid. Salome berät sich mit ihrer Mutter. Die rast vor Wut wegen der Kritik Johannes des Täufers und will sich an ihm rächen. So stiftet sie ihre Tochter dazu an, den Kopf des Propheten zu fordern. Sie erweist sich damit nicht nur als unmoralisch, sondern auch als wider­spenstig gegenüber Gottes Mahnung und als aus­gesprochen gemein. Herodias belegt deswegen den untersten Platz auf unserer Bewertungs­skala. So gemein sind wir natürlich nicht. Jedenfalls wollen wir es nicht sein. Aber was geht in uns vor, wenn wir uns ganz schrecklich über jemanden geärgert haben? Wenn uns jemand sehr enttäuscht hat, oder wenn er uns sehr weh getan hat? Spüren wir dann nicht auch diesen bösen Impuls in uns, es ihm heim­zuzahlen?

Wenn Salome ein halbwegs anständiger Mensch wäre, dann müsste sie sich weigern, bei der Intrige ihrer Mutter mitzumachen. Es wird ihr bekannt sein, dass Johannes kein Schwer­verbrecher ist. Und sie sollte auch wissen, dass Kinder ihren Eltern nicht gehorchen dürfen, wenn die Eltern etwas Böses fordern. Salome sollte sich lieber ein schönes Kleid wünschen oder teuren Schmuck oder einfach Gold. Aber nein, sie fordert, was ihre Mutter will: den Kopf Johannes des Täufers. So wird sie mitschuldig am Tod des großen Propheten. Damit handelt auch sie unmoralisch, ebenso wie Herodes. Sie tut es aus Feigheit und aus falschem Gehorsam – genauso wie unzählige andere Menschen in Geschichte und Gegenwart, die sich widerstands­los zum Bösen anstiften lassen. Sind wir immun gegen diese Versuchung?

Als Salome vor den König tritt und ihren Wunsch äußert, bleiben die Geburtstags­gäste still. Keiner dieser vornehmen Herren sagt zu Herodes: Das geht zu weit – du kannst doch nicht aus einer Feierlaune heraus einen Unschuldigen umbringen. Und keiner sagt: Wir überhören deinen Eid – du konntest ja nicht ahnen, wie sehr deine Groß­zügigkeit ausgenutzt wird. Nein, sie bleiben ruhig sitzen und lassen den Dingen ihren Lauf. Sie verhalten sich normal; sie bleiben neutral und landen damit in der Mitte unserer Bewertungs­skala. Wenn ich dabei gewesen wäre, dann hätte ich mich vielleicht ebenso verhalten. Leider.

Das Unheil nimmt seinen Lauf. Herodes ordnet die Hinrichtung an. Johannes wird im Gefängnis einen Kopf kürzer gemacht und dieser der Salome auf einer Schüssel übergeben. Die bringt ihn schleunigst ihrer Mutter. Was weiter aus dem Kopf wird, ist nicht bekannt. Aber der Rest der Leiche kann von den Jüngern des Johannes würdig bestattet werden. Sie tun das als letzten Liebesdienst für ihren verehrten Meister. Das ist anständig von ihnen, und so re­präsentieren die Johannes­jünger den zweiten Platz auf unserer fünfstufigen Bewertungs­skala heilig – anständig – normal – unmoralisch – gemein. Für so anständig halten wir uns auch selbst. Meistens jedenfalls. Aber ob uns auch Gott so bewertet?

Nach der Beerdigung gehen die Johannes­jünger zu Jesus und erzählen ihm alles. Jesus – das ist der Mann, der bald darauf durch seine Predigten über Gottes Liebe bekannt wird und durch seine Heilungs­wunder. Das ist der Mann, den Herodes deswegen für den auf­erstandenen Johannes hält. Das ist der Mann, den Herodes gern einmal persönlich kennenlernen will, um Augenzeuge eines Wunders zu werden. Das ist der Mann, der dem Herodes schließlich als Gefangener vorgeführt wird – am Karfreitag, am Tag seiner Hinrichtung. Das ist der Mann, der am Kreuz stirbt und damit die Sündenschuld aller Menschen auf sich nimmt – ganz gleich, wie klein oder groß diese Schuld des Einzelnen ist. Das ist der Mann, der am dritten Tag aufersteht von den Toten und all denen das ewige Leben schenkt, die an ihn glauben.

Ja, Jesus ist gekommen, um alle zu retten: die gemeine Herodias, ihre unmoralische Tochter Salome, den un­moralischen König Herodes, seine ganz normalen Geburtstags­gäste, die anständigen Jünger des Johannes und auch den überaus heiligen Täufer. Denn ganz egal wie gut oder schlecht jemand auf unserer Bewertungs­skala abschneidet: Sie alle haben Christi Erlösung nötig, und sie alle können Vergebung empfangen durch den Glauben an den Heiland.

Weil das so ist, brauchen wir uns nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, wo denn unser Platz auf dieser Bewertungs­skala ist. Wenn wir uns im Licht von Gottes Gesetz beurteilen, dann werden wir freilich zugeben müssen, dass wir eher am unteren Ende zu finden sind. Immer wieder müssen wir bekennen: „Ich armer, elender, sündiger Mensch…“ Aber wenn wir uns ins Licht des Evangeliums stellen und der Erlösung, die Jesus uns gebracht hat, dann dürfen wir die fröhliche Gewissheit haben, dass wir ganz oben stehen: Nun sind wir in Gottes Augen völlig rein und heilig, nämlich rein­gewaschen durch das Blut unsers Heilands und durch das Wasser unsrer Taufe. Ja, so kann auch der gemeinste Sünder zum größten Heiligen werden – durch den Glauben an Jesus. Wir brauchen nun nicht mehr bange zu fragen, wie Gott uns bewertet, denn durch Jesus haben wir die Gewissheit: Er hat uns lieb in Zeit und Ewigkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum