Was man für seine Seligkeit tun kann

Predigt über Philipper 2,12-13 zum Sonntag Septuagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Kann der Mensch etwas für seine Seligkeit tun? Manche Lutheraner sagen: Nein. In vielen Predigten haben sie gehört, dass sich niemand die Seligkeit verdienen kann oder zu verdienen braucht. Sie kennen den Satz auswendig, den der Apostel Paulus den Römern geschrieben hat und der zum Kernspruch der lutherischen Reformation geworden ist: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Römer 3,28). Und wer sich theologisch intensiver mit diesem Thema beschäftigt hat, der weiß, worum es in Luthers Schrift „Vom unfreien Willen“ geht: Da hat Martin Luther im Gelehrten­streit mit dem großen Humanisten Erasmus von Rotterdam ausführlich seine Lehrmeinung begründet, dass kein Mensch sich aus eigenem freien Willen für Gott entscheiden und selig werden kann. Nein, sagen darum viele Lutheraner, der Mensch kann nichts für seine Seligkeit tun.

Erstaunlicher­weise lesen wir nun aber im Brief des Paulus an die Philipper die Auf­forderung: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.“ Offen­sichtlich beantwortet der Apostel die Frage hier anders: Ja, der Mensch kann etwas für seine Seligkeit tun. Er soll sogar etwas für seine Seligkeit tun, mit ganzem Ernst und Eifer, mit „Furcht und Zittern.“ Es wäre zutiefst unlutherisch und un­christlich, wenn wir dieses Wort Heiliger Schrift einfach ausblenden würden. Und wenn wir es recht überlegen, dann wird uns tatsächlich eine ganze Menge einfallen, was man für seine Seligkeit tun kann. Das sollten wir dann auch wirklich tun – mit ganzem Ernst und Eifer, mit „Furcht und Zittern“.

Wir können und sollen zum Beispiel dafür beten, dass wir selig werden. Durch die ganze Bibel zieht sich wie ein roter Faden die Mahnung, dass wir beim Beten nicht müde und nachlässig werden, sondern beharrlich dranbleiben sollen. Im Neuen Testament wird gleich mehrfach auf das Wort des Propheten Joel hingewiesen: „Wer des Herrn Namen anrufen wird, der soll errettet werden“ (Joel 3,5).

Wir können und sollen auch aus der lebendigen Quelle von Gottes Wort trinken. Wir sollen es hören, lesen, lernen und in Gestalt der ver­schiedenen Gnadenmittel annehmen. Besonders zum Heiligen Abendmahl hat der Herr uns ans Herz gelegt: „Nehmt! Esst! Trinkt! Tut solches!“

Wir können und sollen Gemeinschaft mit anderen Christen pflegen. Es entspricht guter christlicher Tradition, dass der Kontakt mit Gottes Wort nicht in erster Linie in der persönlichen Stillen Zeit geschieht, sondern im Gottes­dienst, also in der Gemeinschaft der versammelten Gemeinde. Und was das Heilige Abendmahl anbetrifft, so ist es von vornherein als „Kommunion“ angelegt, also als gemeinsames Anteilhaben an Christi Leib und Blut. Der Hebräerbrief mahnt: „Lasst uns nicht verlassen unsre Ver­sammlungen, wie einige zu tun pflegen“ (Hebr. 10,25).

Wir können und sollen Rat und Hilfe bei reifen und vorbild­lichen Christen suchen. Das gilt besonders in Krisen­zeiten, wenn der Glaube stark angefochten ist. Nicht zuletzt deshalb gibt es Seelsorger. Sie sind bezüglich ent­sprechender Gespräche und besonders bezüglich der Einzel­beichte zu absoluter Verschwiegen­heit ver­pflichtet. Schon König Salomo hat in manchen seiner Sprüche zum Ausdruck gebracht, dass nur ein Narr meinen kann, keinen Rat von anderen nötig zu haben.

Wir können und sollen außerdem noch manches andere tun: um Fürbitte bitten, eine kritische Distanz zu allem gottlosen Wesen wahren, uns selbst nicht zu wichtig nehmen, uns keine Illusionen über die menschliche Fähigkeit zur Selbst­erlösung machen und Ähnliches.

Wir sehen also: Der Mensch kann tatsächlich eine ganze Menge für seine Seligkeit tun. Das Christsein ist kein Schnupfen, der einfach ohne sein Zutun über jemanden kommt. Ebenso ist auch der Unglaube kein Schnupfen, den jemand einfach so tatenlos hinnehmen muss, und erst recht ist er keine un­heilbare Erb­krankheit.

Aber was ist nun mit Luthers Schrift vom unfreien Willen? Immerhin hat Luther dieses gelehrte Werk seine wichtigste Schrift genannt. Das will schon was heißen bei den mehreren tausend Werken, die auf ihn zurückgehen. Und was ist mit der unter vielen Lutheranern verbreiteten Meinung, der Mensch könne selbst nichts für seine Seligkeit tun?

Die zweite Hälfte des Predigt­textes beantwortet diese Frage. Da heißt es: „Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohl­gefallen.“ Das hört sich zunächst so an, als behaupte Paulus hier das Gegenteil von dem, was er in der ersten Hälfte geschrieben hat. So ist es aber nicht; Paulus ist nicht in sich gespalten. Paulus hat auch nicht geschrieben: „Aber Gott ist’s, der in euch wirkt…“, sondern: „Denn Gott ist’s, der in euch wirkt…“ Wir erkennen daran: Die zweite Hälfte steht nicht im Gegensatz zur ersten, sondern sie begründet diese aus­drücklich! Beim näheren Hinsehen leuchtet diese Begründung ein: Natürlich sollen wir mit ganzem Ernst und Eifer alles für unsere Seligkeit tun, aber wir könnten es nicht tun, wenn Gott uns nicht zuvor mit einem ent­sprechenden Wollen und Sehnen beschenkte. Und wir könnten dieses Wollen und Sehnen nicht in die Tat umsetzen, wenn Gott uns nicht zugleich auch die Kraft zum Vollbringen schenkte. Damit sind wir beim Knackpunkt: Wir können und sollen durchaus etwas für unsere Seligkeit tun, aber wir können es nicht aus eigener Kraft tun, nicht ohne Gottes Geist! Der „freie Wille“, da hat Luther vollkommen recht, ist unfähig, Gott und sein Heil zu finden – also der von Gott losgelöste, ganz auf die menschlichen Möglich­keiten beschränkte Wille. Aber der von Gott erlöste und geheiligte Wille, der wird alles dransetzen, um selig zu werden.

Es gibt noch etwas in unserem Bibeltext, das und diese Einsicht bestätigt. Es handelt sich um ein einzelnes Wort ganz am Anfang; normaler­weise hören oder lesen wir schnell darüber hinweg. Luther übersetzte dieses Wort mit „meine Lieben“, aber wörtlich steht da: „Geliebte“. Das ist nicht einfach eine freundliche Anredeform und nicht nur ein Ausdruck der Wert­schätzung des Apostels für die Philipper. Vielmehr steckt im Wörtchen „Geliebte“ das ganze Evangelium drin, das ganze „Wohl­gefallen“ Gottes. „Geliebte“ bedeutet: Ihr seid von Gott dem Vater geliebt, der seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, das ewigen Leben haben. Ihr seid von Jesus Christus geliebt, der sich für eure Sünden aufgeopfert und durch seine Auferstehung den Tod besiegt hat; davon handeln die voraus­gehenden Verse des Philipper­briefes mit dem wunderbaren sogenannten Christus­psalm: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für eine Raub, Gott gleich zu sein…“ Und ihr seid vom Heiligen Geist geliebt, der euch durch die Heilige Taufe zu Gottes­kindern gemacht hat und der euch durch Gottes Wort erweckt und heiligt. Durch diese seine Liebe wirkt der dreieinige Gott in euch das Wollen und das Vollbringen, sodass ihr mit voller Kraft dem herrlichen Ziel der ewigen Seligkeit entgegen­streben könnt.

Zugegeben: Damit ist die Spannung zwischen der ersten und der zweiten Hälfte unseres Textes nicht vollständig aufgelöst. Unser menschlicher Verstand ist zu zeitgebunden und begrenzt, um Gottes Gnaden­handeln im vollen Umfang zu verstehen. Aber das ist auch gar nicht nötig. Wir verstehen genug, um als Christen leben zu können. Die erste Hälfte korrigiert den Irrtum, im Glauben leben bedeute untätig leben und sich überhaupt nicht um seine Seligkeit kümmern. Und die zweite Hälfte korrigiert den Irrtum, wir könnten uns auf unser Christsein etwas einbilden, so als sei es unsere eigene Leistung, mit der wir Gott gegebenüber glänzen. Nein, es ist alles ganz und gar Gottes Gnaden­geschenk: das Wollen, das Vollbringen, der Glaube und die Seligkeit. Die angemessene Reaktion darauf kann nur Lob und Dank sein – sowie ein immer wieder neues Streben nach dieser Seligkeit, mit allem Ernst und Eifer. Gott gebe uns allen dazu seinen Segen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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