Mit der Versuchung leben

Predigt über 4. Mose 20,2-13 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Vor 90 oder 100 Jahren führte ein Gauner namens Victor Lustig einen unerhört dreisten Betrug durch: Er verkaufte den Eiffelturm. Natürlich gehörte ihm der Eiffelturm gar nicht. Aber er tat so, als sei er ein fran­zösischer Regierungs­vertreter, und nahm in dieser Rolle Kontakt zu Pariser Schrott­händlern auf. Victor Lustig behauptete, der Eiffelturm solle abgerissen werden, und er sei ermächtigt, das Eisen zu verkaufen. Mit diesem Trick kassierte er nicht nur einen hohen Preis für das Eisen des Eiffelturms, sondern strich sogar noch ein ansehnliches Bestechungs­geld ein.

Man mag es glauben oder nicht, aber immer wieder versuchen Leute etwas zu verkaufen, das ihnen nicht gehört. Am dreistesten von allen allen trieb es Satan persönlich: Er wollte einmal Jesus die ganze Welt verkaufen. Wir haben es heute wieder in der Evangeliums­lesung gehört, als dritte Versuchung des Herrn. Da zeigte Satan Jesus alle Herrlichkeit der Welt und bot ihm an: „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest“ (Matth. 4,8). Die ganze Welt wollte er Jesus verkaufen – obwohl sie ihm gar nicht gehörte, denn Gott ist ja der Schöpfer und Eigentümer der Welt. Und wenn wir weiter darüber nachdenken, dann ist die Sache noch dreister: Satan wollte die Welt, die ihm nicht gehört, an den Sohn dessen verkaufen, dem sie gehört! In seinen Erdentagen hat sich Jesus ja erniedrigt und auf den Gebrauch seiner göttlichen Herrlichkeit verzichtet. Jesu Versuchung bestand also eigentlich darin, sich eigenmächtig die Ehre zurück­zunehmen, auf die er aus Liebe zum Vater und aus Liebe zu uns Menschen­kindern verzichtet hatte.

Liebe Brüder und Schwestern, das ist ein wesentlicher Gesichts­punkt der Versuchung: eine Sache an sich reißen, die einem nicht zusteht oder die einem gar nicht gehört. Mit dieser Versuchung müssen auch die Frömmsten leben – vor allem sie! Auch du und ich, wir kennen solche Ver­suchungen. Wenn uns etwas gut gelingt, weil wir dafür begabt sind, dann sind wir versucht, es uns als persönlichen Erfolg gut­zuschreiben – obwohl wir wissen, dass alle guten Gaben von Gott kommen und deswegen vor allem er zu rühmen ist. Oder wenn wir von dem kleinen oder großen Wohlstand, den Gott uns geschenkt hat, etwas abgeben, dann stellen sich leicht edle Wohltäter-Gefühle bei uns ein – so als hätten wir unseren Wohlstand allein unserer eigenen Tüchtigkeit zu­zuschreiben und nicht vor allem der Tatsache, dass Gott uns Gesundheit und Gelegenheit dafür gegeben hat und dass wir in einem Land leben, wo einem ein aus­kömmlicher Lebens­standard fast wie von selbst in den Schoß fällt. Oder wenn uns Gott zu seinem Werkzeug macht und wir einem notleidenden Menschen helfen können, und wenn der sich dann über­schwänglich bei uns bedankt – sind wir dann nicht versucht, diesen Dank auf unser eigenes Konto gut­zuschreiben, anstatt ihn an Gott weiter­zuüber­weisen?

Ja, gerade die Frommen sind versucht, sich einer Sache zu rühmen, die ihnen eigentlich gar nicht gehört. So war das auch damals bei Mose und Aaron. Die Israeliten hatten schon eine Weile in der Wüste zugebracht, und wieder einmal litten sie unter Wasser­mangel. Auch das ist eine Versuchung, die alle frommen und unfrommen Menschen irgendwann einmal durchstehen müssen: Es fehlt an irgendetwas Lebens­wichtigem – an Geld, an Gesundheit, an Lebens­mitteln oder auch an sauberem Trinkwasser. Es ist müßig darüber zu grübeln, woher denn Versuchungen eigentlich kommen und wie viel oder wie wenig sie mit Gott zu tun haben; sie gehören einfach zu den un­vermeid­lichen Tatsachen des Lebens dazu. Darum musste auch Jesus versucht werden; sonst wäre er kein richtiger Mensch gewesen.

Mose war damals sozusagen der Bundes­kanzler für die Israeliten, und sein Bruder Aaron war Regierungs­sprecher. Auf beide waren die Israeliten sauer. Schon damals lebten nämlich viele Leute mit dem ebenso einfachen wie falschen Vorurteil: Wenn irgendetwas nicht klappt, ist immer die Regierung schuld. Die Israeliten haderten angesichts des Wasser­mangels mit ihren beiden Anführern und versammelten sich zu einer Protest-Demon­stration. Vielleicht brüllten sie in Sprech­chören: „Mose muss weg!“ Und vielleicht hielten sie Transparente hoch, auf denen abgebildet war, was ihnen auf dieser elenden Wüsten­wanderung alles fehlte: Feigen, Weintrauben, Granatäpfel und eben frisches Trinkwasser. Ja, auch das ist eine Versuchung: Unerfüllbare Forderungen stellen und seinen Ärger an Leuten auslassen, die sich viel Mühe geben, aber in ihren Möglich­keiten ein­geschränkt sind.

Mose und Aaron taten zunächst genau das Richtige: Sie beteten. Wer nicht weiter weiß, der sollte um Hilfe bitten; und wenn kein Mensch diese Hilfe geben kann, dann muss sie von Gott erbeten werden. Gott ließ sich nicht lange bitten: Er zeigt Mose und Aaron, wie sie mithilfe eines Wunders zu Wasser kommen konnten. Mit Moses legendärem Stab sollten sie gegen den Felsen schlagen, dann würde Gott diesen in eine Quelle verwandeln. Gott machte Mose und Aaron also erneut zu Werkzeugen seiner Herrlich­keit; er bezog sie ein in sein wunderbares Tun.

Aber dann kam die Versuchung der Frommen – die Versuchung nämlich, sich einer Sache zu rühmen, die einem eigentlich gar nicht gehört. Mose und Aaron erlagen dieser Versuchung. Sie riefen das Volk beim Felsen zusammen und sagten: „Werden wir euch wohl Wasser hervor­bringen können aus diesem Felsen?“ Nicht Gott, sondern „wir“ – das war eine schlimme Anmaßung! Der 106. Psalm hat dieses Ereignis aufgegriffen und kommentiert; da lesen wir, dass Mose „unbedachte Worte entfuhren“ (Psalm 106,33). Das Wasser sprudelte, aber die Sünde ließ sich nun nicht mehr rückgängig machen. Gott lässt sich nicht seine Ehre rauben, und darum verhängte er über Mose und Aaron eine gebührende Strafe. Er sagte zu ihnen: „Weil ihr nicht an mich geglaubt hat und mich nicht geheiligt habt vor den Israeliten, darum sollt ihr diese Gemeinde nicht ins Land bringen, das ich ihnen geben werde.“ Mose und Aaron sollten nicht mehr am Leben sein, wenn die Israeliten nach langer Wüsten­wanderung einst in das verheißene Land einziehen würden.

So ist es dann auch gekommen. Bald darauf starb Aaron. Mose lebte noch bis zum Ende der Wüsten­wanderung. Gott erlaubte ihm, von einem Berggipfel aus einen Blick ins verheißene Land zu werfen. Aber dann musste auch er sterben. Ja, so strafte Gott Mose dafür, dass er der Versuchung nachgegeben hatte. Aber es war eine milde, eine gnädige Strafe. Wer weiß, wieviel Leid und Ärger Gott dem Mose ersparte, indem er ihm noch vor der Jordan­überquerung die Führung aus der Hand nahm. Es war ja auch keineswegs so, dass Gott Mose und Aaron verworfen hätte. So begegnet uns Mose im Neuen Testament wieder, auch diesmal auf einem Berg: Da erlebten die Jünger, wie Jesus mit Mose und Elia redete. Und auch wir werden Mose dermaleinst in alter Frische wiedersehen auf dem neuen Berg Zion, im himmlischen Jerusalem. Nein, Gott hatte Mose nicht verworfen, so wie er niemanden verwirft, der seine Sünde bereut und um Gnade bittet. Bereits Mose und Aaron und alle anderen gläubigen Israeliten der damaligen Zeit empfingen Vergebung der Sünden durch Jesus Christus, der ihnen als Erlöser verheißen war und der bereits unsichtbar unter ihnen weilte. Denn Gott tränkte die Israeliten auf der Wüsten­wanderung nicht nur mit natürlichem Wasser aus einem natürlichen Felsen, sondern auch mit Wasser des Lebens aus dem geistlichen Felsen Christus, mit Gottes lebens­spendendem Ver­heißungswort nämlich. So hat es der Apostel Paulus später den Korinthern geschrieben: „Sie haben alle denselben geistlichen Trank getrunken; sie tranken nämlich von dem geistichen Felsen, der ihnen folgte; der Fels aber war Christus“ (1. Kor. 10,4).

Liebe Brüder und Schwestern, wenn ich predige und wenn ich das Heilige Abendmahl austeile, so mache ich dasselbe wie Mose und Aaron: Auf Gottes Befehl hin schlage ich an den Felsen Christus, und Gott lässst euch das herrliche Wasser des Evangeliums heraus­sprudeln. Wehe mir, wenn ich mir darauf etwas einbilden wollte! Wehe mir, wenn ich mich einer Sache rühmen wollte, die mir gar nicht gehört! Genau das sind die Versuchungen eines Pastors und Predigers. Gott helfe mir, dieser Versuchung zu widerstehen und nichts anderes sein zu wollen als Gottes Werkzeug. Wenn wir aber doch der einen oder anderen Versuchung erliegen sollten und Gottes Ruhm mit unserem eigenen Ruhm vermischen, dann möge Gott das, wie im Falle des Mose, nicht allzu hart strafen und uns in seiner Gnade bewahren für das ewige Leben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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