Jubel über Gottes Reden

Predigt über Psalm 19,1-11 zum Sonntag Jubilate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Gott ist nicht stumm, wie viele Menschen meinen. Gott redet – redet auf zweierlei Weise. Wer Augen und Ohren hat, kann sehen und hören, dass Gott redet und was Gott redet. Wir finden seine Botschaft sowohl im Buch der Natur als auch im Buch der Bücher, der Bibel. Im Buch der Natur redet Gott „ohne Sprache und ohne Worte“; im Buch der Bücher redet er mit Menschen­worten sowie auch durch das Fleisch gewordene Wort Jesus Christus. Im Buch der Natur redet Gott über seine Schöpfung; alle Kreatur kann darüber jubeln und soll ihm dafür danken. Im Buch der Bücher redet Gott über seine Neu­schöpfung, den neuen Bund, den neuen Himmel und die neue Erde; alle Erlösten können darüber jubeln und sollen ihm dafür danken.

Gott ist nicht stumm, sondern redet auf zweierlei Weise – davon handelt auch der Abschnitt aus dem 19. Psalm, den wir eben als Predigttext gehört haben. Der erste Teil ist ein Loblied auf Gottes natürliche Offenbarung in seinen Schöpfungs­werken, dargestellt am Beispiel der Sonne und des Tageslaufs. Der zweite Teil ist ein Loblied auf Gottes Wort-Offenbarung in der Bibel, die uns als Gesetz und Evangelium begegnet.

„Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk“, so beginnt der Psalm. Wer sich ein wenig mit Psalmsprache auskennt, der merkt: Das ist kunstvolle hebräische Dichtung; das ein Hymnus, ein Jubellied. In unserer Sprache dichtet man mit Rhythmus und Reim, aber damals dichtete man mit einem sogenannten Sinn-Reim, nämlich mit Paaren von Aussagen, die sich gegenseitig ergänzen. Der Himmel ist die Feste, also das Firmament; er verkündet und er erzählt; er ehrt damit Gott als Schöpfer und und würdigt auf diese Weise seiner Hände Werk.

Aber was erzählt uns der Himmel, was verkündigt uns das Firmament? Am deutlichsten verkündigt der Himmel, was im Schöpfungs­bericht ganz am Anfang steht: den Wechsel von Licht und Finsternis, den Wechsel von Tag und Nacht. „Ein Tag sagt’s dem andern, und eine Nacht tut’s kund der andern…“ Dieser Wechsel von hell und dunkel ist grundlegend für die gesamte Schöpfung, denn sie ist in vielerlei Hinsicht mit gegen­sätzlichen Zweiheiten geordnet: Meer und Land, männlich und weiblich, Nord und Süd, Plus und Minus.

Nun nimmt der Psalm ein ganz besonderes Geschöpf in den Blick: die Sonne – das „große Licht“, das den Tag regiert, im Gegensatz zum Mond, dem „kleinen Licht“, das die Nacht regiert (1. Mose 1,16). Morgens geht die Sonne auf, so wie ein stattlicher junger Mann, der aus seinem Schlafzelt tritt. Und dann läuft die Sonne strahlend und zielstrebig auf ihrer Bahn – so wie ein Bräutigam, der an diesem Tag seine Braut heimholen will. Das geschieht nach festen und klaren Natur­gesetzen; man kann seine Uhr danach stellen. Diese Naturgesetze verkündigen den, der sie in Kraft gesetzt hat. Sie sagen: Gott ist ein Gott der Ordnung; jedes Geschöpf muss sich dieser Ordnung unterordnen. Und sie sagen: Gott ist sehr freundlich und strahlt die ganze Welt mit seiner Sonne an. Jedes Kind versteht diese Botschaft, wenn es an einem strahlenden Frühlingstag hinaus in die Sonne stürmt. „Sie geht auf an einem Ende des Himmels und läuft um bis wieder an sein Ende, und nichts bleibt vor ihrer Glut verborgen.“ Die Sonne scheint auf der ganzen Welt; kein Fleck der Erd­oberfläche bleibt unbesonnt. Das hat Gott genial eingerichtet – wenn man bedenkt, dass die Welt eine Kugel ist. Denn eigentlich kann die Sonne eine Kugel immer nur zur Hälfte bescheinen; aber weil sie am Himmel eine Umlaufbahn hat, bescheint sie die ganz Kugelfläche.

Ein Kritiker könnte jetzt einwenden: Die Sonne läuft ja gar nicht um die Erde herum, wie die Menschen bis zum Ende des Mittelalters glaubten, sondern die Erde läuft um die Sonne herum. Wir wissen um den erbitterten Streit darüber zwischen Kopernikus und der mittel­alterlichen Kirche. Die Kirche vertrat das geo­zentrische Weltbild und sagte: Die Erde ist in der Mitte! Kopernikus dagegen vertrat das helio­zentrische Weltbild und sagte: Die Sonne ist in der Mitte! Heute wissen wir, dass beide Unrecht hatten – oder auch Recht, wie man es nimmt. Es gibt nämlich gar keinen Mittelpunkt des Kosmos, ebensowenig wie es einen Mittelpunkt der Erd­oberfläche gibt. Erde und Sonne und unzählige andere Himmels­körper schwirren wie Mücken im Weltall herum – nur eben nach klaren Regeln und gemäß einer festen Ordnung. Wer sich als Wissen­schaftler mit diesem Ordnungs­gefüge beschäftigt und dabei tiefer in die Gesetz­mäßigkeiten der Schöpfung eindringt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Aber auch die Wissen­schaftler können das alles nicht erklären, sie können nur bestimmte Regeln herausfinden und diese beschreiben. Wenn sie das tun, dann tun sie nichts anderes, als die wortlose Predigt des Himmels nach­zusprechen. Und darüber können wir dann den Schöpfer preisen, der das alles so wunderbar geordnet hat. Trotz aller natur­wissenschaft­lichen Erkenntnis sagen wir übrigens heute noch, dass die Sonne auf‑ und untergeht, und finden das überhaupt nicht falsch, denn auch auf so schlichte Weise kann man Gottes Naturgesetze beschreiben. Gottes Geschöpfe predigen so, dass alle es verstehen können, unabhängig von Alter, Weltbild und Stand der natur­wissenschaft­lichen Erkenntnis.

Nun kommen wir von der natürlichen Offenbarung zur Wort-Offenbarung, also vom ersten Teil des Psalms zu zweiten. Da wird der Hymnus noch feierlicher. Das zeigt sich schon an der Form, am aus­geweiteten Sinn-Reim: Es begegnen uns nun nicht nur einzelne Paare von Aussagen, sondern es begegnen uns gleich dreimal zwei parallele Aussagen: „Das Gesetz des Herrn: vollkommen ist es, und erquickt die Seele. Das Zeugnis des Herrn: gewiss ist es, und macht weise die Un­verständi­gen. Die Befehle des Herrn: recht sind sie, und erfreuen das Herz. Die Gebote des Herrn: lauter sind sie, und erleuchten die Augen. Das Ehrfurcht gebietende Wort des Herrn: rein ist es, und bleibt ewig. Die Rechts­ordnungen des Herrn: wahr sind sie, und schaffen gemeinsam Gerechtig­keit.“ Dreimal zwei Lobsprüche für Gottes Wort­offenbarung – ein sechsfaches Hoch dem Gotteswort! Und dann wird noch eins drauf­gesetzt, dann kommt noch etwas Siebtes: „Sie sind köstlicher als Gold und viel feines Gold, sie sind süßer als Honig und Honigseim.“ In sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde, ruhte am siebten Tag und heiligte ihn. Seitdem ist die Sieben die Zahl der Vollendung. So können wir auch diesen sieben­gliedrigen Paralle­lismus verstehen: In sechs Zeilen zeigt sich Gottes Wort auf sechs ver­schiedenen Arbeits­feldern, die siebte Zeile aber rühmt es als kostbar und wohl­schmeckend für den, der es annimmt.

Erstens: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und erquickt die Seele.“ Von Gottes Schöpfung heißt es: „Siehe, es war sehr gut“ (1. Mose 1,31), von Gottes Wort aber: Es ist vollkommen. Und es „erquickt“, es macht lebendig, es kann sogar ewiges Leben schenken.

Zweitens: „Das Zeugnis des Herrn ist gewiss und macht die Un­verständigen weise.“ Dieses Zeugnis ist Gottes Selbst­zeugnis: „Ich bin der Herr, dein Gott“; und: „Ich bin, der ich bin“. Daran schließen sich die Ich-bin-Worte unsers Herrn Jesus Christus an: Ich bin das Licht der Welt; ich bin der gute Hirte, ich bin die Auferstehung und das Leben; ich bin der Weinstock, die Tür, der Weg, die Wahrheit, das Leben, der Anfang und das Ende. Wahre Weisheit beginnt mit dem vertrauens­vollen Hören auf Gottes Wort und vollendet sich in der Erkenntnis: „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol. 2,3).

Drittens: „Die Befehle des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz.“ Damit sind nicht nur die Befehle in Gottes Gesetz gemeint, sondern vor allem auch die Evangeliums-Befehle, die in sich die Kraft tragen, Menschen zu erneuern: der Missions­befehl, der Ruf zur Umkehr, die Aufforderung „Tut solches zu meinem Gedächtnis“ und die Mahnung zum un­ermüdlichen Gebet. So erweisen sich Gottes Befehle als überaus hilfreich und erfreulich.

Viertens: „Die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen.“ Gottes ganzes Gesetz finden wir zusammen­gefasst in den Zehn Geboten; die Zehn Gebote aber finden wir zusammen­gefasst im Doppelgebot der Liebe: Du sollst Gott mehr als alles lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. So zielt die Summe von Gottes Geboten wie eine Pfeilspitze auf das Wesentliche in Gottes Wort, nämlich auf die Liebe. Die Gebote decken auf, wieviel Liebe wir Gott und unsern Nächsten schuldig geblieben sind, und sie treiben uns damit hin zur vergebenden Liebe des Herrn Jesus Christus.

Fünftens: „Die Furcht des Herrn ist rein und bleibt ewiglich.“ „Furcht“ meint hier das, was uns wahre Gottesfurcht lehrt, nämlich das Ehrfurcht gebietende göttliche Wort der Heiligen Schrift. Es gibt uns Kunde von Gottes großen Taten in der Schöpfung, in der Geschichte Israels und im Leben Jesu bis hin zu seiner Auferstehung von den Toten. So reinigt das Wort der Schrift unsere Herzen zu wahrer Gottesfurcht und schenkt uns ewiges Leben.

Sechstens: „Die Rechte des Herrn sind Wahrheit, allesamt gerecht.“ Gottes Wort­offenbarung zeigt, dass Gott Recht behält bis ans Ende – aber nicht auf Kosten unserer Seligkeit, die wir als Sünder vor dem gerechten Gott verloren haben. Nein, durch Christi Blut und Gerechtig­keit vergibt er uns und macht uns gerecht, sodass wir im letzten Gericht vor ihm bestehen können. Das ist die Haupt­botschaft in Gottes Wort, der Hauptartikel aller christlichen Lehre.

Und schließ­lichlich siebtens: „Sie sind köstlicher als Gold und viel feines Gold, sie sind süßer als Honig und Honigseim.“ Ja, das sind sie – die Worte, die Gott uns durch seinen Sohn Jesus Christus und in der Bibel offenbart hat. Darum danken wir ihm und jubeln ihm zu – nicht nur für die wortlose Predigt der Sonne und der anderen Geschöpfe, sondern vor allem für das vollkommene, glaubens­stärkende, hilfreiche, erhellende, reinigende, recht­fertigende und über die Maßen kostbare Wort. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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