Menschen liegen Gott am Herzen

Predigt über Jona 4 zum 3. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Der dringend nötige Neubau einer Grundschule verzögert sich, weil Fledermäuse auf dem Bau­grundstück leben. Eine instand­gesetzte Brücke wird nicht eröffnet, weil daneben eine Eule nistet. Auch Biber und Bäume bekommen manchmal Vorrang vor den Menschen, aber die Biber ihrerseits dürfen ohne Fäll­genehmigung so viele Bäume abholzen, wie sie wollen. Gewiss ist es löblich und sinnvoll, Gottes wunderbare Schöpfung vor menschlicher Zerstörung zu bewahren. Aber ich habe den Eindruck, dass man beim Naturschutz manchmal zu weit geht und sich mehr um Pflanzen oder Tiere sorgt als um die Bedürfnisse der Menschen.

Aus der Bibel lernen wir, dass bei Gott der Mensch den Vorrang hat. Wir Menschen liegen Gott mehr am Herzen als Pflanzen und Tiere. Jesus befreite einmal einen Besessenen von bösen Geistern, indem er diese in eine Schweinherde fahren ließ; dabei kamen Tausende von Tieren um. Ein anderes Mal wies er darauf hin, dass dem himmlischen Vater ein Menschen viel wertvoller ist als ein Spatz. Und aus dem Schluss­kapitel des Buches Jona haben wir gerade gehört, dass Gott eine riesige Staude nur deswegen vertrocknen ließ, weil er seinem wider­spenstigen Propheten Jona eine Lektion erteilen wollte.

Ja, wir Menschen liegen Gott ganz besonders am Herzen. Darum tut es dem Herrn weh, wenn Menschen vor ihm weglaufen und verloren gehen. Gott gibt sich damit nicht zufrieden, sondern sucht das Verlorene. Das hat auch Jesus in seinen Erdentagen deutlich gemacht. Er hat gesagt: „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“ (Lukas 19,10); so steht es im Wochenspruch der vor uns liegenden Woche. Aber auch schon im Alten Testament wird deutlich, dass Gott das Verlorene sucht. Die Botschaft der Propheten ist ein ernstes Werben um das abtrünnige Volk Israel, damit es sich von den falschen Göttern seiner Zeit abwendet und mit neuer Treue dem Herrn unterordnet. Aber auch die sogenannten Heiden­völker, die Nicht-Israeliten, lagen Gott schon damals am Herzen.

Damit sind wir bei der Mission des Propheten Jona. Sein Auftrag: Er sollte der assyrischen Hauptstadt Ninive Gottes Gericht androhen und sie damit zur Umkehr bewegen. Jona sträubte sich zunächst und lief weg, aber dann merkte er, dass er sich dem göttlichen Auftrag nicht enziehen konnte. So ging er in die riesige Metropole Ninive und hielt an vielen Plätzen seine Bußpredigt. Erstaun­licherweise war sie erfolgreich: Der König von Ninive und alle Bürger hörten auf Jona, bereuten ihre Sünden und besserten sich. Jona ärgerte sich darüber, dass Gottes angedrohte Strafe ausblieb, aber Gott versuchte ihm klar zu machen, dass ihm diese vielen Menschen Herzen liegen. Er fragte Jona schließlich: „Sollte mich nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundert­zwanzig­tausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?“ Wir merken: Auch an die Tiere denkt Gott und erbarmt sich über sie; aber die Menschen kommen zuerst, die sind ihm am wichtigsten.

Gott sucht die vielen Menschen – Städte, Gesellschafts­gruppen, ganze Völker. Er tut es noch heute. Deswegen hat die Kirche einen öffentlichen Auftrag. Sie muss den Menschen ihres Umfelds ins Gewissen reden, wenn diese von Gottes Wegen abgewichen sind. Der christliche Glaube ist also keine Privatsache, die einzelne Menschen, wenn sie das wollen, in ihrem Herzen und in ihren frommen Zirkeln pflegen sollen. Gott hat seinem Sohn alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben, darum sollen auch alle Völker der Erde sein Wort hören. Wenn die Kirche diese Mission ernst nimmt, dann genügt es nicht, unserer Gesellschaft ihre Sünden vorzuhalten und zum Beispiel zu sagen: Es ist Unrecht, wenn ihr ungeborene Kinder tötet, Gottes Ordnungen für Ehe und Familie aushebelt und den Feiertag nicht mehr richtig heiligt. Wir müssen den Menschen auch sagen, was allein sie aus ihrer Verlorenheit retten kann: Jesus nämlich, wenn sie an ihn glauben. Wie gesagt: Gott liegen die vielen Millionen unerlöster Menschen in unserm Land und in der ganzen Welt am Herzen, und sie sollten auch uns am Herzen liegen.

Aber Gott liegen nicht nur Millionen am Herzen, sondern auch jede Einzel­person. Gott sucht nicht nur die Vielen, sondern auch den Einzelnen. Diese Botschaft finden wir ebenfalls im Buch des Propheten Jona, und zwar besonders im letzten Kapitel. Wie Gott sich um die große Stadt Ninive gesorgt und gemüht hat, so sorgt und müht er sich auch um diesen einen kleinen Menschen Jona, seinen wider­spenstigen Boten. Es beginnt bereits damit, dass Gott sich ausgerechnet diesen Mann zum Propheten erwählt hat. Wenn der Herr ein Personalchef wäre, dann müsste man sagen, dass er bei der Auswahl dieses Mitarbeiters kein besonders gutes Händchen gehabt hatte. Aber der Herr ist kein Personal­chef, sondern der eine wahre Gott, dessen Wege un­ausforsch­lich sind. Zu diesen un­ausforsch­lichen Wegen gehört es, dass er oft Menschen in seinen Dienst ruft, die nach menschlichen Maßstäben eher ungeeignet sind für solche Aufgaben. Wir finden in der Bibel außer Jona noch weitere Beispiele dafür: Gott rief Mose, der nicht gut reden konnte. Gott rief Jeremia, der sich zu jung fühlte für das Prophete­namt. Und der auf­erstandene Christus rief seine zweifelnden Jünger, die sich aus Angst in ihrem Haus ver­barrikadiert hatten.

Aber zurück zu Jona. Der wollte zunächst auch kein Prediger sein. Gott schickte ihn nach Osten, nach Assyrien, aber er buchte eine Schiffsreise nach Westen, übers Mittelmeer nach Tarsis. Der Hauptteil des Jonabuchs handelt davon, wie das Schiff in Seenot geriet, wie man Jona als freiwilliges Menschen­opfer ins Meer warf, wie Gott ihn auf wundersame Weise durch einen riesigen Fisch rettete und wie Jona sich dann schließlich doch auf den Weg nach Ninive machte. Seine Predigt hatte, wie gesagt, Erfolg: Die von Gott gesetzte Vierzig-Tage-Frist verstrich, und das angekündigte Strafgericht blieb aus. Jona hatte sich an den Berghängen östlich der Stadt eine Hütte aus Zweigen gebaut; von dort aus konnte er gut beobachten, was mit der Stadt geschah. Als nun Gewitter und Tornados und Erdbeben und andere mögliche Gottes­strafen ausblieben, war Jona zutiefst deprimiert. Er sagte vorwurfs­voll: „Ach Herr, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war, weshalb ich auch eilends nach Tarsis fliehen wollte; denn ich wusste, das du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. So nimm nun, Herr, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben.“ Auf den ersten Blick ähnelt dieses Gebet und diese Situation dem Propheten Elia, als er sich nach seinem Propheten­dienst erschöpft unter einen Baum setzte und den Tod herbei­wünschte. Aber beim näheren Hinsehen war Elia aus einem anderen Grund lebensmüde, genau genommen aus einem gegen­teiligen Grund: Elia musste erleben, dass sein Predigen und seine ganze Propheten­mühe vergeblich gewesen war; die Führungs­personen in Israel hatten sich nicht zu Gott dem Herrn bekehrt und trachteten Elia noch immer nach dem Leben. Elia war also im Einklang mit Gott traurig, dem die verlorenen Menschen am Herzen liegen, aber Jona war im Gegensatz zu Gott traurig, weil der mit seiner barmherzigen Liebe die umkehr­bereiten Bewohner von Ninive verschont hatte.

Im weiteren Verlauf sehen wir, wie Gottes barmherzige Liebe auch an Jona selbst weiter arbeitete, seinem wider­spenstigen Mitarbeiter, der ihm ebenfalls am Herzen lag. Gott tat es wie ein kluger Lehrer, der es versteht, seine Schüler durch geschicktes Fragen auf die richtige Spur zu bringen. So fragte er Jona zunächst nur: „Meinst du, dass du mit Recht zürnst?“ Auch am Ende des Jonabuches steht nur Gottes Frage im Raum: Sollten mich die Menschen nicht jammern, sollte ich kein Mitgefühl mit ihnen haben? Weiterhin schickte Gott als kluger Lehrer dem Jona ein Zeichen. Ein anschaulich selbst erlebtes Gleichnis ist ja mehr wert als tausend Worte. Jonas Campingplatz befand sich, wie gesagt, an einem Berghang östlich der Stadt; da brannte die Nachmittags­sonne besonders intensiv auf ihn herab und plagte ihn sehr. Gott erwies seine Güte an dem Propheten dadurch, dass er in kürzester Zeit eine Wunderstaude mit großen Blättern wachsen ließ; die spendete Jona Schatten. Jona freute sich sehr darüber, aber die Freude währte nicht lange. Gott ließ Ungeziefer kommen, das die Staude anknabberte, sodass sie ver­trocknete. Zu allem Überfluss wehte auch noch ein heißer Wind. Das machte Jona noch depri­mierter. Wieder schrie er zu Gott: „Ich möchte lieber tot sein als leben!“ Das ließ Gott Jona erkennen, dass Jona diese Staude am Herzen lag, weil sie angenehm und und wichtig für ihn war. So wichtig, machte Gott dem Propheten klar, sind dem Herrn alle Menschen. Und wir hören heraus: So wichtig ist ihm auch Jona selbst, der nun endlich Gottes Barmherzig­keit begreifen sollte.

Liebe Brüder und Schwestern, so geduldig und liebevoll geht Gott auch mit einem jeden von uns um. Wir alle sind ja gerufen, als Jünger des Herrn Jesus zu leben und als solche Zeugnis von ihm zu geben mit Wort und Tat. Es mögen uns tausend Gründe einfallen, warum wir das nicht können und weshalb wir dafür ungeeignet sind. Aber Gott lässt diese Ausflüchte nicht gelten. Denken wir daran: Es ist geradezu Gottes Eigenart, sich ungeeignete Mitarbeiter zu berufen. Auf diese Weise wird deutlich, dass es nicht menschliche Überredungs­kunst oder eine andere menschliche Eigeschaft ist, die andere zur Buße leitet und für den Glauben gewinnt, sondern dass allein Gottes Geist es tut – manchmal nicht wegen, sondern trotz unseres Verhaltens! Und er tut es auch aus dem Grund, um damit an uns selbst weiter­zuarbeiten, an jedem einzelnen von uns. Wie Jona sollen wir immer wieder Gottes barmherzige Liebe neu entdecken. Wenn das geschieht, dann lernen wir dabei selbst, barmherzig zu sein. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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