Der eine wahre Halt des Glaubens

Predigt über Galater 1,6-10 zum Sonntag Sexagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die meisten Menschen suchen sich einen Halt im Leben, eine stabile Grundlage für ihr Denken und Handeln. Viele greifen dabei auf bekannte Grundsätze zurück. Einer beliebter Grundsatz lautet: Hauptsache gesund! Die Fitness‑ und Bioprodukte-Industrie verdient dabei nicht schlecht. Ein anderer Grundsatz heißt: Man muss an sich selbst glauben! Vor allem ehrgeizige Leute leben nach diesem Grundsatz – Leute, die in Sport oder Wirtschaft die Besten sein wollen. Und dann gibt es auch noch einen Grundsatz, der zwar nicht oft aus­gesprochen wird, dafür aber weit verbreitet ist. Er lautet: Man muss sich anpassen! Die meisten Menschen wollen nämlich keine Außenseiter sein, weder in ihrem Aussehen noch in ihrem Verhalten noch in ihren Ansichten, darum passen sie sich – meist gedankenlos – der Mehrheit an beziehungs­weise der Gemein­schaft, in der sie beheimatet sind.

Ich gestehe, dass mich solche Grundsätze aufregen. Es sind nämlich trügerische Grundsätze; sie geben nur scheinbar einen Halt. Wenn mir kranke oder behinderte Menschen begegnen, die trotz ihrer Ein­schränkung ein glückliches und erfülltes Leben führen, dann erlebe ich, dass Gesundsein eben nicht die Hauptsache ist. Abgesehen davon wird der Mensch in seiner zweiten Lebenshälfte unweigerlich immer reparatur­bedürftiger, egal wie gesund er bis dahin gelebt hat. Wer dann seine Gesundheit für die Hauptsache hält, wird schmerzlich erleben müssen, dass ihm immer mehr von seiner Hauptsache fehlt. Oder wie arm dran ist der Sportler, der Künstler oder der Geschäfts­mann, der an sich selbst glaubt! Wenn er auch nur ein Fünkchen Selbstkritik besitzt, muss er einsehen, dass sein Glaube auf ziemlich unsicheren Füßen steht. Kein Sportler kann ständig gewinnen; irgendwann lässt seine Leistungs­fähigkeit auch nach. Wenn jemand an sich selbst glaubt, dann ist das so, wie wenn jemand sich an sich selbst festhalten will, um nicht zu stürzen.

Wer bei solchen und anderen trügerischen Grundsätzen Halt sucht, gleicht einem Weihnachts­baum. Ein Weihnachts­baum hat keine Wurzeln; man muss ihn in einem Ständer fest­schrauben, damit er nicht umfällt. Diese künstliche Grundlage ist jedoch eine wackelige Angelegen­heit: Wenn jemand gegen den Weihnachts­baum fällt oder wenn ein starker Windstoß kommt, dann fällt der Baum trotz Ständer um. Wieviel besser hat es da ein Baum im Wald mit seiner natürlichen Grundlage, den Wurzeln. Der kippt so schnell nicht um, der kann sogar einen ziemlich starken Sturm aushalten. Darum regt es mich auf, wenn Menschen bei ihren eigenen künstlichen Grundsätzen Halt suchen und nicht bei der einen natürlichen Grundlage, die dauerhaft stabil bleibt: bei Gottes Wort nämlich.

Mit dieser Aufregung befinde ich mich in guter Gesell­schaft. Als der Apostel Paulus den Galaterbrief schrieb, hat er sich aus demselben Grund aufgeregt. Diese Aufregung kann man seinen Sätzen jetzt noch, zweitausend Jahre später, abspüren. Erst hat Paulus versucht, sich noch etwas zu bremsen, und schreibt bloß: „Mich wundert, dass ihr euch so bald abwenden lasst von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, zu einem anderen Evan­gelium…“, aber dann wird er deutlicher: „Wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der sei verflucht.“

Was meint Paulus mit einem „anderen Evangelium“? Er meint damit einen Weihnachts­baumständer als Glaubens­halt. Das echte Evangelium gleicht den natürlichen Wurzeln eines gesunden Baumes. Paulus hatte dieses echte Evangelium den Christen in Galatien mit viel Liebe und Geduld gepredigt. Dann war er abgereist, um auch an anderen Orten Mission zu treiben. Bald darauf kam ihm zu Ohren, dass einige Prediger die Galater mit einem anderen Evangelium verwirrten und sie dazu verführten, das echte Evangelium zu verlassen. Der Zorn des Paulus ist verständ­lich: Da hatte er mühevoll geistliche Bäume gepflanzt und freute sich, wie gut sie eingewurzelt waren, aber nun kamen Leute, die hackten diese Bäume ab, steckten sie in Christbaum­ständer und behaupteten, erst die gäben ihnen den rechten Halt.

Was waren das für Leute? Man nennt sie „Judaisten“. Sie vertraten den Standpunkt, ein Mensch müsse erst Jude werden und jüdische Satzungen befolgen, ehe er das Heil in Jesus Christus erlangen könne. Da meinten die Galater, sie müssten sich diesen Predigern anpassen, und begannen, nach diesen Satzungen zu leben. Im weiteren Verlauf des Galater­briefs verdeutlicht Paulus ihnen: Damit macht ihr die Gnade Gottes kaputt, die das echte Evangelium bezeugt. Denn wenn eine bestimmte Lebensweise die Voraus­setzung fürs Seligwerden wäre, dann hinge die Seligkeit nicht mehr am Glauben allein, sondern sie hinge letztlich von Gesetzes­werken ab. Das ist ein völlig anderes Evangelium als das Evangelium von Jesus Christus, das uns die Heilige Schrift bezeugt.

Nicht nur damals bei den Galatern, sondern immer wieder bestand die Gefahr, dass die Wurzel durch einen Weihnachts­baumständer ersetzt wird und das echte Evangelium durch ein falsches. Im Mittelalter wollten diejenigen, die in der Kirche das Sagen hatten, die Gläubigen zum Gehorsam gegenüber ihren selbst­gemachten Kirchen­gesetzen ver­pflichten. Viele Christen passten sich an, glaubten ihnen und verloren so den Halt des Glaubens. Martin Luther hat sich darüber ähnlich aufgeregt wie Paulus über die Judaisten und hat dafür gekämpft, dass wieder das echte Evangelium verkündigt wird. Im weiteren Verlauf der Kirchen­geschichte brachten allerlei Sekten Sonderlehren auf und ver­pflichteten ihre Anhänger zum bedingungs­losen Gehorsam. Auch diesen verführe­rischen Predigern und ihren anderen Evangelien haben sich Leute angepasst und damit den wahren Halt des Glauben verloren. Auch heute noch werden viele andere Evangelien verkündigt – vielleicht sogar mehr denn je. Sogar Theologen und Prediger, die das Etikett „evan­gelisch“ tragen, halten sich nicht immer an das echte Evangelium. Am schlimmsten ist es, wenn sie den Sühnetod unsers Herrn Jesus Christus verleugnen. Manche vertreten nämlich den Standpunkt, dieses stell­vertretende Opfer für die Sündenschuld aller Menschen sei überflüssig, Gott wäre gar nicht so. Und natürlich gibt es auch immer noch welche, die das Christsein vom Verhalten des Menschen abhängig machen wollen. Da will man festlegen, was ein Mensch tun, meinen oder wählen muss, um ein Christ zu sein. Und die Menschen lassen sich in großen Scharen verführen, glauben den anderen Evangelien, passen sich dem jeweiligen Trend der Zeit an und wundern sich dann, wenn ihr Glaube haltlos wird.

Liebe Brüder und Schwestern, lasst ihr euch nicht zu einem anderen Evangelium verführen! Und lasst euch nicht von verführe­rischen Predigern be­eindrucken, auch wenn das, was sie sagen, noch so fromm oder vernünftig klingt! Wahren Halt kann nur das echte Evangelium von Jesus Christus geben, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt ist. Da mag sich jemand Prediger oder Papst oder Apostel nennen, da mag sogar im Traum ein Engel erscheinen und eine Botschaft bringen – wenn es nicht mit dem biblischen Evangelium in Einklang steht, so glaubt es nicht! Paulus schreibt: „Auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht.“ Wir sehen: Es geht hier um mehr als um das formale Bekenntnis zur Bibel als Gottes Wort. Viele Sekten berufen sich ja formal auf die Bibel, klauben sich aber aus ihr allerlei Merkwürdiges heraus und basteln damit ihre eigene Welt­anschauung zusammen. Martin Luther war es, der deutlich machte: Es ist nicht nur wichtig, dass wir die Bibel formal als Gottes Wort anerkennen, sondern auch inhaltlich! Das bedeutet: Wir müssen die Bibel von ihrer zentralen Lehre her verstehen, die sie auch selbst als zentrale Lehre bezeugt, nämlich vom echten Evangelium her, von Jesus Christus. „Was Christum treibet“, so formulierte es Luther, das ist die echte Evangeliums­lehre. Nur im Licht des Sünden­heilands Jesus Christus können wir die Heilige Schrift recht verstehen; nur so finden wir einen guten Halt für unsern Glauben; nur so haben wir Wurzeln für alle Stürme des Lebens – und Sterbens! Alles andere sind Weihnachts­baumständer, die im Ernstfall keinen Halt geben.

Paulus wusste, was er als Apostel, Missionar und Prediger seinem Herrn schuldig ist. Er wusste auch, dass viele Menschen ein anderes Evangelium lieber hören als das anstößige Wort vom Kreuz. Darum schreibt er: „Predige ich denn jetzt Menschen oder Gott zuliebe? Oder suche ich Menschen gefällig zu sein? Wenn ich noch Menschen gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht.“ Paulus fühlte sich ver­pflichtet, kein anderes als das echte Evangelium zu verkündigen. Jeder christliche Prediger sollte sich dazu verpflichtet fühlen. Und jeder Christ sollte Gottes Liebe nicht anders bezeugen als mit diesem Evangelium. Erteilen wir also jedem anderen Evangelium und jeder anderen Krücke als Lebens­grundlage eine Absage. Das echte Evangelium sagt: Du brauchst dir keinen eigenen Halt zu suchen, denn Jesus hat dich längst gefunden, hält dich in allen Stürmen fest und bewahrt dich zum ewigen Leben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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